Große Feldschlachten waren im rund 17 Jahre dauernden 2. Punischen Krieg, in dessen Verlauf der legendäre karthagische Feldherr Hannibal Italien heimsuchte, interessanterweise die Ausnahme. Vielmehr handelte es sich um einen militärischen Konflikt, in dessen Rahmen die Eroberung befestigter Plätze im Fokus der Kriegsparteien stand. Die Bevölkerungen vieler italischer Städte ("Bundesgenossen") waren damals noch nicht voll romanisiert und aus diesem Grund oft reichlich wankelmütig, was ihre Treue zu Rom betraf. Auffällig oft hielten sie es lieber mit den karthagischen Eindringlingen aus Nordafrika, wobei sich hierbei immer wieder zeigte, dass die einfache Bevölkerung eher dieser Neigung nachging als die eigenen Eliten, welche nicht selten geschäftlich und privat mit Roms Führungsschicht verbunden waren. Oft fiel dann nur deshalb eine Stadt in karthagische Hände, weil die 'einfachen Leute' mit den Belagerern konspirierten (ähnliche Auffassungsunterschiede, wer denn nun in einer militärischen Auseinandersetzung der Feind und wer der Freund ist, gibt es unübersehbar auch heute noch zwischen Teilen der Bevölkerung und den Machthabern in Politik und Medien). Freilich, wie etwa der Fall der Stadt Locri zeigt, trieb man mitunter den Teufel mit dem Beelzebub aus.
Auch außerhalb Italiens verabschiedeten sich während des 2. Punischen Kriegs Bundesgenossen von Rom - und zwar in Spanien. Was durchaus passt, schreibt doch Livius an anderer Stelle (22. Buch), die Spanier seien "von Natur aus unruhig und auf Umsturz begierig" (diese Einschätzung scheint übrigens viel später auch die Geschichte des von Spanien kolonisierten Lateinamerikas zu bestätigen). Konkret geht es um die Stadt Iliturgi im Südosten der iberischen Halbinsel. Dort kündigte man nicht einfach nur das Bündnis mit Rom auf, sondern tat dies in einer so schrecklichen Weise, dass die Stadt damit ihren späteren Untergang besiegelte: Nach einer verlorenen Schlacht flüchteten überlebende römische Soldaten nach Iliturgi und wurden dort nicht etwa versorgt, sondern exekutiert. Wer die treibende Kraft dahinter war ist unbekannt. Eventuell sind es auch hier die kleinen Leute gewesen, die aus irgend einem Grund den Römern grollten; vielleicht aber auch war die Führungsschicht der Stadt dafür hauptverantwortlich. Beides ist denkbar, da wir über die politische Gemengelage vor Ort kaum etwas wissen. Doch so oder so: Rom verfügte über ein Elefantengedächtnis und entsandte Jahre später, als der Verlauf des Krieges es erlaubte, den Feldherren Scipio Africanus, um in Iliturgi die blutige Rechnung für die begangene Missetat einzutreiben. Für Scipio war dies auch eine persönliche Angelegenheit, denn die umgebrachten Soldaten unterstanden einst seinem Vater und seinem Onkel. Titus Livius beschreibt die Vorgänge, welche nun im Jahr 206 v. Chr. zur Eroberung der Stadt führten, in seinem Geschichtswerk "Ab urbe condita" sehr eindrücklich. Ein Detail sticht dabei besonders heraus, und zwar die Verwendung von metallenen Kletterhilfen, die geradezu modern anmuten! Schlagen doch auch heutige Bergsteiger ähnliche Helferlein in den Fels. Nicht nur uns überrascht deshalb das Vorgehen der Römer, sondern auch schon die unglückseligen Einwohner Iliturgis haben mit so etwas kaum gerechnet ...
[...] Während sich die Stadtbewohner auf die Verteidigung der Örtlichkeiten, an denen Gefahr drohte, konzentrierten und die Römer heranrückten, wo immer sich ein Zugang bot, sahen afrische Überläufer, die damals in den römischen Hilfstruppen dienten, dass der höchste Teil der Stadt, weil er durch eine sehr hohe Felswand geschützt war, durch keine Befestigung gesichert und ohne Verteidiger war. Die Männer - sie waren von leichtem Körperbau und besaßen aufgrund ihres häufigen Trainings eine große Behändigkeit - hatten eiserne Nägel bei sich und stiegen, wo es ihnen die unregelmäßigen Vorsprünge der Felswand möglich machten, hinauf. Wenn ihnen irgendwo ein allzu steiler und glatter Felsabschnitt begegnete, schlugen sie in mäßigen Abständen die Nägel in den Stein. Nachdem sie so gleichsam Stufen hergestellt hatten, zogen die ersten die folgenden mit der Hand hinauf, während die letzten diejenigen hoch hoben, die vor ihnen kletterten, und so gelangten sie bis ganz nach oben. Von dort rannten sie unter lautem Geschrei in die bereits von den Römern eroberte Stadt hinunter. Da aber wurde offenkundig, dass man die Stadt aus Wut und Hass angegriffen hatte. Niemand dachte daran, Gefangene zu machen, niemand an Beute, obwohl alles zur Plünderung offenstand. Sie metzelten Unbewaffnete und Bewaffnete nieder, Frauen ebenso wie Männer. Auch vor dem Mord an kleinen Kindern machte ihre grausame Wut nicht Halt. Anschließend legten sie Feuer an die Häuser und zerstörten alles, was nicht niedergebrannt werden konnte. So sehr lag ihnen daran, auch die letzten Spuren der Stadt zu beseitigen - nichts sollte mehr an den Wohnsitz der Feinde erinnern. Titus Livius | Ab urbe condita, Liber XXVIII, 20,1-7 | Übersetzer: Ursula Blank-Sangmeister | Reclam, 2012 |
Wer hier übrigens meint, Parallelen zu manch aktuellen Ereignissen zu erkennen, wird vielleicht nicht völlig daneben liegen. Der Hauptunterschied ist freilich, dass in der Antike der moderne Begriff "Kriegsverbrechen" genauso unbekannt war wie das heute so gerne von 'Experten' bemühte "Völkerrecht". Daher fühlten sich die Alten Römer auch noch nicht bemüßigt, ihre gnadenlose, von Rachedurst getriebene Kriegsführung, die auf die Auslöschung (ethnische Säuberung) einer unbotmäßigen Stadtbevölkerung abzielte, mit euphemistischen Begriffen zu übertünchen und zu legitimieren - wie etwa "Kollateralschäden". Man war dazumal schlicht ehrlicher als heutige staatliche Akteure und deren mediale Wasserträger.
Freilich, ganz war den Römern in Kriegsfragen das Instrument der Heuchelei auch nicht fremd. So legten sie durchaus Wert darauf, dass der geführte Krieg in den Augen der Öffentlichkeit ein "gerechter Krieg" ("bellum iustum") ist. Also eine militärische Auseinandersetzung, die einem aufgezwungen wurde, weil man Rom oder einen seiner Verbündeten verteidigen musste. Oft genug war das gelogen, da man den Gegner so lange provozierte, bis dieser sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als zu den Waffen zu greifen. Der 3. Punische Krieg, der zur endgültigen Vernichtung Karthagos führte, ist das Paradebeispiel schlechthin dafür. Und auch heute gibt es noch eine Großmacht, die sich vortrefflich auf diese Methode versteht.
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Das alte Rom überrascht immer wieder! Wenn man bei mir im Lateinuntericht solche Beispiele gebracht hätte, anstatt Seneca, dann hätte es mehr Spaß gemacht.
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