Montag, 3. Juni 2019

☠️ Mythos oder wahr: Bleivergiftung im antiken Rom durch Leitungswasser?


Es ist ein gerne aufgegriffenes Thema in TV-Dokumentationen und Sachbüchern über das antike Rom: Die Menschen hätten sich damals mit Wasserleitungen aus Blei sukzessive selbst vergiftet. Ja, das dergestalt kontaminierte Wasser soll - wie einige Leute meinen - sogar maßgeblich zum Untergang des Römischen Reichs beigetragen haben. Doch stimmt das wirklich?

Zuerst sei angemerkt, dass sich die Bauformen römischer Wasserleitungen sehr unterscheiden konnten.  Es gab z.B. aus Brettern gefertigte Holzrinnen, aufgebohrte Baumstämme, überdeckte Rinnen aus Naturstein, Rohre aus Gussbeton, Rohre aus Ton oder Metall - und im letzteren Fall vor allem Rohre aus Blei. Dieses Material war nämlich relativ kostengünstig, leicht formbar und sehr korrosionsbeständig.
Dass Blei eine für den Menschen potentiell giftige Substanz ist, war den Römern durchaus nicht verborgen geblieben. So wurden etwa hohe Schornsteine errichtet, um bei der Bleigewinnung die "schwere und tödliche Luft" von den Arbeitern halbwegs fernzuhalten (Strabo III 2,8). Und mit Vitruvs Werk "Zehn Bücher über Architektur" wurde uns sogar eine antike Quelle überliefert, in der explizit der dringende Verdacht geäußert wird, dass Wasserrohre aus Blei (fistulae plumbae) gesundheitsschädlich sind:

Es haben aber solche Tonröhrenleitungen die Vorteile, dass erstlich, wenn die Anlage irgendwie Beschädigung erlitten hat, jeder sie ausbessern kann, und dass auch das Wasser aus Tonröhren viel gesünder ist, wie aus Bleiröhren; denn das durch Blei geleitete Wasser scheint deshalb nachteilig zu sein, weil aus dem Blei Bleiweiß entsteht, welches dem menschlichen Körper schädlich sein soll. Wenn daher das, was daraus entsteht, nachteilig ist, so unterliegt es keinem Zweifel, dass es auch an und für sich nicht der Gesundheit zuträglich ist.
Einen Beweis aber können wir von den Bleigießern nehmen, welche eine ganz bleiche Hautfarbe haben; wenn nämlich beim Gießen das Blei geschmolzen wird, legt sich der davon abgehende Dampf auf die Glieder und entzieht, Tag für Tag herausbrennend, den Gliedern das Blut. Deshalb dürfen Wasserleitungen mit Bleiröhren am wenigsten herzustellen sein, wenn man will, dass jenes Wasser gesund ist, und dass auch der Geschmack des Wassers aus Tonröhren besser ist, darauf weist schon der tägliche Gebrauch hin, weil alle, welche gleichwohl reiche Gedecke von Silbergefäßen haben, doch sich tönerner Geschirre bedienen, welche die Reinheit des Geschmacks nicht benachteiligen.  (Vitruv, De Architectura VIII 6,10-11)

Die Gefahr einer Vergiftung aufgrund der Verwendung von Bleirohren hing in der Praxis freilich vom Härtegrad des Wassers ab. Denn bei pH-Werten, die über 6,5 hinausgingen, entstand relativ rasch an der Innenseite der (fast nur für die innerstädtische Wasserverteilung) verwendeten Bleirohre eine schützende Schicht aus Kalkablagerungen.
Nun ist es interessanterweise so, dass Römer kalkhaltiges Wasser aufgrund des besseren Geschmacks bevorzugten. Deshalb nahm man sogar den Bau kilometerlanger Fernleitungen in Kauf - selbst dann, wenn vor Ort ausreichend Trinkwasser vorhanden war.
Zwar gibt es dafür keine Beweise, aber vielleicht wurde kalkhaltigen Wasser nicht nur des Geschmacks wegen bevorzugt, sondern war auch eine bewusste Form der Gesundheitsvorsorge, da ja die Kalksinterablagerungen in den Bleirohren leicht erkennbar als Schutzschicht wirkten. Natürlich wird man sich gleichzeitig bewusst gewesen sein, dass Kalk die Wasserleitungen im Laufe der Zeit auch verstopfen konnte - jedoch wurden diese genau deshalb überdimensioniert. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der berühmte Aquädukt Pont du Gard, wo die Sinterschicht auf bis zu 50 cm (!) anwuchs, ohne dass die Leitung ihre Funktionsfähigkeit einbüßte. Übrigens, der Kalksinter in römischen Fernwasserleitungen wurde im Mittelalter und auch später regelrecht abgebaut und als optisch schöner Marmorersatz z.B. für Säulen in Kirchen verwendet.

Aus den genannten Gründen darf man stark daran zweifeln, dass die Bevölkerung des Römischen Reichs aufgrund bleierner Wasserleitungen massenhaft vergiftet wurde. Sicher, Bleivergiftungen gab es auch abseits der oben bereits erwähnten Verhüttungsbetriebe, doch dürfte davon 1. vor allem die Oberschicht betroffen gewesen sein und 2. war der Hauptgrund dafür wohl nicht beim Trinkwasser zu finden. Fündig wird man eher in der römischen Küche, wo Traubenmost aufgekocht wurde, um ihn zu sogenanntem sapa oder defrutum einzudicken (Plinius, Naturalis Historia  XIV 80); fatal daran war die Verwendung von Bleigefäßen, die beim Erhitzen Bleisalze bildeten, welche wiederum die Süße des Endprodukts verstärkten (Columella XII 20,1).
Solche Moste verursachten oft Kopf und Magenschmerzen (Disokur V 9) - Symptome also, die typisch für eine Bleivergiftung sind und die uns in den Quellen vor allem im Zusammenhang mit Mitgliedern der römischen Oberschicht überliefert wurden; also jenem Personenkreis, der sich das häufige Verputzen von gesüßten, aber leider mit Blei vergifteten Speisen leisten konnte.
Eine weitere Quelle für Bleivergiftungen war außerdem Bleiweiß (cerussa), das vornehme Damen - aber laut Tertullians Streitschrift de cultu feminarum auch vornehme Männer - beim täglichen Schminken auf die Gesichtshaut auftrugen.

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Quellen / weiterführende Literatur:


2 Kommentare:

  1. Spannendes Thema! So etwas in der Art habe ich zwar auch schon vermutet, aber es mit guten Quellen bzw. Hintergrundinfos zu bestätigen ist natürlich immer besser. :-)

    ° Guinevere °

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  2. Auch moderne Wasserleitungen können Schadstoffe enthalten. Ich habe mal gelesen, dass man den Hahn am Morgen für 30 Sekunden aufdrehen soll, damit das abgestandene Wasser rausläuft. Bei einer verkalkten Leitung ist das Anreichern von Schadstoffen im Wasser wahrscheinlich weniger ein Problem.
    QX

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