Freitag, 2. November 2012

Karl der Große und Tassilo III.: Lügen haben lange Beine.

Kremsmünster
Tassilokelch, gestiftet von Herzog Tassilo; Stift Kremsmünster
(Foto: SCHREIBMAYR / Wikimedia.org)
Als Karl der Große, dem man eine stattliche Körpergröße nachsagt, den bayrischen Herzog Tassilo III. im Jahre 788 nach Ingelheim bestellte und ihn dort per Schauprozess aburteilen bzw. wegsperren ließ, muss die Suppe der Anklage reichlich dünn gewesen sein. Denn wie sonst lässt es sich erklären, dass man Tassilo, neben diversen aktuellen Delikten, angeblich auch eines vorwarf, das damals bereits 25 Jahre zurück lag? Die fränkischen Quellen behaupten sogar selbst, dass es dieses spezielle Delikt war, das den Ausschlag für die Verurteilung gab. 
Konkret handelte es sich dabei um jene "Fahnenflucht", derer sich Tassilo 763 gegenüber Karls Vater Pippin schuldig gemacht haben soll. Tassilo, der damals aufgrund eines Eides verpflichtet war, den König der Franken militärisch zu unterstützen, verließ während des Feldzuges gegen die Aquitanier das Heer und kehrte mit seinen Männern nach Bayern zurück. Als Begründung wurden von ihm gesundheitliche Probleme angegeben. 
Dieser Entschuldigungsgrund war nach dem vorherrschenden Recht völlig in Ordnung. Und offensichtlich fand auch mindestens 25 Jahre lang niemand etwas an den Vorgängen von damals auszusetzen. Bis man eben den allzu selbstständigen Herzog Tassilo in Ingelheim abservieren wollte und triftige Vorwände dafür gesucht wurden. Von diesem Zeitpunkt an verdrehen fränkische Chronisten, sozusagen mit flockigem Schaum vor dem Mund, die Tatsachen in Karls Sinn. 
Interessant ist aber auch: Erst im Jahre 801 ist verlässlich von einer königlichen Erlaubnis die Rede, welche man einholen musste um das Heer, egal aus welchem Grund, verlassen zu dürfen. Wobei dieser späte Zeitpunkt der Erwähnung, 13 Jahre nach dem Prozess(!), auch den Schluss zulässt, dass es überhaupt eine späterer Erfindung war, wonach man Tassilo vor allem wegen dieser Fahnenflucht verurteilte. Sozusagen um in Form einer Rückprojektion, die juristische Schmierenkomödie von 788 im Nachhinein zu rechtfertigen. 

Im Lichte dessen ist es doch vergleichsweise unerheblich, ob Tassilo, wie manche Historiker glauben, sich möglicherweise 763 doch unter einem falschen Vorwand vom Aquitanien-Feldzug zurückzog. (Schon Tassilos Vater Odilo I., pflegte ja zum Teil intensive Beziehungen mit den Aquitaniern. Beispielsweise wurde die Mission um 700 in Bayern von aquitanischen Priestern durchgeführt.) Fakt ist und bleibt also: Tassilo musste für die Erklärung, er wäre krank, kein ärztliches Attest vorlegen. Seine Verurteilung war daher Rechtsbeugung.


Weiterführende Literatur: 
Wilhelm Störmer | Die Bajuwaren - von der Völkerwanderung bis Tassilo III. | C. H. Beck | 2002 | Meine RezensionInfos bei Amazon

2 Kommentare:

  1. Ich liebe Geschichte und finde es unheimlich interessant,gerade aus der Antike und dem Mittelalter.Ich finde es toll das du darüber bloggst.Der Tassilokelch ist wirklich beeindruckend,ein wahres Meisterstück.
    Liebe Grüße und einen schönen Sonntag wünsche ich dir.
    Atrea

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