Wurde Amerika in der Antike entdeckt? Dieser zweifellos spannenden Frage geht der Kulturwissenschaftler Hans Giffhorn in seinem gleichnamigen Buch auf den Grund. Weder die Wikinger noch die Schiffsmannschaften des Kolumbus sollen die ersten Europäer gewesen sein, die ihre Füße auf amerikanischen Boden setzten, sondern Phönizier bzw. Karthager. Eventuell im Zuge einer missglückten Afrikaumsegelung könnte es die wagemutigen Seefahrer bereits mehrere Jahrhunderte vor der Zeitenwende an die Küste Brasiliens verschlagen haben.
Unter den antiken Völkern des Mittelmeers sei die unverhoffte Entdeckung Amerikas wohl allgemein bekannt gewesen, meint der Autor, und verweist in diesem Zusammenhang auf den griechischen Geschichtsschreiber Diodor.
In Kenntnis seiner und anderer Schriften sollen sich dann im ersten vorchristlichen Jahrhundert Keltiberer dazu entschlossen haben, aus dem von Rom bedrängten Spanien auszuwandern, um in Amerika einen Neubeginn zu wagen.
Nach ihrer Landung an der Küste Brasiliens seien sie den Amazonas aufwärts in das heutige Peru gezogen und hätten sich dort mit einheimischen Indianern vermischt. Da die Europäer nur eine Minderheit darstellten, gingen sie im Laufe der Zeit in der indianischen Mehrheit auf. Einige Kulturformen und andere Besonderheiten blieben jedoch angeblich erhalten und würden sich vor allem im mittlerweile ausgestorbene Indianerstamm der Chachapoya manifestieren. Archäologische Artefakte, naturwissenschaftliche Untersuchungen, schriftliche Überlieferungen und mancherlei Merkwürdigkeiten werden als Beleg für diese These aufgelistet. Hierzu folgen nun einige interessante Beispiele:
- Die Glaubhaftigkeit der knapp 3000 km langen Atlantiküberquerung der Karthager/Keltiberer soll unter anderem durch die Irrfahrt des Portugiesen Pedro Álvares Cabral im Jahr 1500 untermauert werden. Auch ihn trieben widrige Winde und Meeresströmungen bei seiner in Angriff genommenen Umrundung Afrikas vom Kurs ab, sodass er schlussendlich zum unfreiwilligen (Wieder-?)Entdecker Brasiliens wurde.
- Die Seefahrzeuge der Phönizier bzw. Karthager waren denen des Kolumbus und Cabral in technischer Hinsicht nicht wesentlich unterlegen; sogar das Kreuzen gegen den Wind dürfte mit ihnen bis zu einem gewissen Grad möglich gewesen sein. Überdies verdarb das so wichtige Süßwasser in den auf antiken Schiffen mitgeführten Keramikgefäßen wesentlich langsamer, als in den Holzfässern mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Entdecker.
- Im Mündungsgebiet des Amazonas liegt die Insel Marajo - siehe obige Karte. Dort gefundene präkolumbische Keramiken ähneln bezüglich Form, Farbgebung und Ornamentierung Gefäßen aus dem antiken Mittelmeerraum (Beispielebilder 148-168). Es wird daher angenommen, dass auf dieser speziellen Insel die keltiberischen Auswanderer zum ersten Mal in längeren Kontakt mit Einheimischen traten; zumal der auffällige Keramikstil vor ca 2000 Jahren sehr plötzlich auftauchte.
- Im Mündungsgebiet des Amazonas liegt die Insel Marajo - siehe obige Karte. Dort gefundene präkolumbische Keramiken ähneln bezüglich Form, Farbgebung und Ornamentierung Gefäßen aus dem antiken Mittelmeerraum (Beispielebilder 148-168). Es wird daher angenommen, dass auf dieser speziellen Insel die keltiberischen Auswanderer zum ersten Mal in längeren Kontakt mit Einheimischen traten; zumal der auffällige Keramikstil vor ca 2000 Jahren sehr plötzlich auftauchte.
- Die Indianer von Marajo verbrannten ihre Toten und bestatteten die Asche in Urnen - ein damals in Südamerika völlig unübliches Vorgehen. Allerdings war dies die Hauptbestattungsform der spanischen Kelten.
Warum wurde diese Art der Bestattung jedoch nicht auch am Endziel bzw. in der neuen Heimat der Auswanderer - den Anden - gepflegt? Wieso war dort stattdessen die Mumienbestattung üblich? Dieser Umstand könnte laut Buchautor den stark verwurzelten Jenseitsvorstellungen der peruanischen Urbevölkerung geschuldet sein, mit denen sich die Keltiberer zum Stamm der Chachapoya vermischten. So ließ sich beispielsweise auch der letzte Inka-Herrscher Atahualpa (dessen Mutter übrigens eine verschleppte Chachapoya war) lieber von den Spaniern taufen und anschließend erwürgen, als seinen Körper verbrennen zu lassen, da ihm das ein Weiterleben nach dem Tod unmöglich gemacht hätte.
- Bei ihrer Wanderung den Amazonas aufwärts hinterließen die Keltiberer möglicherweise Spuren. So fanden sich in hartem Gneis-Gestein ungewöhnliche präkolumbische Felsgravuren (Pedro do inga), die laut Aussagen von Experimentalarchäologen in dieser Form nur mittels Stahlmeißel zu bewerkstelligen waren; ein Werkzeug, das den Indianern eigentlich erst ab der Inbesitznahme Südamerikas durch die Spanier und Portugiesen im 16. Jahrhundert bekannt sein konnte. Interessanterweise geht bei der lokalen Bevölkerung jedoch eine alte Erzählung um, der zufolge die Gravuren von rotbärtigen Männern stammten, die vor sehr langer Zeit mit Schiffen gekommen waren.
- Der Konquistador Francisco de Orellana (16. Jh.) berichtet im Zusammenhang mit seiner Erstbefahrung des Amazonas von hellhäutigen bzw. europäisch wirkenden Indianern. Handelt es sich hierbei um Nachkommen der einst flussaufwärts gezogenen Keltiberer?
- Die bei heutigen Nachfahren und präkolumbischen Mumien der Chachapoya auftretenden roten bzw. blonden Haare beruhen nicht auf einer lokal anzutreffenden Genmutation, wie Kritiker meinen, sondern sind laut neueren DNA-Untersuchung europäischen Ursprungs.
Auch die Inka beschrieben die mit ihnen verfeindeten Chachapoya bereits als hellhäutig und blond, schreibt ein spanischer Chronist mit indianischen Wurzeln.
- Am Rio Guaporé, einem Nebenfluss des Amazonas, wurde beim Anlegen eines kleinen Entwässerungsgrabens ein Axtkopf aus Bronze (eigentlich Messing) entdeckt, der eine auffällige Verzierung in Form eines gehörnten Tierkopfes aufweist (Bild). Untersuchungen der Universität São Paulo ermöglichten zwar keine exakte Datierung, allerdings soll sich diese Axt - die Indianer in präkolumbischer Zeit nicht hätten selbst anfertigen können - spätestens um 500 n. Chr. im Amazonas-Gebiet befunden haben. Weiters stellte eine Expertin eindeutige Ähnlichkeiten zu einer keltiberischen Kultaxt aus Galicien/Spanien fest.
- Die Wohnhäuser der Chachapoya waren kreisrunde Steingebäude und ähnelten sehr jenen Bauformen, wie sie für die Castro-Kultur Spaniens typisch sind - siehe nachfolgendes Bild. Überdies ergaben Genuntersuchungen bei den spärlichen Resten heutiger Chachapoya-Nachkommen, dass ihre Vorfahren relativ häufig aus Nordspanien/Galicien bzw. dem Gebiet der einstigen Castro-Kultur stammten. Dem Einwand, es könnte sich hierbei auch um spätere, neuzeitliche Einwanderer gehandelt haben, wird entgegengehalten, dass die untersuchte DNA von Personen stammt, die in sehr abgelegenen Gebieten leben und teilweise noch uralte, auf die Chachapoya zurückgehende Nachnamen tragen.
- Kuelap, die beeindruckende Festungsstadt der Chachapoya, unterscheidet sich deutlich von vergleichbaren Bauwerken anderer südamerikanischer Hochkulturen (Inka, Azteken usw.). So sind die Mauern nicht zyklopisch, hintereinander gestaffelt sowie vergleichsweise niedrig, sondern weisen ein völlig anderes Erscheinungsbild auf und ragen bis zu 20 Meter empor - siehe Bild.
Große Ähnlichkeiten lassen sich zwischen Kuelap und keltiberischen Festungsbauten der Antike entdecken. Nicht nur bezüglich der Gesamtgestalt, sondern auch in Hinsicht auf die Proportionen der Steine, deren Bearbeitung sowie die Art des Zusammenfügens innerhalb des Mauerwerkes Die Klassische Archäologin Karin Hornig kommt zu dem Schluss:
"Angesichts der überraschenden Übereinstimmungen zwischen den Festungsmauern von Kuelap und denen der iberischen Halbinsel darf man einen entsprechenden Kultureinfluss annehmen."
Die Liste all jener Auffälligkeiten, die der Autor in seinem Buch benennt, könnte noch lange fortgesetzt werden. Ich möchte es jedoch mit den obigen Beispielen bewendet sein lassen und nun zum Fazit schreiten.
Fazit: Die These von der Entdeckung Amerikas durch antike Seefahrer ist nicht neu, allerdings dürfte sich bisher noch niemand dermaßen akribisch auf die Suche nach einschlägigen Hinweisen gemacht haben wie Hans Giffhorn.
Gänzlich überzeugen konnte mich der Autor trotzdem nicht. Zumindest wenn es um eine gezielten Auswanderung von Keltiberern nach Südamerika bzw. Peru geht. Es will mir wenig plausibel erscheinen, dass ganze Familien aufgrund vieler Jahrhunderte alter Reiseberichte das Wagnis auf sich nahmen, aufs Geratewohl Richtung Westen zu segeln. Durchaus möglich ist aufgrund der vorgelegten Indizien jedoch, dass antike Seefahrer zufällig nach Südamerika gespült wurden und dort eine neue Heimat fanden. Passen würde hierzu auch, dass die Auswanderer überwiegend männlichen Geschlechts waren - sofern ich die DNA-Untersuchungsergebnisse richtig interpretiere.
Giffhorns Schreibstil ist unprätentiös und bekömmlich, allerdings finde ich die Strukturierung des Buchs nicht ganz gelungen. Manch interessanter Punkt wird plötzlich fallengelassen und erst ein paar Kapitel später wieder aufgenommen.
Natürlich erhielt Giffhorn für seine These nicht nur Zuspruch aus der arrivierten Wissenschaft, sondern wurde auch von einigen Fachleuten abgewatscht. Ihnen widerspricht er in der hier rezensierten 2. Auflage (2014) unter anderem anhand aktueller Forschungsergebnissen, die ihm für die ursprünglichen Publikation (2013) noch nicht zur Verfügung standen.
Summa summarum bereue ich es nicht, dieses im Verlag C.H. Beck erschienene Buch gekauft zu haben, da es auch abseits des zentralen Themas viele interessante Detailinformationen und Zusammenhänge vermittelt, die mir bisher nicht geläufig waren. Der Preis von 18,95 Euro ist außerdem noch als moderat zu bezeichnen.
Weitere interessante Themen auf diesem Blog:
- Lochsteine: Uralte Wegweiser zu verborgenen Gangsystemen? - Ein Interview mit Heinrich Kusch
- "Tore zur Unterwelt" und "Versiegelte Unterwelt"
- Interview: Wurde das legendäre Kelten-Oppidum Noreia entdeckt?
- Das antike Weltbild im Wandel der Zeit: Von Hekataios über Herodot, Eratosthenes bis zu Klaudios Ptolemaios
Ich bin zwar an der Altamerikanistik durchaus interessiert, würde mich aber keinesfalls als Experten bezeichnen. Deshalb kann ich auch sicher nicht beurteilen, wieviel an den Behauptungen Giffhorns wirklich dran ist. Zumindest lese ich aus Deiner Rezension heraus, dass es sich bei ihm nicht um einen Spinner à la Däniken handelt. ��
AntwortenLöschenWie plausibel das Ganze nun wirklich ist, darüber lässt sich sicherlich trefflich streiten.
Wenn es sich so wie beschrieben, verhalten hat, konnten die Keltiberer dann ja noch nichtmal die Erfindung des Rades in die neue Welt hinüberretten. Das wirkt auf mich zumindest merkwürdig.
Passen würde hierzu auch, dass die Auswanderer überwiegend männlichen Geschlechts waren - sofern ich die DNA-Untersuchungsergebnisse richtig interpretiere.
=> Stimmt, das widerlegt doch eigentlich die These einer planvollen Auswanderung. Warum hätten sie ihre Frauen zurücklassen sollen?
Eine Art Däniken ist Giffhorn meiner Einschätzung nach sicher nicht. Er formuliert sehr behutsam, zitiert häufig die Meinung von ausgewiesenen Experten und verweist überdies sogar mehrmals auf Kulturparallelen, die sich als Sackgassen herausstellten (solche Selbstkritik sucht man ja gerade bei Däniken vergebens). Die im Buch genannten Beispiele sind quasi der ausgesiebte Rest an besonders ungewöhnlich erscheinenden Indizien, die der gängigen Lehre widersprechen.
LöschenDie Problematik mit dem scheinbar nicht bekannten Rad wird glaube ich sogar an einer Stelle angesprochen, ich bin mir aber nicht völlig sicher, da ich das Buch bereits im Oktober gelesen habe und den Großteil der Rezension auch schon vor zwei Monaten auf Vorrat geschrieben wurde.
Im Falle der Chachapoya und sonstigen Anden-Indianern habe ich aber vage die Begründung im Kopf (ob von Giffhorn oder jemand anderem weiß ich leider wie gesagt nicht mehr), dass man im unwegsamen, bergigen Gelände ohnehin mit einem Wagen nicht viel hätte anfangen können.
Bezüglich den DNA-Spuren gibt es eine wichtige Frage, die im Buch nicht geklärt wird - und vielleicht auch nicht geklärt werden kann: Von wie vielen europäischen Neuankömmlingen ist hier auszugehen? Hundert? Zweihundert? Fünfhundert? Ab einer bestimmten Größenordnung bleibt - wenn man die gezielte Auswanderung anzweifelt - nur die Möglichkeit, dass hier eine ganze Forschungs- oder Handelsflotte 'verblasen' wurde, nicht nur ein einzelnes Schiff. Möglich wäre das freilich, da solchen großangelegten Fahrten durchaus vorkamen. Im frühen 5. Jh. v. Chr. befuhr z.B. der Karthagische General und Magistrat Himilko die Küste Westafrikas und gelangte vermutlich bis nach Kamerun.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur das Abora-Experiment erwähnen. Selbst mit bronzezeitlichen Schilfbooten war es nachweislich möglich den Atlantik zu befahren und zu kreuzen. Der Grundgedanke von der Entdeckung Amerikas in der Antike ist meines Erachtens alleine deshalb schon nicht völlig von der Hand zu weisen. Dass Nachwirkungen in den Heimatländern der Entdecker ausblieben und die Entdeckung selbst keine Beachtung fand oder in Vergessenheit geriet, hat nicht viel zu sagen. Bei den Wikingern war es nicht anders.
AntwortenLöschenDie Abora-Fahrten des Dominique Görlitz sind in der Tat ein äußerst spannendes Stück Experimentalarchäologie!
LöschenFelsmalereien haben sogar schon zu der nicht ganz ungerechtfertigten Vermutung Anlass gegeben, dass selbst die Menschen der Jungsteinzeit bereits in der Lage gewesen sein könnten, relativ weite Seereisen auf dem offenen Meer zu unternehmen - inklusive dem Kreuzen gegen den Wind.
Ich würde erwarten, daß bei Einwanderung auch Reste der Sachkultur der Einwanderer zu finden sind, und zwar in der Gegend, wo diese angeblich an Land gegangen sind. Also Keramik-, Stein- oder Metallobjekte, die entweder direkt aus Europa kommen oder sehr ähnlich aussehen wie ihre europäischen Vorbilder. Auch auf dem Weg von der Landungsstelle bis in die Anden müßten sich in Fundstätten entsprechende Objekte finden, so daß man anhand solcher Funde von den Anden das Gebiet der Landung ermitteln können müßte.
AntwortenLöschen- Exilwikingerin -
Siehe die Axt aus Messing. Eisengegenständen bekommt wiederum das feuchte Klima äußerst schlecht. Wo gegebenenfalls die ersten Generationen an keltiberischen Zuwanderern lebten, starben und dementsprechende Spuren (Gegenstände aus der alten Heimat) hinterließen, ist nicht bekannt. Die archäologische Erforschung der Chachapoy-Kultur fiel bisher auch nur sehr bescheiden aus. Bleibt also abzuwarten, ob bzw. was hier noch im Verborgenen liegt.
LöschenSoweit ich weiß, wurden auch von den Wikingern in Neufundland so gut wie gar keine Überbleibsel mehr entdeckt, trotz intensiver Suche.
LöschenLiebe Grüße,
Britta
In Neufundland wurden die Reste einer Wikingersiedlung entdeckt (L'Anse aux Meadows), die vermutlich ca. 10 Jahre existierte. Die Funde geben Hinweise auf Handwerkstätigkeiten (Weben, Eisenverhüttung).
LöschenAbgesehen davon, gibt es Schriftzeugnisse in Form der isländischen Sagas.
DNA-Analysen deuten darauf hin, daß es in Island heute einige Dutzend Leute gibt, die indianische Vorfahren haben, vermutlich sind sie die Nachkommen einer Frau, die vor ca. 1000 Jahren lebte und von "Vinland" nach Island umsiedelte.
Das ist durchaus einiges!
- Exilwikingerin -
Sehr interessant, speziell die Ergebnisse der DNA-Untersuchungen. Mal sehen, was da noch so kommt.
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