Dienstag, 2. April 2013

Selbstmord im Christentum

Jesus war eigentlich ein Selbstmörder, denn sein Tod war ein freiwilliger; schließlich konnte ein Gott nicht dazu gezwungen werden, seinen Geist aufzugeben. Das wussten bereits die Kirchenväter Tertullian und Orgines. Die Märtyrer des frühen Christentums eiferten Jesus nach, um zu bezeugen, dass das irdische Leben nicht der höchste Wert ist. 
Absichtlich "outete" man sich als Christ, oder verhielt sich bewusst widerborstig, um den römischen Staat  zu provozieren. Zehntausende Hinrichtungen waren die Folge. Bereits der römische Kaiser Marc Aurel kritisierte deshalb die Starrsinnigkeit und Todessehnsucht vieler Christen in seinen "Selbstbetrachtungen".
Über 200 Jahre später stellten sich diesbezüglich auch beim Kirchenvater Augustinus von Hippo gröbere Bedenken ein. Er fragte sich, inwieweit diese Art des Sterbens tatsächlich mit dem Christentum kompatibel sei. Führte der Glaube an ein Leben im Jenseits, bei vielen Menschen zu einer Verleugnung des Lebens im Diesseits? Offensichtlich. Und verantwortlich waren dafür wohl auch die Zeitumstände. Die alte Ordnung des Römischen Reichs war zerbrochen, vielerorts herrschte das pure Chaos. Massenarbeitslosigkeit, Seuchen, Hunger und Krieg gehörten zum Alltag.
Augustinus legte das 5. Gebote, "du sollst nicht töten", nun besonders streng aus. Der aus der christlichen Beerdigungsliturgie bekannte Satz, "... der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen", wurde quasi zum Programm. Man ächtete das bewusst gesuchte Martyrium zunehmend; dies gipfelte darin, dass quasi jedweder Selbstmord zu einer Todsünde erklärt wurde. Wer sich das Leben nahm (oder es auch nur versuchte), schloss sich damit selbst aus der  sogenannten Gemeinschaft der Heiligen aus. Ein kirchliches Begräbnis wurde demzufolge verweigert.
Diese scheinbare Hartherzigkeit der Amtskirche geht also, wie ich oben darzustellen versucht habe, auf das Bestreben zurück, Massenselbstmorde im Namen des christlichen Glaubens zu verhindern. Märtyrer, denen man zubilligte, dass sie nicht bewusst den Tod suchten sondern unverschuldet starben, gab es natürlich auch später noch vereinzelt. 
Wobei es doch interessant ist, dass man etlichen Heiligen nachsagt, sie haben den Märtyrertod angestrebt - und somit meiner Ansicht nach Selbstmörder waren. Siehe z.B. Bonifatius, der als Greis absichtlich in einer Gegend missionierte, von der er genau wusste, dass die dort lebende Bevölkerung auf Christen gar nicht gut zu sprechen ist.

Seit der Neufassung des Codex Iuris Canonici von 1983, gilt Selbstmord in der katholischen Kirche übrigens nicht mehr als Ausschlussgrund für ein kirchliches Begräbnis. Ausnahmen hat es allerdings auch schon zuvor immer wider gegeben. Berühmtestes Beispiel hierfür ist der österreichische Kronprinz Rudolph, dem man als Entschuldigungsgrund geistige Verwirrung attestierte.

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5 Kommentare:

  1. Hm... ob man das so einfach als Selbstmord einstufen kann? Da müsste man wirklich mehr über die Motive und psychologischen Hintergründe wissen. All diese Tode sprechen doch eigentlich mehr von absoluter Hingabe als Selbstaufgabe. Das hat ja nicht eigentlich mit dem Todeswillen zu tun, sondern mit dem Glauben, den man zu "beweisen" sucht und der Demonstration von der kompletten Aufgabe des Wichtigsten für Gott bzw dem vollkommenen Vertrauen in Gott und seine Gnade.

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    1. Frei nach Cicero sollte man bezüglich der christlichen Märtyrerbewegung der Antike vor allem die Frage stellen: Cui bono? Wem nutzt es?
      Der Glaubensgemeinschaft eher nicht. Denn was würde die schon Gewinnen, wenn ihre Mitglieder massenweise freudig den Tod suchen (und ihn auch finden)? Man würde sich damit ja nur selbst schwächen.
      Diese praktische Überlegung ging möglicherweise auch Augustinus durch den Kopf.

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  2. Religion, auch das Christentum, ist immer auch ein Instrument der Herrschaft von Menschen über andere Menschen. Das Verbot des Freitots ist insofern nur konsequent, aus Sicht der Herrschenden. Wer sich dem "Jammertal"durch Freitod enziehen könnte,würde gleichzeitig den Machtanspruch seiner Führer in Frage stellen.

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    1. Wobei die Gesellschaft Selbstmord/Selbsttötung/Freitod/Suizid auch heute niemandem gestattet. Man denke nur an die endlosen Diskussionen bezüglich unheilbar Kranker.
      Zum Teil fußt dies möglicherweise immer noch auf christlichen Traditionen.

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  3. Die Diskussion finde ich hochspannend, vor allem weil ich schon mal etwas in der Richtung in einem Gespräch geäußert habe. Faszinierend, dass auch schon Augustinus Jesus' Selbstaufgabe ähnlich gedeutet hat.
    Und vor allem weiß ich endlich, woher diese rigorose Rechtssprechung in der Sache kommt.

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