Der antike Autor Velleius Paterculus verfasste zur Zeit des römischen Kaisers Tiberius ein aus zwei Büchern bestehendes Geschichtswerk, in dem er sich der Entwicklung des römischen Staates bis zum Jahre 30 n. Chr. widmete. Der Originaltitel ist heute nicht mehr bekannt, doch hat sich die Bezeichnung Historia Romana bzw. Römische Geschichte eingebürgert.
Leider ebenfalls nicht mehr erhalten sind große Teile des ersten Buchs. Dabei handelt es sich um die Ereignisse ab der Gründung Roms bis zum 3. Makedonischen Krieg (171-168 v. Chr.).
Trotzdem beinhaltet der überlieferte Rest - also vor allem der zweite Teil - eine Fülle an historischen Informationen. Besonders hervorzuheben sind hierbei die pointierten Charakterisierungen bedeutender Persönlichkeiten. Beispielsweise schreib der Autor in Bezug auf die syrische Statthalterschaft des berühmt-berüchtigten Feldherren Varus: "Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, als reicher Mann verließ er das arme Syrien."
Apropos Varus: Velleius Paterculus dürfte der glaubwürdigste antike Autor sein, wenn es um die sogenannte Varusschlacht geht, denn ihm waren etliche der Beteiligten persönlich bekannt. So diente er etwa zeitgleich mit Arminius im pannonischen Krieg und begleitete Tiberius einige Monate nach der römischen Niederlage im Teutoburger Wald auf seinem "Rachefeldzug" durch Germanien. Gerade dieses Naheverhältnis zum späteren Kaiser kreiden ihm allerdings einige Historiker an. Der vom einfachen Eques bis zum Prätor aufgestiegene Velleius sei seinem Gönner und dessen Familie - dem julisch-claudischen Kaiserhaus - dermaßen dankbar gewesen, dass er sich mit Kritik an diesem Personenkreis zurückhielt. Zum Teil ist das wohl richtig. Wenn der Autor etwa jene Feldherren nennt, die bei der Schlacht von Actium die Armee Octavians befehligten, dann fällt auf, dass hier der Versuch unternommen wird, Octavians eigene Minderbegabung in militärischen Fragen zu verschleiern; er habe keinen bestimmten Teil der Armee befehligt, sondern sei quasi überall gewesen, heißt es. Im Klartext: Der spätere Augustus mischte sich nicht ein, als fähigere Männer - wie etwa Agrippa - sein Reich retteten. Ähnliche fadenscheinig verfährt Velleius bei den Widersachern des ersten römischen Kaisers. Dem Sextus Pompeius - einem militärisch hochbegabten Anführer, der seinem Vater alle Ehre machte - unterstellt er einen miesen Charakter, berichtet aber an anderer Stelle darüber, dass der von Marcus Antonius beauftragte Mörder des Sextus nach seiner Tat vom Volk gehasst und bei öffentlichen Veranstaltungen ausgebuht wurde. Der Widerspruch in diesen Schilderungen springt einem beinahe ins Gesicht.
Ob aber andererseits die viel später lebenden Geschichtsschreiber Tacitus und Sueton die Wahrheit für sich gepachtet haben, wenn sie beispielsweise den von Velleius so geschätzten Tiberius in die Pfanne hauen? Kochten nicht auch diese Geschichtsschreiber ihr eigenes, mit persönlichen Vorlieben und Abneigungen gewürztes Süppchen?
Ob aber andererseits die viel später lebenden Geschichtsschreiber Tacitus und Sueton die Wahrheit für sich gepachtet haben, wenn sie beispielsweise den von Velleius so geschätzten Tiberius in die Pfanne hauen? Kochten nicht auch diese Geschichtsschreiber ihr eigenes, mit persönlichen Vorlieben und Abneigungen gewürztes Süppchen?
Velleius Paterculus widmete sein Buch übrigens dem befreundeten Konsul Marcus Vinicius. Auch der zentrale Protagonist im Bestseller Quo Vadis trägt diesen Namen und er war, wie es in diesem Roman heißt, der Sohn eines ehemaligen (und wohl gleichnamigen) Konsuls. Zurecht darf man hier eine Anspielung vermuten.
Fazit: Ein lesenswertes Geschichtswerk, dessen Schwerpunkte die späte Republik und die beginnende Kaiserzeit sind.
Die vorliegende Reclam-Ausgabe ist zweisprachig und stammt von der erfahrenen Philologin Marion Giebel - ein Name, der für zeitgemäße bzw. gut leserliche Übersetzungen steht. Inhaltliche Ungereimtheiten werden weitestgehend mithilfe von Endnoten und einem relativ umfangreichen Nachwort ausgeräumt. Darüber hinaus enthält das Buch ein erklärendes Verzeichnis der enthaltenen Eigennamen, Literaturhinweise und eine Zeittafel.
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Die Übesetzungen von Marion Giebel gefallen mir auch sehr gut, da sie der besseren Leserlichkeit wegen nicht sklavisch auf die Wortstellung des Lateinischen Rücksicht nimmt.
AntwortenLöschenBedauerlicherweise gibt es bei Reclam manch Übersetzung, die sich stark in der von dir angesprochenen Form ans lateinische Original anlehnt. Wenn man das auch noch mit einem historisierenden Deutsch garniert, dann kommt in der Regel nichts dabei heraus, das man gerne liest. Besonders abschreckend sind für mich die Arbeiten von Karl Büchner, dessen Sallust-Übersetzungen eher ins 19. Jahrhundert passen.
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