In der frühmittelalterlichen Lex Baioariorum - dem Stammesrecht der alten Bayern (Bajuwaren) - findet sich folgende Textstelle, die etwa bei Vertretern der sogenannten "Feministischen Archäologie" die Fantasie anregt.
28. Wenn jemand einen Freien tötet, zahle er an seine Verwandten, wenn er Verwandte hat. Wenn er aber keine hat, zahle er an den Herzog oder an den, dem er sich zu Lebzeiten unterstellt hat, zweimal 80 Schillinge, das sind 160. 29. Wenn aber etwas von diesen Dingen bei Frauen geschieht, wird alles doppelt gebüßt; da sich eine Frau nicht mit Waffen verteidigen kann, erhält sie doppeltes Bußgeld. Wenn sie aber mit mutigem Herzen kämpfen will wie ein Mann, soll ihr Bußgeld nicht verdoppelt werden Lex Baioariorum, Auszug aus: IV. Über die Buße für Freie | Verlag Friedrich Pustet |
Diese Form des Bußgeldes, auch "Wergeld" (=Manngeld) genannt, war in unseren Breiten während des Frühmittelalters eine übliche Form der Sühne für Kapitalverbrechen. Gefängnisse im modernen Sinn gab es damals nicht und die Todesstrafe war vergleichsweise unüblich (vereinfacht ausgedrückt; außerdem änderte sich das im Verlauf des weiteren Mittelalters dramatisch!). Überhaupt waren Bußgelder - auch bei geringfügigen Gesetzesverstößen - sehr weit verbreitet. Wobei nicht völlig klar ist, ob all diese Bußgelder in der damals stark landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft wirklich in gemünztem Geld bezahlt wurden oder nicht doch häufig in Naturalien, die den entsprechenden Gegenwert besaßen (besonders das bei den Germanen laut Tacitus so beliebte Rind könnte hierfür verwendet worden sein). Aufgrund der vergleichsweise seltenen frühmittelalterlichen Münzfunde geht man heute eher von letzterer Annahme aus (auch wenn jemand wie der berühmt-berüchtigte Chronologiekritiker Heribert Illig den Mangel an frühmittelalterlichen Münzen auf etwas ganz anderes zurückführen würde 😉).
Besonders interessant ist am zitierten Beispiel, dass beim Töten einer Frau die doppelte Strafe fällig wurde (das gilt auch für die davor genannten, aber von mir nicht extra zitierten Formen von Körperverletzung). Eventuell aufgrund der zutreffenden Ansicht, dass die Frau bei einer physischen Auseinandersetzung gegen einen Mann tendenziell den Kürzeren zieht und der Handlung deshalb eine große Portion Unfairness innewohnt. Nicht nur aufgrund des Kraftunterschieds, sondern auch, weil im Frühmittelalter die meisten Männer, anders als die Frauen, im Umgang mit Waffen geschult gewesen sind. Der Grund dafür lag nicht zuletzt darin, dass es dazumal kein Berufsheer gab, sondern vielmehr eine Verpflichtung für die große Masse der freien Bauern, sich im Kriegsfall dem Herrscher als Kämpfer zur Verfügung zu stellen. Dass andererseits nicht jede Frau automatisch ein wehrloses Opfer war, verdeutlicht die nachgeschobene Formulierung: "Wenn sie aber mit mutigem Herzen kämpfen will wie ein Mann..." Was damit konkret gemeint ist, lässt sich schwer sagen. Es entsteht hier aber der Eindruck, dass es doch einige Frauen gab, die sich nicht scheuten, eine Waffe zu benutzen. Jedoch für die steile feministisch inspirierte These, der zufolge die obige Formulierung in der Lex Baioariorum auf die womöglich sogar regelhafte Existenz weiblicher Krieger im Frühmittelalter hindeute, gibt es bisher keinen einzigen archäologischen oder sonstigen Beleg. Im Gegenteil, die rechtliche Vorschrift ist offensichtlich nicht auf das Szenario eines Krieges gemünzt, sondern auf das zivile Leben. Denn für das Töten im Krieg wurden keine Strafen verhängt! So muss also die Frau bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung nicht gleich eine eigene Kampfausrüstung, z.B. bestehend aus Schild, Speer und Schwert, verwendet haben. Es kann genauso gut ein zufällig in Reichweite liegendes Messer, eine Mistgabel oder schlicht ein Knüppel gewesen sein. Durchaus ist es außerdem denkbar, dass mitunter die Frau der Aggressor gewesen ist und auch dieser Aspekt eine Rolle bei der Formulierung der entsprechenden Passage in der Lex Baioariorum gespielt hat. Will heißen, wenn eine Frau sich leichtfertig, also nicht in einer reinen Selbstverteidigungssituation, auf eine Keilerei mit einem Mann einließ, dann durfte sie sich im Nachhinein nicht über etwaige negative Konsequenzen beschweren bzw. sich nicht auf einen rechtlichen Sondersschutzstatus als Frau berufen. Und genau das ist gegebenenfalls wahre "Geschlechtergerechtigkeit" schon im Frühmittelalter. Heutige Frauen müssen das erst wieder lernen.
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Hallo Hiltibold, in dieem Fall gehe ich absolut mit dir konform, aus meiner Studie der LEX sehe ich vorallem einen besonderen Schutz der Frauen vor Übergreiflichkeiten (wie sie vermutlich üblich waren- sonst müsste man ja keine Rechtssprechung einführen) durch das höhere Wehrgeld. Also Frauen waren durchaus besonderem Schutz unterstellt und nicht wie so offt dargestellt Freiwild.
AntwortenLöschenGenau, man sieht das auch an anderen Paragraphen wie dem Verbot Frauen den Rock hochzuziehen ("himilzorun") usw. Da wollte man einen Riegel vorschieben, um Frauen zu schützen. Wenn die Frau sich aber freiwillig aus diesem rechtlichen Schutzraum hinausbegeben hat, wie bei dem Beispiel hier, dann hat sie das auf eigene Verantwortung getan.
LöschenDem kann ich nur zustimmen.
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