Samstag, 16. Dezember 2023

📖 Buch-Empfehlung: Arm in Rom - Wie die kleinen Leute in der größten Stadt der Antike lebten


Von Karl-Wilhelm Weeber habe ich im Rahmen des Blogs schon mehrere Bücher besprochen (Bsp.) Und abseits davon noch einige weitere gelesen. Alle waren sie hochinteressant und haben mir sehr gut gefallen - das gilt auch für Weebers aktuellstes Buch: "Arm in Rom"

Die offizielle Geschichtsschreibung ist bis heute immer eine der herrschenden Schichten. Für das Alte Rom gilt das besonders. Entsprechend wurde uns in antiken Texten überwiegend das Leben der Politiker, der Generäle, der Reichen und der Schönen überliefert. Doch was war mit den 'Normalos', also den kleinen Handwerkern, den Tagelöhnern, den Prostituierten usw.? Nun, sie hausten, aßen und lebten ganz allgemein in bescheidenen, oft sogar in ärmlichen Verhältnissen. Wie aber diese von der Oberschicht nicht selten verachteten Menschen trotz aller Widrigkeiten ihren Alltag meisterten und dabei mitunter auch Spaß hatten, beschreibt Weeber, der ein profunder Kenner der Schriftquellen ist, anhand von Hinweisen, die man dann doch vereinzelt in antiken Texten entdecken kann. Auch die Archäologie liefert mittlerweile wichtige neue Erkenntnisse, auf die der Autor bei seinen kurzweilig formulierten Beschreibungen zurückgreift. So entsteht ein durchaus aussagekräftiges und farbenfrohes Bild über den Lebensalltag des Ottonormalrömers, welches allerdings in mancherlei Hinsicht nur wenig dem entspricht, was immer noch in den Köpfen vieler Leute herumspukt; nämlich dass das Alte Rom eine Art Sozialparadies gewesen wäre, in dem ein zahlreiches Lumpenproletariat seine Zeit tagein, tagaus mit Brot und Spielen" totschlug. Der Autor beschreibt in nachvollziehbarer Weise, woran ein solcher Lebensstil scheitern musste und daher für die große Masse der Einwohner Roms, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, keine praktikable Option darstellte. So war es etwa nicht möglich, mit dem bisschen Getreide, Öl oder manchmal auch Geld, das der Staat/der Kaiser als Unterstützung zur Verfügung stellte, eine Familie durchzubringen. Es gab außerdem kein Arbeitslosengeld, keine staatliche Altersvorsorge und keine Krankenversicherung. Mit jeder weiteren Seite des Buchs wird für den Leser immer offensichtlicher, dass Einwohner des mächtigen Roms zu sein nur für die Wenigsten ein Zuckerschlecken gewesen ist - besonders im Vergleich zum Sozialstaat unserer Gegenwart. Und überhaupt, wer und was steckt hinter dem schon in der Antike geprägten gesellschaftskritischen Slogan "Brot und Spiele" ("panem et circensis") überhaupt? Karl-Wilhelm Weeber erläutert es - sowie viele weitere interessante Punkte - in allgemein verständlicher Weise. Und zwar so gut, dass man sich wünscht, das Buch wäre Pflichtlektüre im schulischen Geschichts- oder Lateinunterricht; ist es doch einer der größten Mängel dieser Fächer, dass sie sich bei der Wahl der Quellen viel zu sehr auf die eingangs erwähnten herrschenden Schichten Roms konzentrieren.

Apropos Latein: Der Buchautor ist unverkennbar ein 'alter Lateiner' (im Gegensatz zu mir, der ich nur ein schlechter Lateiner bin 😄). Dementsprechend flechtet er relativ häufig Begriffe in der Sprache der Alten Römer ein, erklärt diese dann aber auch immer, so dass beim Leser kein Kopfzerbrechen hervorgerufen wird, sondern er einen echten Nutzen daraus ziehen kann. Besagte Erklärungen können vereinzelt auch etwas ausführlicher ausfallen, etwa im Fall des schon erwähnten "panem et circensis".  Oder wenn es um den Unterschied zwischen einem relativ Armen ("pauper") und einem wirklich Armen ("egens") geht; viele Leser wird es dabei sicherlich überraschen, dass in Rom manch Sklave sogar besser lebte als die Masse der freien Lohnarbeiter. 

Einzig zu kritisiere ist, dass der Autor herumgendert, indem er z.B. immer wieder von "Römerinnen und Römern" schreibt, anstatt der Leserlichkeit zuliebe das generische Maskulinum zu verwenden. Er ist bei diesem sprachlichen Eiertanz allerdings nicht sehr konsequent. Weeber weiß halt selber, was für ein ultimativer Stuss das ist. Andererseits: Wer will im Falle totaler Nonkonformität schon zum Rechtsextremen gestempelt werden?


Fazit: "Arm in Rom" zu sein ist ein erstaunlich facettenreiches Themengebiet. Dazu zählen eben nicht nur "Brot und Spiele", sondern  z.B. auch Hungerrevolten, unwürdige Beerdigungen, kaiserliche Arbeitsmarktpolitik, Kleidung als Standessymbol, Bettelei, Bildung, Alkoholkonsum, himmelhohe Mietskasernen als Feuerfallen, Immobilienspekulation, staatliche Mietpreisdeckel, sexuelle Ausbeutung, Straßenentertainment und der alltägliche Anblick von Menschen, die mit vollen Nachttöpfen auf Roms Straßen unterwegs sind.
Auch Leser, die über ein solides Vorwissen hinsichtlich des Alten Roms verfügen, erfahren im vorliegenden Buch noch manch Neues. Besonders hervorzuheben sind außerdem die bei Karl-Wilhelm Weeber wie immer vorbildlichen Endnoten mit den dazugehörenden antiken Literaturquellen. Diese sind als Grundlage für eigene tiefergehende Recherchen außerordentlich nützlich. Von daher unterm Strich eine klare Kaufempfehlung!

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Weiterführende Informationen:



1 Kommentar:

  1. Weeber hat mich mit seinen Büchern auch noch nie enttäuscht. Das erste habe ich schon vor schon über zwanzig Jahren gelesen. Ich glaube, ich habe inzwischen um die zehn.

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