Samstag, 2. Dezember 2023

📖 Buch-Rezension: Der Bunte Rock - Die Kulturgeschichte der Uniform vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg



Was ist der "bunte Rock"? Darunter versteht man laut dem Historiker und Autor Alexander Querengässer die vor allem ab dem 17. Jahrhundert nach und nach eingeführten farbenfrohen Uniformen des Militärs. Diese hoben sich vom vorherrschenden Bekleidungsdurcheinander der Zeit davor deutlich ab. Ausnahmen bestätigen die Regel, auf die in einer Einleitung kurz eingegangen wird. Allerdings rechtfertig das nicht, im Titel von einer "Kulturgeschichte der Uniform vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg" zu sprechen. Das ist im Angesicht des Buchinhalts viel zu hoch gegriffen und daher irreführend. Außerdem ist diese Übertreibung überflüssig, denn das Buch kann auch ohne diesen 'imaginierten' Zusatz-Zeitraum mit einer hohen Informationsdichte, zahlreichen Abbildungen sowie nützlichen Quellenangaben überzeugen. 

Gleich zu Beginn erfährt der militärhistorisch interessierte Leser Erstaunliches. Zwar wird es nicht gleich jeden überraschen, dass historische Gemälde - aufgrund der häufigen militärischen Unwissenheit der Maler - hinsichtlich der darin dargestellten Uniformen als Quelle nicht sehr verlässlich sind. Aber dass sogar Fotos lügen können, kommt doch ziemlich unerwartet. Denn wer hätte gedacht, dass etwa deutsche Portraitfotografen im 19. Jahrhundert einen oft reichhaltigen Fundus an Uniformen und militärischen Ausrüstungsgegenständen in ihren Ateliers bereit hielten, um Soldaten damit auszustaffieren, weil es diesen meist nicht gestattet war, in ihrer Freizeit in bester und voller Montur die Kaserne zu verlassen?! Wenig überraschend stimmte dann auf etlichen Fotos manch Detail nicht! Doch schlimmer noch: Selbst die offiziellen staatlichen Druckwerke, in denen die Standards für Uniformen und Ausrüstungsgegenstände genau beschrieben werden, sind unverlässlich, da beispielsweise das Ideal aufgrund nicht normierter Produktionsmöglichkeiten von der Realität sehr oft abwich. Dies alles führt beispielsweise dazu, dass heutzutage manch Reenactor, der sich für einen pingeligen Rechercheur hält, in einem Aufzug herumläuft, welcher mehr oder weniger so nie existiert hat.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Buch behandelt wird ist die Herstellung der Uniformen - inklusive der verwendeten Materialien. Wie anhand von zitierten Schreiben aus dem 18. und 19. Jahrhundert gezeigt wird, gab es immer und immer wieder Beschwerden, wonach neu eingeführte Uniformen bzw. deren Schnitte zwar modisch schick, aber im Feld völlig unpraktisch waren. So mussten Soldaten wegen der Modebegeisterung ihrer Herrscher frieren - oder auch deshalb, weil diese aus Kostengründen Material einsparen wollte. Aspekte, die wir heute beim Betrachten alter Uniformen praktisch nie in Erwägung ziehen. Stattdessen lassen wir uns bequem von ihrem vermeintlichen Glanz blenden. Dieser Glanz war es freilich auch, der dazu geführt hat, dass das Militär im späten 19. Jahrhundert zunehmend zu Uniformen wechselte, in denen die Soldaten für die immer weitreichenderen und genauer treffenden Waffen keine so guten Zielscheiben mehr abgaben. Irgendwann war der "Bunte Rock" dann auch Geschichte - abgesehen von Ausnahmen wie etwa einigen wenigen rotberockten Soldaten in britischen Diensten, die bei Paraden noch einmal die militärische Pracht und Macht vergangener Zeiten aufleben lassen (die unfähige Politiker in zwei Weltkriegen sukzessive verspielt haben).


Tja, und wäre hätte gedacht, dass im 18. Jahrhundert Moritz von Sachsen, ein hochadeliger deutscher General in den Diensten Frankreichs, darüber nachdachte, seinen Rekruten nach "Art der Indianer" Tätowierungen mit der Regimentsnummer zu verpassen, um das Desertieren zu erschweren? Hier wurde übrigens in gewisser Weise gedanklich etwas vorweggenommen, was viel später bei der SS in Form von Blutgruppentätowierungen vorgeschrieben wurde.
Solche und viele weitere interessante Informationen sorgen für ein abwechslungsreiches Lesevergnügen.

Noch eine kleine kritische Anmerkung zum Schluss: Der Lektor des Buchs (und/oder die Druckerei) scheint mir ein bisschen geschlafen zu haben, denn unübersehbar gibt es beim Klappentext hinten im zweiten Absatz phasenweise ein gröberes Problem mit dem Wortabstand. Noch einen Tick unerfreulicher ist, dass auf Seite 50 der zweite Absatz im totalen Durcheinander endet:
"Frankreich entwickelte in den 1830er-Jahren für seine in Algerien dienenden Truppen das casquettes d'Afrique, einen niedrigeren und leichteren Filztschako. Aus diesem entstand schließlich in der Mitte des Jahrhunderts das bonnet de police à visière oder kurz Képi, Armeen der Welt große Popularität erlangen sollte, etwa den amerikanischen Truppen im Bürgerkrieg, aber auch in vielen lateinamerikanischen Heeren große Popularität erlangen sollte."  🙄


FAZIT: "Der bunte Rock" enthält eine Vielzahl an sehr interessanten und allgemein verständlich aufbereiteten Hintergrundinformationen zur Geschichte der Uniformierung westlicher Armeen zwischen ca. 1650 und 1914. Wobei der Schwerpunkt eindeutig im 18. und 19. Jahrhundert liegt. 
Ich denke, dass dieses Buch, abseits kleinerer Kritikpunkte, eine äußerst nützliche Grundlage für Recherchen in diesem Themengebiet darstellt. Nicht zuletzt weil der Autor anhand von etlichen Beispielen verdeutlicht wie wichtig es ist, sich beim Umgang mit Quellen ein gehöriges Maß an Skepsis zu bewahren.  

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Weiterführende Informationen:



2 Kommentare:

  1. Danke für den Tipp, das Buch werde ich mir selber zu Weihnachten schenken 🙂
    W.T.C.

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  2. Das hört sich nach interessanter Winterlektüre an. Muss ich mein Buchbudget wohl etwas überstrapazieren, weil eigentlich bin ich bis Jahresende schon voll eingedeckt :o)

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