Als ich vor einigen Wochen im Archäologischen Park Carnuntum zu Besuch war - siehe den Blogbeitrag dazu - besichtigte ich auch die Rekonstruktion eines spätantiken Festsaales, in dem vermutlich einst die Elite der Stadt feierte.
Unser "Fremdenführer" sprach in diesem Zusammenhang das bekannte Problem an, demzufolge es eine zweischneidige Angelegenheit sein konnte, eines der angesehen städtischen Ämter zu bekleiden. Zwar war es mit großem Prestige verbunden, dem "Stand" der sogenannten Decurionen anzugehören, doch gingen mit diesem gesellschaftlichen Aufstieg auch finanzielle Belastungen einher, die vor allem in der Spätantike immer weniger Mitglieder der vermögenden Oberschicht zu tragen bereit waren. Grund hierfür wird wohl nicht zuletzt der Umstand gewesen sein, dass die für die Steuereintreibung zuständigen Decurionen mit ihrem Privatvermögen hafteten, sobald die Einnahmen hinter den veranschlagten Prognosen zurückblieben. Dies hatte zur Folge, dass viele reiche Leute ihre Heimatstädte verließen, um sich so vor der Last der Ämter zu drücken.
Doch ähnliche Probleme scheint es bereits in der frühen Kaiserzeit gegeben zu haben. So kommt mir in diesem Zusammenhang die vermutlich im ersten Jahrhundert niedergeschriebene lex municipii Malacitani in den Sinn, in der das Wahlprozedere des römischen Municipiums Malaca (=Malaga in Spanien) festgehalten wurde. Die Paragraphen dieser lex dürften für die meisten Municipien der damaligen Zeit typisch gewesen sein, denn obwohl Rom den Städten bei der Verwaltung Autonomie zugestand, war man doch auch um Vereinheitlichung bemüht. In der Kaiserzeit reisten deshalb sogar Komissionen von Stadt zu Stadt, um notfalls bestimmte Gesetze von oben herab zu verordnen. Für Malaca findet sich nun eine interessante Regelung, die ein bezeichnendes Licht auf die damaligen Zustände im Reich werfen dürfte: Es geht sicher nicht grundlos darum, wie im Falle von zuwenigen Bewerbern für ein Amt vorzugehen ist (Achtung, extrem verschachteltes Juristen- bzw. Beamtenkauderwelsch! Wer keinen Abschnitt zweimal lesen muss, bekommt ein Eis spendiert):
§51 Über die [zwangsweise] Benennung von Amtsbewerbern
Wenn bis zu dem Tag, bis zu dem die Anmeldung vorgenommen werden soll, für keinen oder, gemessen an der Zahl der zu wählenden Beamten, für zu wenige Bewerber eine Anmeldung namentlich erfolgt ist oder wenn es unter denen, für die die Anmeldung namentlich erfolgt ist, gemessen an der Zahl der zu wählenden Beamten zu wenige Bewerber gibt, die nach dem Gesetz für die Wahl-Komitien berücksichtigt werden dürfen, dann soll derjenige, der die Wahl-Komitien abzuhalten beauftragt ist, [durch Aushang] öffentlich bekannt machen, und zwar so, dass sie von ebener Erde aus richtig gesehen werden können, so viele Namen solcher Personen, denen es nach dem Gesetz erlaubt ist, dieses Amt anzustreben, wie bis zu der Anzahl fehlen, die nach dem Gesetz gewählt werden muss. Diejenigen, die auf diese Weise öffentlich bekannt gemacht sind, sollen, wenn sie wollen, bei dem, der diese Wahl-Komitien durchführt, jeweils eine Person gleicher Eignung benennen. [...]
Gesetze wie diese wären kaum beschlossen worden, wenn nicht ein konkreter Bedarf bestanden hätte. Soll heißen, es wird bereits lange vor dem politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Spätantike mancherorts eine gewisse Unlust geherrscht haben, öffentliche Verwaltungsaufgaben zu übernehmen.
Bemerkenswert erscheint mir bei obigem Text übrigens der Schlusssatz. Offenbar wollte man jenen Bürgern, die ohne eigenes Zutun auf die Kandidatenliste gesetzt wurden, eine Chance geben, das Risiko gewählt zu werden ein wenig zu streuen, indem sie selbst weitere Kandidaten benennen durften.
Die lex municipii Malacitani ist auch in anderer Hinsicht sehr interessant, da in ihr viele weitere Details einer frühkaiserzeitlichen Wahl beschrieben werden: Von der Gewährleistung der geheimen Stimmabgabe, bis zur Entsendung von Wahlbeobachtern.
—————–
Weiterführende Literatur:
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
- Pompeji in antiken Texten | Arno Hüttemann | Reclam | 2014 | Meine Rezension | Infos bei Amazon
- Vestigia - Stadt und Feste im kaiserzeitlichen Kleinasien (Beiträge zur alten Geschichte, Band 39) | Michael Wörrle | C.H. Beck | 1988
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Kommentare werden entweder automatisch oder von mir manuell freigeschalten - abhängig von der gerade herrschenden Spam-Situation und wie es um meine Zeit bestellt ist.