Mittwoch, 8. Juli 2015

Ein kleiner Einblick in Gesetze und Strafen der Angelsachsen



In den germanischen Königreichen des Frühmittelalters war es zwecks Vermeidung von Blutrache und Fehden üblich, für eine wahre Unzahl an verschiedensten Rechtsverstöße Geldstrafen zu verhängen. Man spricht hierbei vom sogenannten Wergeld (Wer = Mann). Gefängnisstrafen waren hingegen - wie bereits in der vorangegangenen römischen Antike - nicht vorgesehen (die Klosterhaft für bedeutende Personen, man denke etwa an den Bayernherzog Tassilo III., ist eine Ausnahmeerscheinung). Selbst im Falle schwerer Straftaten wie Mord wurde der Schuldige in der Regel zur Zahlung eines (sehr hohen) Bußgeldes verurteilt. Die Todesstrafe dürfte hingegen nur vergleichsweise selten zur Anwendung gekommen sein.
Auch im von germanischen Angeln und Sachsen (=Angelsachsen) eroberten Britannien bzw. England war das Verhängen von Geldbußen zur Schadensgutmachung eine der zentralen Grundlagen des Rechtssystems. Genau auf dieses Rechtsystem, an dem uns heute einiges seltsam erscheinen mag, soll hier ein kurzer Blick geworfen werden.

Da es im frühmittelalterlichen England lange Zeit eine Vielzahl an Königreichen gab (Wessex, Kent, Mercia, East Anglia, Bernicia usw.) unterschieden sich Vorschriften und angedrohte Strafen je nach Herrschaftsgebiet mehr oder weniger stark voneinander. Weiters muss zwischen diesem ortsgebundenen weltlichen Strafrecht und dem (theoretisch) überall gleichermaßen geltenden Kirchenrecht differenziert werden. Laut letzterem war etwa das Arbeiten am Sonntag verboten - was allerdings auch nach weltlichem Recht eine strafbare Handlung darstellte und von den Herrschern zum Teil rigoroser verfolgt wurde, als von der Kirche. Nach einer Verordnung König Withreds von Kent musste ein Herr heftige 80 Schillinge Bußgeld entrichten, wenn er seine Unfreien zur Sonntagsarbeit zwang. Beinahe möchte man darin eine frühe Form des staatlichen Arbeitnehmerschutzes sehen, allerdings stand eher das fromme Anliegen im Vordergrund, der Bevölkerung am Sonntag ausreichend Zeit für den Besuch der Kirche zu verschaffen. Da jedoch nicht einmal die als Selbstständige arbeitenden Vollfreien dieser Idee übermäßig viel abgewonnen zu haben scheinen, wurden sie - laut einem Gesetzestext aus Wessex - im Falle von Zuwiderhandlung sogar mit der Versklavung bedroht. Auch sie sollten den "Tag des Herrn" heiligen und die Arbeit ruhen lassen. Dass deshalb aber gleich jeder Freie seine so gewonnene bzw. verordnete Freizeit für den Kirchgang nutzt darf bezweifelt werden.
Zu den rein kirchenrechtlichen Verboten zählte das Lesen häretischer Messen oder das Singen "teuflischer Lieder" bei religiösen Feiern (damit ist Musik gemeint, deren Tonalität nicht den Gregorianischen Gesängen entsprach). Im schlimmsten Fall wurde man aus der Kirche ausgeschlossen; zumeist verhängte die geistliche Führung jedoch Bußübungen, deren Spektrum von kurzen Pilgerreisen bis hin zur erniedrigenden, öffentlichen Selbstgeißelung reichen konnte. Selbst ein vergleichsweise schweres Vergehen, wie z.B. der Eintritt in eine häretische Gruppierung, wurde in der Regel mit Bußübungen bestraft; wobei sich bei diesem speziellen Delikt die Buße über einen außerordentlich langen Zeitraum erstrecken konnte, denn Papst Gregor der Große forderte volle 12 Jahre. Verglichen damit nimmt sich die Bußdauer für das Lesen häretischer Messen mit 40 Tagen geradezu bescheiden aus. Interessanterweise war das Strafmaß auch nach dem Stand des Missetäters gestaffelt. So soll laut einem Text, der vermutlich im 8. Jahrhundert verfasst wurde, ein Kleriker doppelt so lange für das Singen teuflicher Leider büßen wie ein Laie. 

Vergleichbare Unterscheidungen finden sich auch im weltlichen Strafrecht wieder, denn die Höhe des eingangs bereits erwähnten Wergeldes war hier ebenfalls nicht alleine mit der Schwere einer Tat verknüpft, sondern zusätzlich vom gesellschaftlichen Rang des Geschädigten abhängig. Die jeweiligen Kompensationszahlungen erhielt meist ganz oder zumindest teilweise das Opfer. Bei Mord oder Totschlag musste die Strafe an die Hinterbliebenen bzw. Verwandten bezahlt werden. Konnten keine Angehörigen ausfindig gemacht werden, fiel das Bußgeld an den König. Floh der Delinquent, dann war dessen eigene Verwandtschaft verpflichtet, die Hälfte der Strafe zu entrichten. Selbst jene Personen konnten rechtlich belangt werden, die einem Mörder oder Totschläger die Tatwaffe zur Verfügung gestellt hatten.
Da das angelsächsisch-germanische Recht dem Richter kaum Spielraum beim Bemessen der Strafe einräumt, mussten die Bußgeldkataloge entsprechend detailliert bzw. umfangreich sein. So finden sich beispielsweise in der Gesetzessammlung des Königs Aethelberht von Kent alleine 52 unterschiedliche Formen der Körperverletzung; vom abgetrennten Finger bis hin zum eingeschlagenen Schädel. Jedem einzelnen Vergehen ist ein Wergeld in bestimmter Höhe zugeordnet. Bei besonders schweren Straftaten konnte auch die Prügelstrafe / Geißelung verhängt werden; wobei die Möglichkeit bestand, sich davon freizukaufen. 
Auch die Versklavung eines Verurteilten war in Ausnahmefällen möglich, wie das oben bereits erwähnte Beispiel von der Sonntagsarbeit zeigt. Der besonders strenge König Ine von Wessex drohte überdies jeder Hausgemeinschaft den Entzug der Freiheit an, sollte diese wissentlich einen Dieb beherbergen.
Ähnliches galt für die Unterbringung von Ausländern; in Gesetzestexten der Könige Hlothhere und Eadric von Kent heißt es, dass der Hausherr für die Taten eines ausländischen Gastes verantwortlich gemacht werden kann, sobald dieser drei Nächte im Haus seines Gastgebers verbracht hat.
"Ausländer" bzw. "Fremder" konnte sowohl ein Kaufmann aus Friesland sein, wie auch der angelsächsische "Bruder" aus einem benachbarten Königreich. Zusätzlich etwas verkomplizierend wirkt sich der in den Leges verwendete Begriff "Wälsche" aus. Damit ist einerseits die als Ausländer zu bezeichnende keltoromanische Urbevölkerung der nicht eroberten Gebiete Britanniens gemeint - siehe etwa Wales (nomen est omen!). Andererseits handelt es sich dabei auch um jene unterworfenen Keltoromanen, die innerhalb des Herrschaftsgebietes eines angelsächsischen Königs lebten und rechtlich zum Teil anders gestellt waren, als die germanischen Eroberer kontinentaler Herkunft. Jedoch keinesfalls fielen diese Keltoromanen, wie man lange Zeit annahm, vollständig in Knechtschaft oder wurden gar ausgerottet. Vielmehr gibt es etliche Hinweise dafür, dass sie auch weiterhin einen Teil der Oberschicht bildeten und einzelne Mitglieder vermutlich sogar in angelsächsische Königsfamilien einheirateten. Wobei die Frage gestellt werden muss, inwieweit diese "Wälschen" nicht längst assimiliert/germanisiert waren, denn ihr rechtlicher Sonderstatus innerhalb der Bevölkerung findet sich in den erhaltenen Gesetzestexten bis maximal in das 7. Jahrhundert hinein; und selbst damals scheint nur noch in Wessex ein rechtlicher Unterschied zwischen ihnen und den eingewanderten Angelsachsen gemacht worden zu sein. 

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Weiterführende Literatur/Quellen:


2 Kommentare:

  1. Möglicherweise wurden die Wälschen deshalb am längsten in den westsächsischen Gesetzestexten gesondert behandelt, weil Wessex sich noch relativ spät einige Landstriche einverleibt hat, die von der Urbevölkerung bewohnt wurden?

    Liebe Grüße,
    Britta

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    1. Durchaus möglich, denn mit der Eroberung großer Teile des Königreichs Dumnonia im 7. Jh. fielen plötzlich sehr viele Kelten/Wälschen unter die Herrschaft der Angelsachsen bzw. Könige von Wessex. Hier mag ein Bedarf zur rechtlichen Unterscheidung noch einmal nötig erschienen sein.

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