Mittwoch, 19. Dezember 2018

📖 Buch: Was nicht in der Bibel steht - Apokryphe Schriften des frühen Christentums

Verbannt, aber nicht vergessen

Der Inhalt des Neuen Testaments war nicht von Anfang an in Stein gemeißelt. Vielmehr dauerte es z.T. Jahrhunderte, bis im Christentum ein Konsens darüber erzielt werden konnte, welche der vielen zirkulierenden religiösen Texte darin Eingang finden dürfen. Wobei selbst dieser "Konsens" nie vollständig war. Beispielsweise ist die "Offenbarung des Johannes" bis heute nicht bei allen christlichen Konfessionen Teil des Neuen Testaments.
Darüber hinaus gab es in der Urkirche eine mächtige, aber letztendlich nicht erfolgreiche Strömung, die sogar dafür eintrat, das Alte Testament aus der Vollbibel herauszutrennen und es zugunsten des Neuen Testaments zu verwerfen. Die aus meiner Sicht nicht ganz unlogische Begründung dafür lautete: Der strafende, jähzornige und rachsüchtige Gott des Alten Testaments sei nicht mit dem liebenden Gott-Vater des Neuen Testaments vereinbar.
Interessanterweise trifft ähnliches aber auch auf manch frühchristlichen Text zu. Hier war man jedoch konsequenter und nahm dergleichen nicht in die Bibel (bzw. den Kanon des Neuen Testaments) auf. Eine solche apokryphe (=verborgenen) Schrift ist beispielsweise das "Kindheitsevangelium des Thomas", dessen Autor sich - dem Titel entsprechend - der Kindheit des Jesus widmete, von der man in den vier kanonischen Evangelien nur sehr wenig erfährt. Offensichtlich sollte hier nachträglich eine Lücke gefüllt werden. Das Endergebnis dieses Bestrebens dürfte bei der breiten Masse der Gläubigen relativ beliebt gewesen sein, die Kirchenführer hatte damit allerdings keine rechte Freude. Und das ist nicht ganz unverständlich, denn der junge Jesus benimmt sich in dieser Erzählung recht ungehobelt. So lässt er beispielsweise einen Buben, der ihn beim Spielen stört, "verdorren". Ein anderer Bub, der Jesus anrempelt, fällt tot um - und als dessen Eltern sich darüber bei Josef beschweren, werden sie zur Strafe blind 😄. Bemerkenswerterweise wurden Teile der apokryphen Kindheitsevangelien (es gab davon mehrere) im Koran recycelt.

Im Buch "Was nicht in der Bibel steht - Apokryphe Schriften des frühen Christentums" wird eine übersichtliche Auswahl von bedeutenden apokryphen Texten präsentiert, die keine Aufnahme in das Neue Testament fanden (doch aufgepasst, die Vollbibel enthält z.B. in der Ausgabe der Katholischen Kirche Texte, die ebenfalls als Apokryphen bezeichnet werden - diese sind hier allerdings nicht gemeint!).
Den in diesem Buch behandelten Apokryphen wurde jeweils eine besonders für Laien hilfreiche Einleitung vorangestellt, in der Inhalt, Datierung, Überlieferungsgeschichte, religiöse Bedeutung usw. erörtert werden.
Die vom Autor - Uwe-Karsten Plisch - ausgewählten Apokryphen wurden meist, aber nicht immer vollständig abgedruckt. Das ist nachvollziehbar, wenn der Text nicht lückenlos überliefert wurde. Z.T. hat aber auch der Autor darauf verzichtet, den erhaltenen Text komplett wiederzugeben. Ich finde diese Vorgehensweise etwas bedauerlich. Außerdem hätte es nicht geschadet, dem Buch ein Register/Namensverzeichnis zu spendieren.
Die einsprachigen Übersetzungen der Texte sind in einem modernen, allgemein verständlichen Deutsch gehalten. Auf inhaltliche Besonderheiten, die dem Nicht-Fachmann zumeist verborgen bleiben, wird mit erhellenden Kommentaren aufmerksam gemacht.

Es handelt sich bei diesem Buch übrigens um eine Neuausgabe aus dem Jahr 2018, in welcher der aktuelle Stand der Apokryphen-Forschung berücksichtigt wurde. Der Kaufpreis beträgt recht günstige 18 Euro.

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Hinweise zur Benutzung

Abkürzungen

Quellennachweise

Einleitung
- Was sind frühchristliche Apokryphen
- Exkurs: Die Entstehung des neutestamentlichen Kanons
- Das Problem der Pseudepigraphie
- Neuzeitliche Handschriftenfunde
- Was ist Gnosis?

1. Erzählende Evangelien
- Einleitung
- Das Protoevangelium des Jakobus
- Das Petrusevangelium
- Das apokryphe Evangelienfragment P.Oxy 840
- Das Evangelienfragment Papyrus Egerton 2/Papyrus Köln 255
- Das geheime Markusevangelium

2. Verstreute Herrenworte und Spruchevangelien
- Einleitung
- Verstreute Herrenworte
- Das Thomasecangelium
- Exkurs: Die syrische Thomas-Tradition
- Das Evangelium nach Philippus

3. Dialogevangelien
- Einleitung
- Der apokryphe Brief des Jakobus
- Das Martyrium des Jakobus aus der Zweiten Jakobusapokalypse
- Der Dialog des Erlösers
- Das Evangelium nach Maria
- Das Judasevangelium

4. Briefe
- Einleitung
- Der Brief des Paulus an die Gemeinde in Laodizea
- Der Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus

5. Gemeindeordnungen
- Einleitung
- Die Diadache (Lehre der zwölf Apostel)

6. Apokryphe Apostelgeschichten
- Einleitung
- Die Tat des Petrus

7. Apokalypsen
- Einleitung
- Die Apokalypse des Petrus

Bildnachweis



2 Kommentare:

  1. Die Sache mit den Kindheitsevangelien und dem rotzbengeligen Jesus, der besser ins AT passen würde, ist sehr interessant. Vor ein paar Jahren ist nämlich im Radio (Ö1) eine Sendung gelaufen, in der man regelrecht bejammert hat, dass all die supertollen Apokryphen nicht in das NT aufgenommen worden sind. Die ORF-Journalisten waren offenbar so begeistert über die bessere Stellung von Frauen in einigen Apokryphen, dass sie die negativen Aspekte übersehen oder absichtlich ausgeblendet haben.
    Da fühlt man sich wieder einmal bestätigt, für diesen schlampig fabrizierten Blödsinn schon lange keine Gebühren mehr zu bezahlen.

    Weihnachtlich-besinnliche Grüße

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    1. So ist das immer mit religiösen Schriften: Man pickt sich das raus, was einem zupass kommt und ignoriert den Rest.

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