Es ist unter Althistorikern und Ingenieuren eine schon lange umstrittene Behauptung, die der antike Geschichtsschreiber Plutarch in seiner Biographie des römischen Feldherrn Marcus Claudius Marcellus zum Besten gibt. Konkret geht es darin um vom Mathematiker Archimedes erfundene Apparaturen, welche bei der Verteidigung der sizilianischen Hafenstadt Syrakus im späten 3. Jahrhundert vor Christus gegen die angreifenden Römer zum Einsatz gekommen sein sollen. Dazu heißt es unter anderem:
[...]; und zugleich erhoben sich über den Mauern gegen die Schiffe plötzlich Krane, die entweder schwere Lasten von oben auf sie niederfallen ließen und sie so in die Tiefe versenkten, oder sie mit eisernen Händen oder Haken in Form von Kranichschnäbeln am Bug erfassten, hochhoben und senkrecht, das Heck voran, ins Meer stürzen, oder sie mit starken Trossen, die innen (in der Stadt) angezogen oder aufgerollt wurden, gegen die unter den Mauern emporargenden Felsen schmetterten, so dass sie unter starken Verlusten für die Besatzung in Stücke gingen. Oft war es da ein schauriger Anblick, wenn ein Schiff, hoch aus dem Wasser emporgehoben, hin und her baumelte und dahing, bis die die Mannschaft herausgeschüttelt oder weggeschleudert war und es leer gegen die Mauer prallte oder, wenn der Griff des Hakens nachließ, herabstürzte. Plutarch | Marcellus 15 - in Große Griechen und Römer Band III, S 319 | Patmos Verlag / Artemis & Winkler, 2010 | Übersetzer: Konrad Ziegler, Walter Wuhrmann |
Folgendes sei hier zu Bedenken gegeben: Das Gegengewicht, welches nötig gewesen wäre, um wenigstens ein mittelgroßes Kriegsschiffe ruckzuck aus dem Wasser zu heben, hätte mindestens einige Dutzend Tonnen betragen müsse; auch bei der Verwendung eines relativ langen Hebelarms. Eine Konstruktion, die solche Belastungen aushält, übersteigt nach heutiger Vorstellung die technischen Fähigkeiten der antiken Menschen. Möglich wäre natürlich, dass es sich bei den attackierenden Fahrzeugen lediglich um eher kleine Landungsboote gehandelt hat; dann wäre die technische Umsetzung durchaus denkbar.
Der eine oder andere Leser mag einwenden, dass doch sogar schon die alten Ägypter, welche bereits lange vor den Römern aktiv waren, die Fähigkeit besaßen z.B. Obelisken von sogar hunderten Tonnen Gewicht zu heben. Ja, das stimmt natürlich, aber gemächlich, nicht im von Plutarch beschriebenen Hauruckverfahren. Freilich, zusätzlich nennt der Geschichtsschreiber auch eine zweite Variante mit Seilwinden. Hier sei allerdings angemerkt: Wenn der Hebevorgang zu lange dauert, dann gibt man dem Feind die Möglichkeit, den Greifarm mittels Beilen zu zerstören - außer dieser war komplett aus Metall oder - was viel wahrscheinlicher ist - es handelte sich um mit Metall ummanteltes Holz. Seile hingegen, an denen der genannte Haken hing, konnte man so nicht schützen. Oder verwendete man Ketten? Doch war man dazumal überhaupt in der Lage, diese in der benötigten Größe zu schmieden?
Wie immer man es dreht und wendet, so muss das vorläufige Fazit hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes von Plutarchs Beschreibung dieser Schiffsgreifer lauten: Nichts Genaues weiß man nicht! Doch unterschätzen sollte man die alten Griechen und Römer keinesfalls. Etwas wie den erstaunlichen Mechanismus von Antikythera hätte man nämlich vor wenigen Jahrzehnten ebenfalls noch im Reich der Phantasien verortet.
Insgesamt weniger fragwürdig als der Schiffsgreifer, aber trotzdem äußerst skurril, ist die folgende Überlieferung des antiken Militärautors Aeneas (Aineias) Tacticus. Auch er schildert eine Maßnahme, welche in der Antike bei der Verteidigung befestigter Städte zum Einsatz kam. Es gibt dabei unübersehbar Parallelen zur beschriebenen Vorgehensweise des Archimedes bei der Abwehre von römischen Schiffen. Da der Text des Aeneas Tacticus aus dem 4. Jh. v. Chr. stammt - und somit deutlich vor dem Leben und Wirken des Archimedes zu Papier gebracht wurde - wäre es durchaus denkbar, dass der Mathematiker und Erfinder sich davon hat inspirieren lassen.
Man hat auch schon gegen die überaus Verwegenen, die näher an die Mauer kommen, als es sich gehört, bei Nacht oder am Tag Schlingen angewendet, die bei Tag versteckt, bei Nacht nicht verborgen sind und mit denen man, wenn man die Feinde durch Scharmützel angelockt hat, den Hineingeratenen in die Höhe zieht. Es soll die Schlinge aus einem möglichst starken Tau bestehen, der Zug soll eine Kette von zwei Ellen sein, damit er nicht durchtrennt wird. das Ende an dem man zieht aus Seilwerk. Das Ganze wird innerhalb (der Mauer) aufgehängt und mit Waffen oder Hebeln hochgezogen. Wenn die Feinde versuchen, es durchzuschneiden, wenden die Belagerten dagegen wiederum Stangen an, die sie herablassen; die Ketten sind nämlich gegen solche Versuche mühsam, schwer zu handhaben und zugleich unzweckmäßig. Aeneas Tacticus | Poliorcetica/Stadtverteidigung | Übersetzer: Kai Brodersen | De Gruyter, 2017 |
Hier wurden offenbar wesentlich kleinere Brötchen gebacken; einzelne Personen hochzuziehen ist eben einfacher als ganze Schiffe.
Auf jeden Fall war es sicher ein fast schon komischer Anblick, wenn von den Angreifern einige urplötzlich den Boden unter den Füßen verloren und die Stadtmauer hochgezogen wurden. Das Ende wird für die Betroffenen freilich weniger spaßig gewesen sein...
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