Montag, 15. Mai 2023

📖 Buch-Rezension: Ochsen, Zimt und Bratwurstduft

Nürnberg war vor Jahrhunderten nicht nur ein frühes Zentrum des damals gerade erst erfundenen Buchdrucks, sondern speziell auch eine Hochburg der deutschsprachigen  Koch- bzw. Rezeptbücher. Somit übten die lokalen Kochtraditionen der reichen Handelsmetropole, in der nicht zuletzt exotische Gewürze aus aller Herren Länder weiterverkauft und verarbeitet wurden, einen überregionalen Einfluss aus.
Aber auch das Bierbrauen, der Weinanbau, die Zeidlerei (Imkerei) und der anfangs umstrittene "Türkentrank" (man sagte dem Kaffee eine unfruchtbar machende Wirkung nach und forderte sogar vom Papst ein Verbot) haben in der Stadt eine lange Geschichte. So sind etwa die Nürnberger Brauregeln älter als das bayerische Reinheitsgebot von 1516. Und selbst in Sachen Fleischbeschauung war Nürnberg Vorreiter (hier ist selbstverständlich nur die qualitätssichernden Maßnahme beim Schlachten gemeint 😉).

Es ist eine interessante, abwechslungsreiche und kurzweilige Reise in die Vergangenheit, auf die Wolfgang Mayer die Leser in seinem schön illustrierten Sachbuch mitnimmt. Zeitlich bewegt sich der Autor mit seinen Schilderungen vor allem im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit; was der Quellenlage geschuldet sein dürfte. Thematisch wiederum wird sozusagen alles abgedeckt, was bei drei nicht im Kochtopf ist. Bei den beschriebenen Speisen  - z.B. Backäpfeln und mit Speck ummanteltes Wild - lief mir mehr als nur einmal das Wasser im  Mund zusammen (ich bin ja sowieso von Natur aus eher verfressen, weshalb ich auch jede Menge Ausgleichssport betreiben muss 😁). Freilich, es gibt schon Ausnahmen: Froschschenkel, Kuheuter, Schneckenpastete und Zungen wollen selbst mir als überzeugtem Nicht-Veganer wenig appetitlich erscheinen. 

Es handelt sich hier zwar um kein Kochbuch, trotzdem werden in knapper Form einige alte Rezepte genannt. Manch Detail wirkt für uns dabei eher ungewöhnlich, beispielsweise wenn kleine Küchlein nicht nur mit Honig, sondern auch mit Pfeffer gewürzt werden. Überhaupt mischte man dazumal salzig und süß gerne miteinander. So auch im Fall einer 'Torte', die u.a. aus in Schweineschmalz gekochten Birnen und Parmesan besteht. Doch aus eigener Erfahrung mit historischen Gerichten weiß ich, dass so etwas kein Widerspruch sein muss und durchaus gut schmecken kann. Ausprobieren schadet nicht! Man braucht eben nicht gleich ins Chinarestaurant oder zum Thailänder gehen, um ein exotisches Geschmackserlebnis zu haben; ein Blick in alte deutschsprachige Kochbücher kann schlussendlich zu einem ähnlichen Ergebnis führen. Der Autor nennt praktischerweise etliche dieser historischen Publikationen - z.B. die "Nürnberger Küchenmeisterey" aus dem Jahr 1485 (beim "y" statt dem "i" schlägt das Herz des Mittelaltermarktfans gleich höher 😁), "Das vollständige und vermehrte, auf die neueste Art eingerichtete Kochbuch" von 1733 (solche irrwitzigen Titel-Ungetüme gibt es heutzutage nur noch bei geisteswissenschaftlichen Abschlussarbeiten), das "New künstlich Kochbuch" von 1630 ("New"?!) usw. usf. Von vielen dieser Werke gibt es erfreulicherweise Nachdrucke. Oft sind sie sogar online in elektronischer Form kostenlos zu finden.

Einige der genannten historischen Überlieferungen besitzen freilich aufgrund des technischen Fortschritts keine Relevanz mehr - oder vielleicht doch? Z.B. heißt es, um Fisch haltbar zu machen, solle man ihn in ein Gefäß mit Essiglauge legen und in der Erde eingraben. In Zeiten, in denen zunehmend aufgeregt vor "Blackouts" gewarnt wird ("you get what you voted for"), handelt es sich hierbei eventuell um ein Methode, die man im Hinterkopf behalten sollte. Denn ohne Strom kein funktionierender Kühlschrank. Also immer ausreichend Essig bunkern!
Beim in Kirschmus gekochten Biberschwanz freilich wirds schwieriger. Das dürfte in unseren Breiten alleine schon am Mangel an käuflich erhältlichen Biberschwänzen scheitern (der Biber zählte übrigens zu jenen Gerichten, welche die Kirche in der Fastenzeit erlaubt hat, da er als Wasserbewohner quasi zu den Fischen gezählt wurde - und Fische sind ja bekanntlich kein Fleisch 🙄).
Ob man außerdem heute noch blaue Kornblumen zermahlen und als Färbemittel in einen Brei geben würde, wie es im "New künstlich Kochbuch" beschrieben wird? Da ist es doch einfacher, Lebensmittelfarbe zu verwenden. Allerdings Hut ab, vor dem Einfallsreichtum der damaligen Köche!

Neben den Speisen und ihren Zutaten geht es aber auch um ihre Beschaffung, die z.T. sehr aufwendig und über weite Strecken erfolgte. Beispielsweise wurden große Ochsenherden aus Ungarn herangetrieben. Von dem langen Weg, den die Gewürze des Orients zurücklegten, ganz zu schweigen.

Mit der Zeit wandelte sich in Nürnberg einiges - und manches davon spiegelte Veränderungen wieder, die in ganz Europa stattfanden. Etwa das Ersetzen von Honig durch Kristallzucker in der Küche. Das schmeckte nicht jedem, vor allem nicht den Imkern. So richtig übellaunig wurde man in Nürnberg aber, als 1866 Brauereien und Wirtshäuser den Bierpreis übermäßig nach oben schnalzten. Es kam zu wütenden Protesten und Gewalt, bis die Verantwortlichen nachgaben und den Preis fürs Bier wieder senkten. Dazumal besaßen die Menschen offenbar wesentlich weniger Langmut als ihre inflationsgeplagten Nachfahren von heute ... 


Fazit: Ein rundum gelungenes, wirklich schön gestaltetes Buch, das viel Wissenswertes enthält. Keinesfalls nur interessant für Nürnberger!

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4 Kommentare:

  1. Als ehemaliger Student der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg mal mein Senf dazu: Nürnberg ist auch heute noch ein kulinarisches Schlaraffenland! Man muss nur die richtigen Restaurants kennen!

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  2. Also wenn wir jetzt von der EU schon dazu aufgerufen werden, Insekten zu essen, um das Weltklima zu retten, dann könnte ich mir vorstellen, dass auch die Schneckenpastete ein Revival feiert...
    "Zurück ins Mittelalter" ist eben nicht nur im Energiesektor die Devise unserer Politiker.
    Larry F. Lynt

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  3. "Z.B. heißt es, um Fisch haltbar zu machen, solle man ihn in ein Gefäß mit Essiglauge legen und in der Erde eingraben."

    Ich werde den Eindruck nicht los, dass dabei am Ende sowas ähnliches wie Surströmming rauskommt. :)

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    1. Pfui Teufel, das könnte hinsichtlich Geruch und Geschmack tatsächlich in diese Richtung gehen! Das fällt dann allerdings nicht mehr unter die Kategorie "Nahrungsmittel", sondern eher unter "Chemiewaffe" ;)

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