Dem Schädel eines heranwachsenden Menschen mittels eng angelegten Stoffbinden eine längliche Form zu geben ist eine Sitte, die in verschiedenen Epochen und Weltgegenden angetroffen werden kann; so etwa in Afrika, Südamerika, Asien und im Europa des heraufziehenden Mittelalters. Zwar war der sogenannte "Turmschädel" hierzulande nie ein Massenphänomen, aber es findet sich - vom 5. bis ins frühe 6. Jh. - innerhalb des germanischen Siedlungsraums doch manch bemerkenswertes Beispiel dafür.
Gemeinhin wird angenommen, man hätte das Schönheitsideal des künstlich in die Länge gezogenen Schädels vom mongolischen Teil des heranstürmenden Stammesgemischs der Hunnen übernommen, in deren Nachbarschaft bzw. unter deren Herrschaft vorübergehend auch germanische Gruppen lebten; genannt seien hier etwa die Burgunden, Goten und Thüringer. Doch ist der Sachverhalt wirklich dermaßen simpel? Wieso findet sich diese Sitte z.B. auch bei den Alamannen und Bajuwaren, deren Kontakt zu den asiatischen Reiternomaden nicht unbedingt als überaus intensiv bezeichnet werden kann?
Abseits seines zentralen Verbreitungsgebiets in Europa - dem Karpatenbecken - ist der Turmschädel vor allem bei weiblichen Individuen anzutreffen. Untersuchungen an deren Skeletten/Knochen haben nun in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Theorie, wonach sich die Germanen hier einfach von den Hunnen ein Schönheitsideal abgeschaut hätten, nicht völlig stimmig zu sein scheint. Beispielsweise wurde anhand von Isotopenanalysen festgestellt, dass sich einige der langschädeligen Frauen geraume Zeit anders ernährt hatten, als die restliche Bevölkerung in deren Mitte sie lebten. Konkret geht es um besonders hohe 13C-Werte, die auf Hirse als wichtigen Hauptnahrungsbestandteil hindeuten. Dieses Getreide spielte vor allem in den Gebieten östlich von Böhmen, also im hunnischen Einflussbereich, eine wichtige Rolle.
Hinzu kommt, dass auch DNA-Untersuchungen eine hunnische Herkunft dieser Frauen nahelegen. Als Beispiel sei hier ein weiblicher Schädel aus dem Gräberfeld Regensburg-Burgweinting genannt. Er enthält DNA-Muster, die typisch für Asien und den Kaukasus sind. Interessanterweise dürfte die Physiognomie der Frau jedoch keine typisch "asiatischen" Merkmale aufgewiesen haben. Womit sie nicht dem mongolischen Teil der Hunnen entstammte und optisch in der germanische Gesellschaft wohl nicht aus der Reihe tanzte - damals eine wichtige Vorbedingung, um sich nahtlos integrieren zu können.
Die jüngst gewonnen Fakten deuten also darauf hin, dass die im germanischen Mitteleuropa lebenden Frauen mit Turmschädel zumeist keine Einheimischen waren. Vielmehr kamen sie von auswärts bzw. aus dem hunnischen Kernbereich.
Die letzten dieser Frauen starben zumeist 50-70 Jahre nach dem Niedergang der Hunnen, welcher im Jahre 453 mit dem Tode Attilas einsetzte. Es ist deshalb sehr gut vorstellbar, dass sie in noch jungen Jahren mit Germanen verheiratet wurden - etwa um ein Bündnis zu bekräftigen. Nachdem sich das Hunnenreich in Europa jedoch rasch aufgelöst hatte, starb der Turmschädel im germanischen Raum quasi mit diesen Frauen aus.
Weiterführende Literatur:
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Gemeinhin wird angenommen, man hätte das Schönheitsideal des künstlich in die Länge gezogenen Schädels vom mongolischen Teil des heranstürmenden Stammesgemischs der Hunnen übernommen, in deren Nachbarschaft bzw. unter deren Herrschaft vorübergehend auch germanische Gruppen lebten; genannt seien hier etwa die Burgunden, Goten und Thüringer. Doch ist der Sachverhalt wirklich dermaßen simpel? Wieso findet sich diese Sitte z.B. auch bei den Alamannen und Bajuwaren, deren Kontakt zu den asiatischen Reiternomaden nicht unbedingt als überaus intensiv bezeichnet werden kann?
Abseits seines zentralen Verbreitungsgebiets in Europa - dem Karpatenbecken - ist der Turmschädel vor allem bei weiblichen Individuen anzutreffen. Untersuchungen an deren Skeletten/Knochen haben nun in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Theorie, wonach sich die Germanen hier einfach von den Hunnen ein Schönheitsideal abgeschaut hätten, nicht völlig stimmig zu sein scheint. Beispielsweise wurde anhand von Isotopenanalysen festgestellt, dass sich einige der langschädeligen Frauen geraume Zeit anders ernährt hatten, als die restliche Bevölkerung in deren Mitte sie lebten. Konkret geht es um besonders hohe 13C-Werte, die auf Hirse als wichtigen Hauptnahrungsbestandteil hindeuten. Dieses Getreide spielte vor allem in den Gebieten östlich von Böhmen, also im hunnischen Einflussbereich, eine wichtige Rolle.
Hinzu kommt, dass auch DNA-Untersuchungen eine hunnische Herkunft dieser Frauen nahelegen. Als Beispiel sei hier ein weiblicher Schädel aus dem Gräberfeld Regensburg-Burgweinting genannt. Er enthält DNA-Muster, die typisch für Asien und den Kaukasus sind. Interessanterweise dürfte die Physiognomie der Frau jedoch keine typisch "asiatischen" Merkmale aufgewiesen haben. Womit sie nicht dem mongolischen Teil der Hunnen entstammte und optisch in der germanische Gesellschaft wohl nicht aus der Reihe tanzte - damals eine wichtige Vorbedingung, um sich nahtlos integrieren zu können.
Die jüngst gewonnen Fakten deuten also darauf hin, dass die im germanischen Mitteleuropa lebenden Frauen mit Turmschädel zumeist keine Einheimischen waren. Vielmehr kamen sie von auswärts bzw. aus dem hunnischen Kernbereich.
Die letzten dieser Frauen starben zumeist 50-70 Jahre nach dem Niedergang der Hunnen, welcher im Jahre 453 mit dem Tode Attilas einsetzte. Es ist deshalb sehr gut vorstellbar, dass sie in noch jungen Jahren mit Germanen verheiratet wurden - etwa um ein Bündnis zu bekräftigen. Nachdem sich das Hunnenreich in Europa jedoch rasch aufgelöst hatte, starb der Turmschädel im germanischen Raum quasi mit diesen Frauen aus.
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- Brigitte Haas-Gebhard | Die Baiuvaren: Archäologie und Geschichte | Pustet | 2013 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
Hallo Hiltibold, was gibt es denn an Literatur über diese Burgweintinger Dame oder andere Frauen mit solchen verformten Schädeln?
AntwortenLöschenIch wurde fündig in den Büchern:
LöschenAlamannenkatalog (Theiss), Studien zu reiternomadischen Kultur des 4. bis 5. Jahrhunderts - Band 1, Die Baiuvaren (Brigitte Haas-Gebhard)
Dieser Artikel aus dem Magazin "Spektrum Spezial: Archäologie - Geschichte - Kultur" (https://www.spektrum.de/magazin/palaeo-dna-haben-die-bayern-auch-hunnische-vorfahren/1611970) behandelt auch anhand des Forschungszweiges der Paläo-DNA die Verbindung zwischen Hunnen und Bajuwaren in Hinblick auf das Vorkommen der Turmschädel.
AntwortenLöschenDanke für den Link. Soweit ich sehe, kommt man zu ähnlichen Erkenntnissen. Die genetische Forschung ist hier eindeutig das stârkste Pferd, auf das man hinsichtlich der Genese der Bajuwaren setzen kann.
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