Der ORF zetert: Ohne Geschichtsmatura zum Deppendasein verdammt
Ein paar Redakteure der Nachrichtensendung ZiB 1 (12. Mai 2019) sprangen jüngst beschleunigt im Kreis, weil in Italien Geschichte als Maturafach gestrichen werden soll. Ganz schlimm wäre das, denn Geschichte sei schließlich die Grundlage für politische Entscheidungen. Die Vergangenheit solle hier "verdrängt werden", hyperventilierte man. Und mit 'Vergangenheit' ist - wie ein Einspieler rasch klar machte - ausschließlich die Zeit Mussolinis gemeint. Der große Rest der italienischen Geschichte dürfte dem ORF ziemlich wurscht sein (das passt freilich zum Geschichtsverständnis dieser öffentlich-rechtlichen Rundfunker; mehr dazu weiter unten).
Bei etwas näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass das Fach Geschichte wirklich nur aus der italienischen Reifeprüfung gestrichen werden soll, selbstverständlich aber als Unterrichtsfach erhalten bleibt und dementsprechend auch zukünftig einer Benotung unterliegt.
Des Weiteren wäre die Petitesse erwähnenswert, dass auch bisher schon sehr viele Italiener Geschichte nicht als Maturafach hatten, einfach weil sie erst gar keine Matura absolvierten! Und auch in Österreich maturiert die Bevölkerungsmehrheit nicht in Geschichte. Trotzdem wurde bisher nicht behauptet, dass solchen Personen die Fähigkeit abgeht, politische Entscheidungen zu treffen bzw. wählen zu gehen. Alle Kirschen scheinen die Krawall-Journalisten des ORF demnach nicht mehr auf der Torte zu haben, wenn hier plötzlich mit dem Finger auf Italien gezeigt wird.
Und überhaupt: Dass ausgerechnet der ORF sich über das angebliche "Verdrängen" von Geschichte aufpudelt, löst bei mir beinahe einen Lachkrampf aus. Schließlich kann der geneigte Seher die Geschichte Österreichs gerade im Programm der immerhin vier ORF-Kanäle nur in homöopathischen Dosen wahrnehmen. Zumindest wenn er an Ereignissen interessiert ist, die sich in den Jahrhunderten und Jahrtausenden vor 1918 abspielten. Hier bewegt sich der Österreichische Rundfunk, verglichen mit deutschen Sendern wie dem SWR, auf dem Niveau eines abgesandelten Teleshopping-Kanals. Erst vor wenigen Monaten hat mir eine Archäologin erzählt, dass der ORF ihre Anfragen, ob denn nicht Interesse bestünde, von archäologischen Grabungen zu berichten, im Verlauf von zwei Jahrzehnten fast immer abschlägig beschieden hat. Saftladen.
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Sprachmüll im Leitfaden des Bundesdenkmalamtes
In den aktuellen Richtlinien für Archäologische Maßnahmen des österreichischen Bundesdenkmalamtes heißt es gleich auf Seite 6 (zweiter Absatz):
Seitens des/der ProjektleiterIn [...]
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Was soll dieser Schmarrn? Die männliche Schreibweise muss lauten: des Projektleiters - und nicht des Projektleiter. Erstere Schreibweise, also die grammatikalisch richtige, ist in diesem verschachtelten Sprachmüll nicht enthalten.
Ich bin schon gespannt, welche originell 'gegenderten' Formulierungen beim Lesen der noch folgenden rund 70 Seiten auf mich warten!
Übrigens, bevor jetzt jemand vor sich hin murmelt, dass meine Texte auch nicht fehlerfrei sind: Ja, aber die Verantwortlichen des BDA sind keine Hobby-Blogger wie ich, sondern werden für ihren Job bezahlt und verfügen über Zeit sowie Ressourcen, ihre amtlichen Veröffentlichungen vorab ausführlich gegenlesen zu lassen. Außerdem sind meine Fehler nicht ideologisch bedingt bzw. absichtlich.
PS: Wer meint, peinlicher als im Falle des obigen Beispiels gehts eigentlich in Sachen "Geschlechtergerechtigkeit" nicht mehr, werfe doch einen Blick nach Hannover: Klick mich
Wie man hier von "Gerechtigkeit" sprechen kann, obwohl doch in Wirklichkeit bloß die Verhältnisse umgedreht werden, dürfte für jeden Menschen, bei dem wenigstens zwei Gehirnzellen funktionstüchtig geblieben sind, ein Rätsel darstellen. Orwells 'Neusprech' lässt grüßen.
PS: Wer meint, peinlicher als im Falle des obigen Beispiels gehts eigentlich in Sachen "Geschlechtergerechtigkeit" nicht mehr, werfe doch einen Blick nach Hannover: Klick mich
Wie man hier von "Gerechtigkeit" sprechen kann, obwohl doch in Wirklichkeit bloß die Verhältnisse umgedreht werden, dürfte für jeden Menschen, bei dem wenigstens zwei Gehirnzellen funktionstüchtig geblieben sind, ein Rätsel darstellen. Orwells 'Neusprech' lässt grüßen.
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Die ambitionierte Museumspädagogik des Campus Galli
Die von mir bekanntlich hochgeschätzte Mittelalterbaustelle Campus Galli ist für ihr museumspädagogisches Programm über die deutschen Landesgrenzen hinweg berühmt. Ein weiteres Highlight wurde nun auf der Facebook-Seite des Projekts angekündigt:
Gemeinsam mit dem Sensenverein Deutschland e.V. bieten wir auf unserem Gelände einen Dengel- und Sensenkurs an.
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😃😂
Abschließend eine Info für jene, die es noch nicht mitbekommen haben: Beim Campus Galli wurde kürzlich eingebrochen. Nicht bekannt ist, ob dabei auch Sensen gestohlen wurden. Jedoch haben die Betreiber als Reaktion auf den Einbruch bei Facebook eine eindeutige Handgeste in Richtung der Diebe veröffentlicht. Dieses Posting wurde nach Beschwerden von Projekt-Fans ("unprofessionell") allerdings wieder gelöscht (normalerweise löschen und sperren sie ja nicht ihr eigenes Zeug, sondern das von Projekt-Kritiker). Näheres dazu findet man im Campus-Galli-Diskussionsforum dieses Blogs (dort etwas nach unten scrollen zu meinem Eintrag vom 23. April): Klick mich
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Vor Geschichte fallen mir mehrere Dinge ein, die wichtiger oder gleich wichtig wären, aber bisher so gut wie gar nicht vorkommen. ZB die Vermittlung Vermittlung von solidem wirtschaftlichem Wissen.
AntwortenLöschenVon Dieser Hannover-Sache habe ich auch schon gehört. Das ist auch absolut lächerlich. Aus mehreren Gründen. Einer ist, dass viele Frauen gar kein Damenrad mehr verwenden. Wo leben diese Politiker eigentlich?
LG,
Erwin
Mein Trekkingbike ist auch kein "Damenrad". Wozu soll das heute überhaupt noch gut sein? Schließlich gibt es auch keine Damensättel für Pferde mehr. Wenn ich mich in meiner Kleinstadt umschaue, dann sehe ich dort schon lange wesentlich mehr "Herrenräder" auf der Straße.
Löschen° Guinevere °
Der Rahmen eines sogenannten Herrenrades ist aus naheliegenden gründen stabiler als der eines Damenrades. Weil außerdem Frauen heute (leider) kaum noch Röcke oder Kleider tragen, ist die Aufstiegshilfe in Form einer anderen Rahmenkonstruktion weitestgehend überflüssig.
LöschenDer Wanderschmied
In einem der Kommentare unter dem Fahrrad-Artikel stand sehr schön, daß es sich doch auch um ein Rad mit niedrigem Einstieg handeln könne, das besonders gern von älteren Personen beiderlei Geschlechts benutzt wird.
LöschenInteressant auch, daß sich so viele aufregen, wenn der Spieß mal umgedreht und die Frauenseite als "Norm" genommen wird. Dann ist auf einmal nicht mehr die Rede davon, daß ja das nichtgenannte Geschlecht selbstverständlich mitgemeint sei ...
- Fränkin -
Das Problem ist die offensichtliche Heuchelei. Hier von Gleichberechtigung zu reden, wie es die Verantwortlichen machen, entspricht einfach nicht der Realität. Das regt auf, nicht die Abbildung eines Damenrades.
LöschenVon mir aus können sie auch ein Hochrad auf die Straße pinseln, solange erkennbar ist, dass hier Fahrradfahrer angesprochen werden sollen. Wie aber Hiltibold richtigerweise geschrieben hat: die Falschettiketierung von Begriffen a la "1984" ist hier das Übel, nicht das Piktogramm an sich. Und das betrifft nicht nur diesen Fall, sondern zieht sich durch die ganze verlogene Gleichberechtiguingsdebatte.
LöschenUnd was jemand in der Kommentarspalte des Artikels zu diesen Rädern als seine Privatmeinung reinschreibt, ist ja schön und gut, aber ich halte mich an die offizielle Lesart.
LG,
Erwin
Die Entscheidungsträger Hannovers kaufen ihre Sojamilch und ihre Gillette-Rasierer bestimmt bei Edeka. :-)
AntwortenLöschenGero
Die Veranstaltungshighlights des Campus Galli machen mächtig Eindruck ;-)
AntwortenLöschenWas aber auffällig abgeht, sind Living-History-Veranstaltungen wie etwa ein Feldlager von zeitlich passenden Gruppen. Das Gelände würde sich anbieten. Warum also nicht mal so etwas?
° Guinevere °
Sie behaupten, es gäbe für so eine Veranstaltung nicht ausreichend Darsteller und Gruppen, die in die Karolingerzeit passen. Das ist aber natürlich Unsinn.
LöschenSollen sie halt ein paar Ottonen dazu nehmen, die sehen im Prinzip sowieso gleich aus. Hiltibold kommt bestimmt gerne ;-)
LöschenGero
Selbstverständlich würde ich mir das auf keinen Fall entgehen lassen ;)
LöschenBeim BDA wundert mich gar nichts mehr, nachdem man dort vor ein paar Jahren einen Text mit diesem typisch umgedrehten Sexismus publiziert hat, in dem es hieß, die Archäologie müsse weiblicher werden. Als ob das Geschlecht eine bedeutende berufliche Qualifikation für einen Archäologen darstellt oder im Fach Archäologie ein Frauenmangel bestünde.
AntwortenLöschenLG,
Martina
Jede Wette, dass auch die große Mehrheit der ORF-Mitarbeiter in Geschichte nicht maturiert hat. Von den Technikern sowieso so gut wie keiner, aber auch von den Journalisten bestimmt viele nicht.
AntwortenLöschenDaran sieht man, wie abgrundtief deppert und sich selbst ad absurdum führend die ganze Argumentation in diesem Fernsehbeitrag ist.
Karl0
Grüß dich Hiltibold, mit dem ORF habe ich meine ganz persönlichen, sehr einprägsamen Erfahrungen gemacht. Vor ein paar Jahren habe ich als Student der Ur- und Frühgeschichte an einer Grabung in Niederösterreich teilgenommen, die für eine Dauer von 9 Tagen angesetzt war. Am zweiten Tag hat es geheißen, der ORF würde heute noch zu uns kommen, um zu filmen und in den Bundesländernachrichten zu berichten. Gekommen ist allerdings niemand, und zwar ohne abzusagen. Aber am nächsten Tag möchte man kommen, hat es auf Nachfrage geheißen. Daraus geworden ist wieder nichts, diesmal aber wenigstens ist abgesagt worden. Danach war für unsere Grabungsleiterin die Sache erledigt, sie hatte genug vom ORF. Doch dann, am letzten Tag, ohne Ankündigung und nichts, stand plötzlich ein Kamerateam vor uns. Wir waren gerade dabei, alles zusammenzuräumen und in die Autos zu packen. Der ORF-Mensch war darüber sichtlich verstimmt und hat gefragt, warum nichts mehr zu sehen ist? Unsere Grabungsleiterin war dann so freundlich (viel zu freundlich, finde ich) und hat für ein paar Bilder noch einmal ihr Werkzeug ausgepackt und ein bisschen geschauspielert.
AntwortenLöschenWenn ich dann hier lese, dass Archäologen über zwei Jahrzehnte hinweg ähnliche negative Erfahrungen gemacht haben, dann wird mein Erlebnis leider kein Einzelfall gewesen sein. Sehr, sehr schade, dass der gebührenfinanzierte Rundfunk im bereich der Archäologie dermaßen versagt.
Hallo, Einzelfall ist das tatsächlich keiner. Ich habe mehrere Erfahrungsberichte, die ähnlich negativ sind wie deiner. Der ORF berichtet offensichtlich lieber vom Maibaumaufstellen in Kickritzpotschen, anstatt der lokalen Archäologie einen angemessenen Raum in seinem Programm einzuräumen.
LöschenGrundsatzfrage: Wer braucht viele Maturanten, Abiturienten und Studenten im Fach Geschichte? Wie wäre es mit mehr STEM? Geschichte ist doch wie Philosophie längst zu einem Fach verkommen, in dem sich vor allem junge Leuten durchschlängeln, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Ich möchte damit hier übrigens niemanden attackieren. Es gibt ja immer noch Menschen, die Geschichte und Geschichtswissenschaft ernst nehmen und kritisch bleiben. Dazu zähle ich auf jeden Fall auch Hiltibold und sein Blog!
AntwortenLöschenEs stimmt auch. Ich kann das aus persönlicher Erfahrung ja sehr gut vergleichen. Allerdings ist auch der MINT-Bereich in Europa am absteigenden Ast. Es gibt z.B. mittlerweile Personen, die als Diplominformatiker abschließen, aber nicht einmal mehr wissen, wie man, ohne zu googeln, eine binäre Darstellung in eine dezimale überführt. Von einer hexadezimalen will ich gar nicht erst reden.
LöschenDer Grund für diese Qualitätsmisere liegt darin, dass man das Informatikfach auch für jene attraktiv machen möchte, die eigentlich nicht die Eignung bzw. Neigung dafür besitzen. Dieser Maxime folgend, wird statt solidem Grundlagenwissen zunehmend Blabla vermittelt. Allerweltsgejammer über die angebliche Diskriminierung durch böse Algorithmen ist eben bei weitem nicht so starker Tobak wie Mathematik.