Seit es Menschen gibt, verletzen sich diese. Dementsprechend wurden auch immer schon 'Pflaster' zur Versorgung von Wunden benötigt. Allerdings unterschieden sich diese in der weiter zurückliegenden Vergangenheit mitunter gravierend von jenen Wundschnellverbänden, die wir heute üblicherweise zuhause im Erste-Hilfe-Kasten aufbewahren. Die Aufgabe von Pflastern war es einst nämlich oft nicht nur, die verletzte Stelle vor Verunreinigung zu schützen, sondern auch aktiv eine heilende Wirkung zu entfalten (wofür wir heute normalerweise gesondert Salben verwenden, die es natürlich in der Antike ebenfalls schon gab). Weil es aber sinnvoll ist, bei unterschiedlichen Verletzungsarten die jeweils optimalsten Wirkstoffe zur Anwendung zu bringen - und medizinisch Kundige dazu nicht immer dieselbe Meinung vertraten - wichen auch die verschiedenen Rezepturen mehr oder weniger stark voneinander ab. Alleine in dem antike Werk "Der gute Arzt", das der erfahrene römische Mediziner Scribonius Largus im 1. Jahrhundert verfasst hatte, finden sich rund zwei Dutzend Beispiele für solche 'Arzneipflaster''. Zwei Rezepturen daraus möchte ich hier vorstellen. Wie man sehen wird, konnte die Herstellung recht aufwendig - und somit auch teuer - sein. Darüber hinaus geben die beschriebenen Zutaten dem heutigen Leser mitunter Rätsel auf.
Ein schwarzes Arzneipflaster, das auf den Chirurgen Glykon zurückgeht, heißt "barbara" und wirkt bei allen frischen Wunden und Quetschungen; die meisten gebrauchen es bei den Gladiatoren:
100 Drachmen bruttisches Pech, 100 Drachmen geriebenes Harz, 100 Drachmen judäisches Bitumen und 100 Drachmen Wachs. Diese Zutaten werden in ganz kleine Stückchen zerschnitten und mit 1 Krug Öl gekocht, bis sie dick werden. Nachdem sie vom Feuer genommen worden sind und nicht mehr allzu sehr sprudelnd kochen, fügt man 10 Drachmen Silberschaum, 10 Drachmen Bleiweiß und 5 Drachmen Grünspan hinzu. Diese Zutaten aber muss man mit einem Schoppen Essig verreiben und nach und nach dazugießen, damit das Medikament nicht sprudelnd aufkocht, Sobald das Medikament nach Zugabe und Beimischung dieser Zutaten lauwarm geworden ist, sollen 2 Drachmen Heilwurzsaft, mit etwas Öl verdünnt, hinzugefügt werden; dann wird es abgekühlt, mit den Händen geknetet und, in Stücke geteilt, aufbewahrt. Diesem Arzneipflaster also soll man, wenn es so zusammengesetzt worden ist, während es noch mäßig warm ist, 1/3 Pfund Weihrauchstub zusetzen; es ist erstaunlich, um wieviel wirksamer es dann ist; ohne Schmerzen und Schwellungen konserviert es die Wunden und heilt sie schneller. (C207) |
Grundsätzlich ist zu solchen antiken Rezepturen anzumerken, dass nicht immer jede Zutat aus moderner medizinischer Sicht einen Sinn zu ergeben scheint. Ja, manche Ingredienzien waren sogar eher schädlich. Z.B. stellt sich bei Bleiweiß oder Grünspan die berechtigte Frage, ob hier der mögliche Nutzen - wie auch immer der Aussehen mag - die Nebenwirkungen dieser eindeutig giftigen Substanzen rechtfertigt. Andererseits ist es gut denkbar, dass die enthaltene Menge bei nicht allzu häufiger Anwendung dieses Pflasters unzureichend ist, um nachhaltig negative Folgen zu entfalten; schlimmer war es da schon, dass römische Damen (und z.T. auch Männer) täglich ihr Gesicht mit Bleiweiß puderten (kumulative Wirkung). Nicht zufällig hat ja der Renaissance-Arzt Paracelsus darauf hingewiesen, dass letztendlich die Dosis das Gift macht. Siehe zu diesem Thema auch meinen Beitrag "Mythos oder wahr: Bleivergiftung im antiken Rom durch Leitungswasser?"
Hier noch ein weiteres antikes Beispiel für Pflaster:
Hier noch ein weiteres antikes Beispiel für Pflaster:
Ein weißes Arzneipflaster bei Brandwunden und Frostbeulen:
1 Pfund Bleiweiß, 1 Pfund Myrtenöl, 24 Drachmen Silberschaum und 1 Pfund pontisches Wachs. Bleiweiß und Silberschaum werden mit dem Öl gekocht, bis sie sich verbinden; danach wird das Wachs hinzugefügt. (C219) |
Ein vergleichsweise einfaches Rezept. Allerdings ist z.B. "Pontisches Wachs" (cerae Ponticae) eine dieser etwas mysteriösen Zutaten, von denen ich eingangs sprach. Handelt es sich dabei um ein Wachs, das aus dem fernen Königreich Pontos (später eine römische Provinz) am Schwarzen Meer stammte? Oder haben wir es mit Standard-Bienenwachs zu tun, dem vor dem Verkauf weitere Substanzen zugesetzt wurden? Wurde es einfach nur nach Pontos benannt, weil man die Rezeptur dort erfunden hat? In Pontos herrschte nämlich einst König Mithridates VI., welcher sich (nicht nur) mit medizinischer Forschung einen großen Namen gemacht hatte und dessen Aufzeichnungen nach seinem Sturz vom römischen Polit-General Pompeius nach Rom überführt worden sind.
Sollte allerdings erstere Annahme zutreffen, dass nämlich das Wachs aus Pontos importiert wurde und nicht ohne Weiteres auch außerhalb erzeugt werden konnte, dann ist dies - meiner Meinung nach - aus pharmakologischer Sicht aufgrund des folgenden Umstandes von einigem Interesse: An den Küsten von Pontos wuchsen massenhaft giftige Pflanzen wie Rhododendron und Oleander. Bienen, die in einer solchen Umgebung hausten, erzeugten einen für Menschen giftigen Honig, dessen Verzehr im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen konnte. Bezeugt wird dies unter anderem in Xenophons 'Anabasis'; der Autor beschreibt darin, wie der Marsch eines griechischen Heeres mehrere Tage lang zum erliegen kam, weil viele der Soldaten Gifthonig genascht hatten. Auch der oben bereits erwähnte Pompeius macht ca 250 Jahre später eine ähnliche unschöne Erfahrung; die Vorhut seiner Armee schlug sich mit pontischen Honigwaben die Bäuche voll und wurde bald darauf von Durchfall und Erbrechen geplagt. Diese Situation nutzte der Feind aus und massakrierte innerhalb kürzester Zeit hunderte römische Soldaten.
Sollte allerdings erstere Annahme zutreffen, dass nämlich das Wachs aus Pontos importiert wurde und nicht ohne Weiteres auch außerhalb erzeugt werden konnte, dann ist dies - meiner Meinung nach - aus pharmakologischer Sicht aufgrund des folgenden Umstandes von einigem Interesse: An den Küsten von Pontos wuchsen massenhaft giftige Pflanzen wie Rhododendron und Oleander. Bienen, die in einer solchen Umgebung hausten, erzeugten einen für Menschen giftigen Honig, dessen Verzehr im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen konnte. Bezeugt wird dies unter anderem in Xenophons 'Anabasis'; der Autor beschreibt darin, wie der Marsch eines griechischen Heeres mehrere Tage lang zum erliegen kam, weil viele der Soldaten Gifthonig genascht hatten. Auch der oben bereits erwähnte Pompeius macht ca 250 Jahre später eine ähnliche unschöne Erfahrung; die Vorhut seiner Armee schlug sich mit pontischen Honigwaben die Bäuche voll und wurde bald darauf von Durchfall und Erbrechen geplagt. Diese Situation nutzte der Feind aus und massakrierte innerhalb kürzester Zeit hunderte römische Soldaten.
Hier stellt sich nun die Frage: War das Gift nicht nur im Honig, sondern - in geringerer Dosierung - auch im Wachs enthalten? Vermutlich. Daher könnte es - wie ich meine - bei oberflächlicher Anwendung in einem Arzneipflaster eine betäubende bzw. schmerzlindernde Wirkung entfaltet haben.
An dieser Stelle wollte ich meine Ausführungen eigentlich beenden, doch zu früh gefreut. Denn wenige Tage nach Fertigstellung des Textes stieß ich im neunten Kapitel des siebenten Buchs von Vitruvs Architektur-Leitfaden "De architectura libri decem" ebenfalls auf "cerae Ponticae", das hier aber nicht als Zutat für ein Arzneipflaster Erwähnung findet, sondern als Versiegelung für Wandmalereien (Stichwort "enkaustische Malerei"). Und es kommt noch besser: Der Begriff wird in meiner Ausgabe unter Berufung auf Plinius den Älteren nicht etwa mit "pontisches Wachs", sondern mit "punisches Wachs" übersetzt! Da der Text allerdings nur wenige Zeilen später auch den Begriff "cerae Punicae" enthält, was tatsächlich "punisches Wachs" bedeutet, wird hier eine Verwechslung durch den Übersetzer vorliegen.
Es ist oft überraschend, in welchem Ausmaß Kleinigkeiten - wie die einzelnen Zutaten eines antiken medizinischen Rezepts - Anlass zu schwerem Grübeln geben können. Aber auch wenn manch Rätsel für immer ungelöst bleiben wird, so ist doch oft schon der Weg das Ziel. Die Belohnung winkt dabei in Form vieler neuer Informationshappen, die quasi am Wegesrand liegen und sich eines schönen Tages bei einer anderen Recherche als nützlich erweisen können.
—————–
Weiterführende Literatur / Quelle:
- Scribonius Largus (Autor) / Kai Brodersen (Übers.) | Compositiones / Der gute Arzt | Marix Verlag | 2018 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
Weitere interessante Themen:
- Elektrizität in der antiken Medizin: Die bemerkenswerten Behandlungsmethoden des Scribonius Largus
- Zähne bleichen wie die alten Römer: Rezepte für "Dentifricium" von Scribonius Largus
- Die Evolution der römischen Toga
Kupfer wirkt ja irgendwie antibakteriell, viellleicht deshalb der Grünspan in dem Heilpflaster?
AntwortenLöschenJa, vielleicht. Von Bakterien hatte man zwar noch keine Ahnung, aber eventuell hat man schlicht eine positive Wirkung des Grünspans auf den Heilungsprozess beobachtet.
LöschenMöglich ist auch, dass dieser Bestandteil des Rezepts eigentlich überflüssig war. Doch wer weiß das heute schon noch so genau? Man müsste diesbezüglich genaue pharmakologische bzw. medizinische Untersuchungen anstellen, um Gewissheit zu erlangen.
Was war damals mit Silberschaum gemeint? Weißt du dazu Näheres?
AntwortenLöschenKarl0
Für diese recht häufig vorkommende Zutat gibt es mehrere Übersetzungsversuche, am häufigsten ist mir Bleimonoxid (Bleiglätte) untergekommen.
Löschenhttps://books.google.at/books?id=a7vmBQAAQBAJ&pg=PA165&lpg=PA165&dq=bleigl%C3%A4tte+largus&source=bl&ots=_VF9gBh6Q4&sig=ACfU3U2eW0-LSeihJhHRqstMmIA-bIdRgA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjPxIix8P_nAhVJR5oKHVqdAU8Q6AEwAHoECAQQAQ#v=onepage&q=bleigl%C3%A4tte%20largus&f=false
Das ist ja interessant, damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte eher, dass es echtes Silber ist, weil das Bakterien und Keime abtötet und deshalb auch heute auf einigen Pflastern zu finden ist.
LöschenKarl0
Spontan - ohne jetzt Quellen zu kennen - fällt mir Mastix ein. Das hat eine harzige Konsistenz und der Strauch wächst zumindest in der fraglichen Gegend.
AntwortenLöschenKann natürlich sein, dass diese Zutat in alten Quellen auch schon überall Mastix hieß.
Die Verwendung ist vielfältig und könnte passen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mastix