Samstag, 4. März 2017

Buch-Neuerscheinung: Lex Baioariorum - Das Recht der Bayern

Lex Baioariorum, Lex Baiuwariorum, Lex Baiuvariorum - drei verschiedene Schreibweisen für die wahrscheinlich im 7./8. Jahrhundert erstmals verschriftlichte Gesetzessammlung des bayerischen Volkes. Sie ist in 23 thematisch gegliederte Abschnitte sowie in rund 270 Kapitel/Unterpunkte eingeteilt und enthält verschiedenste Regelungen für das menschliche Zusammenleben im frühmittelalterlichen Herzogtum Bayern. Die damals hauptsächlich bäuerlich geprägte Gesellschaft spiegelt sich in diesen Regelungen sehr stark wieder.
Aufgrund ihrer zahlreichen Detailinformationen zum Lebensalltag stellt die Lex Baioariorum für die Forschung eine äußerst wichtige Quelle des Frühmittelalters dar. Dazu ein paar kleine Beispiele:

► Mit viel Liebe zum Detail widmete sich der Gesetzgeber der sexuellen Belästigung von Frauen. Einer dieser 'Grapscher-Paragraphen' (Abschnitt VIII, Punkt 3) lautet: Wenn jemand aus Lüsternheit Hand an eine Freie legt, sei es eine Jungfrau oder Ehefrau eines anderen, was die Bayern "horcrift" nennen, büße er mit sechs Schillingen.
Ging ein Lustmolch weiter, stiegen die Strafen empfindlich an (Abschnitt VIII, Punkt 4): Wenn er ihr das Kleid über die Knie anhebt, was man "himilzorun" nennt, büßt er mit zwölf Schillingen.
Übrigens, derlei altbayerische bzw. althochdeutsche Begriffe werden immer wieder in erklärender Absicht von den Autoren der Lex genannt.

► Auch Abtreibung war damals schon ein Thema (Abschnitt VIII, 18): Wenn eine Frau ein Abreibungsmittel verabreicht: Wenn es eine Sklavin ist, soll sie 200 Geißelhiebe erhalten; wenn es eine Freie ist, soll sie die Freiheit verlieren und einem, den der Herzog bestimmt, als Sklavin zugewiesen werden.
In den Sklavenstand versetzt zu werden, stellte in der Regel wohl die schlimmstmögliche Strafe für Freie dar. Hingegen war die Todesstrafe nur für eine einziges Delikt vorgesehen: Die Ermordung des bayerischen Herzogs. Freilich, wie sich das alles in der Praxis darstellte, ist eine heute nicht mehr zu beantwortende Frage. Allerdings entsteht hier der Eindruck, dass im Frühmittelalter die Todesstrafe noch weniger großzügig Anwendung fand, als beispielsweise im Hoch- oder Spätmittelalter.

► Die Lex Baioariorum erweckt den Eindruck, dass dazumal Eidleistungen für die Beweisführung von besonders hoher Bedeutung waren. Dementsprechend wurde bei Rechtsgeschäften immer wieder an den Ohren der anwesenden Zeugen gezupft, damit sie auch aufmerksam blieben, kein Detail vergaßen und später gegebenenfalls unter Eid Auskunft darüber geben konnten. Beispiele für dieses aus heutiger Sicht skurril anmutende "Ohrenziehen" oder "Ohrenzupfen" finden sich im Abschnitt XVII unter den Punkten 3 und 6.

► Über die verschiedenen Formen der an einem Freien begangenen Körperverletzung heißt es in Abschnitt IV unter Punkt 29: Wenn aber etwas von diesen Dingen bei Frauen geschieht, wird alles doppelt gebüßt; da sich eine Frau nicht mit Waffen verteidigen kann, erhält sie doppeltes Bußgeld. Wenn sie aber mit mutigem Herzen kämpfen will wie ein Mann, soll ihr Bußgeld nicht verdoppelt werden
Es gab vereinzelt Versuche, aus dieser Passage ein weibliches Kriegertum für die Bajuwaren/Germanen zu konstruieren. Viel ist dabei bisher freilich nicht herausgekommen.

► Einige der Regelungen wirken doch recht schrullig und man fragt sich, ob dafür wirklich ein Bedarf bestand. So konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen, als ich im Abschnitt IV unter Punkt 19 folgendes las: Und wenn er jemandem die Leiter oder eine sonstige Aufstiegshilfe unrechtmäßig wegzieht und der andere oben zurückbleibt, was man "in unwan" nennt, büße er mit zwölf Schillingen. 😃


Im Buch Lex Baioariorum - Das Recht der Bayern (Verlag Friedrich Pustet, 2017) beabsichtigt der Herausgeber Roman Deutinger laut eigener Aussage, den lateinischen Originaltext "in zeitgemäßem, leserfreundlichem Deutsch wiederzugeben" und auch die 25-seitige Einleitung für Laien so verständlich wie möglich zu gestalten. Das ist meiner Meinung nach ohne Wenn und Aber gelungen - siehe die obigen Beispiele. Damit unterscheidet sich diese Übersetzung gravierend von älteren Ausgaben, die zu lesen eine echte Qual sein kann. 
Von der Lex Baioariorum wurden ganz oder fragmentarisch rund 50 Exemplare überliefert, deren jeweiliger Inhalt im Detail von einander abweichen kann. Der gegenständlichen Übersetzung liegt eine Handschrift zugrunde, die während der Amtszeit des Bischofs Hitto (811-835) entstand und in der Bayerischen Staatsbibliothek unter der Signatur Clm 19415 zu finden ist. Sie gehört zur Gruppe mit der Bezeichnung "Fassung B", welche einerseits zusammen mit der Fassung A dem Ursprungstext der Lex (der Antiqua) am nächsten kommt und überdies in Bayern weiter verbreitet war als A. 
Wie man es z.B. auch von den orangen Heften aus Reclams Universalbibliothek her kennt, so steht auch in diesem Buch auf der jeweils linken Seite der lateinische Originaltext, während sich rechts die dazugehörende deutsche Übersetzung befindet.

Fazit: Ein sehr gutes, allgemein verständlich geschriebenes Buch, das die knapp 25 Euro Kaufpreis auf jeden Fall wert ist. Für am Frühmittelalter ernsthaft interessierte Leser handelt es sich hier um einen beinahe unverzichtbaren Lesestoff. 


Inhaltsverzeichnis:

Vorwort
Einleitung
- 1. Aufbau und Inhalt
- 2. Busßen und Strafen
- 3. Vorlagen
- 4. Die Frage der Entstehung
- 5. Überlieferung und Wirkung
- 6. Zu dieser Ausgabe
Auswahlbibliographie
Lex Baioariorum - Das Recht der Bayern
- Prolog
- Kapitelverzeichnis
- I . Kirchenangelegenheiten
- II. Über den Herzog und die Angelegenheiten, die ihn betreffen
- III. Über die Geschlechter und ihre Buße
- IV. Über Bußen für Freie
- V. Über die Freien, die freigelassene worden sind
- VI. Über Sklaven und ihre Buße
- VII. Über das Verbot unerlaubter Ehen
- VIII. Über Frauen und Fälle, die häufig bei ihnen vorkommen
- IX. Über Diebstahl
- X. Über Brandstiftung an Häusern und ihre Buße
- XI. Über gewaltsames Eindringen
- XII. Über Grenzverletzungen
- XIII. Über Pfändung
- XIV. Über die Verletzung von Tieren und ihre Buße
- XV. Über anvertrautes und geliehenes Gut
- XVI. Über Kaufverträge
- XVII. Über Zeugen und Angelegenheiten, die sie betreffen
- XVIII. Über Zweikämpfe und Angelegenheiten, die sie betreffen
- XIX. Über Tote und ihre Buße
- XXI. Über Beizvögel
- XXII. Über Obstgärten und ihre Buße
- XXIII. Über Schweine
Lesarten der Handschrift Clm 19415
Erläuterungen zum Text
Stichwortverzeichnis

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Weiterführende Informationen: 

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3 Kommentare:

  1. Schon bestellt !!!

    Gero

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  2. Eine bezahlbare, moderne, nicht nur für Mediävisten verständliche Übersetzung, würde ich mir auch für andere frühmittelalterliche Leges wünschen. Z.B. für die Lex Alamannorum.

    Der Wanderschmied

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  3. Hurra,
    danke für den Tipp
    der Uhl

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