Dienstag, 26. November 2013

Neros bevorzugte Sündenböcke


Die Frage, warum ausgerechnet die Christen als Sündenböcken für die große römische Brandkatastrophe des Jahres 64 n. Chr. herhalten mussten - und nicht etwa die Juden - ist überaus berechtig. Schließlich erfreuten sich letzere bei der römischen Bevölkerung einer mindestens ebenso so geringen Wertschätzung wie die Christen. So schreibt etwa Philostratos: 
"Die Juden sind uns in ihrem Wesen ferner als Susa, Baktra (beides in Persien) und die Inder. Denn sie teilen unser Leben nicht und teilen mit anderen Menschen weder Mahlzeiten noch Verträge, weder Gebete noch Opfer."
Tacitus stößt in das selbe Horn und meint: 
"Unheilig ist bei den Juden alles, was bei uns heilig ist, und erlaubt ist bei ihnen, was für uns unrein ist."
Seneca wiederum spottet, dass die Juden durch den Sabbat ein Siebtel ihres Lebens mit Nichtstun vergeuden (ein wöchentlicher Ruhetag war den Römern fremd, allerdings "vergisst" Seneca hier die unzähligen römischen Fest- und Feiertage). 
Der gegenüber fremdländischen Kulten recht skeptisch eingestellte Kaiser Tiberius scheint über die "Eigenbrötelei" der jüdischen Gemeinde besonders verärgert gewesen zu sein, denn er ließ - laut Sueton - Synagogen schließen, kultischen Gerätschaften verbrennen und jüdische Männer zwangsweise zur Armee einziehen, um sie anschließend in Provinzen mit rauem Klima zu schicken. Dass das Judentum seit Augustus eine religio licita (erlaubte Religion) war, schien ihn dabei nicht zu stören.
Kaiser Claudius stand einige Jahre später (49. n. Chr.) vor dem Problem, dass zur altbekannten jüdischen Gemeinde eine Splittergruppe hinzugekommen war. Sueton nennt sie "Juden von Chrestus". Ihr Auftauchen scheint einige Verstimmung ausgelöst zu haben; Unruhen waren die Folge. Praktisch denkender Mensch, der Claudius nun einmal war, ließ er daraufhin Juden und (Juden-)Christen - ohne viel Federlesen - einfach gemeinsam aus Rom hinauskomplimentieren. 
Nach Claudius kam Nero an die Macht. Dieser wiederum war durchaus imstande und willens, zwischen Juden und Christen zu unterscheiden, denn seine berühmt-berüchtigte Ehefrau Poppaea Sabina war dem Judentum überaus zugetan und hielt ihre schützende Hand über die alleine in Rom rund 50.000(!) Mitglieder zählende Gemeinde. Das waren, je nachdem wie hoch man die damalige Einwohnerzahl der Stadt schätzt, bis zu einem Zehntel der Bevölkerung (trotz der unter Tiberius und Claudius durchgeführten Massenausweisungen!).
Es ist nicht auszuschließen, dass Poppaea aufgrund von Einflüsterungen ihrer jüdischen Freunde eine gute Gelegenheit gekommen sah, den Christen einen gehörigen Dämpfer zu verpassen und ihren Gatten dementsprechend zu harten Maßnahmen überredete (was bei einem Typen wie Nero nicht schwierig gewesen sein dürfte).
Zwar muss das aufgrund der dürftigen und unsicheren Informationslage bis zu einem gewissen Grad Spekulation bleiben, völlig unbegründet ist diese Vermutung jedoch nicht, wie etwa antike rabbinische Quellen nahe legen, in denen Christen bzw. Judenchristen als "Minim" (Ketzer oder Abgefallene) bezeichnet werden. Dabei unterstellte man den christlichen Konkurrenten auch, sie hätten jene, die vom Judentum zum Christentum übertraten, verhext. So soll ein gewisser Rabbi Hanina erst wieder vom Christentum "geheilt" worden sein, als ihn sein Onkel Jehoschua mit Öl salbte.
Im Zuge des Bar-Kochba-Aufstandes wurden in Judäa - ebenfalls laut jüdischen Quellen - abtrünnigen Juden sogar zwangsbeschnitten (die im Christentum lange Zeit vorherrschende Ablehnung der Juden fußt eben mitnichten nur auf der Kreuzigung Jesu, sondern hat vielschichtigere Ursachen).

Entgegen der gängigen Meinung, wurden die Christen in Neros Schauprozess nicht der Brandstiftung überführt, sondern, so berichtet uns Tacitus, "des Hasses gegen das menschliche Geschlecht" - odium humani generis.
Laut Cicero handelt es sich dabei um die lateinische Übersetzung des griechischen Begriffs misanthropia, (=Menschenfeindlichkeit). Dieses Vergehens machte sich eine Person schuldig, wenn sie sich z.B. außerhalb des Gemeinwesens stellte und dieses durch die Weigerung schädigte, einen als Grundvoraussetzung geltenden gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.
Hatten die Christen also Schuld auf sich geladen, indem sie den Kaiserkult verwarfen und so den Zorn der Götter heraufbeschworen? Gleiches taten zwar auch die Juden - sehr zum Missfallen der Römer, wie obige Zitate belegen - doch hatten diese bereits eine gewisse Lobby aufgebaut - siehe etwa Poppaea Saabina oder Berenice, die Geliebte des späteren Kaisers Titus. Das Christentum hatte hingegen noch einiges an Arbeit vor sich, bis es stark genug war, um sich im römischen Staat Geltung zu verschaffen. Von daher überrascht es nicht, dass seitens der Obrigkeit immer wieder mit zweierlei Maß gemessen wurde.
(Es gibt hierzu, das sei der Vollständigkeit halber angemerkt, noch manch weitere Theorie, die ich allerdings der Übersichtlichkeit wegen ausgeklammert habe).

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Weiterführende Literatur:
  • Zurück zum Start - Was die frühen Christen uns zu sagen hätten; von Alexander Basnar; Verlag Books on Demand;  Infos bei Amazon
  • Christenverfolgung im Römischen Reich; von Hans Dieter Stöver; Econ Verlag; Infos bei Amazon

6 Kommentare:

  1. Den Juden ging es trotz allem aber auch unter den frühen christlichen Kaisern Roms nicht grundsätzlich schlecht. Was in Anbetracht der nicht gerade von Freundschaft geprägten gemeinsamen Vergangenheit eigentlich bemerkenswert ist.

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    1. Das ist richtig. So hat z.B. ausgerechnet der besonders eifrige Christ Theodosius I. jüdische Synagogen unter Schutz gestellt und betont, dass das Judentum eine "religio licita" ist

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  2. Danke für den Blogpost, darüber habe ich nun gar nichts gewusst und die gängigen Nero-Quellen informieren doch sehr einseitig (ich nehme an, dir ist die Nero-Biografie von Robichon vertraut ebenso wie das belletristische und stark pro-christliche "Quo Vadis").

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    1. Robichons Nero-Biografie kenne ich nur vom Titel her (stand mal auf einer Leseliste).
      Ich habe hier Gerhard Waldherrs Werk über Nero im Regal stehen, wobei ich das Buch aber für diesen Beitrag nicht als Quelle herangezogen habe.

      Quo Vadis ist in der Tat sehr pro-christlich.
      Ähnliches gilt für us-amerikanische Monumentalfilme der 50er- und 60erJahre, die ähnliche Themen behandeln. Ein pro-christlicher und pro-jüdischer Faden zieht sich dort nahezu immer quer durch die Handlung.

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  3. Ich habe deinen Blog über Blog-Zug gefunden und finde ihn ziemlich gut. Es ist der erste Blog über das alte Rom, dem ich auf diesem Weg begegnet bin.

    Was mich richtig freuen würde, wäre, wenn du noch mehr Kategorien in der oberen Hälfte einfügen könntest. Du hast ja inzwischen hunderte Seiten geschrieben, wobei die meisten Leser wahrscheinlich gar nicht herausfinden können, was da noch für interessante Seiten sind.

    Thematisch wäre es toll, wenn du mal Sachen wie "die 10 besten / schlechtesten Kaiser" oder auch mal römische Kriegstaktiken besprechen würdest.

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    1. Danke für das Feedback.
      Mit dem Gedanken, (ein bis zwei) zusätzliche Kategorien einzuführen, trage ich mich ehrlich gesagt auch schon seit einiger Zeit (Die Schlagwortwolke rechts, ist ja leider nur mäßig hilfreich). Möglicherweise werde ich das in der Weihnachtspause des Blogs machen.

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