Das Blog macht eine Woche Pause. Geht leider nicht anders. Anderenfalls enthalten die vorbereiteten Beiträge ähnlich viele Tippfehler wie einige der zuletzt veröffentlichten. Ich muss die Texte in Ruhe durchlesen, korrigieren und z.T. auch umformulieren. Und da ich auch so schon einige andere Dinge um die Ohren habe, geht das nicht auf die Schnelle. Bis in sieben Tagen dann!
Dienstag, 11. Februar 2025
Samstag, 8. Februar 2025
📽️ Videos: Archäologisches Mysterium Kanarische Inseln -- Die Flotte der Römer -- Der Alpenfeldzug des Augustus -- Das historische Graz -- Kochen wie im Mittelalter -- usw.

➽ Dr. Dominique Görlitz und Ramon Zürcher - Mysterium Kanarische Inseln | Spieldauer 49 Minuten | Hangar18b | Stream & Info
Dominique Görlitz, sozusagen das Idealbild eines Forschers. Ab Timecode 5:40 geht es los, vorher gab es Tonprobleme.
➽ Evidence of Trade Caravans from 2,500 Years Ago Uncovered in the Negev | Spieldauer 2 Minuten | Israel Antiquities Authority Official Channel | Stream & Info
➽ Die Flotte der Römer | Spieldauer 53 Minuten | arte | Stream & Info
➽ Der Alpenfeldzug des Augustus: Vorstoß Richtung Germanien | Spieldauer 52 Minuten | arte | Stream & Info
Das wurde doch schon alles zigfach experimentalarchäologisch überprüft! Vieles ist längst geschichtswissenschaftliches Trivialwissen, aber in dieser Doku wird so getan, als ob man dem Stein der Weisen auf der Spur ist... Außerdem sollte man Living-History-Darstellern klarmachen, dass römische Tuniken sicher keine tollen Bügelfalten hatten, auch nicht an der tunica russa eines Centurio - siehe Timecode 21:50 😄. Das hat mich übrigens schon oft bei Darstellern zum Schmunzeln gebracht.
➽ Ein Stück Österreich: Das historische Graz | Spieldauer 24 Minuten | ORF | Stream & Info
➽ Neues vom hochmittelalterlichen Welfenschatz | Spieldauer 6 Minuten | rbb | Stream & Info
➽ Aus dem Museum für Archäologie in Chemnitz | Spieldauer 31 Minuten | mdr | Stream & Info
➽ Schutz gegen böse Geister: Gruselige Dachbodenfunde | Spieldauer 6 Minuten | BR | Stream & Info
➽ Historische Rezepte: Kochen wie im Mittelalter | Historische Küche | Spieldauer 5 Minuten | BR | Stream & Info
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Donnerstag, 6. Februar 2025
🎧 Hörbares: Die Urgetreidesorten Dinkel, Emmer und Einkorn -- Archäologie im islamistischen Syrien -- Frauenpower bei den Kelten 😂 -- usw.

➽ Urgetreide - Dinkel, Emmer, Einkorn | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Kampf um den Münchner Faun - Der Super-Promi der Glyptothek | Spieldauer 21 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Provenienzforschung - Die Geschichte hinter den Kunstwerken | Spieldauer 20 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
Ein "Matriarchat" bei DEN Kelten, bloß wegen einem neuerdings behaupteten Erbrecht irgendwo in Doofbritannien. Ja genau 😂. Diese steile These hatten wir hier ja schon einmal in einem ähnlichen Zusammenhang. Völlig absurd, wie hier von einer dermaßen kleinen Datenbasis aus einem eng begrenzten Gebiet weitreichende soziale Schlüsse für die über ganz Europa und bis in die Türkei (Kleinasien) verstreut lebenden Kelten gezogen werden. Dabei ist es gerade die moderne Mainstreamwissenschaft, die so gerne darauf hinweist, dass die Kelten eigentlich kein richtiges Volk gewesen seien, da es viele lokale Unterschiede bei ihnen gab (ich persönlich halte diese Definition freilich für einen Schmarrn, weil ihr eine eigenwillige bzw. bornierte Interpretation des Begriffs "Volk" zugrunde liegt).
➽ Zum Zustand der historischen Stätten in Syrien. Claudia Bührig, DAI | Spieldauer 11 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download
➽ Syrien: Haben Archäologie und Weltkulturerbeschutz mit der HTS eine Zukunft? | Spieldauer 9 Minuten | DF | Stream & Info | Direkter Download
Geliefert wie bestellt (täte Danisch schreiben): Säkularer Diktator nach jahrelangen Bemühungen der westlichen Wertegemeinschaft endlich weggeputscht und durch einen islamistischen Religioten mit obligatorischem Rauschebart ersetzt. Da macht die teuer frisierte Kompetenzattrappe im deutschen Außenministerium vor Freude garantiert 360-Grad-Saltos auf dem Trampolin, weil genau so geht "feministische Außenpolitik". Was die neue Situation freilich langfristig für die archäologische Forschung und den Denkmalschutz in Syrien bedeutet, kann sich jeder halbwegs intelligente Mensch lebhaft ausmalen. Und doch ist das alles nur unwichtiger Kleinkram, wenn man sich in die Lage der dort lebenden Aleviten und Christen versetzt. Übrigens, das nun herumweinende DAI (Deutsches Archäologisches Institut) ist im deutschen Außenministerium angesiedelt. Also genau dort, wo man eifrig daran mitgewirkt hat, Herrn Assad loszuwerden und Syrien so in einen Idiotenstadel zu verwandeln, dessen aktuelle Machthaber naturgemäß in vorislamischer Kultur etwas völlig Minderwertiges sehen. Ob die DAI-Hanseln das Treiben ihrer Vorgesetzen auch nur ein einziges Mal intern kritisch kommentiert haben? Eher nicht.
➽ Das Fenster - Geschichte mit Durchblick | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Der große Knall - Geschichte des Schießpulvers | Spieldauer 21 Minuten | RB | Stream & Info | Direkter Download
➽ Die Politik der Landkarten - Über Macht und Größenverhältnisse | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
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Dienstag, 4. Februar 2025
🗞️ Was in der alten Zeitung steht: Das kreuzförmige UFO/UAP (1843) -- Das "Kuttenschwein" und seine sexuellen Eskapaden (1900)
Ein leuchtendes Kreuz am Himmel: Ein UFO/UAP?
Wer sich zumindest ein bisschen mit dem UFO/UAP-Phänomen im historischen Kontext beschäftigt, der weiß, dass der Typus der kreuzförmigen Himmelserscheinung mehrfach in alten Schriftquellen vorkommt. Nun liegt natürlich der Verdacht nahe, dass es sich dabei um eine religiöse Spinnerei handelt. Will heißen, hier hat jemand etwas erfunden, um das christliche Symbol für einen bestimmten Zweck zu instrumentalisieren. Himmelszeichen werden uns ja in allen möglichen Ausführungen schon seit der Antike berichtet.
Der unten in der Zeitschrift "Der Adler" geschilderte Fall soll sich im Jahr 1843 in Frankreich zugetragen haben. In dieser Zeit ist die Gemengelage aber bereits eine andere als in der Antike und dem Mittelalter, weil: Die Religion hatte längst stark an Bedeutung verloren und die breite Masse der Bevölkerung besaß eine gewisse Grundbildung, die von einem zunehmenden Maß an Skepsis begleitet wurde. Mit religiöser Symbolik und erdichteten wundersamen Erscheinungen ließ sich daher nicht mehr so leicht etwas ausrichten; da musste es schon richtig krachen, wie etwa bei der mysteriösen Marienerscheinungen von Fátima (Portugal) im Jahr 1917. Doch sehen wir uns an, was es mit dem Bericht aus Frankreich auf sich hat:

Aus Perigueux (Dorbogne): Den 21. v. M. Abends sahen mehrere Personen eine außerordentliche Erscheinung am Himmel, ein prachtvolles Kreuz, scharf gezeichnet und von einer scheinbaren Länge von 50, und Breite von 30 Metres. Es war eine halbe Stunde sichtbar und Alle, so es sahen, erstaunten sehr. Wir haben diesen Bericht von Augenzeugen, an deren Wahrhaftigkeit wir nicht zweifeln können. |
Wir dürfen hingegen heute schon ein wenig zweifeln, weil der Autor nicht begründet, warum er den Augenzeugen eine hohe Glaubwürdigkeit einräumt und auch ansonsten keine Quelle nennt (diesbezüglich hat sich bis heute im Journalismus nicht viel geändert). Andererseits waren wir damals auch nicht in Périgueux mit dabei und sollten deshalb die Schilderungen auf keinen Fall per se ins Reich der Fantasie verbannen oder ins Lächerliche ziehen.
Ein Tipp zum Schluss: Kürzlich wurde bei Joe Rogan wieder einmal das UFO-Thema mit zwei Insidern aus dem US-Militär diskutiert. Durchaus interessant und unterhaltsam.
Es hat "zwei Vaterunser" lang gedauert: Das "Kuttenschwein" und seine sexuellen Eskapaden!
Am 1. Februar 1900 berichtete die Grazer Tageszeitung "Arbeiterwille" (=Hauspostille der Sozialdemokraten) in z.T. unterhaltsam polemischer Weise vom Prozess, der dem Priesters Lucas Kinateder wegen seinen unglaublichen sexuellen Verfehlungen in Wien gemacht wurde. Selbst heute, fast exakt 125 Jahre später, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus! Eigentlich müsste man die ganze Story dieses Schurken verfilmen...
Anmerkung: Ich habe die altertümliche Rechtschreibung kaum korrigiert, aber einige Textformatierungen vorgenommen, um die Leserlichkeit zu verbessern. Außerdem habe ich die Originaltexte - anders als üblich - hier nicht in Form von Bildern eingebunden, weil ansonsten der Blogbeitrag einen zu großen Umfang angenommen hätte; man findet aber den Link zur Quelle oben.
Wieder ein verurtheiltes Kuttenschwein. Das Wiener Schwurgericht sprach vorige Woche den hochwürdigen Pater Lucas Kinateder, bis zu seiner Verhaftung katholischer Religionslehrer in einer Volksschule in Währing (Wiener Bezirk), des Verbrechens der Nothzucht an einem 15jährigen Mädchen schuldig und das Gericht verurtheilte ihn zu drei Jahren schweren Kerkers. Die Verhandlung nahm folgenden Verlauf: Der Angeklagte trug einen schwarzen Gehrock und das Kollar. Er that sehr zuversichtlich, verdrehte aber zeitweilig heuchlerisch die Augen und rieb beim Sprechen die Hände. Natürlich leugnete er mit eiserner Stirn und wollte überhaupt gar nichts gethan haben. Höchstens einen ganz, ganz harmlosen Scherz könne er zugeben. Vorsitzender D.-L.-G.-R. Holzinger: Sie werden wohl einsehen, dass sich derlei harmlose Scherze mit fünfzehnjährigen Mädchen für einen Priester überhaupt nicht schicken. Der Angeklagte schweigt. Vors.: Sie hatten in Schlierbach mit Frau W., der Gattin eines angesehenen Bürgers, ein ehebrecherisches Verhältnis. -- Angekl. (spöttisch): Das soll ein Ehebruch gewesen sein? (Lateinisch sprechend) Non erat adulterium... -- Vors.: Sprechen Sie deutsch, die Geschwornen verstehen nicht lateinisch. -- Angekl.: Es war kein wirklich vollzogener Ehebruch, sondern nur ein zärtliches Verhältnis. Vors.: Auch eine andere Frau W. aus Schlierbach sollen Sie vergewaltigt haben. Sie hat auch ein Kind von Ihnen. -- Angekl.: Das sagt sie. Vors.: Außerdem hat eine Müllerstochter aus der Gegend ein Kind von Ihnen, dann hatten Sie mit noch einem Mädchen dort Beziehungen, das auch ein Kind bekam, und schließlich ist auch eine Magd in Altenfeld durch Sie Mutter geworden. In fast allen diesen Fällen sollen Sie Gewalt angewendet haben, um zu Ihrem Ziele zu gelangen. -- Angekl.: Das ist nicht wahr. Vors.: Nach Ihrer Affaire in Diendorf hat bald die ganze Gegend davon gesprochen, Sie aber haben trotzdem noch Messe gelesen. Der einzige Schritt, den Sie dann unternahmen, war, dass Sie die Flucht ergriffen. Angekl.: Ja, es war aber auch schon Zeit. (Heiterkeit) -- Staatsanwalt: Höchste Zeit! Der Staatsanwalt war eben im Begriff, Sie zu verhaften. Der Angeklagte sucht nun daraus Vortheil zu ziehen, dass man erst drei Wochen nach der That die Anzeige erstattete. Vors.: Ich werde Ihnen sagen, warum das so spät geschah. Weil die sehr katholische Bevölkerung sich gescheut hat, gegen einen Geistlichen aufzutreten. Zuerst wurden die Zeuginnen vernommen, deren Verhältnis zum Angeklagten als Illustration der geschlechtlichen Gewaltnatur des Angeklagten dienen konnte. Die 26jährige Bauernmagd Aloisia W. aus Altenfeld wurde von Kinateder vergewaltigt und bekam ein Kind, das sie dann selbst erhalten musste. Vors.: Haben Sie, als Sie vergewaltigt wurden, um Hilfe gerufen? -- Zeugin: I hab' mi net z' Schreien traut, weil er ein Geistlicher ist. Der Hochwürden hat g'sogt: "Sein's net so ung'schickt. Es g'chieht Ihnen nix." -- Vors.: Sie kamen dann in die Hoffnung. Was hat denn der Angeklagte da gesagt? -- Zeugin: "Loisi", hat er g'sagt, "warum bist d' denn so verweint?" Da bab' i g'sagt: "Hochwürden, i glaub', Sie hab'n mich unglücklich g'macht." Die nächste Zeugin ist die Dienstgeberin der W., eine Postexpedientin. Von ihr behauptet der Angeklagte lustigerweise, dass sie ihn verführt habe. Zeugin: Das ist Lüge und Gehässigkeit. Das sagen Sie, weil ich die Anzeige beim Ordinariat gemacht hab'. -- Der Angeklagte bleibt bei seiner Behauptung. -- Zeugin: Das ist die größte Lüge. Bitte, Hochwürden, das nicht zu sagen. Vors.: Entweder ist das wahr, was Sie behaupten, dann haben Sie schon eine für einen Priester verächtliche Handlung begangen, oder es ist nicht wahr, dann war es doch nur schädlich für Sie, es zu behaupten. Die nächste Zeugin ist die Kellnerin Therese Sch., die auch ein Kind von Kinateder bekam. -- Vors.: Haben Sie sich gewehrt? -- Zeugin: Ja, ein bissl. -- Das Kind lebt und ist acht Jahre alt. Seit sechs Jahren hat der Angeklagte nichts für für das Kind gezahlt. Die Aussage der Küchenmagd Anna L. vom Altenfelder Pfarrhof, die auch ein Kind vom Angeklagten bekam, wird verlesen. Die Gemeinde Altenfelden hat dem Angeklagten ein auch vom Dechant gefertigtes Zeugnis ausgestellt, worin es heißt: Er war ein eifriger Kinderfreund (!), hat jederzeit hilfsbereit Trost (?) im Beichtstuhl gespendet und hat sich so beliebt (?) gemacht, dass bei feinem Abschied lautes allgemeines Weinen herrschte. (Anm.: 😂) Die Zeugin Marie B. ist die zuletzt Genothzüchtigte. Ein hübsches blondes Mädchen von fünfzehn Jahren. Sie erzählt die Vorgänge conform der Anklage. Als sie sich wehrte, sagte Kinateder: "Geh', sei nit so fad!" In der Voruntersuchung hatte die Zeugin gesagt, dass die Scene "etwa zwei Vaterunser" gewährt habe. Auf die Frage, warum die Zeugin nicht gleich die Anzeige machte, sagte sie: Die Leut' hab'n g'sagt, i soll nix sagen, es kommt sonst a rechte Mett'n heraus. Der Keuschheitsgelübdler wurde von den Geschworenen einstimmig schuldig erklärt. Hoch das Cölibat! |
Die Bezeichnung "Kuttenschwein ist schon deftig, wobei der Begriff abseits der Polemik unzutreffend ist, denn Kinateder war Weltprister (siehe unten), also nicht Mitglied eines Mönchsordens, in dem Kutten getragen wurden. Aber gut, mit solchen Feinheiten haben sich die Schreiber des sozialdemokratischen Blattes in ihrem antiklerikalen Furor vermutlich nicht aufhalten wollen.
Die Kollegen/Genossen von der in Wien erscheinenden "Arbeiterzeitung" haben 1901 in Ihrer Berichterstattung über einen ähnlichen Fall, in dem ebenfalls ein Priester die unrühmliche Hauptrolle spielte, den Begriff "Schweinepfaffe" verwendet (siehe hier). Man sieht, dass man schon damals keine zimperliche Wortwahl pflegte. Und wenn man dann noch beachtet, dass Mordanschläge auf Politiker - wie etwa auf Karl Lueger im Jahr 1893 - alles andere als selten waren, dann fällt es schwer, in politischer Hinsicht von der "guten alten Zeit" zu sprechen.
Auch das "Illustrierte Wiener Extrablatt" berichtete von dem Prozess gegen Kinateder. Es gibt zwischen diesem Bericht vom 27. Jänner und dem obigen Artikel gewisse Überschneidungen, aber auch andere Details werden beleuchtet. Sie werfen ein noch schlechteres Licht auf den Angeklagten, wobei man sich hier aber seitens des Mediums jeder Polemik enthält.
Ein Priester auf der Anklagebank. Eines Verbrechens gegen die Sittlichkeit angeklagt, hatte sich gestern der 37jährige Weltpriester Lucas Kinateder vor dem Schwurgerichte, welchem Landesgerichts-Vicepräsident Hofrath Dr. Ritter von Holzinger präsidirte, in geheimer Verhandlung zu verantworten. Der Angeklagte, welcher zulezt als Religionslehrer an der Bürgerschule in der Schopenhauergasse im XVIII. Bezirke angestellt war, erschien in priesterlicher Kleidung vor Gericht. Es wurde ihm zur Last gelegt, daß er am 9. August v. J., als er zum Ferienaufenthalte bei seinem Vater in seinem Heimatsorte Oberdiendorf in Baiern weilte, an der damals vierzehneinhalb Jahre alten Maria D., welche bei dem Grundbesitzer Sonndorfer im Dienste stand, ein unsittliches Attentat verübt habe. Die Anklage in diesem Prozesse vertrat StAS. Doctor Schuster, als Vertheidiger des Angeklagten fungirte Dr. Puvovac. Zur Charakterisirung des Angeklagten und zum Nachweise des Umstandes, daß sich derselbe schon vor Verübung dieser That seiner Stellung als Priester unwürdig gemacht habe, führte die Anklage einen umfassenden Illustrations-Beweis. Kinateder führte schon früher einen sittenlosen Lebenswandel, hatte Beziehungen zu einer verheirateten Frau und ist Vater mehrerer unehelichen Kinder. Der Abt des Cistercienser-Stiftes Schlierbach, in welchem sich Kinateder als Novize befand, sprach sich in höchst abfälliger Weise über ihn aus und das geistliche Gericht in Linz verurtheilte ihn zu sechsmonatlicher Internirung in der geistlichen Strafanstalt Mitterberg und untersagte ihm für immer die Ausübung des Seelsorgeramtes. Auf die Frage, ob er sich des ihm zu Last gelegten Verbrechens schuldig bekenne, antwortete der Angeklagte mit "Nein" und suchte den ganzen Vorfall nur als einen harmlosen Scherz hinzustellen. Vorsitzender: "Es würde sich wohl auch für einen Priester nicht schicken, mit einem Mädchen, das noch nicht ganz fünfzehn Jahre alt ist, solche Scherze zu machen, wie Sie selbst zugeben. Allein das Mädchen hat seine Aussage beschworen und wird Ihnen die Beschuldigung auch in das Gesicht sagen. Sie sollen auch als Sie noch Novize waren, mit einer verheirateten Frau sträfliche Beziehungen unterhalten haben." Der Angeklagte suchte diese Sache so darzustellen, daß eigentlich er, der damals 25 Jahre zählte, von der 38jährigen Frau verführt worden sei. Vors.: "Sie haben auch mit der Dienstmagd Aloisia W. Beziehungen unterhalten." -- Angekl.: "Mit der bin ich nur ein einziges Mal zusammengekommen." Vors: "Sie sollen aber der Vater ihres Kindes sein." -- Angekl.: "Das sagt sie." Der Vorsitzende hält dem Angeklagten vor, daß er auch mit der Dienstgeberin dieses Mädchens in ebensolcher Weise verkehrte. Ferner bezeichnen ihn eine Kellnerin, eine Köchin in Bad Kreuzen und eine Magd in Altenfelden als Vater je eines ihrer Kinder. Der Vorsitzende bemerkt bei dem letzten Factum: "Das wäre also das vierte Kind." Der Angeklagte vermag diese Thatsache nicht in Abrede zu stellen. Vors.: "Sie sollen in letzter Zeit in einem Knabenasyl angestellt gewesen sein, wo es gleichfalls wegen zweier Frauen einen Anstand gab." -- Angekl: "Das waren zwei Aufsichtsdamen, Mutter und Tochter, denen ich dafür dankbar war, daß sie mir diese Stelle verschafften." Vors.: "Man fand die Sache aber bedenklich und vermuthete, daß diese Beziehungen nicht correct seien." -- Angekl.: "Das war aber nicht der Fall." Vors: "Sie sagen nun, daß es sich bei dem Falle in Diendorf nur um einen Scherz gehandelt habe. Es hat aber schon die ganze Gegend davon gesprochen. Haben Sie Nichts dagegen unternommen?" Staatsanw.: "Der einzige Schritt, den er unternahm, war, daß er die Flucht ergriff." -- Angeklagter: "Ja, es war schon Zeit." -- Staatsanwalt: "Höchste Zeit, denn der Gendarm war schon im Begriffe, Sie zu verhaften". -- Vors.: "Der dortige Pfarrer hat Ihnen geschrieben, Sie sollen die Gegend verlassen, da es ihm unangenehm gewesen wäre, wenn ein Geistlicher in seinem Pfarrsprengel verhaftet worden wäre." Verth.: "Wann war das?" -- Angekl.: "Drei Wochen nach dem 9. August." -- Vors.: "Wir werden auch hören, warum es so lange gedauert hat, bis die Sache bekannt wurde. Weil die dortige katholische Bevölkerung sich scheute, gegen einen Geistlichen auftreten." Es beginnt sodann die Zeugenvernehmung. Die früher erwähnte Dienstmagd Aloisia W., die jest 26 Jahre zählt. gibt an, daß sich ihr der Angeklagte unter Umständen genähert hatte, welche fast seine damalige Handlungsweise gleichfalls als eine verbrecherische erscheinen lassen könnte. Sie sagt, sie habe es nicht gewagt, um Hilfe zu rufen, weil ihr Bedränger ein Geistlicher war. Sie habe jedoch zu ihm gesagt: "Jetzt haben Sie den ganzen Nachmittag Beichte gehört und benehmen sich so!" Sie habe sich dann sehr getränkt, weil die Sache nicht ohne Folgen blieb und sie viel Spott von den Leuten erleiden mußte. Kinateder habe sie einmal getroffen und sie gefragt: „Na, Loisi, warum so verweint?" Worauf sie ihm zur Antwort gab: "Hochwürden, i glaub', Sie haben mi' unglückli' g'macht!" Sie habe ihn erst dann als den Vater ihres Kindes genannt, als die Vormundschaftsbehörde darauf drang. Anfangs habe er Nichts für das Kind gezahlt, dann in Raten zusammen 28 fl. Nach anderthalb Jahren sei das Kind gestorben. Frau Katharina H., bei welcher die Aloisia W. Dienstmädchen war, gab sodann als Zeugin an, daß die Genannte im Dienste sehr brav war. Die Angabe des Angeklagten, daß er mit ihr selbst auch intime Beziehungen gehabt habe, bezeichnete fie als eine Lüge und sagte, daß ihr Kinateder feindlich gesinnt sei, weil sie ihn beim Bischof in Linz angezeigt habe. Es müsse dies aus den Acten ersichtlich sein. -- Vors.: "Diese Acten befinden sich nicht hier. Der Bischof hat uns die Einsendung des geistlichen Disciplinaractes verweigert." Nach einer anderen Version soll Frau H. Kinateber übel gesinnt sein, weil er nicht eben solche Beziehungen zu ihr einging, wie sein Vorgänger. Bum Beweise, daß Kinateder ihr früher nicht so feindselig gegenüberstand, producirte Frau H. eine Namenstags-Gratulation desselben folgenden Inhalts: "Lucas Kinateder, Cooperator, gibt sich die Ehre, zum heutigen Katharinentage seine besten Wünsche auszusprechen." Vors. zum Angeklagten: "Entweder ist das wahr, was Sie über diese Frau sagen, und dann haben Sie als Priester sehr verächtlich gehandelt, oder es ist nicht wahr, dann ist das ebenso verächtlich." Die übrigen Mütter der Kinder, welche den Angeklagten Vater nennen, gaben an, daß er nur wenig Alimente bezahlt habe. Der Angeklagte erklärt dies damit, daß er nach seiner Abgabe in eine geistliche Strafanstalt Nichts mehr zahlen konnte. Die Gemeinde Altenfelden, in welcher Kinateder im Jahre 1894 als Cooperator thätig war und in der er auch ein Mädchen mit einem Kinde zurückließ, hat dem Angeklagten folgendes Zeugniß ausgestellt: "Er ist ein eifriger Kinderfreund, ein jederzeit hilfsbereiter Tröster und hat in der Gemeinde ein so gutes Andenken hinterlassen, daß bei seinem Abschiede langes, allgemeines Weinen herrschte." Es wurde nun die fünfzehnjährige Marie Bilsel, ein hübsches blondes Mädchen, vernommen. Die Zeugin bestätigte, daß Kinateder eines Tages, zu einer Zeit, da er wußte, daß ihre Dienstgeber auf dem Felde waren und sie sich mit einem zweijährigen und einem vierjährigen Kinde allein in der Wohnung befand, gekommen sei und das von der AnKlage angeführte Verbrechen begangen habe. Sie habe dies ihrem Dienstgeber bei seinem Nachhausekommen sogleich mitgetheilt. -- Vors.: "Haben Sie es auch Ihrem Vater erzählt?" -- Zeugin: "Ja." -- Vors: "Damit er es anzeigt?" -- Zeugin: "Na, damit er's a waß." -- Vors.: "Warum haben Sie es nicht dem Gendarmen erzählt?" -- Zeugin: "Weil die Leut' g'sagt haben, i soll's nöt anzeigen, weil sunst a rechte Metten außerkummt." Nach durchgeführter Verhandlung wurde der Angeklagte im Sinne des von den Geschwornen einstimmig abgegebenen Verdictes wegen des von ihm begangenen Verbrechens gegen die Sittlichkeit zu drei Jahren schweren Kerkers verurtheilt. Als erschwerend wurde die besondere Pflichtverletzung, deren sich Kinateder als Geistlicher schuldig gemacht hatte, angenommen. Sein Vertheidiger Dr. Puvovac meldete die Nichtigkeitsbeschwerde an. |
Über den sicher sehr aufsehenerregenden Fall wurde auch weit jenseits der Landesgrenzen der K&K-Monarchie berichtet. Etwa im Lübecker Volksboten (mehr oder weniger eine Kopie des obigen Berichts).
Wenn man übrigens im hervorragenden Zeitungsarchiv der österreichischen Nationalbibliothek nach dem unrühmlichen Lucas Kinateder sucht, dann wird man mehrfach fündig. Darunter befindet sich eine Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1897, in der der Bösewicht nach einer Anstellung sucht.
Ich frage mich bei solchen alten 'Geschichten' oft, was aus den handelnden Personen geworden ist. Wie verlief ihr weiteres Leben nach der in der Zeitung geschilderten Episode vor Gericht?
Im Fall des Richters, Ferdinand Ritter von Holzinger, bin ich auf die Information gestoßen, dass er sich nur zwei Jahre später das Leben genommen hat. Wegen einer fortschreitenden Erblindung, wie es heißt. Allerdings stieß ich auch auf eine wohl sozialistische und ihm politisch feindlich gesinnte Quelle, in der von nicht näher definierten sexuellen Verfehlungen die Rede ist... Holzinger war übrigens auch derjenige, der 1882 den Prozess zum berühmt-berüchtigten Ringtheaterbrand in Wien geleitet hatte. Aber dieses Ereignis ist ist ein Faß, das ich hier nicht auch noch aufmachen kann...
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Weitere interessante Themen:
- Was in der alten Zeitung steht: Der perverse Zopf-Fetischist (1858) -- Der "Schweinepfaffe" und die "schönen Maderln" (1901)
- Herodot und die Penis-Beschneidung - Wer hat's erfunden?
- Videos: Seefahrt im Altertum -- Hat bereits Pharao Ramses Tabak geraucht? -- Das Kelten-Experiment -- usw.
- Buch-Rezension: Asiens Unterwelt - Das Jahrtausende alte Erbe unterirdischer Kultstätten
Donnerstag, 30. Januar 2025
📽️ Videos: Was können wir vom Mittelalter lernen? -- Prozess um Keltengold-"Raub" (Manching) beginnt -- Lady Sapiens -- usw.

➽ Was können wir vom Mittelalter lernen? | Spieldauer 29 Minuten | 3Sat | Stream & Info
➽ Prozess um Keltengold-Raub (Manching) beginnt | Spieldauer 4 Minuten | BR | Stream & Info |
Die Dummfunker können wieder einmal nicht "Raub" von Diebstahl unterscheiden - siehe den Sendungstitel. Ich habe es außerdem schon einmal gesagt und ich sage es nochmals: 1. Es gab kein adäquates, voll durchdachtes Sicherheitskonzept im Museum. 2. Auch wenn es schade drum ist: Wissenschaftlich ist so ein glänzender Metallhaufen nicht von großem Wert. 3. Wenn schon eingesperrt werden, dann wenigstens mit dem Wissen, dass man sich nach der Entlassung eine Zukunft mit Keltengold aufbauen kann. Oder vielleicht hoffen die Angeklagten auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft. Ich kanns jedenfalls nachvollziehen, wenn sie nicht einfach über den Verbleib der meisten Regenbogenschüsselchen Auskunft geben wollen...
➽ Spektakulärer Raub des Keltenschatzes | Spieldauer 10 Minuten | ZDF | Stream & Info
Ein ausführlicher, aber auch reißerischer Bericht über den "Raub" des Keltengoldes.
➽ 11 Millionen Jahre alt: Riesenwal-Skelett in Kiesgrube entdeckt | Spieldauer 1 Minuten | NDR | Stream & Info
➽ "Kiek an": Das Jütische Recht | Spieldauer 2 Minuten | NDR | Stream & Info
Sachen gibts! Das ist ja fast wie in dieser "Simpsons"-Episode, in der man ein uraltes Gesetz für die Alkohol-Prohibition in Springfield zufällig wiederentdeckt hat. 😄
➽ Lady Sapiens: Auf den Spuren eines Steinzeit-Mythos | Spieldauer 43 Minuten | Phoenix | Stream & Info
Es ist mitunter ziemlich einfach, ideologiekontaminierte Pseudowissenschaft zu identifizieren. Beispielsweise wenn in der Archäologie jemand aus ganz wenigen Einzelbefunden, die noch dazu lokal stark eingegrenzte Gebiete betreffen, eine allgemein gültige Regelhaftigkeit ableitet.
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Dienstag, 28. Januar 2025
🎧 Hörbares: So lebten wir 1224 -- Die Tote, die Königin von Portugal wurde -- Wie die keltische Rebellin Boudicca London niederbrannte -- George Orwell -- usw.

➽ Kaffee in Wien: Das schwarze Gold der Osmanen | Spieldauer 17 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Vor 3500 Jahren: Das älteste Lied der Welt - die "Hymne an Nikkal" | Spieldauer 14 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Als Ketzer verfolgt, bis heute gelesen: Meister Eckhart | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Boudicca: Wie die keltische Rebellin London niederbrannte | Spieldauer 14 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ 14. Jahrhundert: Inês de Castro - die Tote, die Königin von Portugal wurde | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Es war einmal ein übersehener Märchenbruder: Ferdinand Grimm | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Dunkles Mittelalter? Von wegen! So lebten wir 1224 | Spieldauer 15 Minuten | ARD | Direkter Download
➽ George Orwell: Der Mann hinter "1984" und "Farm der Tiere" | Spieldauer 15 Minuten | WDR | Direkter Download
➽ Victor Lustig: Der Hochstapler, der den Eiffelturm verkaufte | Spieldauer 14 Minuten | WDR | Stream & Info
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Sonntag, 26. Januar 2025
💰 Korruption und Machtmissbrauch: Titus Livius wirft ein Schlaglicht auf den politischen Wahnsinn im Alten Rom

Der spannendste Abschnitt in der Geschichte des Alten Roms ist aus meiner Sicht jener der Republik. Die Geschichtsforschung legt den Beginn dieses Staatswesens um das Jahr 509 v. Chr. fest und lässt es im Jahr 27 v. Chr. enden, als Octavian/Augustus die von ihm kreierte Monarchie weitestgehend einzementiert hatte.
Über die Anfänge dieser Republik wissen wir relativ wenig, von der mittleren und vor allem der späten Phase ist und jedoch umso mehr bekannt. Dieses halbe Jahrtausend römischer Geschichte ist nicht zuletzt deshalb von hohem Interesse, weil es besonders in politischer Hinsicht unserer Gegenwart z.T. sehr ähnelt. Wirklich gut passt hier der weise Satz: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich!"
Der als Republik bezeichnete Staat der Alten Römer war im Wesentlichen nichts anderes als das, was die Griechen Demokratie nannten. Sicher, im Detail gab es Unterschiede, doch lief in beiden Systemen alles darauf hinaus, dass das Volk seine politischen Führer wählen durfte und auch in vielen Sachfragen mittels Stimmabgabe das letzte Wort hatte. In gewisser Weise gab es damals ein deutlich größeres Mitspracherecht als das in modernen Demokratien der Fall ist (ausgenommen die Schweiz). Was uns, nebenbei bemerkt, durchaus zu denken geben sollte.
Im republikanischen Rom zählte zu den bedeutendsten politischen Ämtern das des Censors. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es, ähnlich einer modernen Rating-Agentur, die Bürger in Vermögensklassen bzw. "Rangstufen" einzuteilen - abhängig vom jeweiligen Besitz (z.B. Senatoren, Equites/Ritter, Aerarier). Auch konnte der Censor Bürger, denen man ein unwürdiges Verhalten attestierte, abstufen oder ihnen den Aufstieg verweigern (eng daran geknüpft war der soziale Status einer Person, der hier entweder gesteigert oder gemindert wurde). Dazu zählte auch, ob jemand im prestigeträchtigen Senat seinen Platz einnehmen durfte. Zu den gelinderen Mitteln, die einem Censor zur Verfügung standen, zählte das Verwarnen. Für den Betroffenen war das bereits ein deutlicher Schmutzfleck auf seiner Toga - und dieser Umstand konnte sich zumindest kurz- und mittelfristig negativ auf eine etwaige politische Karriere auswirken.
Das Amt des Censors wurde - wie damals auch manch anderes - doppelt besetzt. Dieses Prinzip der sogenannten Kollegialität sollte dem Machtmissbrauch eines Einzelnen vorbeugen. Denn der eine Censor konnte bis zu einem gewissen Grad die Entscheidungen des Kollegen blockieren. Freilich, in der Theorie mag sich das gut anhören, doch in der Praxis bedeutete es mitunter, dass zwei Censoren, die sich politisch und/oder persönlich nicht leiden konnten, keine Gelegenheit ausließen, um dem Kollegen ein Bein zu stellen. Sei es aus machtpolitischem Kalkül oder aus purer Bosheit. Und das obwohl das Job-Anforderungsprofil von Censoren eigentlich verlangte, dass gerade sie, die über andere Menschen zu Urteilen hatten, von herausragendem Charakter und hoher Integrität sein sollten.
Als geradezu skandalös ging die Censur (= Tätigkeitszeitraum) von Marcus Livius Salinator und Caius Claudius Nero in die römische Geschichte ein. Die beiden benahmen sich in den Jahren 203/204 v. Chr. im Rahmen ihrer Amtsführung dermaßen skurril und daneben, dass der Geschichtsschreiber Titus Livius die Ereignisse ausführlich in seinem Geschichtswerk "Ab urbe condita" schilderte. Ich habe, um das Verstehen des Textes zu erleichtern, in Klammern einige Anmerkungen gemacht. Ganz allgemein erhält man hier einen schönen Einblick in die Funktionsweise ('Dysfunktionsweise') des römischen Staates, bevor er durch Augustus in eine Monarchie umfunktioniert wurde (wobei sich ja selbst dann noch einige republikanische Elemente in der einen oder anderen Form erhalten haben).
[...]. Während die Konsuln in den verschiedenen Gegenden mit diesen Dingen befasst waren, verlasen inzwischen die Zensoren Marcus Livius und Caius Claudius Nero in Rom die Senatorenliste. Zum Führer des Senats wurde wiederum Quintus Fabius Maximus gewählt, sieben, von denen aber keiner ein kurulisches Amt bekleidet hatte, erhielten eine Rüge (kurulische Ämter = besonders hohe, prestigeträchtige Posten im Staatsdienst, deren Inhaber eine purpurgesäumte Toga trugen). Die Maßnahmen zur Instandsetzung der öffentlichen Gebäude wurden streng und höchst verantwortungsvoll überwacht. Man vergab den Auftrag für eine Straße vom Rindermarkt zum Venus-Tempel bei den öffentlichen Sitzreihen und den Bau eines Heiligtums der Magna Mater auf dem Palatin. Man beschloss auch eine neue Steuer auf den jährlichen Salzertrag. Sowohl in Rom als auch in ganz Italien kostete das Salz ein sechstel As (=Münze); in Rom ließ man das Salz zu demselben Preis verkaufen, in den Marktflecken und Gerichtsorten aber zu einem höheren und überall anderen Preis. Man war sich ziemlich sicher, dass der eine der beiden Zensoren diese Steuer aus Ärger über das Volk eingeführt hatte, da er einst durch einen ungerechten Richterspruch verurteilt worden war, und dass durch den Salzpreis vor allem die Tribus (Wahl- bzw. Stimmbezirk) belastet wurden, die seine Verurteilung betrieben hatten. Daher erhielt Marcus Livius den Beinamen "Salinator" (=Salzhändler). Das Reinigungsopfer wurde später durchgeführt, weil die Zensoren Kommissare durch die Provinzen geschickt hatten, um sich berichten zu lassen, wie viele römische Bürger überall in den Heeren dienten. Mit diesen wurden 214 000 Männer gezählt. Caius Claudius Nero brachte das Reinigungsopfer dar. Dann nahmen sie, was zuvor noch niemals geschehen war, den Zensus der zwölf Kolonien entgegen - die (lokalen, untergeordneten) Zensoren der Kolonien selbst überbrachten die Angaben - so dass in den amtlichen Dokumenten festgehalten war, über wie viele Soldaten und wie viel Geld sie verfügten. Anschließend begann man mit der (Vermögens-)Schätzung der Ritter (lat.: equites); und zufällig hatten beide Zensoren ein Staatspferd (= vom Staat zur Verfügung gestelltes Pferd für den Kriegsfall; hatte in dieser Zeit wohl vor allem symbolischen Charakter bzw. galt als prestigeträchtig). Als man zur Tribus "Pollia" gekommen war, in der der Name des Marcus Livius verzeichnet war, und der Herold zögerte, den Zensor selbst aufzurufen, sagte Nero: »Rufe Marcus Livius auf!« Ob er aus noch verbliebener alter Feindschaft handelte oder sich mit einer unpassenden Demonstration von Strenge brüsten wollte - er wies Marcus Livius an, sein Pferd zu verkaufen, da er vom Volk (in der Vergangenheit im Rahmen eines Gerichtsprozesses) verurteilt worden sei (er galt somit in den Augen seines Kollegen als vorbestraft bzw. unwürdig, ein Staatspferd zu besitzen). Ebenso befahl Marcus Livius, als man zur Tribus "Arniensis" und dem Namen des Kollegen kam, Caius Claudius Nero aus zwei Gründen den Verkauf seines Pferdes. Zum einen weil er eine falsche Zeugenaussage zu seinen Lasten abgegeben, zum anderen, weil er sich nicht in aller Aufrichtigkeit mit ihm versöhnt habe. Zu einem ebenso schändlichen Wettkampf, bei dem der Ruf des anderen in den Schmutz gezogen werden sollte, auch wenn das eigene Ansehen Schaden nahm, kam es am Ende der Zensur. Als Caius Claudius Nero die Gesetzmäßigkeit seiner Amtsführung beschworen hatte und in die Schatzkammer hinaufgestiegen war, gab er unter den Namen derer, die er unter die Ärarier versetzte, den Namen seines Kollegen an (der eigentlich dem wesentlich höheren Senatorenstand angehörte). Dann kam Marcus Livius in die Schatzkammer. Außer der Tribus "Maenia", die ihn weder verurteilt noch ihn, als er verurteilt war, zum Konsul oder Zensor gewählt hatte, versetzte er das gesamte römische Volk, 34 Tribus, unter die Ärarier, weil es ihn unschuldig verurteilt und als Verurteilten zum Konsul und Zensor gemacht habe und weil es nicht leugnen könne, dass es sich entweder einmal bei seinem Urteilsspruch oder zweimal bei den Wahlen falsch verhalten habe. Mit den 34 Tribus werde, so Marcus Livius, auch Caius Claudius Nero ein Ärarier sein; wenn er aber ein Beispiel dafür hätte, dass ein und derselbe Mann zweimal unter die Ärarier verwiesen worden sei, würde er Caius Claudius Nero ausdrücklich unter die Ärarier versetzen. Der Streit unter den Zensoren um die gegenseitigen Rügen war tadelnswert; die scharfe Kritik aber an der Unbeständigkeit des Volkes war dem Amt der Zensur und jenen schwierigen Zeiten angemessen (der 2. Punische Krieg tobte damals noch). Da die Zensoren in Missgunst standen, hielt der Volkstribun Cnaeus Baebius die Gelegenheit für gekommen, sich auf ihre Kosten zu profilieren, und verklagte beide vor dem Volk. Diese Sache wurde durch einen einstimmigen Beschluss der Senatoren zu Fall gebracht, weil die Zensur später nicht von der Laune des Volkes abhängig sein sollte. Titus Livius | Ab urbe Condita Buch 29, 37,1-17 | Übers.: Ursula Blank-Sangmeister | Reclam, 2016 |
Solche persönlichen Befindlichkeiten, Boshaftigkeiten und der offene Missbrauch von Recht und Gesetz zum Zweck der Schädigung des politischen Konkurrenten sind auch heute noch integraler Bestandteil der politischen Auseinandersetzung. Nichts hat sich diesbezüglich geändert, obwohl sich gerade die Machthaber der Gegenwart den Altvorderen moralisch himmelhoch überlegen fühlen. Der Mensch ist und bleibt eben wie er ist - nämlich charakterlich äußerst mangelhaft. Für Berufspolitiker gilt das erfahrungsgemäß noch mehr als für andere Leute. Es passt deshalb durchaus, dass wir für unser modernes Staatswesen antike Begriffe wie "Republik" und "Demokratie" verwenden. Sind doch die Urheber und frühen Anwender der dahinterstehenden Konzepte moralisch bereits ähnlich verlottert gewesen wie ihre modernen Nachfolger. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Donnerstag, 23. Januar 2025
📽️ Videos: Legionäre, Kämpfer für Rom -- Als Troja brannte -- Archäologische Spurensuche im Gletschereis -- Auf den Spuren versunkener Hochkulturen in Amazonien -- Die geheimnisvolle antike Stadt Byblos -- usw.

➽ Legionäre - Kämpfer für Rom: Die Ausbildung (1/2) | Spieldauer 43 Minuten | ZDF | Stream & Info
Das weltoffene ZDF hat dieses und das nächste Video mit einer völkerverbindenden Ländersperre versehen. Außerhalb Deutschlands muss man sich entsprechend behelfen.
➽ Legionäre - Kämpfer für Rom: Alltag im Lager (2/2) | Spieldauer 43 Minuten | ZDF | Stream & Info
➽ Amazonien - Auf den Spuren versunkener Hochkulturen | Spieldauer 89 Minuten | arte | Stream & Info
➽ Geheimnisvolles Byblos - Antike Weltstadt im Libanon | Spieldauer 89 Minuten | arte | Stream & Info
➽ Archäologische Spurensuche im Gletschereis | Spieldauer 30 Minuten | arte | Stream & Info
➽ Friedeburger Spezial-Firma röntgt 2.000 Jahre alte Urnen | Spieldauer 3 Minuten | arte | Stream & Info
➽ Als Troja brannte - Geheimnisse der Antike | Spieldauer 51 Minuten | phoenix | Stream & Info
➽ Herrschaftliche Ufer: Adel, Macht und Mythen am Bodensee | Spieldauer 28 Minuten | ORF | Stream & Info
➽ Das Nibelungenlied - Große Mythen aufgedeckt | Spieldauer 51 Minuten | arte | Stream & Info
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Dienstag, 21. Januar 2025
🎧 Hörbares: Geschichte der Astrologie -- Die ägyptische Göttin Isis -- Das Tier und die Religion, Mitgeschöpf oder Mahlzeit? -- Frauen in der Steinzeit -- usw.

➽ Sternedeuten und Horoskope - Geschichte der Astrologie | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Vasco da Gama - Ein Seefahrer verändert die Welt | Spieldauer 24 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Die ägyptische Göttin Isis - Tochter von Himmel und Erde | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Frauen in der Steinzeit - Geschlechterverhältnisse in grauer Vorzeit | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
Der Infotext zur Sendung ist z.T. nicht sehr verheißungsvoll, ich schicke jedoch voraus, dass ich mir die Sache noch nicht angehört habe (das nur, falls sich jemand über inhaltliche Mängel bzw. induzierte Ideologiepampe aufregen möchte). Erwähnen möchte ich aber schon, dass die Autorin der Sendung - Silke Wolfrum - für den Bayerischen Rundfunk anscheinend üblicherweise "Geschichten, Hörspiele und Comedys für Kinder" schreibt....
➽ Das Tier und die Religion - Mitgeschöpf oder Mahlzeit? | Spieldauer 23Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Ulugh Beg (1394-1449) - Ein Wissenschaftler auf dem Thron | Spieldauer 23 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
➽ Die Poincaré-Vermutung - Das Millionen-Rätsel der Mathematik | Spieldauer20 Minuten | BR | Stream & Info | Direkter Download
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Samstag, 18. Januar 2025
💰 Drei römische Münzen und was sie uns über das Alte Rom erzählen können

Wie schon mehrfach in den vergangen Jahren, so habe ich auch diesmal wieder zur Weihnachtszeit ein paar sehr gut gemachte Abgüsse antiker römischer Münzen von HR-Replikate erhalten (über den Umweg eines Weihnachtsgeschenks von einem Mitglied meiner Familie). Dieser Handwerker aus der Bodenseeregion in Deutschland ist sehr zu empfehlen, da sowohl die Qualität wie auch die Preise stimmen. Ansonsten befindet sich auf dem Markt für antike Münzreplikate ja fast nur Minderwertiges aus Zinnguss oder ähnlichen unauthentischen Materialien.
Irgendwo habe ich einmal gelesen - und ich übernehme für diese Information keine Verantwortung - dass in der Spätantike alte Münzen (oder Nachprägungen?), besonders aus der Zeit Neros, zur Weihnachtszeit (Saturnalien) als Geschenk weitergegeben wurden; quasi als Erinnerung an die gute alte Zeit, als Rom noch nicht von einer Krise in die nächste getaummelt ist. Wenn das wirklich so war, dann passt es ja sehr gut, dass auch ich meine Römer-Münzen üblicherweise am Jahresende bekomme.
Die so im Laufe von ca 12 Jahren angesammelten Münzen (siehe auch die Links am Ende des Beitrags) sind im 1. Jahrhundert nach Christus angesiedelt, weil ich sozusagen den Inhalt einer gut gefüllten Geldbörse zur Zeit der Herrschaft des Kaisers Titus (79-81 n. Chr.) rekonstruieren möchte. Darunter befindet sich auch ein Denar aus der späten Republik, der aber sicher auch im 1. Jahrhundert noch Verwendung hätte finden können. Überhaupt hatten römische Münzen oft sehr lange Umlaufzeiten. Und je länger sie verwendet wurden, umso abgegriffener waren sie. Man sieht das auch an einem der hier behandelten drei Beispielen. So hat etwa beim As das Haar des abgebildeten Domitian bereits einige Details verloren. Das heißt, diese Münze war - bevor sie unter die Erde kam - länger im Umlauf als etwa der Sestertius von Domitians Bruder Titus. Sein Antlitz ist nahezu perfekt erhalten. Auch der Quadrans des Claudius ist in einem sehr guten Zustand, was darauf hindeutet, dass die Münze vergleichsweise selten den Besitzer gewechselt hat. Vielleicht ist sie bald nach der Ausgabe durch den Staat in einem 'Spaarschwein' gelandet, das der Besitzer - aus welchen Gründen auch immer - vergraben und nicht mehr geborgen hat.
Quadrans des Claudius
Der aus einer stark kupferhaltigen Legierung hergestellte Quadrans - dieses Beispiel hat einen Durchmesser von ca 18 mm - war vom Wert her die kleinste der im 1. Jahrhundert zirkulierenden römischen Münzen (vereinfacht ausgedrückt, denn nicht in jedem Reichsteil wurden ausschließlich diese offiziellen Münzen aus Rom verwendet). Aus der Bezeichnung hört vielleicht auch der Nicht-Lateiner bereits die Zahl 4 heraus. Und in der Tat entsprachen vier dieser Münzen von ihrem Wert her einem As; ein Beispiel für den As ist weiter unten abgebildet.
Viel wird man für einen Quadrans nicht erhalten haben. Vielleicht einen Apfel, ein semmelgroßes Brot oder etwas in der Art (diese Schätzungen nehme ich auf Basis überlieferter Preise vor). Der Quadrans soll dementsprechend auch in eher geringen Mengen geprägt worden sein, heißt es. Ob das aber zutrifft, nur weil vergleichsweise wenige dieser Münzen bis heute gefunden wurden, ist eine diskutable Frage, da hier andere Faktoren eine Rolle gespielt haben können.
Bei dem auf der Vorderseite abgebildeten Objekt dieser zur Zeit von Kaiser Claudius geprägten Münze, handelt es sich um ein Gefäß mit der Bezeichnung modius, nicht um einen Turm, wie man leicht mutmaßen könnte, weil ich die Münze aus Gedankenlosigkeit verkehrt herum abgebildet habe 🫣. Mit solchen konisch geformten Gefäßen wurde unter anderem die Menge von Getreide gemessen. Entsprechend bezeichnete "modius" auch ein Hohlmaß. Römische Kaiser haben sich selbst mit dem Abbilden solcher Gefäße auf Münzen als große Wohltäter und und Fürsorger abgefeiert. Einerseits wies man damit auf die Getreidespenden hin, die man einem Teil des stadtrömischen Volks zukommen ließ. Andererseits war man als Herrscher auch dafür verantwortlich, dass Getreide erschwinglich blieb - was in der Realität allerdings nicht selbstverständlich gewesen ist und manch Kaiser in arge Bedrängnis brachte (hier einige unterhaltsame Beispiele dafür).
Bei der Rückseite der Münze hat man sich keine große Mühe gegeben, sondern lediglich die beiden Buchstaben "SC" abgebildet. Sie stehen für "Senatus Consulto" und bedeuten ungefähr auf Beschluss des Senats [geprägt/ausgegeben]. Was freilich das Aufrechterhalten einer schöne republikanischen Fiktion war, denn in der Kaiserzeit verfügte der Senat nicht mehr wirklich über die Münzhoheit. Zwar durfte er offiziell Buntmetallmünzen wie die drei hier von mir vorgestellten ausgeben lassen, aber in der Realität werden mit an Sicherheit grenzender Wahrrscheinlichkeit der Kaiser bzw. seine hohen Beamten die eigentliche Kontrolle über das Prägen ausgeübt haben - so wie es offiziell ja auch schon bei den Edelmetallmünzen der Fall war.

TIBERIUS CLAUDIUS = Name | CAESAR, AUGUSTUS = quasi die Herrschertitel (bis zu einem gewissen Grad war "Caesar" in dieser Zeit aber auch noch Teil des eigentlichen Namens), wobei "Augustus" der bedeutendere Titel war. Interessanterweise leitet sich unser deutsches Wort "Kaiser" vom weniger bedeutenderen Titel "Caesar" ab, den man übrigens im klassischen Latein dieser Zeit nicht "Cäsar", sondern ziemlich genau wie "Kaiser" aussprach.

PONTIFEX MAXIMUS = Oberpriester Roms, betraut mit der Aufsicht über die bedeutenden sakralen Angelegenheiten der Stadt; die christlichen Päpste haben viel später diesen Titel übernommen | TRIBUNICIA POTESTATE = Inhaber der tribunizischen Gewalt (nähere Infos siehe weiter unten) | IMPERATOR = bedeutender Militärischer Sieger | Consul II = hatte zweimal das Amt des Konsuls inne (mächtigstes Regierungsamt zur Zeit der Republik, ausgestattet mit dem sogenannten Imperium, also der Befugnis eine Armee zu befehligen usw.; es wurde in der Kaiserzeit von den Kaisern selbst, nahen männlichen Familienmmigliedern und Günstlingen bekleidet) | SENATUS CONSULTO = Senatsbeschluss bzw. auf Beschluss des Senates (siehe auch oben)
As des Domitian
Der - wie der Quadrans - aus einer sehr stark kupferhaltigen Legierung hergestellte As war in Rom eine weit verbreitete Münze. Viele der überlieferten Preise sind dementsprechend in As angegeben. Vier Asses entsprachen dem Wert von eine Sestertius (Sesterz) - siehe die letzt der drei Münzen.
Das hier vorgestellte Beispiel hat einen Durchmesser von ca 25 mm. Auf der Vorderseite ist Domitian zu sehen, allerdings Jahre bevor er Kaiser wurde. Zum Zeitpunkt der Prägung war Domitian lediglich der privilegierte Sohn des regierenden Kaisers Vespasian. Immerhin führt er hier bereits den Titel Caesar, ist aber noch nicht Augustus und verfügt auch nicht über die tribunizische (Amts-)Gewalt, die sich vom alten Volkstribunat der Republik ableitete und ihren Inhaber quasi unantastbar machte. Die Macht der römischen Herrscher beruhte ja lange Zeit, anders als bei den Königen und Kaisern der Spätantike und vor allem des Mittelalters, nicht auf einer Art Gottesgnadentum, sondern auf dem Anhäufen von Ämtern und Privilegien, die sie mit einer alles überragenden Macht ausstatteten (und natürlich benötigte man die Unterstützung des Militärs, die man sich mehr oder weniger erkaufte).
Auf der Rückseitezu sind wieder die beiden Buchstaben SC zu sehen. Hunzu kommt hier aber eine bereits leicht (abgegriffene) Darstellung von Spes, der pedsonifizierten "Hoffnung".

CAESAR = Titel | AUGUSTUS FILIUS = Sohn des Augustus | DOMITIANUS = Name | CONSUL II = zweimaliger Konsul

SENATUS CONSULTO = Senatsbeschluss bzw. auf Beschluss des Senates [geprägt]
Sestertius (Sesterz) des Titus
Der Sestertius ist vielleicht die typischste römische Münze. Diese massive Messingmünze (Kupfer-Zink-Legierung) existierte in der vorliergenden Form zeitlich von der Republik bis ins 3. Jahrhundert nach Christus. Sie hatte aber - bedingt durch eine galoppierende Inflation - zum Ende hin wohl keine große Bedeutung mehr.
Der vorliegende Sestertius (bzw. dessen Vorlage) stammt aus dem Jahr 80 n. Chr. und wurde unter Kaiser Titus geprägt, dem Eroberer Jerusalems und älteren Bruder Domitians. Die Münze hat einen Durchmesser von gut 30 mm, damit beewegt sie sich hinsichtlichlich ihrer Größe am unteren Ende meiner Sesertii. Überhaupt gilt für römische Buntmetallmünzen, dass Gewicht und Abmessungen nicht streng genormt waren. Die Abweichungen voneinander waren z.T. erheblich. Was die Ursache für diese Größenunterschiede war, kann ich nicht mit sagen, denn das weiß heute niemand mehr mit Bestimmtheit. Fakt ist freilich, dass man mit einer kleineren Münze Material einsparen konnte, was die Kosten für die Münzherstellung reduzierte. Ohnehin entsprach die Kaufkraft des Sestertius nicht seinem Materialwert. Erst bei den beiden Edelmetallmünzen Denarius (Silber) und Aureus (später der Solidus) war das der Fall. Wobei man vor allem ab dem 3. Jahrhundert besonders das Silbergeld dermaßen stark mit unedlen Metallen wie Kupfer streckte, dass es zu einer enormen Inflation im Römischen Reich kam, die sogar zu Preisobergrenzen führte. Zu Titus' Zeite lag das freilich noch in ferner Zukunft.

IMPERATOR = bedeutender militärischer Sieger | TITUS = Vorname | CAESAR = Herrschertitel | VESPASIANUS = Teil des Familiennamens (sein kompletter Geburtsname lautete: Titus Flavius Vespasianus) | AUGUSTUS = Herrschertitel | PONTIFEX MAXIMUS = Oberpriester Roms | TRIBUNICIA POTESTATE = Inhaber der tribunizischen Gewalt | PATER PATRIAE = "Vates des Vaterlandes", ein Ehrentitel, den viele römische Kaiser auf ihre Münzen prägen ließen. Er stammt allerdings schon aus republikanischer Zeit. Einer der berühmtesten Täger ist der herausragende Politiker Marcus Tullius Cicero, der ihn vom Senat für seine mutigen Taten gegen die Verschwörer rund um Lucius Sergius Catilina verliehen bekommen hatte. | CONSUL VIII = achtmaliger Konsul

FELICITAS AUGUSTI = das in Frauengestallt personifizierte Glück (der römischen Herrscher). Alternativ dazu wurde zum mehr oder weniger selben Zweck auch gerne die Göttin Salus auf solchen Münzen dargestellt und genannt. | SENATUS CONSULTO = Auf Beschluss des Senats [geprägt].
Die Überschrift dieses Blogbeitrags hat gelautet: "Drei römische Münzen und was sie uns über das Alte Rom erzählen können." Und doch sind meine Erläuterungen lediglich ein bescheidenes Schlaglicht gewesen. Viel mehr gäbe es eigentlich noch zu schreiben...
Wie ein wahrer Schatz aussieht, der aus solchen Buntmetall-Münzen besteht, zeigt ein toller Fund, der im Umfeld einer römerzeitlichen Thermalquelle im italienischen San Casciano dei Bagni vor wenigen Jahren gemacht wurde. Die Münzen waren - neben anderen Bronzeartefakten - einst als Weihegaben von Badegästen zurückgelassen worden.
Ein sehr gutes Video über die Herstellung römischer Münzen findet man auf Youtube. Im zweiten, erst kürzlich veröffentlichten Video, geht es um die Kaufkraft des römischen Geldes. Der betreffende Kanal enthält darüber hinaus auch weitere gute gemachte Videos zum Thema antike Münzen.
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Weitere interessante Themen:
Donnerstag, 16. Januar 2025
📽️ Videos: Flurnamen, Bayerns heimliches Gedächtnis -- Germanische Gesellschaftsstrukturen -- Hartgesteinsbearbeitung im alten Ägypten -- usw.

➽ Flurnamen: Bayerns heimliches Gedächtnis in Gefahr? | Spieldauer 29 Minuten | BR | Stream & Info
➽ Germanische Gesellschaftsstrukturen | Spieldauer 7 Minuten | Landesmuseum für Vorgeschichte Halle | Stream & Info
➽ A rare 1,700 year old oil lamp, decorated with Temple symbols | Spieldauer 2 Minuten | Israel Antiquities Authority | Stream & Info
➽ Der Abora TV Jahresrückblick mit dem Experimentalarchäologen Dominique Görlitz | Spieldauer 76 Minuten | NuoFlix | Stream & Info
➽ Dominique Görlitz: Hartgesteinsbearbeitung im alten Ägypten - wie war das möglich? (Abora TV) | Spieldauer 89 Minuten | Geheimnisvolle Geschichte | Stream & Info
Offen für neue Ideen, aber mit einer gesunden Portion Skepsis. Ein sehenswertes Gespräch!
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