Kürzlich habe ich hier im Blog das sehr interessante Buch "Ochsen, Zimt und Bratwurstduft" von Wolfgang Mayer besprochen. In einem der Kapitel führt der Autor aus, dass bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit der Lebendtiertransport in Europa ein Ausmaß angenommen hatte, welches in Anbetracht der damaligen primitiven Zustände heute kaum jemand für möglich halten würde.
Freilich, der Begriff "Transport" trifft es nicht ganz, denn die Tiere beförderten sich auf ihren eigenen Beinen von A nach B. Die Anzahl und die dabei zurückgelegten Entfernungen erstaunen aber allemal!
Weil die Bauern im Umland der damals rapide anwachsenden Städte nicht genügend Vieh für die Fleischversorgung heranzüchten konnten, wurde ein räumlich weit ausgreifender Ochsenhandel aufgebaut. Nürnberg war in diesem Netzwerk eine der zentralen Drehscheiben.
Die Tiere aus Ungarn wurden zu einem wichtigen Faktor der Fleischversorgung in Mitteleuropa. Es gab verschiedene Routen für die Trecks. Die wichtigste, von der Nürnberg profitierte, führte von Ungarn aus über Wien entlang der Donau. Zugleich lieferte Ungarn über Villach und Venedig seine Ochsen bis nach Oberitalien. [...] Seit dem 14. Jahrhundert sind die Trecks nach Süddeutschland durch alte Dokumente belegt. S 78 |
Warum Ungarn (darunter verstand man damals ein größeres Gebiet als heute)? Weil dort die Bevölkerungsdichte relativ gering war, gleichzeitig aber viel Grasland als Weidefläche zur Verfügung stand. Entsprechend wird geschätzt, dass in Ungarn rund 3 Millionen sogenannter Graurinder gehalten wurden. Außerdem waren diese Tiere mit ihren bis zu 500 kg Gewicht größer als die meisten Artgenossen anderenorts in Europa.
Reisende bewunderten schon im 12. Jahrhundert diese Tiere. Ihr Fleisch hatte höchste Qualität. In der Forschung in Österreich wird auf Basis alter Zollregister davon ausgegangen, das z.B. in den Jahren von 1570-1590 jährlich zwischen 150.000 und 200.000 Ochsen über die Grenze von Ungarn getrieben wurden. Doch Österreich war nur Durchzugsgebiet. Wolfgang von Stromer schätzt die Zahl der Ochsen, die von den Zuchtgebieten in die Industrieregionen getrieben wurden, bis zum 30jährigen Krieg auf jährlich 400.000 (!). S 80 |
Es stellt sich mir die Frage, wo diese großen Tierherden auf ihren langen Reisen (gegen Bezahlung?) weiden durften? Schließlich sollten sie nicht vor Erschöpfung und Unterernährung tot umfallen. Kaum zufällig gab es an den Zielorten eigene Mastwiesen, denn völlig spurlos sind die Strapazen des langen Marschs an den Tieren nicht vorbeigegangen.
Im Extremfall waren es 1500 (!) und mehr Kilometer. Trecks aus Ungarn erreichten entfernte Städte wie Straßburg, Frankfurt und Köln. [...] Der Ochsenauftrieb war im Grunde nur aus heutiger Sicht sensationell, denn im Mittelalter waren etliche Tierherden über große Entfernungen unterwegs. So verbot Kaiser Karl der VI. 1347 das Treiben flämischer Schafe in die Reichswälder um Nürnberg beiderseits der Pegnitz. Andere Quellen sprechen von Schweineherden aus Böhmen, die durch das heutige Mittelfranken gebracht wurden. S 81 |
Ich vermute, das Treiben der Tiere in diese damals schon intensiv bewirtschafteten Wälder wurde verboten, weil sie dort in Form von Verbiss großen Schaden anrichteten (Kaiser Karl IV. ordnete sogar an, dass auf Kosten der Bürger Nürnbergs zwei Bereiter angestellt werden, die den Wald im Umland der Stadt "fleißig besehen" sollten, um von ihm Schaden abzuwenden.
Zurück zu den ungarischen Ochsen- bzw. Rinderherden; auch diese sorgten offenbar für gehörigen Ärger:
Schätzungen zufolge legte eine Herde im Durchschnitt jeden Tag 20 bis 30 Kilometer zurück. Ein einzelner Tross setzt sich aus mehreren hundert Rindern zusammen. Sogar die Zahl von 1000 Ochsen wird in alten Beschreibungen angegeben. Die genauen Triebtrassen änderten sich von Jahr zu Jahr, denn der Viehtrieb sorgte für Konflikte mit den Besitzern der Ländereien, die die Tiere durchzogen, und mit ansässigen Bauern. An manchen Stellen entstand ein Flutschaden auf bis zu 100 Metern Breite. S 83 |
Es ist meiner Ansicht nach nur schwer vorstellbar, dass es bei all diesen ständig durchziehenden Großherden keinerlei Abmachungen mit den jeweiligen Landesherren oder mit einzelnen Grundbesitzern/Bauern gab. Ob die oben beschriebenen immensen Schäden daher nicht eher die Ausnahme, aber weniger die Regel waren?
Fazit: Offensichtlich ist es ein Irrtum, wenn man meint, Schlachtvieh müsse in Europa erst in der jüngeren Vergangenheit weite Strecken zurücklegen, um zum Endverbraucher zu gelangen. Und im Angesicht der Schäden, die diese Viehtriebe verursachen konnten, dürfte es auch schon Proteste gegeben haben. Vielleicht ganz ähnlich wie es heute Tierschützer bei Tiertransporten machen - wenn auch aus anderen Beweggründen.
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AntwortenLöschenDurchreisende Kaufmannszüge hat man üblicherweise mit Steuern belastet, deshalb bin ich mir fast sicher, dass man das genauso mit solchen wertvollen Tierherden gemacht hat.