Sonntag, 26. Mai 2019

đź–‹️ Gastbeitrag von Raimund Karl: Archäologische Wissenschaft, Denkmalpflege oder G’schichtldruckerei? Reaktion auf ein Interview mit Harald Meller



In einem jĂĽngst auf diesem Blog publizierten Interview wurde der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, vom Interviewer mit zwei meiner Fachmeinungen konfrontiert. Die Antworten von Herrn Meller machen es leider fĂĽr mich erforderlich, dazu Stellung zu nehmen. Ich bedanke mich daher besonders beim Betreiber dieses Blogs fĂĽr die Gelegenheit, dies hier in Form eines Gastbeitrags tun zu können. Die zwei meiner Fachmeinungen, mit denen Kollege Meller hier konfrontiert wurde, waren wie folgt:
1) dass die englischen und walisischen gesetzlichen Regelungen des archäologischen Fundmeldewesens für das Erreichen des Zieles eines archäologischen Quellenschutzes effizienter sind als die vergleichbaren Regelungen in Deutschland (siehe z.B. Karl & Möller 2016); und
2) dass archäologische Archive seit langem viel zu viele archäologische Funde archivieren und eine strategischere Selektion der archivierten Funde – nötigenfalls auch verbunden mit einem „Entsammeln“ ĂĽberflĂĽssiger Fundmassen aus diesen Archiven – fĂĽr die langfristige archäologische Quellenerhaltung dringend erforderlich ist (siehe z.B. Karl 2015; 2016).
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Entsammeln

Herrn Mellers Reaktionen darauf sind in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert und nicht zuletzt sowohl inhaltlich teilweise unrichtig als auch im zweiten Fall teilweise hochgradig unsachlich. Ich erlaube mir aus dem zuletzt genannten Grund sozusagen ‚von hinten‘ anzufangen, nämlich mit der Unsachlichkeit. Kollege Meller beginnt nämlich seine Antwort auf meinen zweiten Punkt mit klassischen ad hominem-Angriffen: er wirft mir fachliche Unkenntnis oder unlautere Motive vor. Solche persönlichen Angriffe haben nicht nur in einer wissenschaftlichen Diskussion (siehe dazu erst jĂĽngst Karl 2019, Seiten 40-41 und 43-45) nichts zu suchen, sondern noch viel weniger in einem veröffentlichten Interview.
Diese Unsachlichkeit vermag allerdings kaum zu verwundern, denn Kollegen Mellers Position steht in dieser Angelegenheit auf sehr schwachen argumentativen Beinen. Denn meine Forderung nach stärkerer Selektivität in der Archivierung und – erforderlichenfalls – sogar nach vermehrter „Entsammlung“ ist schon seit längerem internationaler Fachkonsens: so fordert z.B. der Leiter der Abteilung archäologische Archive von Historic England (dem englischen Denkmalamt) genau das schon seit langem (siehe z.B. Brown 2011, Seiten 23-24). Ebenso hat das Europae Archaeologiae Consilium – der Verband der europäischen staatlichen archäologischen Denkmalpfleger – in seinem Handbuch Archäologische Archivierung in Europa genau dieselbe Selektivität empfohlen, die auch ich angeregt habe (EAC 2014, Seite 34; siehe insbesondere den dort auch erwähnten „sekundären Auswahlprozess“, d.h. das „Entsammeln“). Tatsächlich wird die „Entsammlungsdebatte“ seit wenigstens drei Jahrzehnten gefĂĽhrt (z.B. Morgan & MacDonald 2018), weil die archäologischen (und andere) Archive schon seit langem ĂĽberquellen.
Auch mit dem Argument über derzeit noch gänzlich unbekannte Untersuchungsmethoden, mittels derer man in der Zukunft potentiell bedeutende neue Erkenntnisse gewinnen kann, ist es nicht weit her, wenigstens nicht, wenn man den extrem seltenen Ausnahmefall beiseitelässt und den Regelfall betrachtet. Natürlich kann man hier, wie Meller das tut, eklektisch ausgewählte Geschichten über Fallbeispiele erzählen, in denen tatsächlich hundert Jahre nach der Entdeckung bestimmter Funde aus diesen mit neuen Methoden irgendwelche Erkenntnisse gewonnen wurden. Diese Beispiele stellen jedoch seltene und außergewöhnliche Ausnahmen dar; und es ermangelt ihnen daher auch an jedweder Beweiskraft bezüglich des Regelfalls.
Dazu ein paar Fakten: im deutschen Sprachraum lagern derzeit in archäologischen Archiven wenigstens ca. 100 Millionen archäologische Funde. Alleine im Nachbarbundesland von Herrn Meller, dem Land Sachsen, betrug bereits vor Jahren die Anzahl der dort eingelagerten archäologischen Funde 19 Millionen (AAS n.d.), 2016 waren es der sächsischen Landesarchäologin zufolge bereits mehr als 21 Millionen (Bild der Wissenschaft 7-2016, Seite 66), mit einem jährlichen Neuzugang von etwa 250.000-300.000 Objekten.
In Ă–sterreich werden bei den jährlich ca. 600 vom Bundesdenkmalamt (BDA) bewilligten oder selbst durchgefĂĽhrten archäologischen Feldforschungsprojekten sicherlich ebenso viele gefunden, wenn nicht noch mehr. Laut BDA waren 2014 jedoch mehr als 50% der 2012 dabei entdeckten Funde in temporären Zwischenlagern von Grabungsfirmen und gerade einmal 5% im archäologischen Archiv des BDA gelandet (Hinterwallner, Fundberichte aus Ă–sterreich 53, 2014, Seite 30), das bereits vor seiner offiziellen Eröffnung bis zur Kapazitätsgrenze gefĂĽllt war. Der Leiter der archäologischen Abteilung des BDA, Bernhard Hebert, hat das Problem jĂĽngst derart zusammengefasst, dass man im Bereich der Archäologie derzeit nach dem Motto „besser ein paar Kisten mit ungewaschenen Scherben ins Depot gestellt als gar nichts getan“ vorgeht, „und dort im Depot stehen sie nach wie vor, ungewaschen und unerforscht“ (Hebert, Ă–sterreichische Zeitschrift fĂĽr Kunst und Denkmalpflege LXXII, Heft 3/4, 2018, Seite 81). Bei einer Revision des Bestandes in diesem Depot zeigte sich dann auch dem damals zuständigen Restaurator zufolge, dass selbst „bereits restaurierte Eisenobjekte zum Teil gravierenden Schaden genommen haben“ (Marius, Fundberichte aus Ă–sterreich 50, 2011, Seite 32); um von der Unzahl nicht restaurierter Objekte erst gar nicht zu reden. Dass die Erhaltungsbedingungen in den ĂĽbervollen öffentlichen Depots oft alles andere als hervorragend sind, zeigen regelhaft auftretende Schadensfälle (fĂĽr zwei Beispiele siehe z.B. Karl 2015, Seite 224).
Dass jeder der geschätzt ca. 3-5 Millionen archäologische Funde, die in Deutschland und Österreich jedes Jahr zum derzeit schon vorhandenen Archivbestand hinzukommen, in der Zukunft mit derzeit noch unbekannten Methoden untersucht werden und enorm wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse bringen wird, ist ein schöner archäologischer Wunschtraum, hat aber nichts mit der Wirklichkeit archäologischer Sammlungs- und Forschungstätigkeit zu tun. Natürlich hat Kollege Meller nicht völlig unrecht damit, dass man eventuell zukünftig aus archivierten Altfunden neue Erkenntnisse gewinnen kann; und ich bin auch sehr dafür, eine sinnvolle Menge archäologischer Funde möglichst dauerhaft zu archivieren. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass jemals alle auch nur derzeit schon archivierten Bodenfunde wissenschaftlich analysiert werden?
Zum Beispiel: im Tiefspeicher des Naturhistorischen Museums in Wien lagern derzeit etwa 10.000 menschliche Skelette. Diese könnte man theoretisch alle auf DNA-Spuren analysieren. Aber: eine aDNA-Probe zu analysieren kostet derzeit jenseits der € 5.000. Eine systematische aDNA-Analyse allein des Skelettbestandes des NHM Wien wĂĽrde also mehr als € 50 Millionen kosten – und das ist nur ein kleiner Anteil des derzeit in Deutschland und Ă–sterreich vorliegenden archäologisch geborgenen Skelettmaterials. Am Wiener Zentralfriedhof liegen ĂĽbrigens etwa 3 Millionen Bestattungen, die man archäologisch ausgraben und untersuchen könnte. Da reden wir dann von ĂĽber € 15 Milliarden, allein fĂĽr die DNA-Analysen; um von sonstigen Kosten erst gar nicht zu reden.
Der Zentralfriedhof zeigt auch einen der fundamentalsten Denkfehler Mellers auf: in der Vergangenheit haben in Österreich und Deutschland jedenfalls in Summe mehrere Milliarden Menschen gelebt. Nicht nur liegen viele Millionen davon noch im Boden und kommen tagtäglich tausende hinzu, was zu einem ständigen Anwachsen des archäologischen Quellenbestandes führt. Sondern die meisten dieser Milliarden von Menschen haben überhaupt keine archäologischen Spuren hinterlassen, geschweige denn sterbliche Überreste.
Bräuchte man also alles, was es dereinst gegeben hat, um archäologische Erkenntnis gewinnen zu können, wäre Archäologie von Haus aus ein sinnloses Unterfangen: für jeden Fund, den wir haben, sind wenigstens 1000 bereits vollständig und spurlos zerstört worden; und wir müssten jedes Grab, das neu angelegt wird, spätestens ein paar Tage nach Ende der Bestattung archäologisch ausgraben, damit möglichst viel von der archäologischen Quelle, zu der der Verstorbene durch seine Bestattung geworden ist, für die Erforschung mit zukünftigen Methoden dauerhaft in einem staatlichen Archiv erhalten wird. Das geht aber natürlich überhaupt nicht, weder aus Pietätsgründen noch praktisch.
Braucht man hingegen nicht alles, was es dereinst gegeben hat, um archäologische Erkenntnis zu gewinnen, gibt es auch keinen Grund, alles aufzuheben, was man findet: arbeitet die archäologische Wissenschaft, wie sie es tatsächlich tut, immer nur mit einer Stichprobe dessen, was ehemals existiert hat, genügt es völlig, eine repräsentative Stichprobe der auf uns gekommenen Zufallsstichprobe aufzuheben.
Auch in der wissenschaftlichen Auswertung von archäologischem Fundmaterial ist es nicht nur gängig, sondern absolut notwendig, eine Auswahl zu treffen, was man bearbeitet und was man höchstens statistisch erfasst oder sogar völlig verwirft. Ein paar gute Beispiele dafĂĽr hat z.B. Andreas Heege (BDA 2015, Seiten 43-51) jĂĽngst vorgestellt. Liegen z.B. von einer Grabung oder sonstigen archäologischen MaĂźnahme mehrere Zehntausend Keramikscherben vor, flieĂźen in die wissenschaftliche Auswertung meist nur 3-5% dieser Funde ein; was in der Regel nicht einmal alle typochronologisch aussagekräftigen Randscherben sind, geschweige denn alle Wandscherben. Das liegt daran, dass man aus den verbleibenden 95-97% des betreffenden Fundmaterials keine zusätzliche signifikante Erkenntnis gewinnen kann, die man nicht auch schon aus den tatsächlich genauer aufgenommenen 3-5% gewinnt. Dass in solchen Fundkomplexen jeweils auch viele Scherben ehemals zum gleichen Gefäß gehörten, macht es auch völlig sinnlos, alle davon langfristig zu archivieren. Denn selbst fĂĽr die von Herrn Meller erwähnten Material- und Spurenelementanalysen, mittels derer man vielleicht irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse zur Herstellung oder Nutzung der Gefäße gewinnen kann, braucht man nicht alle Scherben, die ehemals zum gleichen Gefäß gehörten, sondern in der Regel genĂĽgt eine davon. Man kann also vollkommen ungeniert wenigstens ca. 80% derartiger Keramik-Massenfunde „entsammeln“, ohne auch nur hypothetisch, geschweige denn praktisch, irgendeinen signifikanten wissenschaftlichen Erkenntnisverlust zu verursachen.
All diese Fakten sind natĂĽrlich auch Kollegen Meller wohlbekannt; ebenso wie ihm wohlbekannt ist, dass es die eigentliche Aufgabe der staatlichen Denkmalpflege ist, zu bewerten, was vom entdeckten Fundmaterial so wichtig ist, dass es – mit den absehbar verfĂĽgbaren Ressourcen – langfristig erhalten werden kann; und welchem Teil davon so geringe wissenschaftliche Bedeutung zukommt, dass er verworfen werden muss. In Ă–sterreich hat es sogar der Gesetzgeber explizit in der Regierungsvorlage zum Denkmalschutzgesetz so erklärt: „Das Denkmalschutzgesetz ging von vornherein von einer klaren Beschränkung durch wissenschaftlich ĂĽberlegte Auswahl aus. Nur in dieser Beschränkung kann der Denkmalschutz auch jene Effizienz entfalten, deren er bei einer zu groĂźen Anzahl von Unterschutzstellungen verlustig gehen wĂĽrde. Aus diesem Grund ist es eine der schwierigsten Aufgaben des Bundesdenkmalamtes, jene Auswahl in jenem Umfang fĂĽr die Unterschutzstellungen zu treffen, die vom Fachlichen her erforderlich ist und vom Administrativen her bewältigt werden kann (RV 1999, Seite 39; Hervorhebungen fett: RK). Auch in Sachsen-Anhalt ist das im Wesentlichen nicht anders. Dort definiert das derzeit geltende Denkmalschutzgesetz den Denkmalbegriff wie folgt: „Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind gegenständliche Zeugnisse menschlichen Lebens aus vergangener Zeit, die im öffentlichen Interesse zu erhalten sind. Ă–ffentliches Interesse besteht, wenn diese von besonderer geschichtlicher, kulturell-kĂĽnstlerischer, wissenschaftlicher, kultischer, technisch-wirtschaftlicher oder städtebaulicher Bedeutung sind“ (§ 2 Abs. 1 DSchG ST; Hervorhebung fett: RK). Dass jeder beliebigen Wandscherbe besondere Bedeutung zukommt, glaubt wohl nicht einmal Kollege Meller ernsthaft.

Die Forderung nach Selektivität in der archäologischen Archivierung und, wo Archive aufgrund frĂĽherer, nicht ausreichend selektiver Archivierung von Massenfunden ohnehin schon ĂĽbervoll sind, auch aktivem „Entsammeln“, ist also nicht mehr als die Forderung danach, das zu tun, wozu uns der Gesetzgeber eigentlich verpflichtet hat und was nach vorherrschender Fachmeinung auch den bestmöglichen Umgang mit dem archäologischen Erbe zum Zweck seiner möglichst dauerhaften Erhaltung darstellt. Es ist natĂĽrlich das gute Recht von Herrn Meller, eine andere wissenschaftliche Meinung zu dieser Frage zu vertreten; aber dann soll er diese wissenschaftlich korrekt argumentieren statt in Interviews mit Beleidigungen um sich zu werfen.


Schatzregale

Damit zum anderen Punkt, in dem Herr Meller im Interview mit meiner Meinung konfrontiert wurde; der Frage nach staatlichen Schatzregalen für archäologische Funde und der unterschiedlichen denkmalschützerischen Effizienz der deutschen und englisch-walisischen Lösung des Umgangs mit Metallsuchern. Auch zu dieser Frage ist Kollegen Mellers Darstellung der Fakten- und vor allem Rechtslage so grob verkürzt, dass seine Antwort hochgradig irreführend ist.
Meller bemerkt in seiner Antwort zuerst noch ganz richtig, dass in Deutschland in Bezug auf die Fundeigentumsregelungen derzeit zwei unterschiedliche Lösungen nebeneinander bestehen. Von da an geht es jedoch rapide bergab.

Unterschiedliche Rechtstraditionen?

Von diesen Fundeigentumsregelungen ist die eine die in inzwischen 15 deutschen Landesrechten, darunter auch Sachsen-Anhalt, gewählte Lösung eines staatlichen Schatzregals, die Meller auf eine Rechtstradition aus im 13. Jh. n.Chr. zurĂĽckfĂĽhrt, zum von Eike von Repgow verfassten Sachsenspiegel. Die andere ist die im deutschen Bundesrecht (§ 984 BGB) vorgesehene hadrianische Fundteilungsregel, die sich letztendlich aus dem im 6. Jh. n.Chr. kompilierten Corpus Iuris Civilis des Justinian, d.h. aus dem klassischen römischen Recht ableitet. Benannt nach dem Kaiser Hadrian (römischer Kaiser 117-138 n.Chr.) fällt nach Letzterer das Eigentum an Schatzfunden jeweils zur Hälfte dem Finder und dem Grundbesitzer zu. Meller behauptet in weiterer Folge, dass es sich dabei um alte Rechtstraditionen handle, „die fĂĽr die entsprechende Region erprobt sind“. Das „Vereinigte Königreich England“ stehe hier laut Meller hingegen „in einer anderen Tradition“. Das ist, insbesondere fĂĽr einen Proponenten staatlicher Schatzregale wie Meller, ein bemerkenswert lockerer Umgang mit Fakten.
Beginnen wir mit der Rechtslage in England und Wales. In diesen beiden Ländern des Vereinigten Königreichs von GroĂźbritannien und Nordirland gibt es nämlich auch ein staatliches Schatzregal (siehe dazu zuletzt genauer z.B. A.G. Guest, The Law of Treasure, Oxford 2018). Dieses Schatzregal ist gemeinhin anerkannter Weise seit Edward the Confessor (König der Angelsachsen, 1042-1066) im frĂĽhen 11. Jh. n.Chr. Bestandteil des englischen Common Law (Attorney-General of the Duchy of Lancaster v G.E. Overton (Farms) Ltd., 1982). UrsprĂĽnglich ein fiskalisches Schatzregal, wird das law of treasure trove in England und Wales bereits seit dem frĂĽhen 20. Jh. primär als Rechtsinstrument fĂĽr den archäologischen Denkmalschutz verwendet. Zuletzt durch den Treasure Act 1996 revidiert, stellt es den Denkmalschutz inzwischen auch eindeutig in den Vordergrund. In Section 1 des Treasure Act werden die Gegenstände definiert, die unter das staatliche Schatzregal fallen; wobei diese Definition (im Prinzip) darauf abzielt, „Kulturdenkmale … von besonderer … Bedeutung“ (§ 2 Abs. 1 DSchG ST) dem Staatseigentum zuzufĂĽhren.
Seit dieses Schatzregal der Denkmalpflege dient, hat es sich eingebĂĽrgert, ehrliche Finder, die „Schatzfunde“ den zuständigen Behörden melden, finanziell in Höhe des Marktwerts des Fundes zu belohnen. Nachdem das englische Fundrecht bei sonstigen Bodenfunden der Gewohnheitsrechtsregel folgt, dass alles, was auf der Erdoberfläche gefunden wird dem Finder, hingegen alles, was darunter gefunden wird, dem GrundeigentĂĽmer gehört (z.B. Waverley BC v Fletcher, 1996), wird diese Belohnung gewöhnlich zu gleichen Teilen zwischen Finder und Grundbesitzer geteilt (zum genauen Prozess siehe DCMS 2019, Seite 3). Deklarierter Zweck dieser Belohnung ist es, Finder zur Meldung von Schatzfunden statt dem Verkauf am Schwarzmarkt zu animieren (DCMS 2019, Seite 37 Abs. 124).
In Deutschland ist die Situation hingegen etwas anders: hier wurde die alte, feudale Rechtstradition, darunter auch das fiskalische Schatzregal, durch die Kodifizierung des gesamtdeutschen Privatrechts durch das am 1.1.1900 in Kraft getretene BĂĽrgerliche Gesetzbuch (BGB) abgeschafft. Erst seit den 1970ern begannen dann unter Berufung auf ihre Kulturhoheit die deutschen Länder – nun explizit denkmalpflegerisch ausgerichtete – „Schatzregale“ neu einzufĂĽhren, beginnend mit Baden-WĂĽrttemberg in 1971.
Sachsen-Anhalt hat ein „archäologisches Schatzregal“ sogar erst 1991 eingefĂĽhrt. Dieses hat auch praktisch nichts auĂźer seiner Bezeichnung mit dem im Sachsenspiegel enthaltenen „Schatzregal“ zu tun, denn bei Eike von Repgow liest man: „Al schat under der erden begrauen deper den en ploch geyt.de hort to derer conincliken walt“ (frei ĂĽbersetzt: „Alles, was sich tiefer im Boden befindet als der Pflug reicht, gehört in die königliche Gewalt“; Oldenburger Sachsenspiegel, fol. 22v). Man vergleiche dazu den derzeit geltenden § 12 Abs. 1 DSchG ST: „Bewegliche Kulturdenkmale, die herrenlos sind oder die solange verborgen gewesen sind, daĂź ihr EigentĂĽmer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie bei staatlichen Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt werden oder wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert haben. Denjenigen, die ihrer Ablieferungspflicht nachkommen, kann eine angemessene Belohnung in Geld gewährt werden, die sich am wissenschaftlichen Wert des Fundes orientiert“.

Von einer seit dem Mittelalter ungebrochenen Rechtstradition eines Schatzregals, wie es sie in England und Wales tatsächlich gibt, kann also in Deutschland keine Rede sein. Vielmehr haben wir hier eine EinfĂĽhrung eines völlig neu ausgerichteten staatlichen Kulturdenkmalfundregals vor uns, die sich bestenfalls bei extrem oberflächlicher und ungenauer Betrachtung der historischen Faktenlage auf eine lange Rechtstradition stĂĽtzen kann. Mehr noch: es ist auch keineswegs so wie von Herrn Meller behauptet, dass die Fundeigentumsregelung im Vereinigten Königreich von GroĂźbritannien und Nordirland in einer signifikant „anderen Tradition“ als die in Sachsen-Anhalt stĂĽnde, sondern beide stĂĽtzen sich letztendlich auf das mittelalterliche feudalrechtliche Prinzip „quod nullius est fit domini regis“ (so ausgedrĂĽckt im schottischen Recht; siehe Lord Advocate v University of Aberdeen & Budge, 1963).

Dem (wissenschaftlichen) Wert angemessene Belohnung in Geld?

Besonders spannend ist bei der derzeit in Sachsen-Anhalt geltenden Regelung auch die Möglichkeit, dass ehrlichen Findern, die ihre „Schatzfunde“ abliefern, eine sich am wissenschaftlichen Wert des Fundes orientierende Belohnung in Geld gewährt werden kann (aber offenbar nicht muss). Der wissenschaftliche Wert solcher Funde muss ja nachgerade unermesslich sein, wenn man, wie Herr Meller es im Interview erläutert, selbst mit völlig unbedeutend erscheinenden Funden „fundamentalste historische Fragen“ aufklären kann.
Es stellt sich daher die Frage, wie bestimmt wird, wie hoch eine diesem wissenschaftlichen Wert angemessene Belohnung in Geld auszufallen hat. Gem. § 971 BGB beträgt z.B. der gesetzliche (und damit wohl als „angemessen“ zu betrachtende) Finderlohn in Deutschland „von dem Werte der Sache bis zu 500 Euro fĂĽnf vom Hundert, von dem Mehrwert drei vom Hundert“. Ist also der wissenschaftliche Wert eines Fundes in Geldwert als € 100 anzugeben, wären das € 5 angemessener Finderlohn; ist der wissenschaftliche Wert € 1.000, wäre der angemessene Finderlohn € 40, usw. Harald Meller selbst hat z.B. in einem Interview (Der Spiegel 2008) festgestellt, dass der kolportierte Versicherungswert von € 100 Millionen fĂĽr die Himmelsscheibe von Nebra – der wohl ihren wissenschaftlichen Wert in Geldwert ausdrĂĽckt – nicht unrealistisch sei. Wäre sie also nicht von Raubgräbern, sondern von einem ehrlichen Zufallsfinder entdeckt und unmittelbar dem Land Sachsen-Anhalt gem. § 12 Abs. 1 DSchG ST abgeliefert worden, hätte dieser ehrliche Finder mit einer Belohnung in Höhe von € 3 Millionen rechnen können?
Noch wichtiger: nachdem man laut Herrn Meller ja selbst aus dem unscheinbarsten Fund gleichermaĂźen bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen zu können scheint wie aus der Himmelsscheibe ist wohl auch der wissenschaftliche Wert „scheinbar langweiliger Keramikfunde“ dem der Himmelsscheibe gleich. Macht dann die dem wissenschaftlichen Wert eines gewöhnlichen Scherbenfundes angemessene Belohnung seines ehrlichen Finders in Geld auch € 3 Millionen pro StĂĽck aus?
Nachdem ich dazu leider trotz ausgiebiger Nachforschungen keine Informationen finden konnte, muss ich wohl davon ausgehen, dass in Sachsen-Anhalt das „Scherbenklauben“ beim Spazierengehen eine höchst lukrative Tätigkeit ist. Weil es kann schlieĂźlich im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG, der auch in Art. 7 Abs. 1 der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt (Verf ST) wortlautgleich wiederholt wird, nicht so sein, dass die gleichen Funde nur dann „hervorragenden wissenschaftlichen Wert“ haben, wenn sie qua Schatzregal dem Staatseigentum einverleibt werden sollen; hingegen praktisch wertlos sind, wenn es darum geht, ihrem ehrlichen Finder eine ihrem wissenschaftlichen Wert angemessene Belohnung in Geld zu gewähren. Oder?

Nimmt man das Argument von Kollegen Meller ernst, dass auch allen völlig unscheinbaren Funden praktisch der gleiche wissenschaftliche Wert zukommt wie z.B. der Himmelsscheibe von Nebra, kommen bei der rechtmäßigen Anwendung des § 12 Abs. 1 DSchG ST wenigstens die gleichen, wenn nicht sogar weit höhere „Belohnungskosten“ auf das Land Sachsen-Anhalt zu wie bei der „Belohnung in Höhe des Marktwerts“ nach dem englischen und walisischen Gewohnheitsrecht. Ein signifikanter Unterschied lässt sich also auch in diesem Bereich zwischen den beiden Rechtstraditionen, die Meller vergleicht, nicht feststellen, wenn man sich nicht als zuständige Behörde in Sachsen-Anhalt den wissenschaftlichen Wert jeweils so hinbiegt (d.h. ungleich bewertet), wie es einem gerade gĂĽnstig in den Kram passt.


Das leidige Problem der Metallsuche

GleichermaĂźen locker geht Kollege Meller mit den Fakten bezĂĽglich des Metallsucherphänomens im deutsch-britischen Vergleich um, wenn er behauptet, dass der englisch-walisische Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe nicht zu einer besseren, sondern ganz im Gegenteil zu einer weit schlechteren Situation als in Deutschland fĂĽhre. Meller begrĂĽndet diese Behauptung damit, dass in England und Wales „in Sondengängerwettbewerben regelmäßig Hunderte von Metallfunden aus ihrem Zusammenhang gerissen“ werden wĂĽrden, wodurch „es fĂĽr spätere Forschungen oder Nachgrabungen äuĂźerst schwierig, wenn nicht unmöglich“ werde, „die archäologischen Strukturen, aus denen die Metallobjekte herausgerissen wurden, adäquat zu beurteilen“.
Auch das ist wieder eine der typischen Halbwahrheiten, mit denen Kollege Meller scheinbar ständig argumentiert (und damit keineswegs allein ist, siehe dazu schon z.B. Karl 2016). Richtig ist an dieser BegrĂĽndung nämlich nur, dass es in England (und seltener auch in Wales) gelegentlich sogenannte detecting rallies gibt, in deren Rahmen viele Metallsucher gemeinsam bestimmte Bodenflächen absuchen; manchmal tatsächlich auch mit einem gewissen Wettbewerbscharakter. 

Das Verschweigen von relevanten Fakten

Meller verschweigt jedoch zahlreiche weitere wichtige Fakten, die insbesondere im Kontext des von mir und ihm angestellten Vergleichs von England und Wales mit Deutschland essentiell sind.
Erstens werden in England und Wales die Mehrheit dieser detecting rallies schon seit längerem mit archäologischer Begleitung durch wenigstens einen, manchmal sogar mehrere, Finds Liaison Officers (FLO) des Portable Antiquities Scheme (PAS) durchgefĂĽhrt. Diese registrieren auch gleich an Ort und Stelle alle von ihnen als signifikant erachteten archäologischen Funde in der Funddatenbank des PAS und helfen Findern, die mögliche „Schätze“ im Sinne von Section 1 des Treasure Act 1996 entdeckt haben, mit der fĂĽr „Schatzfunde“ gesetzlich verpflichtenden Fundmeldung. Sofern notwendig werden bei der (nur sehr selten vorkommenden, dazu noch gleich mehr) Entdeckung noch tiefer im Boden in ungestörten Befunden liegenden Funden von diesen professionellen ArchäologInnen auch gleich fachgerecht dokumentierte Fundbergungen durchgefĂĽhrt (z.B. PAS 2017, Seite 25).
Zweitens gibt es selbstverständlich auch in Deutschland sogenannte „Schatzsuchermeisterschaften“ (z.B. OSM 2019) und „Rallies“, die z.B. vom Finder des Barbarenschatzes von RĂĽlzheim veranstaltet werden (Sondelpower 2018). Diese finden bloĂź, im Unterschied zu England und Wales, gewöhnlich gänzlich ohne archäologische Betreuung statt und allfällig entdeckte archäologische Funde, die nicht zuvor von den Veranstaltern im Boden vergraben wurden, werden daher in aller Regel weder sachgerecht dokumentiert, noch gemeldet, noch werden vor Ort fachgemäße Fundbergungen durchgefĂĽhrt, wenn dabei zufällig ein „Schatzfund“ entdeckt wird.
Drittens belassen in England und Wales viele Metallsucher inzwischen entsprechend dem code for responsible detecting Funde, die sie tiefer im Boden noch in teilweise ungestörten, oft aber auch schon teilweise durch den Pflug gestörten, Befunden antreffen, in situ, geben eine Fundmeldung ab, und ermöglichen damit deren professionelle Ausgrabung (für einige Fallbeispiele siehe z.B. PAS 2017, Seiten 8, 12). In Deutschland hingegen scheint es derzeit wenigstens viel seltener zu vergleichbar vorbildlichen Resultaten zu kommen.
Viertens ist auch die Anzahl der alljährlich bei den dafĂĽr zuständigen Stellen eingehenden Fundmeldungen in England und Wales um ein Vielfaches höher als im deutschen Sprachraum. So registrieren derzeit die FLO alljährlich ca. 80.000 Funde in der Datenbank des PAS, wobei sie allerdings sehr selektiv vorgehen und nur ca. 10% der ihnen von Metallsuchern vorgelegten Funde einpflegen (pers. Mitt. P. Reavill, PAS-FLO; fĂĽr die Zahlen eingepflegter Funde siehe z.B. PAS 2017, Seiten 35-36; fĂĽr die Selektionskriterien PAS n.d.). Professionelle Archäologen in England und Wales bekommen also alljährlich grob eine Dreiviertelmillion archäologischer Funde zu Gesicht; von denen derzeit jährlich etwa 1.250 (ca. 0,15%) als derart bedeutend eingestuft werden, dass sie als „Schatz“ im Sinne von Section 1 des Treasure Act 1996 eingestuft und dem Staatseigentum einverleibt werden (PAS 2017, Seite 35). Seit der EinfĂĽhrung des PAS hat sich die Fundmeldefrequenz in England und Wales um einen Faktor von ca. 15 erhöht (DCMS 2019, Seite 4).
In Deutschland hingegen scheinen die Fundmeldezahlen, insbesondere von Fundmeldungen durch Metallsucher, um ein groĂźes Vielfaches kleiner zu sein und seit langem zu stagnieren. In Ă–sterreich hingegen ist es in der Folge der „Verschärfung“ des Denkmalschutzgesetzes im Jahr 1990 und 1999 zu einem RĂĽckgang der Fundmeldezahlen durch interessierte Laien um ca. 75% gekommen (Karl 2012, Seite 105). Das bedeutet, dass derzeit in England und Wales pro Quadratkilometer etwa 2.650 Mal so viele Funde von interessierten Laien den zuständigen Behörden gemeldet werden wie in Ă–sterreich. In Deutschland ist die Situation vielleicht etwas besser, viel besser aber wohl nicht.

FĂĽnftens lässt sich auf Basis empirischer Erhebungen zeigen, dass in Deutschland etwa 3 Mal so viele Metallsucher (korrigiert pro Kopf der Bevölkerung und Landesfläche) aktiv sein dĂĽrften wie in England und Wales (Karl & Möller 2016, Seite 220). Folgt man Andreas BĂĽttner vom Bayerischen Landesamt fĂĽr Denkmalpflege sind in Deutschland vermutlich etwa 100.000 Metallsucher aktiv (Vortrag bei WSVA-Tagung WĂĽrzburg 2019). Nimmt man eine gleichmäßige Verteilung von Metallsuchern in ganz Deutschland an, muss Herr Meller also damit rechnen, dass es in Sachsen-Anhalt etwa 2.700 aktive Metallsucher geben dĂĽrfte. Zieht man hingegen den Prozentsatz der in Sachsen-Anhalt ansässigen Metallsucher unter den Mitgliedern des größten deutschen „Schatzsucher“-Internetforums heran (Abb. 1), wären es „nur“ etwa 2.600. Die wenigen davon, die sich unter den etwa 350 von Meller genannten, mit seiner Behörde zusammenarbeitenden Ehrenamtlichen befinden, sind wohl deutlich weniger als 10% der in Sachsen-Anhalt aktiven Metallsucher. In England und Wales hingegen sind wohl wenigstens 25% der aktiven Metallsucher den zuständigen Stellen bekannt und arbeiten auch mit diesen zusammen.

Abb. 1: Verteilung der ermittelbaren Wohnorte von Mitgliedern von schatzsucher.de auf die deutschen Bundesländer.

Sechstens schlieĂźlich ist Mellers Geschichte davon, dass durch Metallsucher (ob nun in England und Wales oder anderswo) „regelmäßig Hunderte von Metallfunden aus ihrem“ archäologischen „Zusammenhang gerissen“ wĂĽrden, ebenfalls bestenfalls eine Halbwahrheit, die der empirischen wissenschaftlichen ĂśberprĂĽfung nicht standhält. Tatsächlich habe ich anhand einer jĂĽngeren empirischen Untersuchung von 1.414 österreichischen Grabungsberichten gezeigt, dass der Tätigkeit von Metallsuchern zuordenbare Befundschäden nur extrem selten archäologisch beobachtet werden und selbst wo sie auftreten zumeist nur insignifikanten Schaden am wissenschaftlichen Erkenntnispotential der gestörten Befunde anrichten (Karl 2018; 2019).
Das ist auch ĂĽberhaupt kein Wunder, weil sich im Feldtest und auch anhand seit langem intensiv von Metallsuchern abgesuchten Fundstellen (siehe z.B. Karl, Netzwerk Geschichte Ă–sterreich Jahresschrift 2012, Seiten 16-23) leicht zeigen lässt, dass die maximale Detektionstiefe von handelsĂĽblichen Metallsuchgeräten in der Regel ca. 25-30 cm nicht ĂĽbersteigt. Genau diese ca. 25-30 cm des Oberbodens sind aber – insbesondere auf durchpflĂĽgten Boden, aber zumeist auch im Wald – regelhaft durch den Pflug bzw. die Bioturbation des Bodens derart gestört, dass sich in ihnen eben gerade keine ungestörten archäologischen Befunde mehr erhalten haben. Daher wird bei der ĂĽberwältigenden Mehrheit aller archäologischen Ausgrabungen dieser sogenannte „modern gestörte Oberboden“ auch mit dem Bagger abgezogen, zumeist ohne auch nur irgendwie nach in ihm enthaltenen beweglichen Kleinfunden durchsucht zu werden (Karl 2014; 2018, Seiten 396-397).

Nebra

Ich verstehe schon, dass Kollege Meller aufgrund der unsachgemäßen Bergung „seiner“ Himmelsscheibe durch Raubgräber in dieser Beziehung ein besonders gebranntes Kind ist. Dennoch: Er verallgemeinert in wissenschaftlich völlig unzulässiger Weise diesen – in der Praxis extrem selten eintretenden – Ausnahmefall und ignoriert stattdessen den Regelfall. Und um das in diesem Zusammenhang auch gleich klarzustellen: natĂĽrlich wäre es unzweifelhaft besser gewesen, wenn die Himmelsscheibe nicht von Raubgräbern aus dem Boden gerissen, sondern bei einer sachgerecht durchgefĂĽhrten archäologischen Ausgrabung entdeckt worden wäre; keine Frage.
Aber erstens ist die Wahrscheinlichkeit dafür selbst bei sehr optimistischer Betrachtung der Wirklichkeit enorm gering, weil wenigstens 95% aller derzeit noch im Boden verborgenen archäologischen Funde zerstört werden dürften, ehe sie entdeckt werden (Karl 2018, Seiten 27-31). Und dass von denen, die entdeckt werden, wiederum ein signifikanter Anteil aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bei professionellen Ausgrabungen entdeckt werden wird, zeigen internationale Vergleichszahlen: von den insgesamt 371 in England und Wales in den Jahren 1740-2010 entdeckten bronzezeitlichen Goldfunden, von denen nahezu 50% nach 1973 entdeckt wurden, wurden insgesamt gerade einmal 17 (bzw. 4,6%) bei systematischen archäologischen Ausgrabungen gefunden (Murgia et al. in Archäologisches Korrespondenzblatt 44/3, 2014, Seite 385).
Und zweitens muss man, gerade beim Paradebeispiel der Himmelsscheibe, die Frage stellen, wie viel Schaden am wissenschaftlichen Erkenntnispotential tatsächlich durch ihre unsachgemäße Bergung durch Raubgräber aus ihrem Befund angerichtet wurde. Immerhin hält Herr Meller schon seit vielen Jahren auf der halben Welt Vorträge und hat gerade ein populärwissenschaftliches Buch über (wenigstens auch) sie geschrieben, das vor bahnbrechenden neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nachgerade zu strotzen scheint (dazu später noch etwas mehr). Wie viel mehr Erkenntnis hätten wir also tatsächlich gewinnen können, wenn sie bei einer professionellen Ausgrabung sachgerecht geborgen geworden wäre?

Fraglos: wäre die Himmelsscheibe spurlos am Schwarzmarkt verschwunden, wäre das ein gewaltiger Verlust gewesen. Aber gerade daraus ergibt sich zwingend die Frage: ist es wirklich besser, wie das Herr Meller zu tun scheint, die überwältigende Mehrheit aller Metallsucher per unsachlichem Generalverdacht zu kriminalisieren? Oder wäre es nicht viel zielführender, sie wie in England und Wales (oder auch in Dänemark oder den Niederlanden) möglichst zu integrieren zu versuchen und damit die Wahrscheinlichkeit signifikant zu erhöhen, dass sie, wenn sie einen tatsächlich besonderen Fund in einem noch weitgehend ungestörten Befund antreffen, diesen in situ belassen, ihn unmittelbar melden und dadurch seine sachgerechte Bergung ermöglichen; weil sie sich sicher sein können, dass sie dann belohnt statt bestraft werden?


Denkmalgeschichtenerzählungen

Nachdem Kollege Meller Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt ist, gehe ich davon aus, dass auch er die hier von mir genannten Fakten kennt; weil als Fachmann mit besonderem Sachverstand muss er sie kennen. Umso ĂĽberraschender und auch erschreckender ist es, dass er sie in seiner Darstellung der Sachlage verschweigt bzw. im Interview mit diesem Blog mit derartig vielen Halbwahrheiten agiert. Ich verstehe sehr gut, dass sich das Medium des Interviews nicht dazu eignet, jede getätigte Aussage wissenschaftlich hinreichend zu begrĂĽnden; aber eine inhaltlich richtige Zusammenfassung der wesentlichsten Tatsachen muss man von einem Landesarchäologen wie Herrn Meller eigentlich schon erwarten können. Dass er die Faktenlage so falsch, grob verkĂĽrzt und verzerrt darstellt, zeigt daher leider, was von seinen im Interview vorgebrachten Argumenten zu halten ist: es handelt sich dabei nicht um wissenschaftlich verlässliche Aussagen, sondern um (vielleicht sogar spannend erzählte) Geschichten mit – bestenfalls – geringem Wahrheitsgehalt.
Das Geschichtenerzählen ist eine Fähigkeit, die gerade für Kulturerbemanager durchaus bedeutend ist, denn wenn es um Kulturerbe und seine öffentliche Vermittlung geht, ist es bekanntermaßen nicht so wichtig, ob die erzählten Geschichten richtig sind, sondern weit mehr, dass sie emotionale Bedürfnisse des Publikums befriedigen (siehe z.B. Lowenthal, The Past is a Foreign Country, Cambridge 1985; Lowenthal, The Heritage Crusade and the Spoils of History, Cambridge 1997). So lange ein Geschichtenerzähler zugibt, dass er mit Fakten locker umgeht und sie gerne auch einmal (oder auch häufiger) mit einer kräftigen Portion Fiktion verbessert, ist das auch kein Problem.

Dass Kollege Meller ein begnadeter Geschichtenerzähler ist, ist unbestritten. Das zeigt ja auch sein jĂĽngstes Buch ĂĽber die Himmelsscheibe, ob dessen hochgradiger Fiktionalität selbst Journalisten ein mulmiges GefĂĽhl bekommen zu haben scheinen. Meller hat allerdings durchaus recht, wenn er, wie in einem Interview mit der Zeit, festhält, dass „die BĂĽrger, die ja Steuern fĂĽr die Archäologie zahlen und eine groĂźe Begeisterung dafĂĽr aufbringen“, auch tatsächlich „ein Recht auf Interpretationen“ haben, „die auch spannend sind“; auch wenn sie wissenschaftlich in mancher Beziehung fragwĂĽrdig sein mögen. FĂĽr einen Denkmalgeschichtenerzähler genĂĽgt es auch völlig, dass er seinem Publikum „faktenbasierte Spekulationen“ auftischt, die „das Salz in der Suppe“ sind. Es ist Meller hier also durchaus hoch anzurechnen, dass er sich mit seinem neuen Buch „sehr weit aus dem Fenster“ zu lehnen gewagt hat (Die Zeit 2018, Seite 2).

Geschichtenerzählen ist weder gute Wissenschaft noch gute Denkmalpflege

Ein Problem wird es jedoch, wenn ein Geschichtenerzähler so tut, als ob er ein Wissenschafter wäre, der verlässliche wissenschaftliche Aussagen macht. Ein noch größeres Problem wird es, wenn dieser Geschichtenerzähler als staatlicher Denkmalpfleger seine Aufgabe auf Basis von Großteils fiktiven, teilweise sogar von ihm selbst erfundenen, Geschichten und einer extrem eklektischen Auswahl von Fakten statt auf Basis solider wissenschaftlicher Beurteilung der Realität erledigt. Das führt nämlich stets zu einer weit schlechteren archäologischen Wissenschaft und Denkmalpflege, als möglich wäre, wenn man sie auf Basis verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse gestalten würde.
Auch das zeigt sich leider deutlich an Mellers neuem Buch: die Hypothesen, die er darin aufstellt und im Zeit-Interview plakativ mit den Worten „die Aunjetitzer Kultur entstand aus der Verschmelzung der Schnurkeramiker mit den Glockenbecherleuten. … An der Spitze des Staates stand ein König, und die Könige sicherten ihre Macht mit Armeen. Das war die Voraussetzung dafĂĽr, dass ein so hochkomplexes und wertvolles Gebilde wie die Himmelsscheibe von Nebra ĂĽberhaupt entstehen konnte…“ zusammenfasst (Die Zeit 2018, Seite 1), sind nämlich wissenschaftlich hochgradig bedenklich. Sie sind nämlich nichts anderes als eine gänzlich unreflektierte Anwendung einer seit ĂĽber einem halben Jahrhundert wissenschaftlich vollkommen diskreditierten archäologischen Interpretationsmethode, Gustaf Kossinnas „Methode der Siedlungsarchäologie“ (Kossinna, Die Herkunft der Germanen. Zur Methode der Siedlungsarchäologie, WĂĽrzburg 1911). Diese Methode und ihre zentrale Annahme, dass „scharf umgrenzte Kulturprovinzen … sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen“ decken, die sich durch eine intern einheitliche Kultur kennzeichnen, als politische Einheit (Staat) handeln und von einen starken FĂĽhrer (König) zusammengehalten werden, dessen Machtposition sich auf eine starke Armee stĂĽtzt, wurden ja dann auch von den Nazis intensiv politisch und propagandistisch genutzt (siehe dazu z.B. Härke ([Hg.], Archaeology, Ideology and Society. The German Experience, Frankfurt a.M. 2000; Focke-Museum [Hg.], Graben fĂĽr Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, Stuttgart 2013).

Gerade den Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, in dem die AfD bei den Landtagswahlen 2016 mit 24,3% Stimmenanteil ihr bisher bestes Ergebnis in Deutschland eingefahren hat, derartige Methoden verwenden und derartige populistische Zusammenfassungen seiner „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zu „Deutschlands 1. Königreich“ (Bild 2018) verbreiten zu sehen stimmt dann schon eher bedenklich. Hat Meller damit wirklich wissenschaftlich nachgewiesen, dass schon in der mitteldeutschen Aunjetitz-Kultur „Ein Volk, ein Reich, ein FĂĽhrer“ galt, oder erzählt er uns hier nicht nur eine frei erfundene Geschichte?


G’schichtln drucken

Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, geht Harald Meller in erschreckend unzuverlässiger Weise mit wissenschaftlichen Fakten um; und seine Denkmalpflegeideologie ist weder sachlich begrĂĽndet, noch am aktuellen Stand der Forschung, noch im Einklang mit der derzeit international anerkannten „besten Praxis“. Vielmehr scheint sein archäologisch-wissenschaftliches, denkmalpflegerisches und denkmalrechtliches Verständnis im späten 19. oder bestenfalls dem frĂĽhen 20. Jahrhundert steckengeblieben zu sein. Nachdem ihm sachliche Argumente fehlen, verteidigt er seine grob veralteten und teilweise auch wissenschafts- und berufsethisch unhaltbaren Ansichten mit schmutzigen rhetorischen Tricks, Propagandamethoden, der Berufung auf die ihm vom Land Sachsen-Anhalt verliehene Autorität; und nicht zuletzt damit, dass er, wie das auf gut Ă–sterreichisch heiĂźt, spannende G’schichtln druckt. Diese sind zwar grundfalsch, aber nachdem er sie gut erzählt, finden sie wenigstens bei einem gewissen Publikum durchaus Anklang; auch wenn sie und sein darauf aufbauendes Verhalten wissenschaftlich, denkmalpflegerisch und wenigstens meiner Ansicht nach auch nicht zuletzt politisch schädlich sind.

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31 Kommentare:

  1. H. Meller hat mit seinen postulierten Aunjetitzerkönigtum nicht anderes gemacht wie tausende seiner Berufskollegen tagtäglich auch: Er hat Befunde "aufbereitet", um sie der Medienöffentlichkeit bestmöglich verkaufen zu können. Dieser Spaß am Fabulieren kenzeichnet die Archäologie mMn nach schon immer. Denn wenn man mal nicht weiter weiß, dann bildet man zwar keinen Arbeitskreis, kommt aber ständig mit der Religion und irgendwelchen vermuteten Kulten als Universalbegründung daher. Auch bei der Himmelsscheibe, wo es ja schon fast auf ein Sakralkönigtum hinausläuft. Hingegen einfach zuzugeben, dass man keinen Schimmer hat, scheint vielen Archäologen sehr schwer zu fallen. Wahrscheinlich aus Angst um ihren Ruf als Experten, aber auch weil sich aus farbigen Stories mehr Geld machen lässt, beispielsweise in Form von Sonderausstellungen, Vortragsreihen und besonders Büchern.

    Karl0

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    1. Darum gibt es ja auch im Fach das beliebte Sprichwort: Was man noch nicht deuten kann, sieht man gern als kultisch an! ;-)

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  2. Knauserei und offenbar nur halb durchdachte Gesetze schaden dem Denkmalschutz, aber der "DenkmalschĂĽtzer" rechtfertigt das alles. Warum?
    Wie lässt sich so ein Verhalten rational reklären?
    Sind hier politische Interessen im Spiel, die AuĂźenstehenden verborgen bleiben?
    Oder ist das Verhalten vor allem ideologisch bedingt?
    Man kann sich nur wundern!
    Liebe GrĂĽĂźe,
    Ludwig

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    1. Achim Werner, auch Archäologe, hat in einem Interview mit Hilti erklärt, dass die Archäologie eine Schlangengrube ist. Anecken kann für die eigene Karriere gefährlich sein!

      https://hiltibold.blogspot.com/2018/12/archaologie-campus-galli-achim-werner.html

      ° Guinevere °

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  3. Ein in typischer Raimund Karl Manier geschriebener Text ;-) aber in vielen Punkten muss ich Karl zustimmen. Besonders was die überquellenden Archive angeht, muss denn wirklich die 10Mio. Keramikscherbe, die eh schon alle Informationen beim Scherbenschrubben verloren hat aufbewahrt werden? Brauchen wir 1000nde von Abschlägen, bei denen eine menschlich Bearbeitung meist nie ohne Zweifel festgestellt werden kann ..... NEIN

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  4. Erst einmal danke für diesen kompetenten Konter auf das Meller-Interview! Der gute Mann scheint, seinen Ausführungen nach zu urteilen, die Leser und die Öffentlichkeit nicht für ganz voll zu nehmen. Kein Wunder, dass die große Mehrheit der Sondengänger in seinem eigenen Bundesland nicht mit den Denkmalschutzbehörden zusammenarbeiten will.
    Den vergleichenden Ausflug in das Dritte Reich finde ich dann allerdings leider genauso daneben wie Mellers Unterstellung schlechter Motive. Diese "reductio ad Hitlerum" hätte Raimund Karl lieber weglassen sollen ...

    Gero

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    1. Hier muss ich zustimmen, die betreffende Passage ist einfach Humbug: Der Autor stellt zuerst nur wenig subtil eine Verbindung zwischen Nazis und AFD her (was eine gewaltige Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellt), um dann sogleich zu insinuieren, beide Gruppen hätten bzw. würden die Urgeschichte Deutschlands hochjubeln.

      In Wirklichkeit lässt die AFD kaum eine Gelegenheit aus, die "primitiven" Germanenhorden der Völkerwanderungszeit mit den heutigen Migrationsströmen nach Europa gleichzusetzen. Damit unterscheidet sich die AFD gravierend von den Nationalsozialisten, welche die vorgeschichtlich-germanischen Kulturleistungen auf deutschem Boden aus rassistischen Motiven enorm überbewertet haben.

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    2. Es kommt noch dazu, dass Mellers Bronzezeit-König und die Germanen der Nazis sowieso nicht dasselbe sind. Schon alleine deshalb passt diese seltsame Anspielung nicht.
      Was Karl genau sagen wollte, ist mir nicht klar. Etwa dass Meller keine Thesen aufstellen soll, die politisch missbraucht werden könnten? Wenn ja, dann ist das mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar. Das Argument "Beifall von der falschen Seite" ist Rabulistik in Reinkultur und hat in der Forschung nichts verloren.

      Gero

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    3. Siehe den Kommentar weiter unten zum "Brückenschlag" zu den Nazis. Der Bezug ist die verwendendete, seit langem völlig diskreditierte Methode, die Meller verwendet, um bei seiner Geschichte anzukommen. Das hat nichts mit "Beifall von der falschen Seite" zu tun, auch wenn ich diesen Beifall politisch für problematisch halte; und auch nichts damit, dass Meller keine Thesen aufstellen soll, die politisch missbraucht werden könnten. Es hat ausschließlich damit zu tun, dass Meller dieselbe Methode wie die Nazi-Archäologie benutzt, obwohl er eigentlich wissen müsste, dass diese Methode nicht funktioniert.

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  5. Dieser Benny ("Sondelpower") ist eine wandelnde Zumutung. Solche Typen bringen ehrliche Sondler in Verruf. Den hätten sie für seine Missetat ein paar Monate einsperren sollen, damit er etwas lernt. Stattdessen sonnt er sich ungeniert in seinem zweifelhaften Ruhm als Entdecker des Barbarenschatzes.

    BeWa

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    1. Er verkauft jetzt sogar Metalldetektoren. Hoffentlich haben die eine Erinnerungsfunktion eingebaut, falls der Benutzer "vergisst", seinen Fund - z.B. einen Barbarenschatz - bei den Behörden zu melden. :D

      C3PO

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  6. Raimund, alles richtig was Du geschrieben hast. Allerdings bei dem "Brückenschlag" zum 3. Reich wurde es unsachlich. Zur AFD kann man stehen wie man möchte da sie demokratisch gewählt wurde, aber in diesem Beitrag hatte sie wirklich nichts verloren.

    GruĂź, Michael

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  7. GlĂĽhwĂĽrmchen27. Mai 2019 um 12:36

    Ich sage schon seit Jahren, dass das, was der Denkmalschutz in Deutschland an Argumenten zum Schatzregal und Sondengehen von sich gibt, ĂĽberwiegend Propaganda, oder volkstĂĽmlich gesagt, schlicht und ergreifend Schwachsinn ist.

    Aber stellen wir uns doch einmal die Frage, warum man damit durchkommt? Denn mit Ausnahme von Raimund Karl, der unermüdlich seit Jahren versucht, mit Sachargumenten die Diskussion voranzubringen, hört man nicht viel Kritisches. Weder aus der Wissenschaft selbst noch aus der Presse. Weil aber die entsprechenden Diskussionen fehlen, redet die Politik mit ihren Gesetzten Leuten wie Herrn Meller nach dem Mund, die die Deutungshoheit an sich gerissen haben.

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  8. Weshalb baut man für die vielen überzähligen Scherben nicht ein großes Zentrallager in jedem Bundesland? Ein günstiger unbeheizter Wellblechbau reicht dafür doch aus, oder? LG, Jutta

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    1. "GĂĽnstig" ist ein relativer Begriff. Schlussendlich ist und bleibt alles eine Geldfrage.
      ;-)
      LG
      Hagen

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    2. Teilweise gibt es solche staatlichen Zentrallager ohnehin. Allerdings ist ein günstiger, unbeheizter Wellbelachbau auch für Scherben nicht gut, weil Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen sowie Pilz- bzw. Schimmelbefall auch Scherben schädigen. Besser (und teilweise auch tatsächlich schon genutzt) ist die ebenfalls vergleichsweise billige Einlagerung von Fundmassen in alten, trockenen Bergwerken, in denen wenigstens Temperatur und Luftfeuchtigkeit stabil und die Schimmel-, Pilz- und Schädlingsbefallgefahr sehr gering ist. Aber auch die Einlagerung in solchen Bergwerken kostet Geld (diese müssen schließlich erhalten werden); und man muss - damit die Einlagerung irgendeinen Sinn hat - eingelagerte Funde natürlich auch ausheben können, was ebenfalls Geld kostet. Daher stellt sich auch bei solcher Lagerung die Frage: hat es einen Sinn, die für die Fundeinlagerung anfallenden Kosten zu tragen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebiger eingelagerte Fund jemals wieder ausgehoben und von irgendjemanden für wissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden nahegleich Null ist?

      Letztendlich lässt sich das auf eine Kosten:Nutzen-Rechnung reduzieren: ab wann übersteigen die für die Langzeitlagerung von zig Millionen Scherben anfallenden Kosten den vermutlich aus diesen zu gewinnenden Nutzen. Das gilt umso mehr z.B. bei undiagnostischen Wandscherben, insbesondere solchen, die vom gleichen Gefäß stammen. Ist ein Topf in 100 Stücke zerbrochen, es wird aber voraussichtlich niemals auch nur ein einziges dieser Stücke wissenschaftlich untersucht werden, geschweige denn, dass man aus der Untersuchung jedes einzelnen dieser 100 Stücke signifikant unterschiedliche Erkenntnisse gewinnen könnte, warum sollte man alle hundert und nicht nur eines davon aufheben?

      Gut, die meisten Töpfe zerspringen nicht in 100 Stücke, sondern vielleicht sind es im Durchschnitt nur jeweils ein paar, sagen wir 5, die vom jeweils gleichen Topf stammen. Entsammelt man 4 von den 5, hat man den Lagerbedarf und damit auch die Lagerkosten (wenigstens ungefähr) um 80% reduziert, voraussichtlich ohne irgendetwas vom möglichen Nutzen zu verlieren, den man durch die wissenschaftliche Untersuchung der Überreste dieses Topfes gewinnen kann. Die 4 überflüssigen Scherben aufzuheben verursacht also nur Kosten, aber keinerlei Nutzen. Warum also sie aufheben?

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  9. lieber raimund, ich vermute, dass du hier mitliest, deswegen: bitte erkläre den ns-brückenschlag zu halrald mellers theorie von der bron zezeitliche königsherrschaft. lg jar7

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    1. Tja, den Brückenschlag genau zu erklären würde eigentlich eines weiteren, ebenso langen Artikels bedürfen. Daher nur grob vereinfacht gesagt: Mellers Erzählung von der Entstehung eines frühbronzezeitlichen Königtums basiert eben letztendlich auf der "Methode der Siedlungsarchäologie" des frühen deutschen Prähistorikers Gustaf Kossinna.

      Kossinna ist von der Annahme ausgegangen, dass jedes "Volk" bzw. "Rasse" eine eigene, politisch und militärisch gemeinsam handelnde Einheit ist. Weiters hat er angenommen, dass jedes solche "Volk" seine eigene, innerlich einheitliche, von der anderer "Völker" deutlich verschiedene, ideelle und materielle "Kultur" (d.h. Sprache, Sitten und Gebräuche, aber auch Hausformen, Bestattungsformen und Sachkultur wie Töpfe, Gewandschließen etc.) hat. Daher hat er geglaubt, dass man aus der räumlichen und zeitlichen Verteilung von "gleichartigen" (bzw. einander stark ähnlichen) und "unterschiedlichen" archäologischen Überresten die Entstehungs- und Verbreitungs- und (gegebenenfalls) auch die Geschichte des Vergehens bzw. Untergangs verschiedener "Völker" ableiten bzw. erkennen kann; und somit sozusagen durch archäologische Beobachtung eine "Biografie eines Volkes" (bzw. natürlich auch vieler verschiedener Völker) schreiben kann. Kossinna, der eigentlich Sprachwissenschaft studiert hatte, war dabei insbesondere an den Indogermanen und unter diesen wiederum besonders an den Germanen interessiert und hat sich vorwiegend damit beschäftigt, deren Herkunft (als auch kulturelle Größe) zu zeigen. Der Titel seines zweiten, wichtigen Buches ist "Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft".

      Diese Vorstellung der innerlichen (politischen, militärischen, sprachlichen, kulturellen und auch rassischen) Gleichheit und auch Zusammengehörigkeit ebenso wie der essentiellen Unterschiedlichkeit unterschiedlicher Völker war zur Zeit Kossinnas sehr weit verbreitet, insbesondere in nationalistischen Kreisen, und bildete auch die Grundlage der Nazi-Ideologie. Die Nazis haben dann auch tatsächlich Kossinnas "Methode" genutzt (er selbst ist 1931 verstorben), sowohl zu Propagandazwecken; als auch zur Rechtfertigung territorialer Ansprüche bzw. militärischer Expansion, frei nach dem Motto: die Materialkultur in X zeigt, dass in X früher Germanen gelebt haben, daher ist X deutscher Boden und muss "heim ins Reich" geholt werden.

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    2. Meller benutzt nun zur Erklärung der "Entstehung" von "Deutschlands 1. Königreich" in der Aunjetitzkultur, die "aus der Verschmelzung der Schnurkeramiker mit den Glockenbecherleuten" entstanden sei und dessen (nicht zuletzt dank "Himmelsscheibe") starker politischer und militärischer Führer - eben der 1. "König" - eine neue, einheitliche Materialkultur durchgesetzt hat, genau dieselben Annahmen wie Kossinna (und eben auch die Nazi-Propaganda-Archäologie ganz generell); und eben auch dessen Methode: er schließt aus "Gleichheit" in der materiellen Kultur darauf, dass die "mitteldeutsche Aunjetizkultur" ein innerlich einheitliches "Volk" ist, das sowohl politisch als auch militärisch unter Herrschaft eines "starken Mannes" als Einheit agiert. Das ist eben nichts anderes als "EIn Volk, ein Reich, ein Führer".

      Das Problem damit ist aber, wie schon Hans Jürgen Eggers in seiner "Einführung in die Vorgeschichte" (erstmals erschienen 1959) gezeigt hat, dass Kossinnas Annahmen letztendlich falsch sind; und das wurde seither noch von vielen anderen noch viel genauer gezeigt. Nachdem praktisch alle derzeit noch im Berufsleben stehenden deutschen Prähistoriker aber Eggers "Einführung in die Vorgeschichte" wenigstens als einführendes Standardwerk stark empfohlen bekommen haben, wenn nicht sogar als Pflichtlektüre im Grundstudium lesen und Prüfungen darüber schreiben mussten, muss auch Meller wissen, der sein Studium 1981 begonnen hat, dass - und eigentlich auch warum - Kossinnas Methode und Erklärungsmodell nicht funktionieren (können) und daher - und zwar rein aus wissenschaftlichen, nicht aus politischen Gründen - nicht weiter für wissenschaftliche Erklärungen der (noch dazu ziemlich fernen) Vergangenheit verwendet werden sollten. Dass er es dennoch tut, muss daher doch eher verwunderlich stimmen.

      So, ich hoffe das erklärt den Brückenschlag einigermaßen...

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    3. danke für die erklärung, ist für mich durchaus nachvollziehbar! lg jar7

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  10. SEHR GUT! Phrasendrescher Meller und seine unsäglichen Verteidiger eines überholten Systems gehören endlich zum Wohl der Allgemeinheit in ihre Schranken verwiesen!!! Danke an Raimund und Hiltibold für die klaren Worte!

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  11. "Das bedeutet, dass derzeit in England und Wales pro Quadratkilometer etwa 2.650 Mal so viele Funde von interessierten Laien den zuständigen Behörden gemeldet werden wie in Österreich. In Deutschland ist die Situation vielleicht etwas besser, viel besser aber wohl nicht."

    Ich finde, dass über den Tellerrand zu blicken sehr wichtig ist und man von denen, die es augenscheinlich besser machen, unbedingt lernen sollte. Bei solchen Zahlen müssten eigentlich die Alarmsirenen unserer Landesarchäologen zu klingeln beginnen.

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  12. Danke fĂĽr diesen sehr informativen Text!
    Flo

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  13. Ich möchte Raimund Karl zu diesem ausgezeichneten Artikel Beifall klatschen! Seine Erörterungen kann ich sogar auf Grundlage von eigenen beruflichen Erfahrungen bestätigen, z.B. wenn es um das Vermodern von Artefakten in Museumsdepots geht. Nur ein Beispiel: In einem dieser Depots, zu denen ich als selbstständige Restauratorin Zugang hatte, war ein erheblicher Teil der Holzobjekte von Schädlingen befallen, ohne dass seitens der Verantwortlichen dagegen wirksame Maßnahmen unternommen worden wären. Das wäre alles zu kostspielig, hat mir eine Kuratorin verzweifelt erklärt. Trotzdem hat man immer mehr neues Material eingelagert, vor meinen eigenen Augen, und zwar direkt neben den von Schädlingen befallenen Stücken.
    So geht das nicht weiter, Entsammeln ist eine schon lange überfällige Maßnahme.

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  14. Der von mir eigentlich geschätzte Harald Meller ist meiner Ansicht nach weniger ein verbranntes Kind, sondern vielmehr unbelehrbar. Weil wenn gerade er aus dem Himmelsscheiben-Theater nicht gelernt hat, dass man sich bei einer vollen Entschädigung von Findern jede Menge Ärger ersparen kann, dann ist das schon sehr traurig. Wolf Fryd

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  15. Hallo Herr Karl,

    mich würde einmal interessieren, aus welchen Gründen Sie seit Jahren ihren Kampf gegen die österreichischen und deutschen Denkmalämter führen? Die Frage ist wirklich ernstgemeint.

    Zum Thema Harald Meller: Sie wissen sehr genau, welches Totschlagargument die Kossinnakeule bei Diskussionen im Fach Ur- und Frühgeschichte darstellt. Dadurch lässt sich heutzutage jede missliebige Forschung verleumden. Dass Sie dann auch noch die AfD und die Nazis als Sahnehäubchen oben drauf packen, zeugt von einer unfassbaren historischen und politischen Ignoranz.

    Zum Thema Entsammeln: Sie haben in Ihrem Artikel "My preciousssss … Zwanghaftes Horten, Epistemologie und sozialverhaltensgestörte Archäologie" den meisten Archäologen und Museumsleuten psychische Störungen attestiert. Diese Thesen sind natĂĽrlich die Basis fĂĽr eine offene und gleichberechtigte Diskussion... Lächerlich ist dann Ihre dĂĽnnhäutige Reaktion, wenn es auf Ihre steilen Traktate auch mal Gegenwind gibt. Wer austeilt...

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    1. Ich gehe Ihre Punkte in umgekehrter Reihenfolge durch:

      Ich habe in "My Precious" (https://www.academia.edu/22974405/My_preciousssss..._Zwanghaftes_Horten_Epistemologie_und_sozial_verhaltensgest%C3%B6rte_Arch%C3%A4ologie._In_K.P._Hofmann_T._Meier_D._M%C3%B6lders_M._Augstein_eds._Massendinghaltung_in_der_Arch%C3%A4ologie._Der_Material_Turn_und_die_Ur-_und_Fr%C3%BChgeschichte_43-69._Leiden_Sidestone_Press_2016) keineswegs den meisten Archäologen (und schon gar nicht Museumsleuten generell) psychische Störungen attestiert. Ganz im Gegenteil schreibe ich gleich Eingangs des von Ihnen genannten Beitrags, dass ich in ihm aufzeigen möchte, wie gewisse soziale "Verhaltensstörungen auch auf der Ebene einer Gesellschaft, eben der deutschsprachigen archäologischen Gemeinschaft, entstehen können, ohne dass jedes einzelne Mitglied dieser Gemeinschaft, oder auch nur ein bedeutender Anteil der Mitglieder dieser Gemeinschaft (also der deutschsprachigen ArchäologInnen), in seinem außerwissenschaftlichen Sozialverhalten an ebendieser sozialen Verhaltensstörung leidet" (Seite 44, 2. Absatz). Worüber ich in "My precious" spreche ist eine in ihrem Symptombild exakt den diagnostischen Merkmalen des "zwanghaften Hortens" entsprechende Störung des funktionalen Sozialverhaltens der wissenschaftlichen Disziplin Archäologie; unabhängig von der konkreten Befindlichkeit jedes Einzelnen ihrer Mitglieder. Im Beitrag selbst zeige ich dann, dass diese kollektive Verhaltensstörung (wenigstens auch) der erkenntnistheoretischen Ausrichtung des Faches bzw. deren Ursprüngen im Positivismus des 19. Jahrhunderts geschuldet ist, soll heißen: logisch zwingend aus der fachlich dominanten wissenschaftstheoretischen Annahme folgt, dass positive "Wahrheitserkenntnis" in der Archäologie möglich ist, aber ausschließlich nur durch die Verbindung von unzähligen Detailbeobachtungen mittels induktiver logischer Schlüsse gewonnen werden kann. Das ist zwar erkenntnislogisch - gerade in der Archäologie - völlig ausgeschlossen, es macht es aber erforderlich, dass jenes als "archäologisch" identifiziertes Objekt für immer aufgehoben werden muss, um die Möglichkeit zukünftiger archäologischer Erkenntnis nicht zu gefährden.

      Wenn Sie den qualitativen Unterschied zwischen der Aussage "die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin leidet an einer sozialen Verhaltensstörung" und der Aussage "die meisten Archäologen und Museumsleute leiden an einer psychischen Störung" nicht erkennen können, obwohl im genannten Artikel sogar explizit festgehalten wird, dass Letzteres nicht der Fall ist, kann ich Ihnen nicht helfen. Ebensowenig kann ich Ihnen helfen, wenn Sie den Unterschied zwischen einer wissenschaftlich ausgiebig begründeten Diagnose einer bestimmten Verhaltensstörung anhand ihrer im einschlägigen (und auch zitierten) Standarddiagnosehandbuch ausgewiesenen charakteristischen Merkmale und sachlich gänzlich unbegründeten Anwürfen nicht erkennen können.

      Und die Tatsache, dass ich in meiner Reaktion festhalte, dass Mellers Unterstellungen, meine Fachmeinungen würden auf wissenschaftliche Unkenntnis oder besondere Interessen hinweisen unsachlich und wie die Mehrheit seiner im Intervie aufgestellten Behauptungen faktisch wenigstens mehrheitlich, wenn nicht sogar gänzlich unrichtig sind, hat nichts mit Dünnhäutigkeit zu tun. Es ist vielmehr die adäquate wissenschaftliche Reaktion auf öffentliche "Kritik": wissenschaftlich begründete Gegenkritik. So funktioniert die Wissenschaft, und wenn Sie das nicht wissen oder wahrhaben wollen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.

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    2. Zum Thema "Kossinnakeule": es ist keineswegs nur meine wissenschaftlich begründete Fachmeinung, dass Mellers Interpretationen in seinem jüngsten Buch auf einer unreflektierten Anwendung der Methode Kossinnas beruhen. Die Tatsache, dass die "Kossinnakeule" als "Totschlagargument" benutzt werden kann, bedeutet nicht, dass sie in diesem Fall als "Totschlagargument" benutzt wird. Tatsächlich wird sie im konkreten Fall auch tatsächlich nicht als "Totschlagargument" benutzt, sondern vielmehr diagnostiziere ich (neuerlich anhand empirisch beobachtbarer und allgemein anerkannter Diagnosekriterien, weshalb auch keineswegs nur ich zu dieser Diagnose gekommen bin), dass Mellers Interpretation substanziell auf Kossinnas Interpretationsmethode beruht. Dass diese Interpretationsmethode seit über einem halben Jahrhundert völlig diskreditiert ist, und zwar nicht "weil sie die Nazis missbraucht haben", sondern weil sie einfach wissenschaftlich nachweislich falsch ist (weil sich, wo dies unabhängig überprüfbar ist, ihre Vorhersagen nicht bestätigen und sie somit als falsifiziert zu betrachten und somit auch dort zu verwerfen ist, wo sich ihre Vorhersagen nicht überprüfen lassen), ist wissenschaftlich unumstritten.

      Auch hier gilt: wenn Sie den Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen Diagnose, dass Mellers Interpretation auf Kossinnas diskreditierter Interpretationsmethode und der Verwendung der "Kossinnakeule" als rethorisches "Totschlagargument" nicht zu erkennen vermögen, kann ich Ihnen nicht helfen.

      Was Sie von meiner politischen Bewertung der Bedenklichkeit eines solchen wissenschaftlichen Fehlgriffs wie dem halten, den Meller durch unreflektierte Verwendung von Kossinnas Interpretationsmethode in einem an ein breites Laienpublikum gerichteten Buch gemacht hat, bleibt natĂĽrlich Ihnen ĂĽberlassen. Politische Ansichten und Bewertungen dĂĽrfen sich in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft ja durchaus unterscheiden und tun das auch.

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    3. Und was meinen angeblichen "Kampf gegen die österreichischen und deutschen Denkmalämter" betrifft: ich führe keinen "Kampf" gegen irgendwelche Denkmalämter, weder gegen die deutschen, noch gegen das österreichische, noch gegen eines sonst wo auf der Welt.

      Vielmehr untersuche ich - als im Bereich (insbesondere) der (archäologischen) Denkmalpflege tätiger Wissenschafter - wissenschaftlich die theoretischen, rechtlichen und sozio-politischen Grundlagen sowie die praktische Umsetzung des Denkmalschutzes; insbesondere (weil mich der besonders interessiert und, weil ich sehr viele Kontakte in der deutschsprachigen Archäologie habe und meine Muttersprache Deutsch ist, mir auch besonders gut zugänglich ist) im deutschen Sprachraum. Dabei geht es mir primär darum, wissenschaftlich genauer zu erkennen und damit besser zu verstehen, 1) warum (und für wen und für welche Zwecke) wir (archäologische) Denkmalpflege (so) betreiben (wie wir sie betreiben), 2) wie wir (archäologische) Denkmalpflege tatsächlich (d.h. nicht nur vorgeblich) betreiben, und 3) wie effektiv wir damit, wie wir (archäologische) Denkmalpflege tatsächlich betreiben, die von uns (bzw. der Gesellschaft) angestrebten Ziele (d.h. die von uns verfolgten Zwecke für die gewünschten Nutznießer der Denkmalpflege) erreichen; all das mit dem Ziel, möglicherweise bestehende Mängel, Probleme, Schwierigkeiten und damit verbundene Gefahren zu identifizieren und konkrete, voraussichtlich nutzbringende Vorschläge zu deren Abwendung, Lösung bzw. Verbesserung machen zu können. Letztendlich tue ich all das in der Absicht, herauszufinden, wie wir das Ziel, (archäologische) Denkmale bestmöglich gemeinwohlförderlich zu nützen, so effektiv als möglich erreichen können.

      Weil ich die bestmögliche (archäologische) Denkmalpflege erreichen möchte, muss ich mich daher logischerweise einerseits darauf konzentrieren, möglicherweise bestehende Mängel, Probleme etc. zu identifizieren und auch öffentlich anzusprechen (weil wenn ich das nicht tue bemerken sie andere vielleicht nie und können daher nichts zu ihrer Lösung bzw. Verbesserung unternehmen); und andereseits darauf, auch tatsächlich konkrete Verbesserungs- bzw. Lösungsmöglichkeiten vorschlagen. Wenn ich das tue, komme ich gezwungenermaßen gelegentlich in die Situation, dass ich Denkmalämter (indem ich auf Mängel bzw. Probleme in ihrem Zuständigkeitsbereich aufmerksam machen) kritisieren und sagen muss, wie sie das, was sie derzeit auf eine bestimmte Art machen, anders machen müssten als bisher, weil das (voraussichtlich) zu besseren denkmalpflegerischen Ergebnissen führen wird als ihre bisherige Praxis. Genau das ist übrigens meine Pflicht als Wissenschafter, und tatsächlich die Pflicht jedes Wissenschafters: wenn ein Wissenschafter durch seine Forschungen darauf aufmerksam wird, dass etwas falsch gemacht (oder etwas falsches geglaubt) wird oder schlechter funktioniert, als es funktionieren könnte, dann hat er das öffentlich zu sagen und - soweit möglich - konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. Weil wenn er (richtig) erkannt hat (bzw. erkannt zu haben glaubt), dass und warum etwas falsch ist oder schlechter funktioniert, als es könnte, dann kann er meistens auch einigermaßen korrekt vorhersagen, was man wie ändern müsste, damit es nicht mehr falsch ist bzw. besser als zuvor funktionieren würde. Verschweigt er diese Erkenntnis, dann verbessert er nämlich nichts und trägt damit wissentlich zur Erhaltung eines schlechteren Zustandes als dem bei, den er durch die Veröffentlichung seiner Erkenntnisse herbeizuführen helfen könnte.

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    4. Wenn ich also das österreichische oder deutsche Denkmalämter kritisiere, dann führe ich keinen "Kampf gegen die Denkmalämter", sondern (versuche) ihnen dabei zu helfen, ihre Aufgaben so effektiv und erfolgreich erfüllen zu können, wie es möglich ist; d.h. führe einen "Kampf für die bestmögliche Denkmalpflege". Und meine Kritik der Denkmalämter ist auch immer konstruktiv, auch keineswegs immer negativ, sondern - wenn auch weniger häufig, weil ich ja Verbesserungen herbeizuführen versuche und daher wenig Gelegenheit habe, mich darüber, was die Denkmalämter ohnehin schon bestmöglich machen (und das ist sehr, sehr viel!) zu äußern - durchaus manchmal auch positiv. So habe ich erst zuletzt in einem Beitrag auf "Archäologische Denkmalpflege" (https://archdenk.blogspot.com/2019/04/denkmalforschung-denkmalschutz-und-das.html) dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (bei dennoch bestehenden, weiteren Optimierungsmöglichkeiten) vorbildliches Vorgehen im Bereich der vorausschauenden Vorerkennung von noch unbekannten Denkmalen attestiert; oder auch dahingehend zu den Fundberichten aus Österreich geäußert, dass deren regelmäßige Publikation in ihrer aktuellen Form durch das österreichische Bundesdenkmalamt vorbildlich und weltführend sei. Derartige lobende Kritik - und wissenschaftliche Kritik ist nichts anderes als eine begründete, wertende Beurteilung, d.h. auch Lob ist wissenschaftliche Kritik - regt nur niemanden auf und wird daher von KollegInnen, die nicht an einer Verbesserung sondern nur an der Erhaltung des derzeitigen Zustandes interessiert sind, nicht einmal wahrgenommen.


      Ebensowenig wird wahrgenommen, dass ich auch viel mit wenigstens manchen der von mir (auch) "scheltend" kritisierten Denkmalämter zusammenarbeite, insbesondere dem österreichischen Bundesdenkmalamt, bzw. diese auf vielfältige Art unterstütze. Z.B. habe ich gerade in enger Zusammenarbeit mit dem BDA als Mittel zur verbesserten Dokumentation von durch Feldpraxis erworbener "handwerklicher" archäologischer Fertigkeiten den "Archäologischen Grabungs-Kompetenz-Pass" (https://www.archaeopublica.eu/verein/projekte/kompetenzpass/) und eine ÖNORM (https://archdenk.blogspot.com/2019/02/denkmalschutz-durch-industrienorm-statt.html) mitentwickelt, die wenn sie angenommen werden beide zu einer maßgeblichen Verbesserung der archäologischen Denkmalpflege beitragen werden.

      Die Vorstellung, ich würde "gegen" die Denkmalämter kämpfen ist also nachgerade lachhaft; was allein schon meine seit über einem Jahrzehnt in vielen Publikationen matraartig wiederholte Forderung zeigt, die Abteilung(en) für Archäologie des Bundesdenkmalamts müsse (und auch die anderer Denkmalämter müssten) deutlich personell verstärkt werden. Ich kämpfe nicht "gegen" die Denkmalämter, ich kämpfe für die bestmögliche Denkmalpflege. Und neuerlich: wenn sie den Unterschied zwischen sachlicher wissenschaftlicher Kritik an (möglichen) Mängeln und unsachlichen Angriffen auf meiner Meinung nach enorm wertvolle, aber eben nicht immer perfekte, Institutionen der Denkmalpflege nicht zu erkennen vermögen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.

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  16. Als Laie lange Jahre zusammen mit Klaus Schmidt (Göbekli Tepe) in einer Speläologengruppe aktiv, wollte ich Anfang der 80er in Erlangen Ur- und Frühgeschichte studieren, habe mich aber dann kurzfristig für Sonderpädagogik entschieden und über 40 Jahre in diesem Bereich gearbeitet.
    Verfolge ich diesen Disput, bin ich darĂĽber sehr froh.
    Völlig unabhängig von sachlichen Inhalten, hätte ich diesen rhetorisch im wahrsten Sinne „geschliffenen Umgang (Metaebene der Texte) miteinander, nicht ertragen.

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