Aus der Reihe Kleidung des Mittelalters selbst anfertigen (Zauberfeder Verlag) stammt das Buch Schuhe des Hoch- und Spätmittelalters, in dem der Schustermeister Stefan von der Heide (Meister Knieriem) Schritt für Schritt die Herstellung mittelalterlicher 'Fußbekleidung' erläutert: Angefangen beim richtigen Maßnehmen, den benötigten Werkzeugen sowie Materialien bis hin zu den bildlich detailliert dargestellten Arbeitsschritten.
Autor und Verlag wollen hier, wie es heißt, handwerklich begabten Menschen einen Leitfaden zur Verfügung stellen, mit dessen Hilfe und etwas Geduld es möglich sein soll, ansehnliche und gut tragbare Schuhe unterschiedlichster Art und Zeitstellung (1150-1500) anzufertigen.
Das zentrale Schlüsselwort ist hier "Geduld". Da ich darüber nicht im nötigen Ausmaß verfüge 😊, beauftrage ich lieber Profis wie den Autor mit der Schuhherstellung (siehe hier).
Mein Interesse an diesem Buch beruht deshalb auch eher darauf, mehr über das Schusterhandwerk und mittelalterliche bzw. wendegenähte Schuhe erfahren zu wollen. In der Hinsicht wurde ich auch keinesfalls enttäuscht, kann aber freilich aufgrund fehlender Überprüfung in der Praxis nicht sagen, wie leicht es einem absoluten Laien tatsächlich fällt, mithilfe dieses Buchs für sich passende Schuhe anzufertigen. Siehe z.B. das nachfolgende Bild, das dem Kapitel über die Herstellung eines Schnabelschuhs entnommen wurde. So wie hier, darf man sich auch die meisten anderen Anleitungen vorstellen.
Ein wenig schade ist, dass bei den Herstellungsanleitungen der unterschiedlichen Schuhmodelle nicht kurz die zugrundeliegenden historischen/archäologischen Quellen genannt werden Das würde den Nutzen des Buch vor allem für Living-History-Hobbyisten zusätzlich steigern. Aber immerhin, die entsprechende Zeitstellung wird jeweils genannt.
Sehr interessant war für mich ein über vier Seiten gehender 'Zeitstrahl' (siehe nachfolgende Abbildung), an dem mittels unterschiedlicher Schuhmodelle die Entwicklung der Schuhmode in Europa von ca. 1150 bis 1500 illustriert wird. Wobei, wie es heißt, bestimmte modische Veränderungen möglicherweise von Klimaschwankungen beeinflusst worden sind: Kältere und feuchtere Perioden führten beispielsweise zu einer Zunahme hoher Schuhe bzw. Stiefel. Das hört sich nicht unlogisch an.
Absolut nützlich ist das Kapitel "Verlängern der Tragedauer", in dem neben Reparaturanleitungen Hinweise zur Pflege mittelalterlicher Schuhe gegeben werden. Beispielsweise ist das Fett von Landsäugetieren für die Lederpflege ungeeignet, hingegen können Fischtrane oder bestimmte Pflanzenöle verwendet werden (in diesem Zusammenhang ist mir eingefallen, dass ja schon Cato der Ältere schreibt, zur Lederpflege eigne sich Ölschaum - ein Nebenprodukt beim Pressen von Oliven - besonders gut).
Der Autor weist freilich darauf hin, dass im Mittelalter (täglich getragene) Schuhe wahrscheinlich nur 3-4 Monate gehalten haben und daher ohnehin nicht übermäßig viel gepflegt wurden. Oft hat man sie nicht einmal repariert, sondern ausgeschlachtet und das hierbei gewonnene Leder für die Herstellung neuer Schuhe verwendet.
Fazit: Man merkt, dass dieses 80-seitige Buch von jemanden geschrieben wurde, der nicht nur ein handwerklicher Fachmann ist, sondern auch selbst Erfahrungen mit Reenactment bzw. Living History gesammelt hat. Die Illustrationen sind reichhaltig und das Layout wirkt sehr liebevoll gemacht. Der Kaufpreis beträgt knapp 25 Euro.
Vorwort
Schuhmode im Hoch und Spätmittlelater
Am Anfang steht der Fuß
- Anatomische Grundlagen
- Maßnehmen
- Leisten
Material und Werkzeug
- Werkzeug
- Leder
- Gerbverfahren
- Pech
Schaft
- Schaftkonstruktion nach Winkelsystem
Schaftkonstruktion für Halbschuhe
Schaftkonstruktion für überknöchelhohe Schuhe, halbhohe Schuhe und Halbstiefel
Schaftkonstruktion für kniehohe Stiefel
Schaftkonstruktion für Lersen
Grundmodelle von Schuhtypen
- Halbschuh
mit Ristschnürung (11./12. Jh.)
mit seitlichem Schnürverschluss (Ende 12. bis Anfang 14. Jh.)
mit seitlichem Schnallenverschluss(13.-15. Jh.)
als Schnabelschuh (2. Hälfte 14. Jh.)
mit vorderem Schnürverschluss und Lasche (13.-15. Jh.)
als Schnabelschuh (2. Hälfte 14./15. Jh.)
mit seitlicher Schnürung vor dem Innenknöchel (Ende 12. - 14. Jh.)
- Überknöchelhoher Schuh
mit seitlichem Schnürverschluss (13./14. Jh.)
- Halbhoher Schuh
mit seitlichem Schnürverschluss (14./15. Jh.)
mit umlaufendem Schnürverschluss(12./13. Jh.)
mit Schließen (14.-15. Jh.)
mit vorderem Schnürverschluss, in der Mitte gebunden (14./15. Jh.)
mit vorderem Schnürverschluss, seitlich gebunden (14./15. Jh.)
mit Knöpfriegelverschlüssen (Ende 13. - 15. Jh.)
Bundschuh (2. Hälfte 15./16. Jh.)
- Halbstiefel
mit umlaufendem Schnürverschluss (12.-14. Jh.)
mit vorderem Schnürverschluss (14./15. Jh.)
mit Knöpfriegelverschlüssen (13.-15. Jh.)
mit Schließen (Ende 14. - 15. Jh.)
- Stiefel
Kniehohe Stiefel (13.-15. Jh.)
Lersen (14./15. Jh.)
Schaftfertigung
- Zuschneiden
- Pechdraht
- Eindrehen einer Schweinsborste
- Einsetzen eienr Stahlborste
- Nahtarten am Schaft
- Schaftmontage
Bodenbau
- Sohlenformen
- Zwicken
- Sohlennaht
- Herausziehen der Leisten
- Umwenden der Schuhe
- Schnabel
Verlängerung der Tragedauer
- Schuhpflege
- Sohlen- und Schaftreparaturen
- Innensohlen
- Teilsohlen
- Trippen
Glossar
Quellenangaben
Bezugsquelle
Danksagung
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Weitere Informationen:
Weitere interessante Themen:
- Buch: Kleidung des Mittelalters selbst anfertigen – Gewandungen der Wikinger
- Interview mit dem Experimentalarchäologen Marcus Junkelmann: Von Junk-Living-History und Billig-Reenactment
- Meine Kleidung des frühen Mittelalters - Teil 2: Schuhe und Hose
- Ein breiter Streifen oder zwei? - Die "tunica laticlavia" römischer Senatoren
Das Buch kenne ich und kann es nur empfehlen! Es baut auf Stefans Schumacherkursen auf. Absolute Neulinge oder handwerklich nicht so geschickte Menschen werden jedoch Schwierigkeiten haben - aber nicht wegen der Anleitungen, sondern weil Schuhmacher auch im Mittelalter nicht ohne Grund ein Lehrberuf war.
AntwortenLöschenIch habe mir in einem Kurs bei Stefan ein Paar elegante Riemchenschuhe genäht (ähnlich dem Modell rechts oben in der Zeitleiste, nur ohne Spitze). Fazit: Schuhe nähen ist kein Kinderspiel, fachliche Anleitung absolut hilfreich.
- Fränkin -
Das Buch ist spitze, aber wie die "Fränkin" oben schon geschrieben hat, einfach ist es trotzdem nicht, sich ein paar Schuhe anzufertigen. Wobei es natürlich unterschiedliche Schwierigkeitsgrade gibt, die von den einzelnen Schuhmodellen abhängig sind. Ich selbst habe insgesamt drei Versuche benötigt, bis ich mit dem Ergebnis wirklich zufrieden war.
AntwortenLöschenGuinevere
Den Verlag kannte ich noch gar nicht. Schaut auf jeden Fall interessant aus!
AntwortenLöschenBB