Montag, 6. April 2020

🍌 Herodot und die Penis-Beschneidung - Wer hat's erfunden?



Der im 5. Jahrhundert vor Christus lebende Geschichtsschreiber Herodot hat uns mit seinem neunteiligen Geschichtswerk - den sogenannten Historien - eine der wichtigsten Schriftquellen der Antike hinterlassen. Darin berichtet er nicht nur von bedeutenden Ereignissen und Persönlichkeiten, sondern beschäftigte sich auch sehr stark mit Ethnographie; will heißen, er beschreibt Religionen, Sitten, Gebräuche und den sonstigen Lebensalltag jener Völker, die er selbst besucht oder von denen er durch Dritte erfahren hatte. Besonders herausragend ist dabei das zweite Buch der Historien, in dem Herodot vor allem das von ihm bereiste Ägypten und seine Bewohner betrachtet. Zwar darf man nicht alles glauben, was Herodot zu Papier brachte - das wird z.B. bei seiner kuriosen Beschreibung des Flusspferdes deutlich (es hat bei ihm eine Mähne!) - doch insgesamt informiert er für antike Verhältnisse halbwegs verlässlich.
Unter den Schilderungen findet sich auch mehrere Stellen, in denen es um die Beschneidung des menschlichen Penis geht. Heute bringt man damit vor allem Juden in Verbindung, bei denen diese milde Form der Verstümmelung religiöse Hintergründe hat. Doch dieses Volk war - folgt man Herodots Ausführungen - nicht der Urheber der Beschneidung. 

Die Penisse lassen andere, wie sie sind - außer jene, die von diesen (Ägyptern) gelernt haben -, die Ägypter aber beschneiden sie.

Den Penis beschneiden sie (die Ägypter) der Reinlichkeit wegen und wollen lieber rein als wohlgestaltet sein.

Es sind nämlich ganz offensichtlich die Kolcher Ägypter. (Anm.: einst angeblich auf einem Feldzug von Pharao Sesostris III. am Schwarzen Meer zurückgelassene ägyptische Soldaten) [...] 
Ich war selbst zu folgendem Schluss gekommen: dass sie (die Kolcher) schwarze Haut und krause Haare haben - das bedeutet freilich nichts, denn auch andere Menschen sind so -, jedoch mehr noch daraus, dass unter allen Menschen nur Kolcher, Ägypter und Aithiopen von Anfang an den Penis beschneiden. Die Phoiniker und Syrer in Palästina pflichten auch selbst der Auffassung bei, dass sie es von den Ägyptern gelernt haben; die Syrer aber an den Flüssen Thermodon und Parthenios (beide münden ins Schwarze Meer), sowie die Makronen, die deren Nachbarn sind, sagen, sie hätten es erst jüngst von den Kolchern gelernt. Das sind nämlich die einzigen Menschen (dort), die sich beschneiden, und diese machen es offensichtlich in derselben Weise wie die Ägypter. Bei den Ägyptern selbst und den Aithiopen vermag ich aber nicht zu sagen, wer es von wem gelernt hat; es ist nämlich offenbar etwas Uraltes. Dafür, dass die Phoiniker es im Verkehr mit den Ägyptern gelernt haben, ist mir auch folgendes ein wichtiges Zeugnis: Jene von den Phoinikern, die mit den Griechen Verkehr haben, ahmen nicht mehr den Ägyptern nach, sondern beschneiden die Penisse ihrer Nachkommen nicht.

Dies legt den Verdacht nahe, dass die Juden die Beschneidung des Penis von den Ägyptern übernommen hatten; auch wenn sie nicht explizit genannt werden, so lebten sie doch genau in der von Herodot beschriebenen Gegend: "Phoiniker und Syrer in Palästina". Hierbei muss man nämlich beachten, dass das historische Palästina im Laufe der Zeit immer wieder unter ägyptischer Oberherrschaft gestanden hatte. Dementsprechend bedeutend war auch der archäologisch nachweisbare Kulturtransfer.
Ein weiteres Beispiel, das die Annahme stützt, wonach manch religiöse Verschrobenheit wie die Beschneidung über die wesentlich ältere ägyptische Kultur bei den Juden landete: Herodot erwähnt an anderer Stelle, dass im Land der Pharaonen Schweinefleisch als unrein galt (2,47,1 - 2,48,1). Zwar war man diesbezüglich nicht dermaßen streng wie die Juden, aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch hier das übermächtige Ägypten ursprüngliche als Vorbild galt, dürfte nicht gering sein.

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Quelle:
  • Herodot (Autor) / Kai Brodersen (Übersetzer) | Historien, 2. Buch | Reclam Verlag | 2005 | Infos bei Amazon


4 Kommentare:

  1. Unabhängig davon, wer es erfunden hat, es hört sich unangenehm an! ;-)

    KaT

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    1. Ich hatte als kleiner Bub eine Beschneidung wegen angeblicher Vorhautverengung und das hat saumäßig wehgetan. Penis nachher tagelang in Kamillentee baden undso. Ich halte die Beschneidung aus religiösen Gründen für eine Verstümmelung und Folter.

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  2. Die Kausalität ist vielmehr umgekehrt anzunehmen, denn Herodot schreibt über 1200 Jahre NACH Einsetzung der Beschneidung.
    Leser

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    1. Die ägyptische Beschneidung datiert dem Judentum weit vor. Siehe die obige Abbildung, die noch aus dem Alten Reich bzw. dem 3. Jahrtausend v. Chr. stammt. Demnach kann die Kausalität schwerlich umgekehrt sein.

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