Lochsteine in der Steiermark | Details dazu hier | Fotos (C) Heinrich Kusch |
Der Höhlenforscher/Prähistoriker Heinrich Kusch und der Geologe Sebastian Wiesmair haben vor einigen Wochen im Tagungsband des Verbands Österreichischer Höhlenforscher (Speleo Austria 2023) einen lesenswerten wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlicht, auf den ich an dieser Stelle ausdrücklich hinweisen möchte - der Titel lautet: "Zur Altersbestimmung von megalithischen unterirdischen Trockenmaueranlagen und Steinmonumenten in der Nordsteiermark, Austria." Er ist als PDF abrufbar (auf das Heftcover neben dem Abstract klicken, um vollen Zugang zu erhalten).
Der sehr ins Detail gehende Text nimmt einschlägigen Kritiken bis zu einen gewissen Grad den Wind aus den Segeln, nachdem von ihnen bemängelt wurde, dass das Forscher-Ehepaar Heinrich und Ingrid Kusch seine gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich oberirdischer und unterirdischer Steinsetzungen (Lochsteine, Menhire, Erdställe) ausschließlich im Rahmen populärwissenschaftlicher Bücher präsentieren würde. Siehe dazu ein längerer Kommentar unter meiner ersten Rezension von Heinrich und Ingrid Kuschs Bestseller "Geheime Unterwelt" sowie die Wortmeldung eines Anrufers, der in ein Podcast-Interview mit Heinrich Kusch sozusagen hineingegrätscht hat (Timcode 2:52:15) und eine sehr ähnliche Kritik formulierte; möglicherweise handelt es sich dabei um ein und dieselbe Person.
Zum Inhalt
Gleich vorweg, Heinrich und Ingrid Kuschs Theorie von den einst unterirdisch lebenden Völkern wird hier nicht erörtert, sondern ein aus meiner Sicht wesentlich solider argumentierbarer Teilaspekt; nämlich die dramatisch nach hinten verschobenen Neudatierungen von mutmaßlich prähistorischen Steinbauten, welche sich auffällig in der Region rund um die oststeirische Marktgemeinde Vorau häufen.
Lochsteine und unterirdische Gangsysteme (sog. "Erdställe") wurden bisher von der 'Mainstream'-Forschung, die auch die einschlägigen Wikipedia-Artikel 'betreut', aus Bequemlichkeit oder schlichter Borniertheit zeitlich pauschal ins Mittelalter, die Frühe Neuzeit oder bestenfalls in die römische Antike verortet - und das obwohl man mittlerweile bei Ausgrabungen Hinweise auf mitunter wesentlich ältere Errichtungszeitpunkte gefunden hat. So etwa im tschechischen Komplex von „Sádky“, wo aus einer Grube mit anschließendem Gangfragment organisches Material geborgen wurde, welches mittels etablierter C14-Methode auf ein Alter von rund 7700 Jahre datiert wurde. Auch am steirischen Kulm wurden von Ausgräbern einschlägige Belege entdeckt, die ein Überdenken bisheriger Ansichten erfordern; konkret handelte es sich bei den Funden um Lochsteinfragmente in jungsteinzeitlichen Kulturschichten.
Kusch und Wiesmair haken hier ein. Ihnen zufolge sollen viele der bekannten Steinsetzungen/Gänge wesentlich älter sein, als bisher angenommen wurde. Von einer völlig unbekannten megalithischen Kultur in der Oststeiermark, die sich dahinter verbirgt, ist die Rede. Je nach untersuchtem Steinobjekt schwankt die Datierung zwischen mindestens 10000 und 55000 Jahren! Grundlage dafür ist vor allem die sogenannte TCN-Methode (Terrestrial Cosmogenic Nuklides). Mit ihr kann das Alter der Oberflächen von bearbeiteten Steinobjekten unter bestimmten Umständen bestimmt werden. Dieses relativ kostspielige Verfahren kam bisher vor allem in der Geologie zum Einsatz, seit einiger Zeit aber auch zaghaft in der Archäologie. Es ist komplex und bedarf vieler Kalibrierungen bzw. Korrekturen. Meiner Einschätzung nach wurden in der Vergangenheit Kuschs archäologisch verwendete TCN-Datierungen gerade von einigen kritischen Laien nicht für voll genommen, da ihnen wohl schlicht der Durchblick fehlt und ihre Kenntnisse der Methode nahezu ausschließlich auf einem rudimentären Wikipedia-Artikel beruhen dürften.
Im vorliegenden Text von Heinrich Kusch und Sebastian Wiesmair, der übrigens zu guten Teilen auf einer Masterarbeit des Letzteren beruht, wird nun sehr detailliert darauf eingegangen wie TCN funktioniert und wie die Methode im Fall der oststeirischen Forschungsobjekte zum Einsatz kam.
Bis jetzt wurden im Gebiet um Vorau auf einer Gesamtfläche von rund 400 Quadratkilometern durchschnittlich 1,4 Lochsteine oder Menhire sowie eine unterirdische Trockenmaueranlage pro Quadratkilometer entdeckt - Tendenz mit fortschreitender Zeit steigend. Ursprünglich soll es dort jedoch weit über 1500 solcher über- und unterirdischen Zeugen einer bisher unbekannten megalithischen Kultur gegeben haben, die zum Teil in engem Bezug zueinander stehen könnten. So heißt es in der lokalen Überlieferung der Bevölkerung, dass die Lochsteine auf den Verlauf unterirdischer Gangsysteme hinweisen würden. Viele dieser Objekte wurde und werden bis heute leider komplett zerstört, verkauft oder einer einer Zweitnutzung zugeführt, wie etwa als Schwellensteine bei Türen im landwirtschaftlichen Bereich.
Fazit: Ein sehr erhellender Text, den man sich unbedingt durchlesen sollte. Besonders den Kritikern der Megalith-Datierungen des Ehepaars Kusch sei das empfohlen.
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Weiterführende Informationen:
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Jetzt verstehe ich das TCN-Gedöns endlich, danke für den Link !
AntwortenLöschenGutes neues Jahr!
Ludwig
Super Aufsatz von den beiden Herren. Es ist wichtig, die Methoden und Hintergründe zu erläutern.
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