Ich habe eben erst den Begleitband zur aktuellen Bayerischen Landesausstellung "Tassilo, Korbinian und der Bär" fertiggelesen. Ein unterm Strich durchaus interessantes Buch, das ich bald im Rahmen des Blogs besprechen werde. Folgende zwei Details darin sind mir allerdings negativ aufgefallen; nicht zuletzt deshalb, weil sie "pars pro toto", also stellvertretend, für inhärente Mängel in der wissenschaftlichen Gemeinschaft stehen.
Der Tassilokelch als das Gendersternchen der Mediävistik
Mir ist nicht bekannt, seit wann genau der im österreichischen Stift Kremsmünster verwahrte "Tassilokelch" seine Bezeichnung hat. Ich gehe aber davon aus, dass dies spätestens seit dem 19. Jahrhundert der Fall ist, als die moderne Mittelalterforschung im Zuge einer zunehmenden historisch-nationalen Identitätssuche Gestalt angenommen hat. Möglicherweise aber auch schon viel früher, denn der prunkvolle Kelch ist mit ziemlicher Sicherheit bereits im späten 8. Jahrhundert vom Bayernherzog Tassilo sowie seiner Frau Liutpirc gestiftet worden. Entsprechend werden beide auf dem Kelch in einer Inschrift genannt. So weit, so gut.
Wie es nun einmal so ist, neigt der Mensch dazu, sprachliche Abkürzungen zu nehmen; aus der "Bundesrepublik Deutschland" wird schlicht "Deutschland"; "Klagenfurt am Wörthersee" nennt man einfach "Klagenfurt" und selbst Adolf Hitler wurde zu Lebzeiten praktisch immer nur als "Führer" bezeichnet, obwohl seine offizielle Titulatur "Führer und Reichskanzler des Deutschen Reichs" war. Doch so bescheiden wie der gescheiterte Landschaftsmaler aus Braunau geben sich einige Vertreter der Mediävistik nicht. Geht es nach ihrem Willen - und das wird besonders in "Tassilo, Korbinian und der Bär" ersichtlich - soll beim Tassilokelch neuerdings fast das gesamte Inschriften-'Epos' genannt werden, weshalb das mittelalterliche Gefäß nun die Bezeichnung "Tassilo-Liutpirc-Kelch" tragen müsse. Die alte, in tausenden Fachbüchern und sonstigen Publikationen anzutreffende Namenstradition wirft man dem Zeitgeist bzw. der vermeintlichen 'Geschlechtergerechtigkeit' wegen kurzerhand über Bord. Hier schlägt nämlich wieder einmal die feministische Ideologiekeule vom 'Sichtbarmachen der Frauen' zu. Davon hat zwar im konkreten Fall die längst verblichene Liutpirc nichts, aber das ist den Betreibern dieses Blödsinns in Wirklichkeit ohnehin völlig wurscht. Ähnlich jenen Hanseln, die mit quasi derselben Begründung der Allgemeinheit das sogenannte 'Gendern' aufs Auge drücken, geht es nämlich auch in diesem Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit primär um das Zurschaustellen der eigenen Tugend innerhalb einer klar abgegrenzten sozialen Blase. Es sind Mittelalterforscher wie der ausführlich über den Tassilokelch publizierende Archäologe Egon Wamers, die dabei mit großem Tamtam voranschreiten. Und wie in vielen Bereichen des Lebens finden sich natürlich auch in der Geschichtswissenschaft jede Menge 'Schafe', die - überspitzt formuliert - freudig blökend einem 'Leithammel' oder 'Hütehund' hinterherlaufen. Diese Jammergestalten haben während ihren Karrieren lange Zeit nichts an der traditionellen Bezeichnung "Tassilokelch" öffentlich auszusetzen gehabt; erst als sich unter vielen Personen mit universitärer Ausbildung eine gewisse 'Denke' bzw. Ideologie ausgebreitet hatte, wurde der Schwenk vollzogen. Der in diesem Zusammenhang vorexerzierte Herdentrieb ist so offensichtlich wie er auch erbärmlich ist.
Für ihr konformistisches virtue signalling und den Versuch, in selbstherrlicher Weise - quasi ex cathedra - eine alte Namenstradition zu zertrümmern, gehören Wamers und dieser Anbiederungsklüngel von Pseudoschlaubergern, wie schon der bayerische Herzog Tassilo vor über 1200 Jahren, in lebenslängliche Klosterhaft. Aber inklusive täglicher Selbstkasteiung in Form einer Flagellation im klostereigenen Darkroom. 😁
Der Tassilokelch als Projektionsfläche für Zahlengymnastik
Egon Wamers Unfug ist schon schlimm, doch den Vogel schießt ein gewisser P. Altman Pötsch vom Stiftsgymnasium Kremsmünster ab. Auch dieser Herr durfte im Begleitband etwas über den Tassilokelch zu Papier bringen. Und das hat es in sich! Beim Durchlesen seines Textes hat es mir stellenweise fast die Zehennägel aufgerollt. Was nämlich der gute Mann u.a. aus diversen Abmessungen des Kelchs für Schlüsse ableitet ist mir in vergleichbarer Weise bisher nur bei diesen überaus skurrilen Fanboys der ägyptischen Pyramiden untergekommen. Da wird nämlich von Pötsch in numerologischer Manier wild mit irgendwelchen Zahlen hantiert, kaum etwas mit harten Fakten untermauert, aber im Brustton der Überzeugung viel behauptet. Z.B. weil der Kelch 13 digiti (Fingerbreit) hoch ist, sei das ein Hinweis auf das letzte Abendmahl, bei dem Jebus mit seinen 12 Aposteln gebechert hat (Jebus + 12 Apostel = 13 Personen).
Ja eh. Komisch nur, dass bei anderen liturgischen Kelchen des Mittelalters, die wohl ebenfalls alle für die Eucharistie vorgesehen waren, dergleichen nicht regelhaft feststellbar ist. Ich habe es anhand von drei Beispielen nachgeprüft; eines davon findet sich in Form des sogenannte "Cundpald-Kelchs" sogar im selben Buch. Weder mit dem Digit noch dem Zoll lässt sich dort eine entsprechende Einteilung ausmachen. Aber vielleicht findet Herr Pötsch, wenn er nur lange genug Zahlen schindet, ja beispielsweise im Durchmesser des Tassilokelchs Hinweise darauf, dass sein Konstrukteur bereits ein geheimes Wissen über den Aufbau von Atomkernen besaß? ^^
Um eines klarzustellen: Das Problem ist hier nicht, dass der Autor Mutmaßungen anstellt (wahrscheinlich hat er sich dabei einiges beim Tassilokelch-Guru Egon Wamers abgeschaut), denn Thesen und Theorien sind integrale Bestandteile wissenschaftlichen Arbeitens. Nein, ärgerlich ist vielmehr, dass sie hier dem Leser in einer Art und Weise präsentiert werden, als ob es sich dabei um unverrückbare Tatsachen handelt. Der Autor gaukelt ein Maß an Sicherheit vor, das es nicht gibt und wohl auch niemals geben kann.
Die Geschichtswissenschaft - inklusive der Archäologie als ihre Hilfswissenschaft - gilt bekanntlich als 'soft science' oder auch schlicht als ein 'Laberfach'. Und Herrschaften wie P. Altman Pötsch tun rein gar nichts, um dieses Urteil zu entkräften - ganz im Gegenteil. Möglicherweise sind es Minderwertigkeitskomplexe gegenüber MINT-Wissenschaftlern, die Pötsch und Kollegen dazu verleiten, bloße Meinungen mit einer Selbstsicherheit vorzutragen, als ob man gerade vom Sinai-Berg herabgestiegen wäre, um die Fünfzehn Zehn Gebote Gottes zu verkünden.
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Ist der "Finger" überhaupt ein Maß, das genau genug ist, um solche Einteilungen in 13 Abschnitte herauslesen zu können. Jeder hat doch verschieden dicke Finger.
AntwortenLöschenDas ist zutreffend. Schaut man in der Literatur (O.A.W. Dilke usw.) nach, kommt man auf keine einheitliche Länge des "digitus" in Millimeter. Eine wirklich große Genauigkeit war in vormoderner Zeit auch nicht nötig. Dieser Umstand macht die Interpretation der Kelchhöhe umso problematischer.
LöschenGuten Morgen, Hilti! Der Wamers versucht diese neue Bezeichnung seit mindestens 2019 mit seinem damals erschienen Buch zu etablieren. Aber der Erfolg ist nur mäßig, sogar im Stift Kremsmünster verwenden sie "Tassilo-Liutpirc-Kelch" bis heute nicht durchgehend. Die schreiben und sagen mal so, mal so auf ihrer Homepage und bei Interviews mit Medienvertretern. Man hat den Eindruck, dass die Mönche das eigentlich auch nicht so recht wollen, aber halt mit im Strom schwimmen. Du weißt ja sicher, wie mittlerweile sogar die Katholische Kirche drauf ist, die unterscheidet sich kaum noch von der woken Evangelischen (https://de.catholicnewsagency.com/news/16071/bistum-linz-entsetzt-nach-angriff-auf-umstrittene-figur-die-maria-beim-gebaren-zeigt).
AntwortenLöschenBei Wikipedia trägt der Tassilokelch auch noch den traditionellen Namen. In dem Ausstellungsband mit seiner vielköpfigen Autorenschaft haben die "Pseudoschlauberger" aber die Verwendung der Bezeichnung zentral kontrollieren können. Ich gehe jede Wette ein, dass dabei der alte Name mehrfach "korrigiert" worden ist. Weil ich kenne jede Menge Historiker und Archis, die auch bis heute nur "Tassilokelch" schreiben.
Oh ja, das geht schon seit ein paar Jahren so. Mir ist es bisher aber nicht sonderlich aufgefallen. Eben weil - wie du sagst - sich viele an die von Herrn Wamers gepushte Namensgebung ohnehin nicht halten. Es ist absolut denkbar, dass der Herausgeber des Ausstellungsbandes beim Namen sozusagen gleichgebürstet hat. Andererseits sollte man gerade in Historikerkreisen die Menge an "Mitläufern" nicht unterschätzen.
LöschenUnd was den Link bertifft: Ich bin schon vor einigen Jahren aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Von mir aus können die Kleriker daher in ihren Gotteshäusern gerne auch die Skulptur des Goldenen Kalbes oder von Lucifer aufstellen :)
Also diese Neubenennung und Berücksichtigung von Liutpirc/Liutberga war schon extrem wichtig. Das gibt mir als Frau ein ganz tolles Gefühl! 😉
AntwortenLöschenIch frage mich aber, ob sich zum Beispiel ein Carl Benz nicht auch freuen würde, wenn die meisten Leute heute nicht ständig auf ihn vergessen würden, indem sie immer nur von der Frau "Mercedes" (Jellinek) sprechen und den (Carl) Benz bei "Mercedes-Benz" weglassen. 🙂
Ein schönes Beispiel. Dabei gibt es aber schon einen sehr großen Unterschied: Carl Benz war ein Mann. Somit gelten selbstverständlich andere Maßstäbe ;)
LöschenAnderes Beispiel: Man sagt Auto statt Automobil. Auto alleine ergibt eigentlich keinen Sinn, aber trotzdem hat es sich so eingebürgert. Aber mit einer Korrektur davon kann man sich leider nicht politisch korrekt wichtigmachen, deshalb tut es keiner.
LöschenEgon Wamers, den ich eigentlich für seine Arbeit schätze, ist auch schon über 70. Dass er dieses Reiten auf der Zeitgeistwelle im fortgeschrittenen Alter noch nötig hat, wundert mich. Aber vielleicht bringt ihn die Flagellation ja zur Besinnung?
AntwortenLöschen;o)
W.T.C.
Alter schützt vor Blödsinn nicht!
LöschenDie Flagellation war nur ein Vorschlag. Vielleicht kommen diese Herr- und Damenschaften ja auch ganz ohne zur Besinnung. Obwohl ich da wenig Hoffcnung habe.
Tja, wieder mal ein "alter, weißer Mann", der glaubt, wegen so einer billigen Aktion Applaus von den Frauen zu bekommen. Ich frage mich bei so etwas aber immer, was sein schlechtes Gewissen verursacht. Was hat er Frauen vielleicht angetan, dass er glaubt, wie beim mittelalterlichen Ablassbandel sich im vorgerückten Alter noch rasch die Absolution erkaufen zu können?
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