Sonntag, 6. Dezember 2015

Buch: Der größte aller Ritter und die Welt des Mittelalters

Als im Jahr 1861 der 21-jährige französische Romanist Paul Mayer bei einer Versteigerung in England die erste Seite einer kaum beachteten, abgewetzte Handschrift aus dem 13. Jahrhundert überflog, war ihm noch nicht bewusst, welch historischer Schatz vor ihm auf dem Tisch lag. Erst zwei Jahrzehnte später bekam er die Gelegenheit das Buch genauer zu studieren, nachdem dessen Besitzer - ein verschrobener Privatsammler - das Zeitliche gesegnet hatte. Wie sich nun herausstellte, handelte es sich um die bis dato älteste Biographie eines mittelalterlichen Ritters. Sein Name: Guillaume le Maréchal (engl. William Marshal).
Geschichtswissenschaftlern war dieser Mann zwar durchaus ein Begriff, schließlich prangt seine Unterschrift an prominenter Stelle auf der berühmten Magna Charta aus dem Jahr 1215; doch das Leben des Guillaume le Maréchal lag weitestgehend im Dunkel der Geschichte verborgen. Dank Paul Mayer änderte sich das schlagartig und vor der erstaunten Fachwelt entfaltete sich die atemberaubende Karriere eines landlosen Sohns aus "ritterlicher Mittelschicht", der bis an die Spitze des englischen Königreichs aufstieg.
Maréchal war eine Art "Self-made man" des anglo-normannischen Hochmittelalters, der sich in jungen Jahren noch nicht einmal ein ordentliches Pferd leisten konnte, bei seinem Tod aber zu den größten Landbesitzern Englands zählte. Er erlebte in seinem langen Leben den Aufstieg und Niedergang des mächtigen Angevinischen Reichs (siehe Karte) und diente so berühmten Persönlichkeiten wie Eleonore von Aquitanien (die ihn aus der Gefangenschaft freikaufte), Heinrich II. von England sowie dessen Söhnen Heinrich dem Jüngeren, Richard Löwenherz und dem berüchtigten Johann Ohneland. 

Im Buch Der größte aller Ritter und die Welt des Mittelalters (Klett-Cotta, 2015) zeichnet der britische Autor Thomas Asbridge den Werdegang Guillaume le Maréchals detailliert nach. Dabei orientiert er sich stark an der von Paul Mayer im 19. Jh. ans Licht der Öffentlichkeit beförderten Biographie, allerdings gleicht er die dort enthaltenen Informationen nach Möglichkeit kritisch mit anderen Quellen ab. 
Dem Leser wird manch Persönliches aus dem Leben Maréchals erzählt - z.B. wie diesem nach einem Turnier der völlig zerbeulte Helm mit allerlei Werkzeugen vom Kopf gezogen werden musste; oder jene skurrile Begebenheit, bei der er einem entlaufenen Mönch und dessen Geliebter das Ersparte abknöpfte - angeblich zur Strafe für ihre moralischen Verfehlungen...
Der Autor gewährt auch einen spannenden Einblick in die kriegerische Machtpolitik der angevinischen Herrscher des 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Dass hierbei etwa ein Richard Löwenherz nicht immer gut wegkommt dürfte viele überraschen, kennen sie diesen König doch zumeist nur als positiv angelegten Charakter aus diversen Robin-Hood-Filmen. In der Realität war Löwenherz zwar tapfer und ein herausragender Kämpfer, aber auch rücksichtslos, machtgierig und brutal. Lauter Eigenschaften, die freilich etliche Herrscher des Mittelalters besaßen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der vor allem in der ersten Hälfte des Buchs Beachtung findet, ist der ritterliche Alltag, welcher sich zu Lebzeiten des Guillaume le  Maréchal  teilweise noch deutlich von jenem typischen Mittelalterbild abhob, mit dem wir heute vertraut sind; so fanden z.B. Turniere häufig ohne Publikum statt - und nicht der Zweikampf mit Lanze (Tjost), sondern das Kämpfen in Gruppen und Nehmen von Geiseln erfreute sich bei diesen Veranstaltungen größter Beliebtheit. Allerdings entwickelte sich bereits damals das Rittertum zu einem zunehmend exklusiven Club der Reichen und ihrer Günstlinge, da die benötigte Ausrüstung immer aufwendiger bzw. teurer wurde. Beispielsweise konnte ein erstklassiges Schlachtross dem Wert von 500 Ochsen bzw. 4500 Schafen entsprechen! Es ist demnach kaum verwunderlich, dass es selbst vielen Adeligen, wie etwa Maréchals Vater, nicht möglich war, sämtliche Söhne adäquat auszustatten.

Fazit: Wieder einmal hat ein englischsprachiger Geschichtswissenschaftler vorgemacht, wozu im deutschen Sprachraum scheinbar kaum einer seiner Kollegen fähig oder willens ist: Nämlich nicht nur fachlich einwandfreie, sondern gleichzeitig auch spannende Biographien historischer Persönlichkeiten zu verfassen.
Der größte aller Ritter und die Welt des Mittelalters ist eine außerordentlich informatives und flüssig geschrieben Buch. Auf rund 480 Seiten malt der Autor ein farbiges Bild vom turbulenten Leben des Guillaume le Maréchal, dem damaligen Rittertum und den gewalttätigen Umtrieben der angevinischen Herrscherfamilie.
Ergänzend enthält das Buch mehrere Landkarten, einen chronologischen Überblick, Stammbäume und ein Register. Was will man mehr verlangen? 

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3 Kommentare:

  1. Ein Buch, dass auf meinen weihnachtlichen Wunschzettel kommt :-)
    Dass bei uns kaum ein Mediävist in der Lage ist spannende Biographien zu verfassen liegt wahrscheinlich auch an deren Alter. Wenn ich z.B. an die letzten Biografien Karls des Großen denke, da waren ja ausschließlich Männer am Werk, die über 60 oder 70 Lebensjahre zählen. Die sind so in ihrem angestaubten Duktus verhaftet, dass Hopfen und Malz verloren zu sein scheint.
    Gero

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  2. Klingt großartig! Das Buch ist ja bereits auf meiner Wunschliste. Vielleicht ist Weihnachten ein guter Anlass, es sich mal zuzulegen. ;-)

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  3. Hört sich spannend an und es ist auch genau die Zeit, die mich besonders interessiert. Danke für den Tipp!
    Grisu

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