Montag, 23. Juni 2014

Karl der Große: Macht, Kunst, Schätze - und ein fränkischer Panzerreiter


Anlässlich des 1200. Todestages Karls des Großen läuft in der alten Kaiserstadt Aachen vom 20. Juni bis zum 21. September eine aufwändig inszenierte Sonderausstellung; sie trägt den bezeichnenden Titel: Karl der Große - Macht, Kunst, Schätze.
Gleich an drei unterschiedlichen Ausstellungsorten soll dem möglicherweise bedeutendsten aller mittelalterlichen Herrscher "gehuldigt" werden: In der Domschatzkammer, dem Krönungssaal des Rathauses und dem Stadtmuseum Centre Charlemagne - das übrigens nicht im Elsass steht. Nein, wir befinden uns immer noch im deutschen Aachen, wo sich die Verantwortlichen in einem Akt kultureller Selbstverleugnung und unter Zuhilfenahme irgendwelcher Wischiwaschi-Vorwände diese Bezeichnung aus den Fingern sogen. Doch vorerst genug gemeckert, zurück zum eigentlich erfreulichen Thema ;)

Neben dem berühmten Tassilokelch aus dem oberösterreichischen Benediktinerstift Kremsmünster ist ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung sicher die im Krönungssaal errichtete Rekonstruktion eines fränkischen Panzerreiters, der dem Vernehmen nach den wohlklingenden Namen Hiltibolt trägt ;)
Seine Kleidung wurde von Angharad Beyer / Textum Historiae angefertigt. Der blaue Rechteckmantel ist aus Wolle und wird mit zwei Bändern an der Schulter verschlossen. Untertunika und Hose (Thorsberg-Schnitt) sind aus Leinen, letzere in Fischgrat-Webart. Die äußere Tunika besteht aus einem Diamantköper-Wollstoff. Michael Kapmeyer / Naturtuche.de lieferte die verarbeiteten Textilien. Jörg Fraske / Wollstoff.de steuerte die wollenen, mit Walnussschalen gefärbten Wadenwickel in Diamantköper-Webart bei.
Der mit Holzgriff versehene, leinenbezogene und mit Rohhaut eingefasste Schild, wurde ebenso wie die Schuhe von Andreas Helfert / Reenactment-Bedarf angefertigt. Für den Schildbuckel in Zuckerhut-Form zeichnet Lars Lüppers / Hakun Risti verantwortlich. Die Schnallen kommen von Reenactors.de.
Beim Sattel handelt es sich um die Rekonstruktion eines ca. ins 8. Jahrhundert datierten Fundes, der im niedersächsischen Rullstorf (Grab 5075) gemacht wurde. Weitere Informationen und Bilder dazu findet man auf der Homepage der Sattlerei Rieser. Eine etwas rustikalere Variante des Rullstorfer Sattels ist in folgendem PDF (S. 27) zu sehen; auch auf das metallene bzw. hölzerne Innenleben wird hier eingegangen. Die hauptsächlich aus Holz (!) gefertigten Steigbügel beruhen auf Objekten desselben Fundkomplexes (Was wohl der bekannte Chronologiekritiker Heribert Illig dazu sagt, dass Karls "eisenstarrende Schar" zumindest teilweise über Steigbügel verfügte? ;) ).


Diese Reiterrekonstruktion bestärkt mich übrigens darin, meine ottonische Ausstattung in den eigenen vier Wänden ähnlich zu präsentieren. Ohne Pferd, versteht sich - und mittels einer kopflosen Kleiderpuppe, da ich sowieso nichts (Bezahlbares) finden würde, bei dem das Gesicht ähnlich realistisch dargestellt ist wie hier. Wer jedoch über das nötige Kleingeld verfügt, der kann eine solche Puppe mitsamt Silikonkopf bei HWW Museum Mannequins erwerben. Das ausgestopfte Reittier ist eine Leihgabe des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig.

In der ARD-Tagesschau wurde am vergangenen Freitag ein ca. dreieinhalb Minuten langer Videobeitrag von der Ausstellungseröffnung gezeigt. Leider bezeichnete man den Tassilokelch etwas irreführend als "golden", obwohl das kunstvoll ornamentierte Gefäß in Wirklichkeit aus einer Kupferlegierung besteht und lediglich mit einer hauchdünnen Schicht aus Gold bzw. Silber überzogen ist. Dass andererseits obiger Panzerreiter mehrmals vom Kamerateam ins rechte Licht bzw. Bild gerückt wurde, zeigt sehr schön, welch Aufmerksamkeit und Interesse solch eine Rekonstruktionen auf sich ziehen kann. Vor allem bei den so wichtigen jungen Besuchen hinterlässt diese Form der Wissensvermittlung einen bleibenden Eindruck: Zum Video
Neben der ARD berichtete auch der WDR über die neue Karls-Ausstellung: Zum Video

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Nähere Infos zu den umfangreichen Begleitbänden der Ausstellung bei Amazon:


24 Kommentare:

  1. Sieht wirklich gut aus, so eine Reko haucht der Sache erst richtig Leben ein! Wenn ich im August nach Aachen komme, werde ich mir die Ausstellung bestimmt zu Gemüte führen.
    Aber bevorzugten die Franken nicht eigentlich Schnurrbärte?

    Grüßle,
    Maria

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    1. Karl trug angeblich einen (siehe z.B. die kleine Reiterstatuette, die du auf dem obersten Bild vor dem Pferd undeutlich sehen kannst).
      Aber die große Rekonstruktion stellt ja nicht ihn, sondern einen seiner Krieger dar. Unter denen gab es bestimmt auch Vollbartträger ;)

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  2. Schöner Bericht von dir, Hiltibold! -Die Ausstattung des Panzerreiters ist eine Art Ritterschlag für "Kappi" Michael Kapmeyer und Fraske. Die haben aber auch wirklich geniale Stoffe. Nach diesem Bericht werden sie sicher mit anfragen überschwemmt.

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    1. Danke dir.
      Habe selbst bei beiden schon etwas gekauft und war sehr zufrieden damit.

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    2. Das Material ist es nicht alleine - nicht jeder, der einen Ferrari kauft, ist auch ein Schumi ;-) Schöne Stoffe hin oder her, die fügen sich nicht von alleine zum Kleidungsstück. Wobei sich natürlich aus gutem Material auch was Anständiges machen läßt. Aber ein bißchen Können muß schon dabei sein, sonst wird's nix!

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    3. Das Material ist es nicht alleine

      Ja eh. Wenn ich mir beispielsweise eine Thosberghose selbst schneidern müsste, dann würde vermutlich eine Boxershort oder etwas ähnliches dabei rauskommen :)

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  3. "Centre Charlemagne"
    Vermutlich ein billiger Versuch französischsprachige Touristen aus Belgien anzulocken.
    Wie ich von meinem Auslandssemester in Liège noch gut weiß, ist die Grenze ja nicht weit entfernt. Warum dann aber nicht gleich Aachen in Aix-la-Chapelle umbennen? Wenn schon, denn schon ;-)

    Aber der Reiter ist wirklich sehr fesch.
    Vor allem die Holzsteigbügel sind interessant. Das kannte ich so bisher noch gar nicht.

    Zitat: "Was wohl Heribert Illig dazu sagt, ....."

    Ja, was eigentlich? Das wäre wirklich interessant.
    LG,
    Erwin

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    1. Herr lllig würde vermutlich sagen, dass hier Funde gezielt in die von ihm verneinte Zeitspanne von knapp 300 Jahren ("Fantomzeit") hineindatiert wurden. Für mich ist das allerdings ein Totschlagargument.
      Andererseits weiß ich über diese Steigbügel und sonstige Beifunde zu wenig, um beurteilen zu können, inwieweit die Datierung nicht vielleicht doch angreifbar wäre. Wenn aber jemand nähere Infos dazu hat, nur her damit.

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    2. Ich habe nachgefragt, warum der Bau keinen deutschen Namen hat.
      AW: Weil er Anlaufstelle für die "Route Charlemagne" ist.
      Was für eine grandiose Begründung! Die Stadt(stief)väter Aachens hatten als nicht nur Angst davor ihrem Stadtmuseum einen deutschen Namen zu geben, sondern haben auch gleich ihr ganzes Tourismuskonzept darauf aufgebaut. Diese internationalistische, pseudo-völkerverständigende Anbiederung an Touristen finde ich sehr peinlich. Karl, dessen Muttersprache ein westgermanisches Fränkisch beziehungsweise eine Form des Althochdeutschen war, würde sich vermutlich an die Stirn tippen, schließlich hat sich gerade er um seine Muttersprache bemüht und sogar die lateinischen Monatsnamen übersetzt.
      Gut, Hiltibold, dass du das Thema hier kurz angesprochen hast!
      QX

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    3. Zu den Steigbügeln steht in genanntem PDF auch etwas, direkt auf der nächsten Seite (28) nach der Beschreibung der Sattelreko.
      Außerdem gibt es Funde von eisernen Steigbügeln: 799 - Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Bd. 1, S. 301, V.63: Steigbügel, 2. Hälfte 8. Jh, Sahlenburg (Kreis Cuxhaven).
      In der Karlsausstellung ist auch ein Paar zu sehen.
      Im Band 2 von Die Franken - Wegbereiter Europas wird auf pp.808-811 der Sattel von Wesel-Bislich beschrieben. Ein Satz besagt, daß Steigbügel im 7. Jh. im germanischen Kulturbereich auftauchen und vermutlich aus dem reiternomadischen Milieu stammen. Sie waren allerdings noch selten.

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    4. Steigbügel gab es, soweit mir bekannt ist, sogar schon vor dem 7. Jh. in Europa, nachdem die byzantinische Armee sie in der 2. Hälfte des 6. Jh. eingeführt hat (im Alamannenkatalog von Theiss gibt es das eine oder andere Beispiel dazu). Reiternomaden / Awaren spielten aber sicher auch eine Rolle.
      Der Illig behauptet jedenfalls, dass Steigbügel erst wieder im 10. Jh. auftauchen und die wenigen Funde, die in die Zeit dazwischen fallen, fehldatiert wurden. Weil er diesen angeblichen Kulturbruch von rund 300 Jahren aber als unlogisch ansieht, ist das eines seiner Lieblingsargumente für die Fantomzeit. Na ja, wenn er meint. Ihm kommt jedenfalls sehr zupass, dass die gängigen Datierungsmethoden vergleichsweise "unscharf" sind. 14C liefert ja keine Absolutjahre, sondern nur ein Intervall, und selbst das ist - abhängig von verschiedenen Parametern bzw. der Qualität der Proben - nur bedingt verlässlich.
      Mich beschäftigt weniger die Frage, ob es eine Fantomzeit gab, sondern ob ein Fund tatsächlich karolingisch ist, oder nicht vielleicht doch merowingisch bzw. ottonisch. Doch mit den für eine gute Einschätzung nötigen Details geizt man in den üblichen Publikationen zumeist - gerade in überteuerten Ausstellungskatalogen. Da lege ich mein Geld lieber in Grabungsberichten und Monographien an (deren Qualität freilich auch schwankt).

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  4. Fast 40 € für den Essayband ist schon recht viel, wenn man bedenkt, daß es vor Ort einen Schuber mit allen 3 Bänden für knapp 57 € gibt. 3 Bände heißt: Orte der Macht, Karls Kunst und Essays. Die Verlorenen Schätze haben, da von der Domschatzkammer verantwortet, einen eigenen Band. Es ist aber fast nichts Karolingisches dabei.

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    1. 57 Euro für drei Bände lasse ich mir einreden. Da kommt man auf einen Einzelpreis, der ungefähr jenem entspricht, der ursprünglich bei Amazon zu finden war.

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  5. "Hiltibolt", haha, na dann bleibt zu hoffen, dass Bert Geurten nicht der Schlag trifft, wenn er das hört :D
    Dein Kaiser

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    1. Das wollen wir in der Tat hoffen, denn schließlich ist die Krypta seiner Klosterkirche, in der er sich beerdigen lassen möchte, noch nicht fertig ;)

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    2. Ein guter Einwand! Aber Bert Geurten verwechselt da sowieso etwas, denke ich. Denn es waren die weltlichen Stifter, die im Mittelalter dieses Privileg genossen. Geurten andererseits hat nichts gestiftet, sondern hantiert nur mit dem Geld fremder Leute.
      Fragt sich übrigens, wer oder was früher beerdigt wird: Geurten oder sein komisches Projekt ...?
      QX

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  6. Diese schöne Rekonstruktion ist ein echter Blickfang, wie ich gestern selbst festgestellt habe und hat auch mehr mit Karl zu tun, als manch teures Exponat. Die auch im Video erwähnten Krönungsmäntel z.B., sind wie sehr viele andere Objekte ja deutlich jüngeren Datums. Heribert Illig müsste über diese Ausstellung eigentlich sehr glücklich sein, weil sie belegt, wie überaus wenig aus karolingischer Zeit an Material vorhanden ist ...

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  7. Bildquelle zu Rundschild auf dem Rücken und Steigbügeln: Psalterium Aureum, St. Gallen, Cod. San. 22, pag. 140 und 141, Entstehung um 883-888 und um 890-900.
    OK, nicht mehr ganz KdG … ;-)

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  8. Hallo Hiltibolt!
    Meinen Informationen zufolge ist Herrn Illig bekannt, dass in der Ausstellung und in der dazugehörenden Begleitliteratur diese Steigbügel erwähnt werden. Er wird sich daher sicher noch zu diesem Thema äußern. Vielleicht berichtest du dann ja auch darüber?
    Gruß,
    Armin

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    1. Hallo,
      wenn Heribert Illig sich dazu öffentlich äußert, z.B. auf seinem Internetportal, dann weise ich hier gerne darauf hin.

      PS: Hiltibolt heißt genau genommen der rekonstruierte Panzerreiter, ich bin Hiltibold ;)


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  9. Bei der Ausstellung war ich mit meiner Klasse. Danke für die Hintergrundinformationen zu dem Reiter!! So eine Ausrüstung möchte ich mir nämlich auch gerne zulegen..... wenn ich genug gespart habe :-)
    LG
    Robi

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    1. Ja, ganz billig ist so etwas nicht ;)
      Aber man kann sich die Ausrüstung ja beispielsweise "etappenweise" zusammenstellen.

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  10. Die beiden Links auf die Videos sind leider tot.

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    1. Ja, viele der Videos werden leider schon nach ein paar Wochen wieder aus den Mediatheken der TV-Sender entfernt.

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