Wer ernsthaft mit der Antike auf Tuchfühlung gehen möchte - etwa im Zuge des Living-History-Hobbys - wird relativ früh die Notwendigkeit erkennen, abseits von Sekundärliteratur auch die Original-Schriftzeugnisse von Livius, Plinius und Co. zumindest in Form von Übersetzungen zu lesen. Und doch zögern viele Interessierte aufgrund von Berührungsängsten, die nicht selten auf der Annahme fußen, dass es sich bei antiken Texten um eine schwer verdauliche Kost handelt.
Das ist auch nicht grundsätzlich falsch, denn manch immer noch erhältliche Übersetzung ist schon etwas angestaubt und daher in einem schwülstigen Deutsch gehalten, das dem Leser eine gewisse Leidensfähigkeit abverlangt. So muss man beispielsweise noch in der 1972 von Karl Büchner übersetzten Verschwörung des Catilina kaskadierende Endlossätze wie diesen erdulden:
Das ist auch nicht grundsätzlich falsch, denn manch immer noch erhältliche Übersetzung ist schon etwas angestaubt und daher in einem schwülstigen Deutsch gehalten, das dem Leser eine gewisse Leidensfähigkeit abverlangt. So muss man beispielsweise noch in der 1972 von Karl Büchner übersetzten Verschwörung des Catilina kaskadierende Endlossätze wie diesen erdulden:
Nachdem das die Männer vernommen hatten, die alles Übel im Überfluss besaßen, aber nichts Gutes noch eine gute Aussicht, forderten, wenn es ihnen auch schon ein großer Gewinn schien, den Ruhezustand in Bewegung zu bringen, doch die meisten, er solle darlegen, wie die Bedingungen des Krieges seien, was sie für Lohn mit ihren Waffen errängen, was sie überall an Hilfe oder Hoffnung besäßen.
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Glücklicherweise sind die Zeiten solcher Satzungetüme vorbei. Moderne Übersetzungen sind in der Regel weitaus geschmeidiger formuliert, sodass mit ihnen ein deutlich größerer Leserkreis angesprochen werden kann.
Es bleibt für manch Interessierten deshalb mitunter nur ein einziger triftiger Hinderungsgrund, sich in antike Texte zu vertiefen: Der sogenannte 'Anschaffungswiderstand', wie es in der Elektronik so schön heißt 😉. Denn die Preise reichen von günstig bis schmerzhaft.
Darüber - und über einiges mehr - unterhalte ich mich in folgendem Interview mit dem Althistoriker Kai Brodersen, der seit Jahren zu den fleißigsten Übersetzern und Autoren im deutschen Sprachraum zählt.
Lieber Herr Brodersen, wie geht es Ihnen, wenn Sie beispielsweise Cicero-Übersetzungen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert lesen? Bereitet Ihnen das vergleichsweise altertümliche Deutsch Vergnügen oder strengt es Sie, so wie mich, eher an?
Von wem geht in der Regel die Initiative für das Übersetzen eines bestimmten antiken Textes aus? Tritt ein Verlag an Sie heran und unterbreitet einen Vorschlag - oder ist es eher umgekehrt?
Übersetzungen macht man immer für die eigene Zeit - der will man ja den Zugang zur Antike erleichtern. Und so, wie es heute Menschen gibt, die gerne deutsche Literatur aus den letzten Jahrhunderten lesen, gibt es auch heute Menschen, die Vergnügen an jener Sprachform haben. Wenn man z.B. die Übersetzung von Thukydides’ Geschichtswerk nimmt, die Georg Peter Landmann 1960 vorgelegt hat und die nach wie vor lieferbar und heute die am meisten verbreitete deutsche Übesetzung des Werks ist, dann kann man sich an deutschen Passagen freuen, die zeigen, dass der Übersetzer sich zum George-Kreis rechnete und eine sehr „gehobene“ Sprache nutzte. Man kann aber auch verzweifeln, wenn man herausfinden möchte, was denn im Originaltext steht...
Abgesehen von der sich ändernden Sprache: Übersetzt man heute, anders - eventuell freier - als noch vor 100 oder 200 Jahren?
Nein, nicht freier, sondern umgekehrt eher genauer. Wenn Sie z.B. die neueren Übersetzungen von Niklas Holzberg anschauen, sehen Sie, wie er sich um eine möglichst genaue Übersetzung bemüht, und das sogar in Versform! Bei Fachliteratur, etwa bei Palladius’ Buch über das Bauernjahr oder Apuleius’ Heilkräuterbuch, war mir sehr daran gelegen, möglichst genau zu übersetzen, also z. B. die Pflanzennamen oder Fachbegriffe genau zu verstehen und wiederzugeben, und dabei gerade keine „dichterische Freiheit“ walten zu lassen. Ich möchte dasselbe lateinische Wort nicht einmal als „Harke“ und einmal als „Rechen“ übersetzen - und bei pharmakologischen Texten kann das sogar gefährlich werden.
Von wem geht in der Regel die Initiative für das Übersetzen eines bestimmten antiken Textes aus? Tritt ein Verlag an Sie heran und unterbreitet einen Vorschlag - oder ist es eher umgekehrt?
Es gibt Verlagsinitiativen (so etwa die zweisprachige Ausgabe des Geschichtswerks von Herodot bei Reclam) und Übersetzerinitiativen (so etwa die zweisprachige Ausgabe von „Plinius’ Kleiner Reiseapotheke“ bei Steiner), aber oft entstehen solche Ideen im Austausch zwischen Verlag und Übersetzer - je mehr man miteinander schafft, umso besser.
Zur Zeit lese ich die Strategika des Polyainos, danach kommt die Taktika des Ailianos an die Reihe; beide Bücher erschienen erst kürzlich in deutscher Sprache und wurden von Ihnen übersetzt. Wie viele Stunden Arbeit müssen Sie in solche Werke normalerweise investieren?
Wie viele antike Werke übersetzen Sie durchschnittlich pro Jahr?
Die Stunden zähle ich nicht, und solche Projekte laufen oft über lange Zeit. Zu Polyainos z. B. hatte ich schon 2010 einen Tagungsband herausgegeben, seither hat mich dieses umfangreiche Buch immer wieder beschäftigt. Ich bin ja Professor an der Uni Erfurt und habe in Forschung und Lehre zu arbeiten!
Wie viele antike Werke übersetzen Sie durchschnittlich pro Jahr?
Das hängt völlig an den Lebensumständen: Ich war lange Jahre in der akademischen Selbstverwaltung tätig, darunter 6 Jahre als Prorektor und 6 Jahre als Universitätspräsident. Da war nicht viel Zeit für solche Projekte! Umgekehrt beginnen manche Übersetzungen als Unterlagen für eine Lehrveranstaltung. So war etwa die „Reise ins Heilige Land“ der Egeria das Thema eines Seminars, das ich am Departement für Protestantische Theologie in Hermannstadt/Sibiu halten durfte. Wenn die Studierenden dann zeigen, dass sie der Text interessiert, ist die Motivation gleich dreimal so groß, so eine Übersetzung publikationsreif zu machen!
Da die meisten Schriften antiker Autoren nur über den Umweg mittelalterlicher Kopien überliefert wurden, haben sich im Laufe der Jahrhunderte oft Fehler eingeschlichen. Bereitet Ihnen das einen großen Mehraufwand beim Übersetzen? Müssen Sie eventuell sogar herumreisen, um Einblick in Überlieferungsvarianten nehmen zu können, die Sie dann miteinander vergleichen? Oder ist das dank Internet und digitaler Bibliotheken alles viel einfacher geworden?
Da ich fast ausschließlich zweisprachige Ausgaben mache, bei denen der griechische oder lateinische Text der deutschen Übersetzung gegenübersteht, ist mir die Festlegung des antiken Texts jedes Mal besonders wichtig. Wo sehr gute kritische Editionen vorliegen, nutzte ich diese, überlege aber in allen Zweifelsfällen, ob der rekonstruierte Text gut verständlich ist und biete immer ein Verzeichnis der Stellen, an denen „mein“ Text von der Bezugsedition abweicht. In anderen Fällen - so bei Damigerons „Heilenden Steinen“ und bei Ailianos’ „Antiken Taktiken“ - ist der Text neu zu erstellen, da es bislang keine zuverlässige Ausgabe des antiken Textes gab. Das Internet hilft da wenig - man muss schon die Überlieferungsträger, also die mittelalterlichen Handschriften, lesen, die man sich als Photographien oder Scans aus den Bibliotheken besorgen muss. Aber das macht schon auch Freude!
Ich stelle bei modernen Übersetzungen von ein und demselben antiken Text zum Teil spürbare Preisunterschiede fest; beispielsweise ist De Gruyter (Tusculum) als ziemlich hochpreisig verschrien.
Inwieweit sind die Endpreise tatsächlich auf den Arbeitsaufwand des Übersetzers zurückzuführen? Ist beispielsweise das Hinzufügen erklärender Endnoten ein signifikanter Preistreiber? Mir ist nämlich aufgefallen, dass Ihre Übersetzungen bei Marix über keine Endnoten verfügen, jene bei Reclam hingegen schon.
Inwieweit sind die Endpreise tatsächlich auf den Arbeitsaufwand des Übersetzers zurückzuführen? Ist beispielsweise das Hinzufügen erklärender Endnoten ein signifikanter Preistreiber? Mir ist nämlich aufgefallen, dass Ihre Übersetzungen bei Marix über keine Endnoten verfügen, jene bei Reclam hingegen schon.
Ob es - wie bei Marix - eine ausführliche Einleitung und Erläuterungen im Text selbst gibt oder - wie bei manchen, aber längst nicht allen Reclamausgaben - Endnoten, hat nichts mit dem Preis zu tun - die Information (und die Arbeit, die zu erstellen) ist dieselbe, nur die Präsentation nicht, und die Gestaltung eines Buchs folgt ja in der Regel dem Inhalt - „form follows function“! Nehmen Sie z.B. bei Reclam Aristeas’ Buch „Der König und die Bibel“ - da habe ich die Erläuterungen in einer sehr ausführlichen Einleitung, nicht in Endnoten geboten. Was ein Buch im Buchhandel dann kostet, ist eine Frage der Kalkulation des Verlags - der muss das Buch ja verkaufen! Das hat mit dem Arbeitsaufwand des Übersetzers überhaupt nichts zu tun.
Wie darf man sich das Entlohnungsmodell für das Übersetzen eines lateinischen oder altgriechischen Buchs vorstellen? Wird z.B. nach Wörtern oder Normseiten abgerechnet? Und ganz wichtig für jene, die das beruflich eventuell auch machen wollen: Kann man von dieser Arbeit anständig leben? 😉
Ganz einfach: Ich erhalte bei den meisten Verlagen überhaupt kein Honorar, aber ich habe ja auch einen Beruf, in dem wissenschaftliche Publikationen zu meinen Aufgaben gehören, und muss nicht vom Übersetzen leben. Nur bei einem Verlag, den Sie schon genannt haben, erhalte ich 3% vom Nettoerlös. Unter Nettoerlös versteht man den Bezugspreis abzüglich der darin gesetzlichen Mehrwertsteuer und der gewährten Rabatte. Wie Sie wissen, ist der Buchhandelrabatt in der Regel etwa 40%, der Mehrwertsteuersatz für Bücher 7%. Das heißt, dass ein Buch, das im Buchhandel 29.95 Euro incl. Mehrwertsteuer, also etwa 28 Euro ohne Mehrwertsteuer. Davon sind etwa 11,20 Euro Buchhandelsrabatt, der Nettoerlös beträgt also etwa 16,80. Davon sind 3% etwa 50 Cent. Wenn so ein Buch über die Jahre vielleicht dreihundertmal verkauft wird, bekomme ich insgesamt 150 Euro, die ich selbstverständlich versteuern muss. Zu Ihrer Frage: Man kann immer anständig sein. aber sicher nicht einmal unanständig vom Übersetzen antiker Texte leben.
Die von Reclam angebotene Ausgabe der Historien des Herodot, bei der Sie als Herausgeber fungieren, wird 'scheibchenweise' veröffentlicht; will heißen, die neun Teile, aus denen Herodots Geschichtswerk besteht, kommen einzeln in den Handel. Das ist auch verständlich, weil das kompakte 'Reclam-Format' hier gewisse Grenzen setzt. Andererseits verwundert mich der Umstand, dass, obwohl schon 2002 mit der Veröffentlichung begonnen wurde, man 15 Jahre später erst beim 7. Teil angelangt ist.
Ist das vom Verlag so gewollt? Ich frage hier vor allem deshalb, weil für viele Interessierte nur eine vollständige Ausgabe wirklich interessant sein dürfte. Aus diesem Grund habe auch ich kürzlich schon etwas verzweifelt bei der Konkurrenz - dem Kröner Verlag - zugegriffen.
Die Verlagspolitik von Reclam hat sich über die Jahre geändert. Meine Kollegin und ich sind nun gebeten worden, den kompletten Herodot in einem Band vorzulegen. Ich bin gespannt, wie Ihnen die doch arg in die Jahre gekommene und von Heinz-Günther Nesselrath kürzlich nur „behutsam modernisierte“ Übersetzung von August Horneffer, die Sie gekauft haben, gefällt: Er hat von 1875 bis 1955 gelebt, war promovierter Musikwissenschafter, hat am Nietzsche-Archiv gearbeitet und war aktiver Freimaurer - ein faszinierender Lebenslauf für einen Übersetzer!Die Modernisierung von Nesselrath liest sich durchaus angenehm, ist preislich günstig und verfügt über viele erklärende Endnoten. Allerdings ist sie nur einsprachig (meine Rezension).
Gibt es ein wichtiges antikes Werk, von dem Sie sagen, dass eine Übersetzung oder Neuübersetzung längst überfällig ist?
Allerdings - es fehlt uns eine Übersetzung der bedeutenden Reden des Aelius Aristides, es fehlen aber auch Übersetzungen in wenigstens eine moderne Sprache der allermeisten Werke des bis in die Neuzeit einflussreichen Mediziners Galenos. Und es fehlen noch eine ganz Menge spannender antiker Werke.
Eventuell können Sie uns abschließend einen kleinen Ausblick auf geplante Buch-Projekte geben?
Als nächste zweisprachige Ausgabe soll die „Vermischte Forschung“ des Ailianos erscheinen - ein buntes Werk, dem Sie Antworten etwa auf folgend Fragen entnehmen können: Welcher antike König war in einen Baum verliebt? Wer hat die Königsherrschaft als "ehrenvolle Sklaverei" bezeichnet? Wo durften Frauen keinen Wein trinken? Gab es eine antike Utopia? Wo kam Faulheit vor Gericht? Wo stand Kunst, die ihren Gegenstand schöner erscheinen ließ, als er war, unter Strafe? Wer war der erste "Trainspotter"? Wer hat das Katapult erfunden? Welcher Tyrann wurde nach seinem Sturz Grundschullehrer? Warum erweisen einen gefärbte Haare als Lügner? Wer stellte Grabsteine für Haustiere auf? Wo sind erstmals Brieftauben belegt? Gab es in der Antike so etwas wie den "Fluch der Pharaonen"? Wer war das Aschenputtel des Altertums? Wie vertrieb sich ein Perserkönig, der Analphabet war, auf langen Reisen die Zeit?Und derzeit bin ich in den „letzten Zügen“ eines Buches über „Dacia Felix“, also über die antike Geschichte Rumäniens, und einer kritischen Neuedition der Römischen Geschichte des Appianos von Alexandreia.
Vielen Dank, dass Sie meinen Lesern und mir so ausführlich Auskunft gegeben haben. Besonders auf Ihre geplante Neuedition von Appians Römische Geschichte freue ich mich schon, da für die aktuellste (bei Hiersemann erschienene) Ausgabe dieses antiken Werks längst Mondpreise verlangt werden.
Weiterführende Informationen zum Gesprächspartner:
- Homepage der Universität Erfurt
- Bücher bei Amazon (aber Achtung, dort gibt es auch einen Namensvetter, der Unterhaltungsliteratur veröffentlicht)
- Publikationen bei Academia.edu
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
- Kontroverse Ephesos-Forschung: Ein Interview mit der Grabungsleiterin Sabine Ladstätter
- Konstruktionsmethoden und Funktionsweise römischer Aquädukte
- Meine Kleidung des frühen Mittelalters - Teil 3: Die Tuniken
- Buch: Das römische Eigenheim / De Architectura privata
Danke hiltibold, danke Kai Brodersen, für dieses Interview!
AntwortenLöschenJutta
Es überrascht mich ein wenig, dass das Übersetzen antiker Schriften finanziell doch so wenig einbringt. Andererseits muss man als Universitätsprofessor glücklicherweise auch nicht darben ;-)
AntwortenLöschenVon Kai Brodersen besitze ich mehrere Übersetzungen. Und ich hoffe auf noch viele weitere Veröffentlichungen von ihm!
Die Verlage bekommen die Arbeit des Übersetzers hier sozusagen sehr oft für lau, denn wie Herr Brodersen richtig sagt, von ihm wird als Universitätsprofessor ohnehin erwartet, dass er publiziert. Wenn man den Faden weiterspinnt, dann bezahlt die Übersetzertätigkeit also schlussendlich der Steuerzahler über den Umweg der Professur. Womit ich persönlich kein Problem hätte, wenn nicht die Verlage, also private Unternehmen, dazwischengeschaltet wären und mitverdienen.
AntwortenLöschenGrüße,
Leo
Möglich wäre es, die Übersetzungen als "Open Access" zu veröffentlichen. Das Lektorat könnten z.B. die Unis finanzieren, schließlich können die sich auch wertlose Gender-Lehrstühle leisten. Aber vielleicht herrscht ja die Meinung vor: Was nichts kostet, ist (aus wissenschaftlicher Sicht) nichts wert? Warum sonst veröffentlichen viele Forscher in hoffnungslos überteuerten Journalen, obwohl es längst Alternativen gibt?
LöschenReclams bisherige Veröffentlichungspolitik bei umfangreicheren Übersetzungen war z.T. tatsächlich ziemlich eigenartig.
AntwortenLöschenSchön zu hören, dass sich das ändert, aber hoffentlich nicht nur bei Herodot, sondern auch bei Livius!
Der Wanderschmied
Herrn Brodersens Übersetzungen und Sachbücher sind mir bisher nur positiv aufgefallen.
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