In einem jĂŒngst auf
diesem Blog publizierten Interview wurde der LandesarchÀologe von
Sachsen-Anhalt, Harald Meller, vom Interviewer mit zwei meiner
Fachmeinungen konfrontiert. Die Antworten von Herrn Meller machen es
leider fĂŒr mich erforderlich, dazu Stellung zu nehmen. Ich bedanke
mich daher besonders beim Betreiber dieses Blogs fĂŒr die
Gelegenheit, dies hier in Form eines Gastbeitrags tun zu können. Die zwei meiner
Fachmeinungen, mit denen Kollege Meller hier konfrontiert wurde,
waren wie folgt:
1) dass die englischen und walisischen gesetzlichen Regelungen des archĂ€ologischen Fundmeldewesens fĂŒr das Erreichen des Zieles eines archĂ€ologischen Quellenschutzes effizienter sind als die vergleichbaren Regelungen in Deutschland (siehe z.B. Karl & Möller 2016); und2) dass archĂ€ologische Archive seit langem viel zu viele archĂ€ologische Funde archivieren und eine strategischere Selektion der archivierten Funde – nötigenfalls auch verbunden mit einem „Entsammeln“ ĂŒberflĂŒssiger Fundmassen aus diesen Archiven – fĂŒr die langfristige archĂ€ologische Quellenerhaltung dringend erforderlich ist (siehe z.B. Karl 2015; 2016).
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Herrn Mellers
Reaktionen darauf sind in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert und nicht
zuletzt sowohl inhaltlich teilweise unrichtig als auch im zweiten
Fall teilweise hochgradig unsachlich. Ich erlaube mir aus dem zuletzt
genannten Grund sozusagen ‚von hinten‘ anzufangen, nĂ€mlich mit
der Unsachlichkeit. Kollege Meller beginnt nÀmlich seine Antwort auf
meinen zweiten Punkt mit klassischen ad
hominem-Angriffen: er wirft mir
fachliche Unkenntnis oder unlautere Motive vor. Solche persönlichen
Angriffe haben nicht nur in einer wissenschaftlichen Diskussion
(siehe dazu erst jĂŒngst Karl
2019, Seiten 40-41 und 43-45) nichts zu suchen, sondern noch viel
weniger in einem veröffentlichten Interview.
Diese Unsachlichkeit
vermag allerdings kaum zu verwundern, denn Kollegen Mellers Position
steht in dieser Angelegenheit auf sehr schwachen argumentativen
Beinen. Denn meine Forderung nach stÀrkerer SelektivitÀt in der
Archivierung und – erforderlichenfalls – sogar nach vermehrter
„Entsammlung“ ist schon seit lĂ€ngerem internationaler
Fachkonsens: so fordert z.B. der Leiter der Abteilung archÀologische
Archive von Historic England
(dem englischen Denkmalamt) genau das schon seit langem (siehe z.B.
Brown
2011, Seiten 23-24). Ebenso hat das Europae
Archaeologiae Consilium – der Verband
der europĂ€ischen staatlichen archĂ€ologischen Denkmalpfleger – in
seinem Handbuch ArchÀologische
Archivierung in Europa genau dieselbe
SelektivitÀt empfohlen, die auch ich angeregt habe (EAC
2014, Seite 34; siehe insbesondere den dort auch erwÀhnten
„sekundĂ€ren Auswahlprozess“,
d.h. das „Entsammeln“). TatsĂ€chlich wird die
„Entsammlungsdebatte“ seit wenigstens drei Jahrzehnten gefĂŒhrt
(z.B. Morgan
& MacDonald 2018), weil die archÀologischen (und andere)
Archive schon seit langem ĂŒberquellen.
Auch mit dem
Argument ĂŒber derzeit noch gĂ€nzlich unbekannte
Untersuchungsmethoden, mittels derer man in der Zukunft potentiell
bedeutende neue Erkenntnisse gewinnen kann, ist es nicht weit her,
wenigstens nicht, wenn man den extrem seltenen Ausnahmefall
beiseitelĂ€sst und den Regelfall betrachtet. NatĂŒrlich kann man
hier, wie Meller das tut, eklektisch ausgewĂ€hlte Geschichten ĂŒber
Fallbeispiele erzÀhlen, in denen tatsÀchlich hundert Jahre nach der
Entdeckung bestimmter Funde aus diesen mit neuen Methoden
irgendwelche Erkenntnisse gewonnen wurden. Diese Beispiele stellen
jedoch seltene und auĂergewöhnliche Ausnahmen dar; und es ermangelt
ihnen daher auch an jedweder Beweiskraft bezĂŒglich des Regelfalls.
Dazu ein paar
Fakten: im deutschen Sprachraum lagern derzeit in archÀologischen
Archiven wenigstens ca. 100 Millionen archÀologische Funde. Alleine
im Nachbarbundesland von Herrn Meller, dem Land Sachsen, betrug
bereits vor Jahren die Anzahl der dort eingelagerten archÀologischen
Funde 19 Millionen (AAS
n.d.), 2016 waren es der sÀchsischen LandesarchÀologin zufolge
bereits mehr als 21 Millionen (Bild der Wissenschaft 7-2016, Seite
66), mit einem jÀhrlichen Neuzugang von etwa 250.000-300.000
Objekten.
In Ăsterreich
werden bei den jÀhrlich ca. 600 vom Bundesdenkmalamt (BDA)
bewilligten oder selbst durchgefĂŒhrten archĂ€ologischen
Feldforschungsprojekten sicherlich ebenso viele gefunden, wenn nicht
noch mehr. Laut BDA waren 2014 jedoch mehr als 50% der 2012 dabei
entdeckten Funde in temporÀren Zwischenlagern von Grabungsfirmen und
gerade einmal 5% im archÀologischen Archiv des BDA gelandet
(Hinterwallner, Fundberichte aus
Ăsterreich 53, 2014, Seite 30), das
bereits vor seiner offiziellen Eröffnung bis zur KapazitÀtsgrenze
gefĂŒllt war. Der Leiter der archĂ€ologischen Abteilung des BDA,
Bernhard Hebert, hat das Problem jĂŒngst derart zusammengefasst, dass
man im Bereich der ArchĂ€ologie derzeit nach dem Motto „besser
ein paar Kisten mit ungewaschenen Scherben ins Depot gestellt als gar
nichts getan“ vorgeht, „und
dort im Depot stehen sie nach wie vor, ungewaschen und unerforscht“
(Hebert, Ăsterreichische Zeitschrift
fĂŒr Kunst und Denkmalpflege LXXII,
Heft 3/4, 2018, Seite 81). Bei einer Revision des Bestandes in diesem
Depot zeigte sich dann auch dem damals zustÀndigen Restaurator
zufolge, dass selbst „bereits
restaurierte Eisenobjekte zum Teil gravierenden Schaden genommen
haben“ (Marius, Fundberichte
aus Ăsterreich 50, 2011, Seite 32); um
von der Unzahl nicht restaurierter Objekte erst gar nicht zu reden.
Dass die Erhaltungsbedingungen in den ĂŒbervollen öffentlichen
Depots oft alles andere als hervorragend sind, zeigen regelhaft
auftretende SchadensfĂ€lle (fĂŒr zwei Beispiele siehe z.B. Karl
2015, Seite 224).
Dass jeder der
geschÀtzt ca. 3-5 Millionen archÀologische Funde, die in
Deutschland und Ăsterreich jedes Jahr zum derzeit schon vorhandenen
Archivbestand hinzukommen, in der Zukunft mit derzeit noch
unbekannten Methoden untersucht werden und enorm wichtige
wissenschaftliche Erkenntnisse bringen wird, ist ein schöner
archÀologischer Wunschtraum, hat aber nichts mit der Wirklichkeit
archÀologischer Sammlungs- und ForschungstÀtigkeit zu tun.
NatĂŒrlich hat Kollege Meller nicht völlig unrecht damit, dass man
eventuell zukĂŒnftig aus archivierten Altfunden neue Erkenntnisse
gewinnen kann; und ich bin auch sehr dafĂŒr, eine sinnvolle Menge
archÀologischer Funde möglichst dauerhaft zu archivieren. Aber wie
wahrscheinlich ist es, dass jemals alle auch nur derzeit schon
archivierten Bodenfunde wissenschaftlich analysiert werden?
Zum Beispiel: im
Tiefspeicher des Naturhistorischen Museums in Wien lagern derzeit
etwa 10.000 menschliche Skelette. Diese könnte man theoretisch alle
auf DNA-Spuren analysieren. Aber: eine aDNA-Probe zu analysieren
kostet derzeit jenseits der € 5.000. Eine systematische
aDNA-Analyse allein des Skelettbestandes des NHM Wien wĂŒrde also
mehr als € 50 Millionen kosten – und das ist nur ein kleiner
Anteil des derzeit in Deutschland und Ăsterreich vorliegenden
archÀologisch geborgenen Skelettmaterials. Am Wiener Zentralfriedhof
liegen ĂŒbrigens etwa 3 Millionen Bestattungen, die man archĂ€ologisch
ausgraben und untersuchen könnte. Da reden wir dann von ĂŒber € 15
Milliarden, allein fĂŒr die DNA-Analysen; um von sonstigen Kosten
erst gar nicht zu reden.
Der Zentralfriedhof
zeigt auch einen der fundamentalsten Denkfehler Mellers auf: in der
Vergangenheit haben in Ăsterreich und Deutschland jedenfalls in
Summe mehrere Milliarden Menschen gelebt. Nicht nur liegen viele
Millionen davon noch im Boden und kommen tagtÀglich tausende hinzu,
was zu einem stÀndigen Anwachsen des archÀologischen
Quellenbestandes fĂŒhrt. Sondern die meisten dieser Milliarden von
Menschen haben ĂŒberhaupt keine archĂ€ologischen Spuren hinterlassen,
geschweige denn sterbliche Ăberreste.
BrÀuchte man also
alles, was es dereinst gegeben hat, um archÀologische Erkenntnis
gewinnen zu können, wÀre ArchÀologie von Haus aus ein sinnloses
Unterfangen: fĂŒr jeden Fund, den wir haben, sind wenigstens 1000
bereits vollstĂ€ndig und spurlos zerstört worden; und wir mĂŒssten
jedes Grab, das neu angelegt wird, spÀtestens ein paar Tage nach
Ende der Bestattung archÀologisch ausgraben, damit möglichst viel
von der archÀologischen Quelle, zu der der Verstorbene durch seine
Bestattung geworden ist, fĂŒr die Erforschung mit zukĂŒnftigen
Methoden dauerhaft in einem staatlichen Archiv erhalten wird. Das
geht aber natĂŒrlich ĂŒberhaupt nicht, weder aus PietĂ€tsgrĂŒnden
noch praktisch.
Braucht man hingegen
nicht alles, was es dereinst gegeben hat, um archÀologische
Erkenntnis zu gewinnen, gibt es auch keinen Grund, alles aufzuheben,
was man findet: arbeitet die archÀologische Wissenschaft, wie sie es
tatsÀchlich tut, immer nur mit einer Stichprobe dessen, was ehemals
existiert hat, genĂŒgt es völlig, eine reprĂ€sentative Stichprobe
der auf uns gekommenen Zufallsstichprobe aufzuheben.
Auch in der
wissenschaftlichen Auswertung von archÀologischem Fundmaterial ist
es nicht nur gÀngig, sondern absolut notwendig, eine Auswahl zu
treffen, was man bearbeitet und was man höchstens statistisch
erfasst oder sogar völlig verwirft. Ein paar gute Beispiele dafĂŒr
hat z.B. Andreas Heege (BDA
2015, Seiten 43-51) jĂŒngst vorgestellt. Liegen z.B. von einer
Grabung oder sonstigen archĂ€ologischen MaĂnahme mehrere Zehntausend
Keramikscherben vor, flieĂen in die wissenschaftliche Auswertung
meist nur 3-5% dieser Funde ein; was in der Regel nicht einmal alle
typochronologisch aussagekrÀftigen Randscherben sind, geschweige
denn alle Wandscherben. Das liegt daran, dass man aus den
verbleibenden 95-97% des betreffenden Fundmaterials keine zusÀtzliche
signifikante Erkenntnis gewinnen kann, die man nicht auch schon aus
den tatsÀchlich genauer aufgenommenen 3-5% gewinnt. Dass in solchen
Fundkomplexen jeweils auch viele Scherben ehemals zum gleichen GefĂ€Ă
gehörten, macht es auch völlig sinnlos, alle davon langfristig zu
archivieren. Denn selbst fĂŒr die von Herrn Meller erwĂ€hnten
Material- und Spurenelementanalysen, mittels derer man vielleicht
irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse zur Herstellung oder
Nutzung der GefĂ€Ăe gewinnen kann, braucht man nicht alle Scherben,
die ehemals zum gleichen GefÀà gehörten, sondern in der Regel
genĂŒgt eine davon. Man kann also vollkommen ungeniert wenigstens ca.
80% derartiger Keramik-Massenfunde „entsammeln“, ohne auch nur
hypothetisch, geschweige denn praktisch, irgendeinen signifikanten
wissenschaftlichen Erkenntnisverlust zu verursachen.
All diese Fakten
sind natĂŒrlich auch Kollegen Meller wohlbekannt; ebenso wie ihm
wohlbekannt ist, dass es die eigentliche Aufgabe der staatlichen
Denkmalpflege ist, zu bewerten, was vom entdeckten Fundmaterial so
wichtig ist, dass es – mit den absehbar verfĂŒgbaren Ressourcen –
langfristig erhalten werden kann; und welchem Teil davon so geringe
wissenschaftliche Bedeutung zukommt, dass er verworfen werden muss.
In Ăsterreich hat es sogar der Gesetzgeber explizit in der
Regierungsvorlage zum Denkmalschutzgesetz so erklĂ€rt: „Das
Denkmalschutzgesetz ging von vornherein von einer klaren
BeschrĂ€nkung durch wissenschaftlich ĂŒberlegte Auswahl
aus. Nur in dieser BeschrÀnkung kann der Denkmalschutz auch jene
Effizienz entfalten, deren er bei einer zu groĂen Anzahl von
Unterschutzstellungen verlustig gehen wĂŒrde. Aus diesem Grund ist es
eine der schwierigsten Aufgaben
des Bundesdenkmalamtes, jene Auswahl in
jenem Umfang fĂŒr die Unterschutzstellungen zu
treffen, die vom Fachlichen her erforderlich ist und vom
Administrativen her bewĂ€ltigt werden kann“
(RV
1999, Seite 39; Hervorhebungen fett: RK). Auch in Sachsen-Anhalt
ist das im Wesentlichen nicht anders. Dort definiert das derzeit
geltende Denkmalschutzgesetz den Denkmalbegriff wie folgt:
„Kulturdenkmale im Sinne dieses
Gesetzes sind gegenstÀndliche Zeugnisse menschlichen Lebens aus
vergangener Zeit, die im öffentlichen Interesse zu erhalten sind.
Ăffentliches Interesse besteht, wenn diese von besonderer
geschichtlicher, kulturell-kĂŒnstlerischer, wissenschaftlicher,
kultischer, technisch-wirtschaftlicher oder stÀdtebaulicher
Bedeutung sind“ (§ 2 Abs. 1 DSchG
ST; Hervorhebung fett: RK). Dass jeder beliebigen Wandscherbe
besondere Bedeutung zukommt, glaubt wohl nicht einmal Kollege Meller
ernsthaft.
Die Forderung nach
SelektivitÀt in der archÀologischen Archivierung und, wo Archive
aufgrund frĂŒherer, nicht ausreichend selektiver Archivierung von
Massenfunden ohnehin schon ĂŒbervoll sind, auch aktivem „Entsammeln“,
ist also nicht mehr als die Forderung danach, das zu tun, wozu uns
der Gesetzgeber eigentlich verpflichtet hat und was nach
vorherrschender Fachmeinung auch den bestmöglichen Umgang mit dem
archÀologischen Erbe zum Zweck seiner möglichst dauerhaften
Erhaltung darstellt. Es ist natĂŒrlich das gute Recht von Herrn
Meller, eine andere wissenschaftliche Meinung zu dieser Frage zu
vertreten; aber dann soll er diese wissenschaftlich korrekt
argumentieren statt in Interviews mit Beleidigungen um sich zu
werfen.
Schatzregale
Damit zum anderen Punkt, in dem Herr Meller im Interview mit meiner Meinung konfrontiert wurde; der Frage nach staatlichen Schatzregalen fĂŒr archĂ€ologische Funde und der unterschiedlichen denkmalschĂŒtzerischen Effizienz der deutschen und englisch-walisischen Lösung des Umgangs mit Metallsuchern. Auch zu dieser Frage ist Kollegen Mellers Darstellung der Fakten- und vor allem Rechtslage so grob verkĂŒrzt, dass seine Antwort hochgradig irrefĂŒhrend ist.
Meller bemerkt in seiner Antwort zuerst noch ganz richtig, dass in Deutschland in Bezug auf die Fundeigentumsregelungen derzeit zwei unterschiedliche Lösungen nebeneinander bestehen. Von da an geht es jedoch rapide bergab.
Unterschiedliche
Rechtstraditionen?
Von diesen
Fundeigentumsregelungen ist die eine die in inzwischen 15 deutschen
Landesrechten, darunter auch Sachsen-Anhalt, gewÀhlte Lösung eines
staatlichen Schatzregals, die Meller auf eine Rechtstradition aus im
13. Jh. n.Chr. zurĂŒckfĂŒhrt, zum von Eike
von Repgow verfassten Sachsenspiegel.
Die andere ist die im deutschen Bundesrecht (§
984 BGB) vorgesehene hadrianische Fundteilungsregel, die sich
letztendlich aus dem im 6. Jh. n.Chr. kompilierten Corpus
Iuris Civilis des Justinian,
d.h. aus dem klassischen römischen Recht ableitet. Benannt nach dem
Kaiser Hadrian (römischer Kaiser 117-138 n.Chr.) fÀllt nach
Letzterer das Eigentum an Schatzfunden jeweils zur HĂ€lfte dem Finder
und dem Grundbesitzer zu. Meller behauptet in weiterer Folge, dass es
sich dabei um alte Rechtstraditionen handle, „die
fĂŒr die entsprechende Region erprobt sind“.
Das „Vereinigte Königreich England“
stehe hier laut Meller hingegen „in
einer anderen Tradition“. Das ist,
insbesondere fĂŒr einen Proponenten staatlicher Schatzregale wie
Meller, ein bemerkenswert lockerer Umgang mit Fakten.
Beginnen wir mit der
Rechtslage in England und Wales. In diesen beiden LĂ€ndern des
Vereinigten Königreichs von
GroĂbritannien und Nordirland gibt es
nÀmlich auch ein staatliches Schatzregal (siehe dazu zuletzt genauer
z.B. A.G. Guest, The Law of Treasure,
Oxford 2018). Dieses Schatzregal ist gemeinhin anerkannter Weise seit
Edward the Confessor
(König der Angelsachsen, 1042-1066) im frĂŒhen 11. Jh. n.Chr.
Bestandteil des englischen Common Law (Attorney-General of
the Duchy of Lancaster v G.E. Overton (Farms) Ltd., 1982).
UrsprĂŒnglich ein fiskalisches Schatzregal, wird
das law of treasure trove
in England und Wales bereits seit dem frĂŒhen 20. Jh. primĂ€r als
Rechtsinstrument fĂŒr den archĂ€ologischen Denkmalschutz verwendet.
Zuletzt durch den Treasure
Act 1996 revidiert, stellt es den
Denkmalschutz inzwischen auch eindeutig in den Vordergrund. In
Section 1
des Treasure Act
werden die GegenstÀnde definiert, die unter das staatliche
Schatzregal fallen; wobei diese Definition (im Prinzip) darauf
abzielt, „Kulturdenkmale … von
besonderer … Bedeutung“ (§ 2 Abs.
1 DSchG
ST) dem Staatseigentum zuzufĂŒhren.
Seit dieses
Schatzregal der Denkmalpflege dient, hat es sich eingebĂŒrgert,
ehrliche Finder, die „Schatzfunde“ den zustĂ€ndigen Behörden
melden, finanziell in Höhe des Marktwerts des Fundes zu belohnen.
Nachdem das englische Fundrecht bei sonstigen Bodenfunden der
Gewohnheitsrechtsregel folgt, dass alles, was auf der ErdoberflÀche
gefunden wird dem Finder, hingegen alles, was darunter gefunden wird,
dem GrundeigentĂŒmer gehört (z.B. Waverley
BC v Fletcher, 1996), wird diese
Belohnung gewöhnlich zu gleichen Teilen zwischen Finder und
Grundbesitzer geteilt (zum genauen Prozess siehe DCMS
2019, Seite 3). Deklarierter Zweck dieser Belohnung ist es,
Finder zur Meldung von Schatzfunden statt dem Verkauf am Schwarzmarkt
zu animieren (DCMS
2019, Seite 37 Abs. 124).
In Deutschland ist
die Situation hingegen etwas anders: hier wurde die alte, feudale
Rechtstradition, darunter auch das fiskalische Schatzregal, durch die
Kodifizierung des gesamtdeutschen Privatrechts durch das am 1.1.1900
in Kraft getretene BĂŒrgerliche Gesetzbuch (BGB) abgeschafft. Erst
seit den 1970ern begannen dann unter Berufung auf ihre Kulturhoheit
die deutschen LĂ€nder – nun explizit denkmalpflegerisch
ausgerichtete – „Schatzregale“ neu einzufĂŒhren, beginnend mit
Baden-WĂŒrttemberg in 1971.
Sachsen-Anhalt hat
ein „archĂ€ologisches Schatzregal“ sogar erst 1991 eingefĂŒhrt.
Dieses hat auch praktisch nichts auĂer seiner Bezeichnung mit dem im
Sachsenspiegel
enthaltenen „Schatzregal“ zu tun, denn bei Eike
von Repgow liest man: „Al
schat under der erden begrauen deper den en ploch geyt.de hort to
derer conincliken walt“ (frei
ĂŒbersetzt: „Alles, was sich tiefer im
Boden befindet als der Pflug reicht, gehört in die königliche
Gewalt“; Oldenburger
Sachsenspiegel, fol.
22v). Man vergleiche dazu den derzeit geltenden § 12 Abs. 1
DSchG ST: „Bewegliche
Kulturdenkmale, die herrenlos sind oder die solange verborgen gewesen
sind, daĂ ihr EigentĂŒmer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit
der Entdeckung Eigentum des Landes, wenn sie bei staatlichen
Nachforschungen oder in Grabungsschutzgebieten entdeckt werden oder
wenn sie einen hervorragenden wissenschaftlichen Wert haben.
Denjenigen, die ihrer Ablieferungspflicht nachkommen, kann eine
angemessene Belohnung in Geld gewÀhrt werden, die sich am
wissenschaftlichen Wert des Fundes orientiert“.
Von einer seit dem
Mittelalter ungebrochenen Rechtstradition eines Schatzregals, wie es
sie in England und Wales tatsÀchlich gibt, kann also in Deutschland
keine Rede sein. Vielmehr haben wir hier eine EinfĂŒhrung eines
völlig neu ausgerichteten staatlichen Kulturdenkmalfundregals vor
uns, die sich bestenfalls bei extrem oberflÀchlicher und ungenauer
Betrachtung der historischen Faktenlage auf eine lange
Rechtstradition stĂŒtzen kann. Mehr noch: es ist auch keineswegs so
wie von Herrn Meller behauptet, dass die Fundeigentumsregelung im
Vereinigten Königreich von GroĂbritannien und Nordirland in einer
signifikant „anderen Tradition“
als die in Sachsen-Anhalt stĂŒnde, sondern beide stĂŒtzen sich
letztendlich auf das mittelalterliche feudalrechtliche Prinzip „quod
nullius est fit domini regis“ (so
ausgedrĂŒckt im schottischen Recht; siehe Lord
Advocate v University of Aberdeen & Budge,
1963).
Besonders spannend
ist bei der derzeit in Sachsen-Anhalt geltenden Regelung auch die
Möglichkeit, dass ehrlichen Findern, die ihre „Schatzfunde“
abliefern, eine sich am wissenschaftlichen Wert des Fundes
orientierende Belohnung in Geld gewÀhrt werden kann (aber offenbar
nicht muss). Der wissenschaftliche Wert solcher Funde muss ja
nachgerade unermesslich sein, wenn man, wie Herr Meller es im
Interview erlÀutert, selbst mit völlig unbedeutend erscheinenden
Funden „fundamentalste historische
Fragen“ aufklĂ€ren kann.
Es stellt sich daher
die Frage, wie bestimmt wird, wie hoch eine diesem wissenschaftlichen
Wert angemessene Belohnung in Geld auszufallen hat. Gem. §
971 BGB betrÀgt z.B. der gesetzliche (und damit wohl als
„angemessen“ zu betrachtende) Finderlohn in Deutschland „von
dem Werte der Sache bis zu 500 Euro fĂŒnf vom Hundert, von dem
Mehrwert drei vom Hundert“. Ist also
der wissenschaftliche Wert eines Fundes in Geldwert als € 100
anzugeben, wĂ€ren das € 5 angemessener Finderlohn; ist der
wissenschaftliche Wert € 1.000, wĂ€re der angemessene Finderlohn €
40, usw. Harald Meller selbst hat z.B. in einem Interview (Der
Spiegel 2008) festgestellt, dass der kolportierte
Versicherungswert von € 100 Millionen fĂŒr die Himmelsscheibe von
Nebra – der wohl ihren wissenschaftlichen Wert in Geldwert
ausdrĂŒckt – nicht unrealistisch sei. WĂ€re sie also nicht von
RaubgrÀbern, sondern von einem ehrlichen Zufallsfinder entdeckt und
unmittelbar dem Land Sachsen-Anhalt gem. § 12 Abs. 1 DSchG
ST abgeliefert worden, hÀtte dieser ehrliche Finder mit einer
Belohnung in Höhe von € 3 Millionen rechnen können?
Noch wichtiger:
nachdem man laut Herrn Meller ja selbst aus dem unscheinbarsten Fund
gleichermaĂen bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen zu
können scheint wie aus der Himmelsscheibe ist wohl auch der
wissenschaftliche Wert „scheinbar
langweiliger Keramikfunde“ dem der
Himmelsscheibe gleich. Macht dann die dem wissenschaftlichen Wert
eines gewöhnlichen Scherbenfundes angemessene Belohnung seines
ehrlichen Finders in Geld auch € 3 Millionen pro StĂŒck aus?
Nachdem ich dazu
leider trotz ausgiebiger Nachforschungen keine Informationen finden
konnte, muss ich wohl davon ausgehen, dass in Sachsen-Anhalt das
„Scherbenklauben“ beim Spazierengehen eine höchst lukrative
TĂ€tigkeit ist. Weil es kann schlieĂlich im Sinne des
Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG,
der auch in Art. 7 Abs. 1 der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt
(Verf ST) wortlautgleich wiederholt wird,
nicht so sein, dass die gleichen Funde
nur dann „hervorragenden
wissenschaftlichen Wert“ haben, wenn
sie qua Schatzregal dem Staatseigentum einverleibt werden sollen;
hingegen praktisch wertlos sind, wenn es darum geht, ihrem ehrlichen
Finder eine ihrem wissenschaftlichen Wert angemessene Belohnung in
Geld zu gewÀhren. Oder?
Nimmt man das
Argument von Kollegen Meller ernst, dass auch allen völlig
unscheinbaren Funden praktisch der gleiche wissenschaftliche Wert
zukommt wie z.B. der Himmelsscheibe von Nebra, kommen bei der
rechtmĂ€Ăigen Anwendung des § 12 Abs. 1 DSchG
ST wenigstens die gleichen, wenn nicht sogar weit höhere
„Belohnungskosten“ auf das Land Sachsen-Anhalt zu wie bei der
„Belohnung in Höhe des Marktwerts“ nach dem englischen und
walisischen Gewohnheitsrecht. Ein signifikanter Unterschied lÀsst
sich also auch in diesem Bereich zwischen den beiden
Rechtstraditionen, die Meller vergleicht, nicht feststellen, wenn man
sich nicht als zustÀndige Behörde in Sachsen-Anhalt den
wissenschaftlichen Wert jeweils so hinbiegt (d.h. ungleich bewertet),
wie es einem gerade gĂŒnstig in den Kram passt.
Das leidige Problem der
Metallsuche
GleichermaĂen
locker geht Kollege Meller mit den Fakten bezĂŒglich des
MetallsucherphÀnomens im deutsch-britischen Vergleich um, wenn er
behauptet, dass der englisch-walisische Umgang mit dieser
Bevölkerungsgruppe nicht zu einer besseren, sondern ganz im
Gegenteil zu einer weit schlechteren Situation als in Deutschland
fĂŒhre. Meller begrĂŒndet diese Behauptung damit, dass in England und
Wales „in SondengĂ€ngerwettbewerben
regelmĂ€Ăig Hunderte von Metallfunden aus ihrem Zusammenhang
gerissen“ werden wĂŒrden, wodurch „es
fĂŒr spĂ€tere Forschungen oder Nachgrabungen Ă€uĂerst schwierig,
wenn nicht unmöglich“ werde, „die
archÀologischen Strukturen, aus denen die Metallobjekte
herausgerissen wurden, adĂ€quat zu beurteilen“.
Auch das ist wieder
eine der typischen Halbwahrheiten, mit denen Kollege Meller scheinbar
stÀndig argumentiert (und damit keineswegs allein ist, siehe dazu
schon z.B. Karl
2016). Richtig ist an dieser BegrĂŒndung nĂ€mlich nur, dass es in
England (und seltener auch in Wales) gelegentlich sogenannte
detecting rallies
gibt, in deren Rahmen viele Metallsucher gemeinsam bestimmte
BodenflÀchen absuchen; manchmal tatsÀchlich auch mit einem gewissen
Wettbewerbscharakter.
Das Verschweigen von
relevanten Fakten
Meller verschweigt
jedoch zahlreiche weitere wichtige Fakten, die insbesondere im
Kontext des von mir und ihm angestellten Vergleichs von England und
Wales mit Deutschland essentiell sind.
Erstens werden in
England und Wales die Mehrheit dieser detecting
rallies schon seit lÀngerem mit
archÀologischer Begleitung durch wenigstens einen, manchmal sogar
mehrere, Finds Liaison Officers
(FLO) des Portable Antiquities Scheme
(PAS) durchgefĂŒhrt. Diese
registrieren auch gleich an Ort und Stelle alle von ihnen als
signifikant erachteten archÀologischen Funde in der Funddatenbank
des PAS und helfen Findern, die mögliche „SchĂ€tze“ im Sinne von
Section 1
des Treasure
Act 1996 entdeckt haben, mit der
fĂŒr „Schatzfunde“ gesetzlich verpflichtenden Fundmeldung. Sofern
notwendig werden bei der (nur sehr selten vorkommenden, dazu noch
gleich mehr) Entdeckung noch tiefer im Boden in ungestörten Befunden
liegenden Funden von diesen professionellen ArchÀologInnen auch
gleich fachgerecht dokumentierte Fundbergungen durchgefĂŒhrt (z.B.
PAS
2017, Seite 25).
Zweitens gibt es
selbstverstÀndlich auch in Deutschland sogenannte
„Schatzsuchermeisterschaften“ (z.B. OSM
2019) und „Rallies“, die z.B. vom Finder des Barbarenschatzes
von RĂŒlzheim veranstaltet werden
(Sondelpower
2018). Diese finden bloĂ, im Unterschied zu England und Wales,
gewöhnlich gÀnzlich ohne archÀologische Betreuung statt und
allfÀllig entdeckte archÀologische Funde, die nicht zuvor von den
Veranstaltern im Boden vergraben wurden, werden daher in aller Regel
weder sachgerecht dokumentiert, noch gemeldet, noch werden vor Ort
fachgemĂ€Ăe Fundbergungen durchgefĂŒhrt, wenn dabei zufĂ€llig ein
„Schatzfund“ entdeckt wird.
Drittens belassen in
England und Wales viele Metallsucher inzwischen entsprechend dem code
for responsible detecting Funde, die
sie tiefer im Boden noch in teilweise ungestörten, oft aber auch
schon teilweise durch den Pflug gestörten, Befunden antreffen, in
situ, geben eine Fundmeldung ab, und
ermöglichen damit deren professionelle Ausgrabung (fĂŒr einige
Fallbeispiele siehe z.B. PAS
2017, Seiten 8, 12). In Deutschland hingegen scheint es derzeit
wenigstens viel seltener zu vergleichbar vorbildlichen Resultaten zu
kommen.
Viertens ist auch
die Anzahl der alljĂ€hrlich bei den dafĂŒr zustĂ€ndigen Stellen
eingehenden Fundmeldungen in England und Wales um ein Vielfaches
höher als im deutschen Sprachraum. So registrieren derzeit die FLO
alljÀhrlich ca. 80.000 Funde in der Datenbank des PAS, wobei sie
allerdings sehr selektiv vorgehen und nur ca. 10% der ihnen von
Metallsuchern vorgelegten Funde einpflegen (pers. Mitt. P. Reavill,
PAS-FLO; fĂŒr die Zahlen eingepflegter Funde siehe z.B. PAS
2017, Seiten 35-36; fĂŒr die Selektionskriterien PAS
n.d.). Professionelle ArchÀologen in England und Wales bekommen
also alljÀhrlich grob eine Dreiviertelmillion archÀologischer Funde
zu Gesicht; von denen derzeit jÀhrlich etwa 1.250 (ca. 0,15%) als
derart bedeutend eingestuft werden, dass sie als „Schatz“ im
Sinne von Section 1
des Treasure
Act 1996 eingestuft und dem
Staatseigentum einverleibt werden (PAS
2017, Seite 35). Seit der EinfĂŒhrung des PAS hat sich die
Fundmeldefrequenz in England und Wales um einen Faktor von ca. 15
erhöht (DCMS
2019, Seite 4).
In Deutschland
hingegen scheinen die Fundmeldezahlen, insbesondere von Fundmeldungen
durch Metallsucher, um ein groĂes Vielfaches kleiner zu sein und
seit langem zu stagnieren. In Ăsterreich hingegen ist es in der
Folge der „VerschĂ€rfung“ des Denkmalschutzgesetzes im Jahr 1990
und 1999 zu einem RĂŒckgang der Fundmeldezahlen durch interessierte
Laien um ca. 75% gekommen (Karl
2012, Seite 105). Das bedeutet, dass derzeit in England und Wales
pro Quadratkilometer etwa 2.650 Mal so viele Funde von interessierten
Laien den zustĂ€ndigen Behörden gemeldet werden wie in Ăsterreich.
In Deutschland ist die Situation vielleicht etwas besser, viel besser
aber wohl nicht.
FĂŒnftens lĂ€sst
sich auf Basis empirischer Erhebungen zeigen, dass in Deutschland
etwa 3 Mal so viele Metallsucher (korrigiert pro Kopf der Bevölkerung
und LandesflĂ€che) aktiv sein dĂŒrften wie in England und Wales (Karl
& Möller 2016, Seite 220). Folgt man Andreas BĂŒttner vom
Bayerischen Landesamt fĂŒr Denkmalpflege sind in Deutschland
vermutlich etwa 100.000 Metallsucher aktiv (Vortrag bei WSVA-Tagung
WĂŒrzburg 2019). Nimmt man eine gleichmĂ€Ăige Verteilung von
Metallsuchern in ganz Deutschland an, muss Herr Meller also damit
rechnen, dass es in Sachsen-Anhalt etwa 2.700 aktive Metallsucher
geben dĂŒrfte. Zieht man hingegen den Prozentsatz der in
Sachsen-Anhalt ansÀssigen Metallsucher unter den Mitgliedern des
gröĂten deutschen „Schatzsucher“-Internetforums heran (Abb. 1),
wĂ€ren es „nur“ etwa 2.600. Die wenigen davon, die sich unter den
etwa 350 von Meller genannten, mit seiner Behörde
zusammenarbeitenden Ehrenamtlichen befinden, sind wohl deutlich
weniger als 10% der in Sachsen-Anhalt aktiven Metallsucher. In
England und Wales hingegen sind wohl wenigstens 25% der aktiven
Metallsucher den zustÀndigen Stellen bekannt und arbeiten auch mit
diesen zusammen.
Abb. 1: Verteilung der ermittelbaren Wohnorte von Mitgliedern von schatzsucher.de auf die deutschen BundeslÀnder. |
Sechstens
schlieĂlich ist Mellers Geschichte davon, dass durch Metallsucher
(ob nun in England und Wales oder anderswo) „regelmĂ€Ăig
Hunderte von Metallfunden aus ihrem“
archĂ€ologischen „Zusammenhang
gerissen“ wĂŒrden, ebenfalls
bestenfalls eine Halbwahrheit, die der empirischen wissenschaftlichen
ĂberprĂŒfung nicht standhĂ€lt. TatsĂ€chlich habe ich anhand einer
jĂŒngeren empirischen Untersuchung von 1.414 österreichischen
Grabungsberichten gezeigt, dass der TĂ€tigkeit von Metallsuchern
zuordenbare BefundschÀden nur extrem selten archÀologisch
beobachtet werden und selbst wo sie auftreten zumeist nur
insignifikanten Schaden am wissenschaftlichen Erkenntnispotential der
gestörten Befunde anrichten (Karl
2018; 2019).
Das ist auch
ĂŒberhaupt kein Wunder, weil sich im Feldtest und auch anhand seit
langem intensiv von Metallsuchern abgesuchten Fundstellen (siehe z.B.
Karl, Netzwerk Geschichte Ăsterreich
Jahresschrift 2012, Seiten 16-23)
leicht zeigen lÀsst, dass die maximale Detektionstiefe von
handelsĂŒblichen MetallsuchgerĂ€ten in der Regel ca. 25-30 cm nicht
ĂŒbersteigt. Genau diese ca. 25-30 cm des Oberbodens sind aber –
insbesondere auf durchpflĂŒgten Boden, aber zumeist auch im Wald –
regelhaft durch den Pflug bzw. die Bioturbation des Bodens derart
gestört, dass sich in ihnen eben gerade keine ungestörten
archÀologischen Befunde mehr erhalten haben. Daher wird bei der
ĂŒberwĂ€ltigenden Mehrheit aller archĂ€ologischen Ausgrabungen dieser
sogenannte „modern gestörte
Oberboden“ auch mit dem Bagger
abgezogen, zumeist ohne auch nur irgendwie nach in ihm enthaltenen
beweglichen Kleinfunden durchsucht zu werden (Karl
2014; 2018,
Seiten 396-397).
Nebra
Ich verstehe schon,
dass Kollege Meller aufgrund der unsachgemĂ€Ăen Bergung „seiner“
Himmelsscheibe durch RaubgrÀber in dieser Beziehung ein besonders
gebranntes Kind ist. Dennoch: Er verallgemeinert in wissenschaftlich
völlig unzulĂ€ssiger Weise diesen – in der Praxis extrem selten
eintretenden – Ausnahmefall und ignoriert stattdessen den
Regelfall. Und um das in diesem Zusammenhang auch gleich
klarzustellen: natĂŒrlich wĂ€re es unzweifelhaft besser gewesen, wenn
die Himmelsscheibe nicht von RaubgrÀbern aus dem Boden gerissen,
sondern bei einer sachgerecht durchgefĂŒhrten archĂ€ologischen
Ausgrabung entdeckt worden wÀre; keine Frage.
Aber erstens ist die
Wahrscheinlichkeit dafĂŒr selbst bei sehr optimistischer Betrachtung
der Wirklichkeit enorm gering, weil wenigstens 95% aller derzeit noch
im Boden verborgenen archĂ€ologischen Funde zerstört werden dĂŒrften,
ehe sie entdeckt werden (Karl
2018, Seiten 27-31). Und dass von denen, die entdeckt werden,
wiederum ein signifikanter Anteil aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
bei professionellen Ausgrabungen entdeckt werden wird, zeigen
internationale Vergleichszahlen: von den insgesamt 371 in England und
Wales in den Jahren 1740-2010 entdeckten bronzezeitlichen Goldfunden,
von denen nahezu 50% nach 1973 entdeckt wurden, wurden insgesamt
gerade einmal 17 (bzw. 4,6%) bei systematischen archÀologischen
Ausgrabungen gefunden (Murgia et al. in ArchÀologisches
Korrespondenzblatt 44/3, 2014, Seite
385).
Und zweitens muss
man, gerade beim Paradebeispiel der Himmelsscheibe, die Frage
stellen, wie viel Schaden am wissenschaftlichen Erkenntnispotential
tatsĂ€chlich durch ihre unsachgemĂ€Ăe Bergung durch RaubgrĂ€ber aus
ihrem Befund angerichtet wurde. Immerhin hÀlt Herr Meller schon seit
vielen Jahren auf der halben Welt VortrÀge und hat gerade ein
populĂ€rwissenschaftliches Buch ĂŒber (wenigstens auch) sie
geschrieben, das vor bahnbrechenden neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen nachgerade zu strotzen scheint (dazu spÀter noch etwas
mehr). Wie viel mehr Erkenntnis hÀtten wir also tatsÀchlich
gewinnen können, wenn sie bei einer professionellen Ausgrabung
sachgerecht geborgen geworden wÀre?
Fraglos: wÀre die
Himmelsscheibe spurlos am Schwarzmarkt verschwunden, wÀre das ein
gewaltiger Verlust gewesen. Aber gerade daraus ergibt sich zwingend
die Frage: ist es wirklich besser, wie das Herr Meller zu tun
scheint, die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit aller Metallsucher per
unsachlichem Generalverdacht zu kriminalisieren? Oder wÀre es nicht
viel zielfĂŒhrender, sie wie in England und Wales (oder auch in
DÀnemark oder den Niederlanden) möglichst zu integrieren zu
versuchen und damit die Wahrscheinlichkeit signifikant zu erhöhen,
dass sie, wenn sie einen tatsÀchlich besonderen Fund in einem noch
weitgehend ungestörten Befund antreffen, diesen in
situ belassen, ihn unmittelbar melden
und dadurch seine sachgerechte Bergung ermöglichen; weil sie sich
sicher sein können, dass sie dann belohnt statt bestraft werden?
DenkmalgeschichtenerzÀhlungen
Nachdem Kollege
Meller LandesarchÀologe von Sachsen-Anhalt ist, gehe ich davon aus,
dass auch er die hier von mir genannten Fakten kennt; weil als
Fachmann mit besonderem Sachverstand muss er sie kennen. Umso
ĂŒberraschender und auch erschreckender ist es, dass er sie in seiner
Darstellung der Sachlage verschweigt bzw. im Interview mit diesem
Blog mit derartig vielen Halbwahrheiten agiert. Ich verstehe sehr
gut, dass sich das Medium des Interviews nicht dazu eignet, jede
getĂ€tigte Aussage wissenschaftlich hinreichend zu begrĂŒnden; aber
eine inhaltlich richtige Zusammenfassung der wesentlichsten Tatsachen
muss man von einem LandesarchÀologen wie Herrn Meller eigentlich
schon erwarten können. Dass er die Faktenlage so falsch, grob
verkĂŒrzt und verzerrt darstellt, zeigt daher leider, was von seinen
im Interview vorgebrachten Argumenten zu halten ist: es handelt sich
dabei nicht um wissenschaftlich verlÀssliche Aussagen, sondern um
(vielleicht sogar spannend erzĂ€hlte) Geschichten mit – bestenfalls
– geringem Wahrheitsgehalt.
Das
GeschichtenerzĂ€hlen ist eine FĂ€higkeit, die gerade fĂŒr
Kulturerbemanager durchaus bedeutend ist, denn wenn es um Kulturerbe
und seine öffentliche Vermittlung geht, ist es bekanntermaĂen nicht
so wichtig, ob die erzÀhlten Geschichten richtig sind, sondern weit
mehr, dass sie emotionale BedĂŒrfnisse des Publikums befriedigen
(siehe z.B. Lowenthal, The Past is a
Foreign Country, Cambridge 1985;
Lowenthal, The Heritage Crusade and the
Spoils of History, Cambridge 1997). So
lange ein GeschichtenerzÀhler zugibt, dass er mit Fakten locker
umgeht und sie gerne auch einmal (oder auch hÀufiger) mit einer
krÀftigen Portion Fiktion verbessert, ist das auch kein Problem.
Dass
Kollege Meller ein begnadeter GeschichtenerzÀhler ist, ist
unbestritten. Das zeigt ja auch sein jĂŒngstes Buch ĂŒber die
Himmelsscheibe, ob dessen hochgradiger FiktionalitÀt selbst
Journalisten ein mulmiges GefĂŒhl bekommen zu haben scheinen. Meller
hat allerdings durchaus recht, wenn er, wie in einem Interview mit
der Zeit, festhĂ€lt, dass „die BĂŒrger,
die ja Steuern fĂŒr die ArchĂ€ologie zahlen und eine groĂe
Begeisterung dafĂŒr aufbringen“, auch
tatsĂ€chlich „ein Recht auf
Interpretationen“ haben, „die
auch spannend sind“; auch wenn sie
wissenschaftlich in mancher Beziehung fragwĂŒrdig sein mögen. FĂŒr
einen DenkmalgeschichtenerzĂ€hler genĂŒgt es auch völlig, dass er
seinem Publikum „faktenbasierte
Spekulationen“ auftischt, die „das
Salz in der Suppe“ sind. Es ist
Meller hier also durchaus hoch anzurechnen, dass er sich mit seinem
neuen Buch „sehr weit aus dem Fenster“
zu lehnen gewagt hat (Die
Zeit 2018, Seite
2).
GeschichtenerzÀhlen ist weder
gute Wissenschaft noch gute Denkmalpflege
Ein Problem wird es
jedoch, wenn ein GeschichtenerzÀhler so tut, als ob er ein
Wissenschafter wÀre, der verlÀssliche wissenschaftliche Aussagen
macht. Ein noch gröĂeres Problem wird es, wenn dieser
GeschichtenerzÀhler als staatlicher Denkmalpfleger seine Aufgabe auf
Basis von GroĂteils fiktiven, teilweise sogar von ihm selbst
erfundenen, Geschichten und einer extrem eklektischen Auswahl von
Fakten statt auf Basis solider wissenschaftlicher Beurteilung der
RealitĂ€t erledigt. Das fĂŒhrt nĂ€mlich stets zu einer weit
schlechteren archÀologischen Wissenschaft und Denkmalpflege, als
möglich wÀre, wenn man sie auf Basis verlÀsslicher
wissenschaftlicher Erkenntnisse gestalten wĂŒrde.
Auch das zeigt sich
leider deutlich an Mellers neuem Buch: die Hypothesen, die er darin
aufstellt und im Zeit-Interview plakativ mit den Worten „die
Aunjetitzer Kultur entstand aus der Verschmelzung der Schnurkeramiker
mit den Glockenbecherleuten. … An der Spitze des Staates stand ein
König, und die Könige sicherten ihre Macht mit Armeen. Das war die
Voraussetzung dafĂŒr, dass ein so hochkomplexes und wertvolles
Gebilde wie die Himmelsscheibe von Nebra ĂŒberhaupt entstehen
konnte…“ zusammenfasst (Die
Zeit 2018, Seite 1), sind nÀmlich wissenschaftlich hochgradig
bedenklich. Sie sind nÀmlich nichts anderes als eine gÀnzlich
unreflektierte Anwendung einer seit ĂŒber einem halben Jahrhundert
wissenschaftlich vollkommen diskreditierten archÀologischen
Interpretationsmethode, Gustaf Kossinnas „Methode
der SiedlungsarchĂ€ologie“ (Kossinna,
Die Herkunft der Germanen. Zur Methode
der SiedlungsarchĂ€ologie, WĂŒrzburg
1911). Diese Methode und ihre zentrale Annahme, dass „scharf
umgrenzte Kulturprovinzen … sich zu allen Zeiten mit ganz
bestimmten Völkern oder VölkerstĂ€mmen“
decken, die sich durch eine intern einheitliche Kultur kennzeichnen,
als politische Einheit (Staat) handeln und von einen starken FĂŒhrer
(König) zusammengehalten werden, dessen Machtposition sich auf eine
starke Armee stĂŒtzt, wurden ja dann auch von den Nazis intensiv
politisch und propagandistisch genutzt (siehe dazu z.B. HĂ€rke
([Hg.], Archaeology, Ideology and
Society. The German Experience,
Frankfurt a.M. 2000; Focke-Museum [Hg.], Graben
fĂŒr Germanien. ArchĂ€ologie unterm Hakenkreuz,
Stuttgart 2013).
Gerade den
LandesarchÀologen von Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, in dem die AfD
bei den Landtagswahlen 2016 mit 24,3% Stimmenanteil ihr bisher bestes
Ergebnis in Deutschland eingefahren hat, derartige Methoden verwenden
und derartige populistische Zusammenfassungen seiner
„wissenschaftlichen Erkenntnisse“
zu „Deutschlands 1. Königreich“
(Bild
2018) verbreiten zu sehen stimmt dann schon eher bedenklich. Hat
Meller damit wirklich wissenschaftlich nachgewiesen, dass schon in
der mitteldeutschen Aunjetitz-Kultur „Ein
Volk, ein Reich, ein FĂŒhrer“ galt,
oder erzÀhlt er uns hier nicht nur eine frei erfundene Geschichte?
G’schichtln drucken
Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, geht Harald Meller in erschreckend unzuverlĂ€ssiger Weise mit wissenschaftlichen Fakten um; und seine Denkmalpflegeideologie ist weder sachlich begrĂŒndet, noch am aktuellen Stand der Forschung, noch im Einklang mit der derzeit international anerkannten „besten Praxis“. Vielmehr scheint sein archĂ€ologisch-wissenschaftliches, denkmalpflegerisches und denkmalrechtliches VerstĂ€ndnis im spĂ€ten 19. oder bestenfalls dem frĂŒhen 20. Jahrhundert steckengeblieben zu sein. Nachdem ihm sachliche Argumente fehlen, verteidigt er seine grob veralteten und teilweise auch wissenschafts- und berufsethisch unhaltbaren Ansichten mit schmutzigen rhetorischen Tricks, Propagandamethoden, der Berufung auf die ihm vom Land Sachsen-Anhalt verliehene AutoritĂ€t; und nicht zuletzt damit, dass er, wie das auf gut Ăsterreichisch heiĂt, spannende G’schichtln druckt. Diese sind zwar grundfalsch, aber nachdem er sie gut erzĂ€hlt, finden sie wenigstens bei einem gewissen Publikum durchaus Anklang; auch wenn sie und sein darauf aufbauendes Verhalten wissenschaftlich, denkmalpflegerisch und wenigstens meiner Ansicht nach auch nicht zuletzt politisch schĂ€dlich sind.
—————–
Weitere interessante Themen
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- War Richard Löwenherz schwul?
- RÀtselhaftes Pompeji: Brach der Vesuv tatsÀchlich am 24. August 79 n. Chr. aus?
- Interview mit dem ExperimentalarchÀologen Marcus Junkelmann: Von Junk-Living-History und Billig-Reenactment
H. Meller hat mit seinen postulierten Aunjetitzerkönigtum nicht anderes gemacht wie tausende seiner Berufskollegen tagtĂ€glich auch: Er hat Befunde "aufbereitet", um sie der Medienöffentlichkeit bestmöglich verkaufen zu können. Dieser SpaĂ am Fabulieren kenzeichnet die ArchĂ€ologie mMn nach schon immer. Denn wenn man mal nicht weiter weiĂ, dann bildet man zwar keinen Arbeitskreis, kommt aber stĂ€ndig mit der Religion und irgendwelchen vermuteten Kulten als UniversalbegrĂŒndung daher. Auch bei der Himmelsscheibe, wo es ja schon fast auf ein Sakralkönigtum hinauslĂ€uft. Hingegen einfach zuzugeben, dass man keinen Schimmer hat, scheint vielen ArchĂ€ologen sehr schwer zu fallen. Wahrscheinlich aus Angst um ihren Ruf als Experten, aber auch weil sich aus farbigen Stories mehr Geld machen lĂ€sst, beispielsweise in Form von Sonderausstellungen, Vortragsreihen und besonders BĂŒchern.
AntwortenLöschenKarl0
Darum gibt es ja auch im Fach das beliebte Sprichwort: Was man noch nicht deuten kann, sieht man gern als kultisch an! ;-)
LöschenKnauserei und offenbar nur halb durchdachte Gesetze schaden dem Denkmalschutz, aber der "DenkmalschĂŒtzer" rechtfertigt das alles. Warum?
AntwortenLöschenWie lÀsst sich so ein Verhalten rational reklÀren?
Sind hier politische Interessen im Spiel, die AuĂenstehenden verborgen bleiben?
Oder ist das Verhalten vor allem ideologisch bedingt?
Man kann sich nur wundern!
Liebe GrĂŒĂe,
Ludwig
Achim Werner, auch ArchĂ€ologe, hat in einem Interview mit Hilti erklĂ€rt, dass die ArchĂ€ologie eine Schlangengrube ist. Anecken kann fĂŒr die eigene Karriere gefĂ€hrlich sein!
Löschenhttps://hiltibold.blogspot.com/2018/12/archaologie-campus-galli-achim-werner.html
° Guinevere °
Ein in typischer Raimund Karl Manier geschriebener Text ;-) aber in vielen Punkten muss ich Karl zustimmen. Besonders was die ĂŒberquellenden Archive angeht, muss denn wirklich die 10Mio. Keramikscherbe, die eh schon alle Informationen beim Scherbenschrubben verloren hat aufbewahrt werden? Brauchen wir 1000nde von AbschlĂ€gen, bei denen eine menschlich Bearbeitung meist nie ohne Zweifel festgestellt werden kann ..... NEIN
AntwortenLöschenErst einmal danke fĂŒr diesen kompetenten Konter auf das Meller-Interview! Der gute Mann scheint, seinen AusfĂŒhrungen nach zu urteilen, die Leser und die Ăffentlichkeit nicht fĂŒr ganz voll zu nehmen. Kein Wunder, dass die groĂe Mehrheit der SondengĂ€nger in seinem eigenen Bundesland nicht mit den Denkmalschutzbehörden zusammenarbeiten will.
AntwortenLöschenDen vergleichenden Ausflug in das Dritte Reich finde ich dann allerdings leider genauso daneben wie Mellers Unterstellung schlechter Motive. Diese "reductio ad Hitlerum" hÀtte Raimund Karl lieber weglassen sollen ...
Gero
Hier muss ich zustimmen, die betreffende Passage ist einfach Humbug: Der Autor stellt zuerst nur wenig subtil eine Verbindung zwischen Nazis und AFD her (was eine gewaltige Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellt), um dann sogleich zu insinuieren, beide Gruppen hĂ€tten bzw. wĂŒrden die Urgeschichte Deutschlands hochjubeln.
LöschenIn Wirklichkeit lĂ€sst die AFD kaum eine Gelegenheit aus, die "primitiven" Germanenhorden der Völkerwanderungszeit mit den heutigen Migrationsströmen nach Europa gleichzusetzen. Damit unterscheidet sich die AFD gravierend von den Nationalsozialisten, welche die vorgeschichtlich-germanischen Kulturleistungen auf deutschem Boden aus rassistischen Motiven enorm ĂŒberbewertet haben.
Es kommt noch dazu, dass Mellers Bronzezeit-König und die Germanen der Nazis sowieso nicht dasselbe sind. Schon alleine deshalb passt diese seltsame Anspielung nicht.
LöschenWas Karl genau sagen wollte, ist mir nicht klar. Etwa dass Meller keine Thesen aufstellen soll, die politisch missbraucht werden könnten? Wenn ja, dann ist das mit der Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar. Das Argument "Beifall von der falschen Seite" ist Rabulistik in Reinkultur und hat in der Forschung nichts verloren.
Gero
Siehe den Kommentar weiter unten zum "BrĂŒckenschlag" zu den Nazis. Der Bezug ist die verwendendete, seit langem völlig diskreditierte Methode, die Meller verwendet, um bei seiner Geschichte anzukommen. Das hat nichts mit "Beifall von der falschen Seite" zu tun, auch wenn ich diesen Beifall politisch fĂŒr problematisch halte; und auch nichts damit, dass Meller keine Thesen aufstellen soll, die politisch missbraucht werden könnten. Es hat ausschlieĂlich damit zu tun, dass Meller dieselbe Methode wie die Nazi-ArchĂ€ologie benutzt, obwohl er eigentlich wissen mĂŒsste, dass diese Methode nicht funktioniert.
LöschenDieser Benny ("Sondelpower") ist eine wandelnde Zumutung. Solche Typen bringen ehrliche Sondler in Verruf. Den hĂ€tten sie fĂŒr seine Missetat ein paar Monate einsperren sollen, damit er etwas lernt. Stattdessen sonnt er sich ungeniert in seinem zweifelhaften Ruhm als Entdecker des Barbarenschatzes.
AntwortenLöschenBeWa
Er verkauft jetzt sogar Metalldetektoren. Hoffentlich haben die eine Erinnerungsfunktion eingebaut, falls der Benutzer "vergisst", seinen Fund - z.B. einen Barbarenschatz - bei den Behörden zu melden. :D
LöschenC3PO
Raimund, alles richtig was Du geschrieben hast. Allerdings bei dem "BrĂŒckenschlag" zum 3. Reich wurde es unsachlich. Zur AFD kann man stehen wie man möchte da sie demokratisch gewĂ€hlt wurde, aber in diesem Beitrag hatte sie wirklich nichts verloren.
AntwortenLöschenGruĂ, Michael
Ich sage schon seit Jahren, dass das, was der Denkmalschutz in Deutschland an Argumenten zum Schatzregal und Sondengehen von sich gibt, ĂŒberwiegend Propaganda, oder volkstĂŒmlich gesagt, schlicht und ergreifend Schwachsinn ist.
AntwortenLöschenAber stellen wir uns doch einmal die Frage, warum man damit durchkommt? Denn mit Ausnahme von Raimund Karl, der unermĂŒdlich seit Jahren versucht, mit Sachargumenten die Diskussion voranzubringen, hört man nicht viel Kritisches. Weder aus der Wissenschaft selbst noch aus der Presse. Weil aber die entsprechenden Diskussionen fehlen, redet die Politik mit ihren Gesetzten Leuten wie Herrn Meller nach dem Mund, die die Deutungshoheit an sich gerissen haben.
Weshalb baut man fĂŒr die vielen ĂŒberzĂ€hligen Scherben nicht ein groĂes Zentrallager in jedem Bundesland? Ein gĂŒnstiger unbeheizter Wellblechbau reicht dafĂŒr doch aus, oder? LG, Jutta
AntwortenLöschen"GĂŒnstig" ist ein relativer Begriff. Schlussendlich ist und bleibt alles eine Geldfrage.
Löschen;-)
LG
Hagen
Teilweise gibt es solche staatlichen Zentrallager ohnehin. Allerdings ist ein gĂŒnstiger, unbeheizter Wellbelachbau auch fĂŒr Scherben nicht gut, weil Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen sowie Pilz- bzw. Schimmelbefall auch Scherben schĂ€digen. Besser (und teilweise auch tatsĂ€chlich schon genutzt) ist die ebenfalls vergleichsweise billige Einlagerung von Fundmassen in alten, trockenen Bergwerken, in denen wenigstens Temperatur und Luftfeuchtigkeit stabil und die Schimmel-, Pilz- und SchĂ€dlingsbefallgefahr sehr gering ist. Aber auch die Einlagerung in solchen Bergwerken kostet Geld (diese mĂŒssen schlieĂlich erhalten werden); und man muss - damit die Einlagerung irgendeinen Sinn hat - eingelagerte Funde natĂŒrlich auch ausheben können, was ebenfalls Geld kostet. Daher stellt sich auch bei solcher Lagerung die Frage: hat es einen Sinn, die fĂŒr die Fundeinlagerung anfallenden Kosten zu tragen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebiger eingelagerte Fund jemals wieder ausgehoben und von irgendjemanden fĂŒr wissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden nahegleich Null ist?
LöschenLetztendlich lĂ€sst sich das auf eine Kosten:Nutzen-Rechnung reduzieren: ab wann ĂŒbersteigen die fĂŒr die Langzeitlagerung von zig Millionen Scherben anfallenden Kosten den vermutlich aus diesen zu gewinnenden Nutzen. Das gilt umso mehr z.B. bei undiagnostischen Wandscherben, insbesondere solchen, die vom gleichen GefÀà stammen. Ist ein Topf in 100 StĂŒcke zerbrochen, es wird aber voraussichtlich niemals auch nur ein einziges dieser StĂŒcke wissenschaftlich untersucht werden, geschweige denn, dass man aus der Untersuchung jedes einzelnen dieser 100 StĂŒcke signifikant unterschiedliche Erkenntnisse gewinnen könnte, warum sollte man alle hundert und nicht nur eines davon aufheben?
Gut, die meisten Töpfe zerspringen nicht in 100 StĂŒcke, sondern vielleicht sind es im Durchschnitt nur jeweils ein paar, sagen wir 5, die vom jeweils gleichen Topf stammen. Entsammelt man 4 von den 5, hat man den Lagerbedarf und damit auch die Lagerkosten (wenigstens ungefĂ€hr) um 80% reduziert, voraussichtlich ohne irgendetwas vom möglichen Nutzen zu verlieren, den man durch die wissenschaftliche Untersuchung der Ăberreste dieses Topfes gewinnen kann. Die 4 ĂŒberflĂŒssigen Scherben aufzuheben verursacht also nur Kosten, aber keinerlei Nutzen. Warum also sie aufheben?
lieber raimund, ich vermute, dass du hier mitliest, deswegen: bitte erklĂ€re den ns-brĂŒckenschlag zu halrald mellers theorie von der bron zezeitliche königsherrschaft. lg jar7
AntwortenLöschenTja, den BrĂŒckenschlag genau zu erklĂ€ren wĂŒrde eigentlich eines weiteren, ebenso langen Artikels bedĂŒrfen. Daher nur grob vereinfacht gesagt: Mellers ErzĂ€hlung von der Entstehung eines frĂŒhbronzezeitlichen Königtums basiert eben letztendlich auf der "Methode der SiedlungsarchĂ€ologie" des frĂŒhen deutschen PrĂ€historikers Gustaf Kossinna.
LöschenKossinna ist von der Annahme ausgegangen, dass jedes "Volk" bzw. "Rasse" eine eigene, politisch und militĂ€risch gemeinsam handelnde Einheit ist. Weiters hat er angenommen, dass jedes solche "Volk" seine eigene, innerlich einheitliche, von der anderer "Völker" deutlich verschiedene, ideelle und materielle "Kultur" (d.h. Sprache, Sitten und GebrĂ€uche, aber auch Hausformen, Bestattungsformen und Sachkultur wie Töpfe, GewandschlieĂen etc.) hat. Daher hat er geglaubt, dass man aus der rĂ€umlichen und zeitlichen Verteilung von "gleichartigen" (bzw. einander stark Ă€hnlichen) und "unterschiedlichen" archĂ€ologischen Ăberresten die Entstehungs- und Verbreitungs- und (gegebenenfalls) auch die Geschichte des Vergehens bzw. Untergangs verschiedener "Völker" ableiten bzw. erkennen kann; und somit sozusagen durch archĂ€ologische Beobachtung eine "Biografie eines Volkes" (bzw. natĂŒrlich auch vieler verschiedener Völker) schreiben kann. Kossinna, der eigentlich Sprachwissenschaft studiert hatte, war dabei insbesondere an den Indogermanen und unter diesen wiederum besonders an den Germanen interessiert und hat sich vorwiegend damit beschĂ€ftigt, deren Herkunft (als auch kulturelle GröĂe) zu zeigen. Der Titel seines zweiten, wichtigen Buches ist "Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft".
Diese Vorstellung der innerlichen (politischen, militĂ€rischen, sprachlichen, kulturellen und auch rassischen) Gleichheit und auch Zusammengehörigkeit ebenso wie der essentiellen Unterschiedlichkeit unterschiedlicher Völker war zur Zeit Kossinnas sehr weit verbreitet, insbesondere in nationalistischen Kreisen, und bildete auch die Grundlage der Nazi-Ideologie. Die Nazis haben dann auch tatsĂ€chlich Kossinnas "Methode" genutzt (er selbst ist 1931 verstorben), sowohl zu Propagandazwecken; als auch zur Rechtfertigung territorialer AnsprĂŒche bzw. militĂ€rischer Expansion, frei nach dem Motto: die Materialkultur in X zeigt, dass in X frĂŒher Germanen gelebt haben, daher ist X deutscher Boden und muss "heim ins Reich" geholt werden.
Meller benutzt nun zur ErklĂ€rung der "Entstehung" von "Deutschlands 1. Königreich" in der Aunjetitzkultur, die "aus der Verschmelzung der Schnurkeramiker mit den Glockenbecherleuten" entstanden sei und dessen (nicht zuletzt dank "Himmelsscheibe") starker politischer und militĂ€rischer FĂŒhrer - eben der 1. "König" - eine neue, einheitliche Materialkultur durchgesetzt hat, genau dieselben Annahmen wie Kossinna (und eben auch die Nazi-Propaganda-ArchĂ€ologie ganz generell); und eben auch dessen Methode: er schlieĂt aus "Gleichheit" in der materiellen Kultur darauf, dass die "mitteldeutsche Aunjetizkultur" ein innerlich einheitliches "Volk" ist, das sowohl politisch als auch militĂ€risch unter Herrschaft eines "starken Mannes" als Einheit agiert. Das ist eben nichts anderes als "EIn Volk, ein Reich, ein FĂŒhrer".
LöschenDas Problem damit ist aber, wie schon Hans JĂŒrgen Eggers in seiner "EinfĂŒhrung in die Vorgeschichte" (erstmals erschienen 1959) gezeigt hat, dass Kossinnas Annahmen letztendlich falsch sind; und das wurde seither noch von vielen anderen noch viel genauer gezeigt. Nachdem praktisch alle derzeit noch im Berufsleben stehenden deutschen PrĂ€historiker aber Eggers "EinfĂŒhrung in die Vorgeschichte" wenigstens als einfĂŒhrendes Standardwerk stark empfohlen bekommen haben, wenn nicht sogar als PflichtlektĂŒre im Grundstudium lesen und PrĂŒfungen darĂŒber schreiben mussten, muss auch Meller wissen, der sein Studium 1981 begonnen hat, dass - und eigentlich auch warum - Kossinnas Methode und ErklĂ€rungsmodell nicht funktionieren (können) und daher - und zwar rein aus wissenschaftlichen, nicht aus politischen GrĂŒnden - nicht weiter fĂŒr wissenschaftliche ErklĂ€rungen der (noch dazu ziemlich fernen) Vergangenheit verwendet werden sollten. Dass er es dennoch tut, muss daher doch eher verwunderlich stimmen.
So, ich hoffe das erklĂ€rt den BrĂŒckenschlag einigermaĂen...
danke fĂŒr die erklĂ€rung, ist fĂŒr mich durchaus nachvollziehbar! lg jar7
LöschenSEHR GUT! Phrasendrescher Meller und seine unsĂ€glichen Verteidiger eines ĂŒberholten Systems gehören endlich zum Wohl der Allgemeinheit in ihre Schranken verwiesen!!! Danke an Raimund und Hiltibold fĂŒr die klaren Worte!
AntwortenLöschen"Das bedeutet, dass derzeit in England und Wales pro Quadratkilometer etwa 2.650 Mal so viele Funde von interessierten Laien den zustĂ€ndigen Behörden gemeldet werden wie in Ăsterreich. In Deutschland ist die Situation vielleicht etwas besser, viel besser aber wohl nicht."
AntwortenLöschenIch finde, dass ĂŒber den Tellerrand zu blicken sehr wichtig ist und man von denen, die es augenscheinlich besser machen, unbedingt lernen sollte. Bei solchen Zahlen mĂŒssten eigentlich die Alarmsirenen unserer LandesarchĂ€ologen zu klingeln beginnen.
Danke fĂŒr diesen sehr informativen Text!
AntwortenLöschenFlo
Ich möchte Raimund Karl zu diesem ausgezeichneten Artikel Beifall klatschen! Seine Erörterungen kann ich sogar auf Grundlage von eigenen beruflichen Erfahrungen bestĂ€tigen, z.B. wenn es um das Vermodern von Artefakten in Museumsdepots geht. Nur ein Beispiel: In einem dieser Depots, zu denen ich als selbststĂ€ndige Restauratorin Zugang hatte, war ein erheblicher Teil der Holzobjekte von SchĂ€dlingen befallen, ohne dass seitens der Verantwortlichen dagegen wirksame MaĂnahmen unternommen worden wĂ€ren. Das wĂ€re alles zu kostspielig, hat mir eine Kuratorin verzweifelt erklĂ€rt. Trotzdem hat man immer mehr neues Material eingelagert, vor meinen eigenen Augen, und zwar direkt neben den von SchĂ€dlingen befallenen StĂŒcken.
AntwortenLöschenSo geht das nicht weiter, Entsammeln ist eine schon lange ĂŒberfĂ€llige MaĂnahme.
Der von mir eigentlich geschĂ€tzte Harald Meller ist meiner Ansicht nach weniger ein verbranntes Kind, sondern vielmehr unbelehrbar. Weil wenn gerade er aus dem Himmelsscheiben-Theater nicht gelernt hat, dass man sich bei einer vollen EntschĂ€digung von Findern jede Menge Ărger ersparen kann, dann ist das schon sehr traurig. Wolf Fryd
AntwortenLöschenHallo Herr Karl,
AntwortenLöschenmich wĂŒrde einmal interessieren, aus welchen GrĂŒnden Sie seit Jahren ihren Kampf gegen die österreichischen und deutschen DenkmalĂ€mter fĂŒhren? Die Frage ist wirklich ernstgemeint.
Zum Thema Harald Meller: Sie wissen sehr genau, welches Totschlagargument die Kossinnakeule bei Diskussionen im Fach Ur- und FrĂŒhgeschichte darstellt. Dadurch lĂ€sst sich heutzutage jede missliebige Forschung verleumden. Dass Sie dann auch noch die AfD und die Nazis als SahnehĂ€ubchen oben drauf packen, zeugt von einer unfassbaren historischen und politischen Ignoranz.
Zum Thema Entsammeln: Sie haben in Ihrem Artikel "My preciousssss … Zwanghaftes Horten, Epistemologie und sozialverhaltensgestörte ArchĂ€ologie" den meisten ArchĂ€ologen und Museumsleuten psychische Störungen attestiert. Diese Thesen sind natĂŒrlich die Basis fĂŒr eine offene und gleichberechtigte Diskussion... LĂ€cherlich ist dann Ihre dĂŒnnhĂ€utige Reaktion, wenn es auf Ihre steilen Traktate auch mal Gegenwind gibt. Wer austeilt...
Ich gehe Ihre Punkte in umgekehrter Reihenfolge durch:
LöschenIch habe in "My Precious" (https://www.academia.edu/22974405/My_preciousssss..._Zwanghaftes_Horten_Epistemologie_und_sozial_verhaltensgest%C3%B6rte_Arch%C3%A4ologie._In_K.P._Hofmann_T._Meier_D._M%C3%B6lders_M._Augstein_eds._Massendinghaltung_in_der_Arch%C3%A4ologie._Der_Material_Turn_und_die_Ur-_und_Fr%C3%BChgeschichte_43-69._Leiden_Sidestone_Press_2016) keineswegs den meisten ArchĂ€ologen (und schon gar nicht Museumsleuten generell) psychische Störungen attestiert. Ganz im Gegenteil schreibe ich gleich Eingangs des von Ihnen genannten Beitrags, dass ich in ihm aufzeigen möchte, wie gewisse soziale "Verhaltensstörungen auch auf der Ebene einer Gesellschaft, eben der deutschsprachigen archĂ€ologischen Gemeinschaft, entstehen können, ohne dass jedes einzelne Mitglied dieser Gemeinschaft, oder auch nur ein bedeutender Anteil der Mitglieder dieser Gemeinschaft (also der deutschsprachigen ArchĂ€ologInnen), in seinem auĂerwissenschaftlichen Sozialverhalten an ebendieser sozialen Verhaltensstörung leidet" (Seite 44, 2. Absatz). WorĂŒber ich in "My precious" spreche ist eine in ihrem Symptombild exakt den diagnostischen Merkmalen des "zwanghaften Hortens" entsprechende Störung des funktionalen Sozialverhaltens der wissenschaftlichen Disziplin ArchĂ€ologie; unabhĂ€ngig von der konkreten Befindlichkeit jedes Einzelnen ihrer Mitglieder. Im Beitrag selbst zeige ich dann, dass diese kollektive Verhaltensstörung (wenigstens auch) der erkenntnistheoretischen Ausrichtung des Faches bzw. deren UrsprĂŒngen im Positivismus des 19. Jahrhunderts geschuldet ist, soll heiĂen: logisch zwingend aus der fachlich dominanten wissenschaftstheoretischen Annahme folgt, dass positive "Wahrheitserkenntnis" in der ArchĂ€ologie möglich ist, aber ausschlieĂlich nur durch die Verbindung von unzĂ€hligen Detailbeobachtungen mittels induktiver logischer SchlĂŒsse gewonnen werden kann. Das ist zwar erkenntnislogisch - gerade in der ArchĂ€ologie - völlig ausgeschlossen, es macht es aber erforderlich, dass jenes als "archĂ€ologisch" identifiziertes Objekt fĂŒr immer aufgehoben werden muss, um die Möglichkeit zukĂŒnftiger archĂ€ologischer Erkenntnis nicht zu gefĂ€hrden.
Wenn Sie den qualitativen Unterschied zwischen der Aussage "die ArchĂ€ologie als wissenschaftliche Disziplin leidet an einer sozialen Verhaltensstörung" und der Aussage "die meisten ArchĂ€ologen und Museumsleute leiden an einer psychischen Störung" nicht erkennen können, obwohl im genannten Artikel sogar explizit festgehalten wird, dass Letzteres nicht der Fall ist, kann ich Ihnen nicht helfen. Ebensowenig kann ich Ihnen helfen, wenn Sie den Unterschied zwischen einer wissenschaftlich ausgiebig begrĂŒndeten Diagnose einer bestimmten Verhaltensstörung anhand ihrer im einschlĂ€gigen (und auch zitierten) Standarddiagnosehandbuch ausgewiesenen charakteristischen Merkmale und sachlich gĂ€nzlich unbegrĂŒndeten AnwĂŒrfen nicht erkennen können.
Und die Tatsache, dass ich in meiner Reaktion festhalte, dass Mellers Unterstellungen, meine Fachmeinungen wĂŒrden auf wissenschaftliche Unkenntnis oder besondere Interessen hinweisen unsachlich und wie die Mehrheit seiner im Intervie aufgestellten Behauptungen faktisch wenigstens mehrheitlich, wenn nicht sogar gĂ€nzlich unrichtig sind, hat nichts mit DĂŒnnhĂ€utigkeit zu tun. Es ist vielmehr die adĂ€quate wissenschaftliche Reaktion auf öffentliche "Kritik": wissenschaftlich begrĂŒndete Gegenkritik. So funktioniert die Wissenschaft, und wenn Sie das nicht wissen oder wahrhaben wollen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Zum Thema "Kossinnakeule": es ist keineswegs nur meine wissenschaftlich begrĂŒndete Fachmeinung, dass Mellers Interpretationen in seinem jĂŒngsten Buch auf einer unreflektierten Anwendung der Methode Kossinnas beruhen. Die Tatsache, dass die "Kossinnakeule" als "Totschlagargument" benutzt werden kann, bedeutet nicht, dass sie in diesem Fall als "Totschlagargument" benutzt wird. TatsĂ€chlich wird sie im konkreten Fall auch tatsĂ€chlich nicht als "Totschlagargument" benutzt, sondern vielmehr diagnostiziere ich (neuerlich anhand empirisch beobachtbarer und allgemein anerkannter Diagnosekriterien, weshalb auch keineswegs nur ich zu dieser Diagnose gekommen bin), dass Mellers Interpretation substanziell auf Kossinnas Interpretationsmethode beruht. Dass diese Interpretationsmethode seit ĂŒber einem halben Jahrhundert völlig diskreditiert ist, und zwar nicht "weil sie die Nazis missbraucht haben", sondern weil sie einfach wissenschaftlich nachweislich falsch ist (weil sich, wo dies unabhĂ€ngig ĂŒberprĂŒfbar ist, ihre Vorhersagen nicht bestĂ€tigen und sie somit als falsifiziert zu betrachten und somit auch dort zu verwerfen ist, wo sich ihre Vorhersagen nicht ĂŒberprĂŒfen lassen), ist wissenschaftlich unumstritten.
LöschenAuch hier gilt: wenn Sie den Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen Diagnose, dass Mellers Interpretation auf Kossinnas diskreditierter Interpretationsmethode und der Verwendung der "Kossinnakeule" als rethorisches "Totschlagargument" nicht zu erkennen vermögen, kann ich Ihnen nicht helfen.
Was Sie von meiner politischen Bewertung der Bedenklichkeit eines solchen wissenschaftlichen Fehlgriffs wie dem halten, den Meller durch unreflektierte Verwendung von Kossinnas Interpretationsmethode in einem an ein breites Laienpublikum gerichteten Buch gemacht hat, bleibt natĂŒrlich Ihnen ĂŒberlassen. Politische Ansichten und Bewertungen dĂŒrfen sich in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft ja durchaus unterscheiden und tun das auch.
Und was meinen angeblichen "Kampf gegen die österreichischen und deutschen DenkmalĂ€mter" betrifft: ich fĂŒhre keinen "Kampf" gegen irgendwelche DenkmalĂ€mter, weder gegen die deutschen, noch gegen das österreichische, noch gegen eines sonst wo auf der Welt.
LöschenVielmehr untersuche ich - als im Bereich (insbesondere) der (archĂ€ologischen) Denkmalpflege tĂ€tiger Wissenschafter - wissenschaftlich die theoretischen, rechtlichen und sozio-politischen Grundlagen sowie die praktische Umsetzung des Denkmalschutzes; insbesondere (weil mich der besonders interessiert und, weil ich sehr viele Kontakte in der deutschsprachigen ArchĂ€ologie habe und meine Muttersprache Deutsch ist, mir auch besonders gut zugĂ€nglich ist) im deutschen Sprachraum. Dabei geht es mir primĂ€r darum, wissenschaftlich genauer zu erkennen und damit besser zu verstehen, 1) warum (und fĂŒr wen und fĂŒr welche Zwecke) wir (archĂ€ologische) Denkmalpflege (so) betreiben (wie wir sie betreiben), 2) wie wir (archĂ€ologische) Denkmalpflege tatsĂ€chlich (d.h. nicht nur vorgeblich) betreiben, und 3) wie effektiv wir damit, wie wir (archĂ€ologische) Denkmalpflege tatsĂ€chlich betreiben, die von uns (bzw. der Gesellschaft) angestrebten Ziele (d.h. die von uns verfolgten Zwecke fĂŒr die gewĂŒnschten NutznieĂer der Denkmalpflege) erreichen; all das mit dem Ziel, möglicherweise bestehende MĂ€ngel, Probleme, Schwierigkeiten und damit verbundene Gefahren zu identifizieren und konkrete, voraussichtlich nutzbringende VorschlĂ€ge zu deren Abwendung, Lösung bzw. Verbesserung machen zu können. Letztendlich tue ich all das in der Absicht, herauszufinden, wie wir das Ziel, (archĂ€ologische) Denkmale bestmöglich gemeinwohlförderlich zu nĂŒtzen, so effektiv als möglich erreichen können.
Weil ich die bestmögliche (archĂ€ologische) Denkmalpflege erreichen möchte, muss ich mich daher logischerweise einerseits darauf konzentrieren, möglicherweise bestehende MĂ€ngel, Probleme etc. zu identifizieren und auch öffentlich anzusprechen (weil wenn ich das nicht tue bemerken sie andere vielleicht nie und können daher nichts zu ihrer Lösung bzw. Verbesserung unternehmen); und andereseits darauf, auch tatsĂ€chlich konkrete Verbesserungs- bzw. Lösungsmöglichkeiten vorschlagen. Wenn ich das tue, komme ich gezwungenermaĂen gelegentlich in die Situation, dass ich DenkmalĂ€mter (indem ich auf MĂ€ngel bzw. Probleme in ihrem ZustĂ€ndigkeitsbereich aufmerksam machen) kritisieren und sagen muss, wie sie das, was sie derzeit auf eine bestimmte Art machen, anders machen mĂŒssten als bisher, weil das (voraussichtlich) zu besseren denkmalpflegerischen Ergebnissen fĂŒhren wird als ihre bisherige Praxis. Genau das ist ĂŒbrigens meine Pflicht als Wissenschafter, und tatsĂ€chlich die Pflicht jedes Wissenschafters: wenn ein Wissenschafter durch seine Forschungen darauf aufmerksam wird, dass etwas falsch gemacht (oder etwas falsches geglaubt) wird oder schlechter funktioniert, als es funktionieren könnte, dann hat er das öffentlich zu sagen und - soweit möglich - konkrete VerbesserungsvorschlĂ€ge zu machen. Weil wenn er (richtig) erkannt hat (bzw. erkannt zu haben glaubt), dass und warum etwas falsch ist oder schlechter funktioniert, als es könnte, dann kann er meistens auch einigermaĂen korrekt vorhersagen, was man wie Ă€ndern mĂŒsste, damit es nicht mehr falsch ist bzw. besser als zuvor funktionieren wĂŒrde. Verschweigt er diese Erkenntnis, dann verbessert er nĂ€mlich nichts und trĂ€gt damit wissentlich zur Erhaltung eines schlechteren Zustandes als dem bei, den er durch die Veröffentlichung seiner Erkenntnisse herbeizufĂŒhren helfen könnte.
Wenn ich also das österreichische oder deutsche DenkmalĂ€mter kritisiere, dann fĂŒhre ich keinen "Kampf gegen die DenkmalĂ€mter", sondern (versuche) ihnen dabei zu helfen, ihre Aufgaben so effektiv und erfolgreich erfĂŒllen zu können, wie es möglich ist; d.h. fĂŒhre einen "Kampf fĂŒr die bestmögliche Denkmalpflege". Und meine Kritik der DenkmalĂ€mter ist auch immer konstruktiv, auch keineswegs immer negativ, sondern - wenn auch weniger hĂ€ufig, weil ich ja Verbesserungen herbeizufĂŒhren versuche und daher wenig Gelegenheit habe, mich darĂŒber, was die DenkmalĂ€mter ohnehin schon bestmöglich machen (und das ist sehr, sehr viel!) zu Ă€uĂern - durchaus manchmal auch positiv. So habe ich erst zuletzt in einem Beitrag auf "ArchĂ€ologische Denkmalpflege" (https://archdenk.blogspot.com/2019/04/denkmalforschung-denkmalschutz-und-das.html) dem Bayerischen Landesamt fĂŒr Denkmalpflege (bei dennoch bestehenden, weiteren Optimierungsmöglichkeiten) vorbildliches Vorgehen im Bereich der vorausschauenden Vorerkennung von noch unbekannten Denkmalen attestiert; oder auch dahingehend zu den Fundberichten aus Ăsterreich geĂ€uĂert, dass deren regelmĂ€Ăige Publikation in ihrer aktuellen Form durch das österreichische Bundesdenkmalamt vorbildlich und weltfĂŒhrend sei. Derartige lobende Kritik - und wissenschaftliche Kritik ist nichts anderes als eine begrĂŒndete, wertende Beurteilung, d.h. auch Lob ist wissenschaftliche Kritik - regt nur niemanden auf und wird daher von KollegInnen, die nicht an einer Verbesserung sondern nur an der Erhaltung des derzeitigen Zustandes interessiert sind, nicht einmal wahrgenommen.
LöschenEbensowenig wird wahrgenommen, dass ich auch viel mit wenigstens manchen der von mir (auch) "scheltend" kritisierten DenkmalĂ€mter zusammenarbeite, insbesondere dem österreichischen Bundesdenkmalamt, bzw. diese auf vielfĂ€ltige Art unterstĂŒtze. Z.B. habe ich gerade in enger Zusammenarbeit mit dem BDA als Mittel zur verbesserten Dokumentation von durch Feldpraxis erworbener "handwerklicher" archĂ€ologischer Fertigkeiten den "ArchĂ€ologischen Grabungs-Kompetenz-Pass" (https://www.archaeopublica.eu/verein/projekte/kompetenzpass/) und eine ĂNORM (https://archdenk.blogspot.com/2019/02/denkmalschutz-durch-industrienorm-statt.html) mitentwickelt, die wenn sie angenommen werden beide zu einer maĂgeblichen Verbesserung der archĂ€ologischen Denkmalpflege beitragen werden.
Die Vorstellung, ich wĂŒrde "gegen" die DenkmalĂ€mter kĂ€mpfen ist also nachgerade lachhaft; was allein schon meine seit ĂŒber einem Jahrzehnt in vielen Publikationen matraartig wiederholte Forderung zeigt, die Abteilung(en) fĂŒr ArchĂ€ologie des Bundesdenkmalamts mĂŒsse (und auch die anderer DenkmalĂ€mter mĂŒssten) deutlich personell verstĂ€rkt werden. Ich kĂ€mpfe nicht "gegen" die DenkmalĂ€mter, ich kĂ€mpfe fĂŒr die bestmögliche Denkmalpflege. Und neuerlich: wenn sie den Unterschied zwischen sachlicher wissenschaftlicher Kritik an (möglichen) MĂ€ngeln und unsachlichen Angriffen auf meiner Meinung nach enorm wertvolle, aber eben nicht immer perfekte, Institutionen der Denkmalpflege nicht zu erkennen vermögen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Als Laie lange Jahre zusammen mit Klaus Schmidt (Göbekli Tepe) in einer SpelĂ€ologengruppe aktiv, wollte ich Anfang der 80er in Erlangen Ur- und FrĂŒhgeschichte studieren, habe mich aber dann kurzfristig fĂŒr SonderpĂ€dagogik entschieden und ĂŒber 40 Jahre in diesem Bereich gearbeitet.
AntwortenLöschenVerfolge ich diesen Disput, bin ich darĂŒber sehr froh.
Völlig unabhĂ€ngig von sachlichen Inhalten, hĂ€tte ich diesen rhetorisch im wahrsten Sinne „geschliffenen Umgang (Metaebene der Texte) miteinander, nicht ertragen.