Mittwoch, 10. Oktober 2018

📖 Buch: Backen - Von der Steinzeit bis ins Mittelalter

Steinalte europäische Back-Vielfalt

Bronzezeitliche Dinkelmöndchen mit Haselnüssen, Römische Mostbrötchen, Keltische Roggenknubbel mit Räucherfisch, Normannische Salzknüppel, Konstanzer Konzilspizza, ...
Bei solchen Rezeptbezeichnungen läuft wohl etlichen Menschen das Wasser im Mund zusammen; wenigstens aber dürfte sie ein bisschen die Neugierde packen. Und das zurecht, denn die europäische Backtradition ist uralt, vielfältig und hält für den an künstliche Geschmacksstoffe gewöhnten modernen Gaumen manch Überraschung bereit.

Im Buch "Backen - Von der Steinzeit bis ins Mittelalter" (Verlag Eugen Ulmer) präsentieren die beiden Autoren - der Archäologe Achim Werner und der Kunstgeschichtler Jens Dummer - einen bunten Mix aus insgesamt 55 Backrezepten für Brot und Gebäck. Der dabei  berücksichtigte Zeitraum erstreckt sich über rund 8000 Jahre und wurde in folgende Kapitel unterteilt: Jungsteinzeit und Kupferzeit, Bronzezeit, keltische Zeit, römische Zeit, Völkerwanderungszeit, Frühmittelalter, Mittelalter, Hoch- und Spätmittelalter.
Jedes der Kapitel verfügt über eine kurze Einleitung, in der auf Besonderheiten der darin behandelten Epoche eingegangen wird.

Die vorgestellten, mit jeweils einem Foto bebilderten Rezepte beruhen laut Autoren auf verschiedensten, miteinander abgeglichene Forschungsergebnissen der letzten Jahrzehnte. Das sind einerseits schriftliche Quellen wie Catos bekanntes Werk "De agri cultura". Andererseits gibt es aber auch mehrere archäologische Funde von Getreideprodukten. Besonders hinsichtlich jener Abschnitte der Menschheitsgeschichte ist das von Bedeutung, in der es keine bzw. keine ausreichend ausgeprägte Schriftkultur gab - dazu zählen z.B. die Jungsteinzeit und das Frühmittelalter. Neben schriftlichen und archäologischen Quellen war aber auch das Experimentieren anhand des oft nur bruchstückhaft vorhandenen Wissens ein wichtiger Aspekt beim Entstehen der Rezepte. Deren Authentizität ist deshalb von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten. Wobei es nicht geschadet hätte, wenn die Autoren im Einzelnen immer auf ihre Quellen eingegangen wären. Ausreichend Platz dafür hätten sie ja gehabt (siehe Bild unten).
Da die Rezepte in der Regel recht simpel sind und man die Zutaten überwiegend im normalen Supermarkt erhalten kann, stellt das Nachbacken kein Problem dar. Mir haben jedenfalls die langobardischen Olivenröllchen und der mittelalterliche Möhrenkuchen hervorragend geschmeckt!

In gesonderten Kapiteln werden einige fürs Backen wichtige Aspekte behandelt. Dazu zählt beispielsweise die Konstruktion historischer und prähistorischer Backöfen (Grubenofen, oberirdischer Kuppelofen) sowie grundsätzliche Tipps für ein gutes Gelingen der beschriebenen Rezepte. Weiters enthält das Buch eine "Kleine Getreidekunde", in der Charakteristika der verschiedenen Getreidesorten kurz erläutert werden - und zwar hinsichtlich der Aufbereitung, der Inhaltsstoffe, der Verwendungsmöglichkeiten und sonstiger Besonderheiten.

Fazit: "Backen - Von der Steinzeit bis ins Mittelalter" ist eine optisch schön gestaltete und interessante Kombination aus Sach- sowie Kochbuch. Der Kaufpreis beträgt durchaus nicht teure 25 Euro.

Rezept für langobardische Olivenröllchen | Foto: Hiltibold | Buchinhalt: (C) Verlag Eugen Ulmer


Zusätzliche Anmerkung: Abschließend möchte ich noch eine Kritik loswerden, die allerdings keinen Einfluss auf die Bewertung des Buches hatte: Bezugnehmend auf das Feld der Experimentellen Archäologie schreibt einer der beiden Autoren (wohl der Archäologe Achim Werner):

Zu unserem großen Bedauern treten seit geraumer Zeit in diesem Bereich vermehrt selbsternannte "Experimentalarchäologen" ohne jegliche Fachausbildung auf und schädigen mit ihren unseriösen pseudo-wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Auftritten bei Museumsveranstaltungen massiv den Ruf dieses Wissenschaftszweiges.

Hierzu ist folgendes festzustellen: Es gibt keine "Fachausbildung" für Experimentalarchäologie. Sollte jedoch gemeint sein, die Kritisierten arbeiten vor allem deshalb mangelhaft, weil sie weder Geschichte noch Archäologie studiert haben, dann muss diese Behauptung mit Nachdruck zurückgewiesen werden. Denn gerade in der Experimentellen Archäologie gibt es etliche Beispiele für erfolgreiche Quereinsteiger - siehe etwa den gelernten Elektrotechniker und mehrfach ausgezeichneten Harm Paulsen. Hingegen sind es ausgerechnet die akademisch geschulten Historiker und Archäologen in den Museen, welche der Schlamperei und der wissenschaftlichen Scharlatanerie überhaupt erst bei ihren Veranstaltungen eine Bühne bieten.
Schlimmer noch: Die Museumsbetreiber selbst sind es längst, die in Komplizenschaft mit Medienvertretern simpelste Publikumsbespaßung/Museumspädagogik inflationär als "Experimentalarchäologie" anpreisen. Als Beispiel für dieses Vorgehen sei hier meinerseits die Mittelalterbaustelle "Campus Galli" in Baden-Württemberg genannt. Wie ich finde, stünde es den Buchautoren gut zu Gesicht, wenn sie ihre Kritik ebenfalls direkt adressieren würden, anstatt (aus Konfliktscheue?) maximal vage zu bleiben.

4 Kommentare:

  1. Schöne Rezension, danke!
    Und Deinem letzten Absatz kann ich mich vollumfänglich anschließen.

    Grüße
    Ulrich

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    1. Danke! Da gabs diesmal mehr zu schreiben als beim Päpste-Lexikon ;)

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  2. Wie wahr, Museumsveranstaltungen wandeln sich immer häufiger zu niveauarmen Mittelaltermärkten. Ich danke dabei zB an manch jüngere Veranstaltung in Carnumtum.

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