Weltkarte nach Herodot. Ganz rechts der Indus (Indos) mit dem Indus-Tal | Mehr zum Thema antike Karten |
Herodot von Halikarnassos, dieser griechische Geschichtsschreiber, Ethnograph und Sammler von Anekdoten, ist eine fast unerschöpfliche Quelle, wenn es um antike Skurrilität und 'Verrücktheiten' geht. Beispielsweise macht er im Rahmen seiner Kurzbiographie des Perserkönigs Kambyses II. einen Schlenker nach Indien, bei dem es vielen Lesern den Magen umdrehen dürfte. Doch beginnt alles eigentlich relativ harmlos.
So ist mir vollkommen klar, dass Kambyses von schwerem Wahnsinn befallen war; sonst nämlich hätte er nicht damit begonnen, heilige Dinge und Gebräuche zu verhöhnen. Wenn nämlich jemand allen Menschen Gebräuche vorlegte und ihnen dann auftrüge, die besten unter allen Gebräuchen zu wählen, dürfte jedes Volk, nachdem es alle geprüft hat, die eigenen wählen; so sehr ist jedes Volk der Meinung, dass seine Gebräuche bei Weitem die besten sind. Herodot | Historien 3.38.1 | Hrsg.: Heinz-Günther Nesselrath | Verlag Kröner, 2017 |
Wie wenig sich hinsichtlich dieser Eigenwahrnehmung der Völker doch in den rund zweieinhalbtausend Jahren seit Herodot geändert hat! Es ist ja eigentlich auch nichts dagegen einzuwenden, solange man nicht in eine Art kolonialistische Denke verfällt und anderen Menschen außerhalb des eigenen Kulturraums fremde Bräuche/"Werte" aufs Auge drücken möchte. Wir leben freilich in einer Zeit, in der genau das wieder sehr en vogue ist. Doch zurück zu den Altvorderen. Aber aufgepasst, es wird gleich ungustiös!
[...]. Dass aber alle Menschen hinsichtlich der Gebräuche dieser Überzeugung sind, lässt sich aus vielen anderen Indizien schließen und darunter auch aus folgendem: Dareios (ein anderer persischer Großkönig) ließ zur Zeit seiner Herrschaft die Griechen an seinem Hof rufen und fragte, um welchen Preis sie sich bereiterklären würden, ihre Väter, wenn sie im Sterben lägen, zu verspeisen; sie aber sagten, das würden sie um keinen Preis tun. Darauf ließ Dareios Inder rufen, die Kallatier heißen und die ihre Eltern aufzuessen pflegen, und fragte sie - wobei die Griechen zugegen waren und mit Hilfe eines Dolmetschers mitbekamen, was gesprochen wurde -, um welchen Preis sie akzeptieren würden, ihre Väter, wenn sie ans Ende ihres Lebens kämen, zu verbrennen. Sie aber schrien laut auf und ersuchten ihn, keine gottlosen Worte zu sprechen. So also steht es mit den Gebräuchen, und Pindar hat, wie mir scheint, richtig gedichtet, wenn er sagt, "der Brauch" sei "der König von allen". Herodot | Historien 3.38.2-4 | Hrsg.: Heinz-Günther Nesselrath | Verlag Kröner, 2017 |
Recht hat er, der Dichter Pindar! Den Bräuchen - und darunter darf man an dieser Stelle auch die moralischen Werte verstehen - sind wir alle bis zu einem gewissen Grad unterworfen. In sie werden wir regelrecht hineingeboren. Sie völlig abzuschütteln ist schwierig bis unmöglich.
Das erwähnte Totenritual der indischen Kallatier ist freilich starker Tobak. Man dürfte mit diesem Kannibalismus zur damaligen Zeit kaum sonst wo auf Verständnis gestoßen sein; und heute noch viel weniger. Leider kennen wir die Gründe für diesen Brauch nicht. Ob er ursprünglich vielleicht in einer schrecklichen Hungersnot entstand? Man kann nur spekulieren.
Die kannibalischen Kallatier wurden jedenfalls schon vom Gelehrten Hekataios von Milet (der sich u.a. als Geograph einen Namen machte) einige Jahrzehnte vor Herodots schriftstellerischer Tätigkeit erwähnt. Ihr Name soll sich vom Sanskrit-Wort "kala" (=schwarz) ableiten (laut der Herodot-Übersetzung des Verlags Kröner --> hier meine Rezension). Daraus schließt man, dass es sich um eine sehr dunkelhäutige indische Urbevölkerung handelte, die Daraios I. auf seinem Feldzug nach Indien kennenlernte, wo er große Gebiete im Tal des Indus unterwarf.
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Das kann man bis aufs Individuum runterbrechen: Jeder hält die eigene Meinung und Moral für die beste.
AntwortenLöschenNatürlich. Wobei man das aber in jedem Einzelfall logisch nachvollziehbar begründen können sollte. Leider scheitern genau daran sehr viele Leute.
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