Donnerstag, 10. März 2016

Krimskrams: Merkwürdiges Gilgamesch-Epos -- Erich von Däniken und perverse Menschenweibchen



Vor ein paar Tagen habe ich damit begonnen, mich langsam durch Reclams Übersetzung des Gilgamesch-Epos zu lesen. Bereits nach den ersten Seiten war allerdings klar, dass es sich um den seltsamsten antiken (eigentlich bronzezeitlichen) Text handelt, der mir bisher untergekommen ist. Und damit meine ich nicht das gelegentliche Zurückfallen des Übersetzers in das gestelzte Deutsch vergangener Jahrhunderte (z.B. "er hub an"). Nein, gewöhnungsbedürftig ist vielmehr die Eigenart, bestimmte Textpassagen wortwörtlich zu wiederholen - siehe folgendes Beispiel:

Der Jäger hub an und sprach zu seinem Vater:
"Mein Vater, da ist ein Mann, der zur Tränke kam, 
der ist der Stärkste im Land, Kraft hat er, 
wie ein Meteor ist er gewaltig.
Den ganzen Tag streift er im Gebirge umher,
frisst ständig Gras mit dem Wild,
oft ist seine Fährte an der Tränke zu finden.
Ich bin in Furcht und nahe mich ihm nicht.
Die Grube, die ich grub, hat er wieder zugefüllt,
die Fallen, die ich stellte, riss er heraus,
das Wild, das Getier der Steppe, ließ er vor mir entkommen,
lässt mich mein Waidwerk nicht tun."

Da hub der Vater an und sprach zu dem Jäger:
"Mein Sohn, in Uruk herrscht Gilgamesch als König,
die Dirnen der Ischtar sind dort bei ihm,
wie ein Meteor ist er gewaltig an Kraft.
Mach dich auf den Weg, setze Uruk als Ziel,
berichte dort von dem Gewalt-Menschen.
Geh, mein Sohn, führe die Dirne Schmachat mit dir heraus,
denn sie hat Kräfte, vergleichbar denen eines starken Mannes.
Sobald das Wild zur Tränke herankommt,
soll sie sich ihrer Kleider entledigen, ihre Reize offenbaren.
Er wird sie erblicken, sich ihr zuwenden,
das Wild aber, bei dem er aufwuchs, wird sich von ihm abwenden."

Er hörte auf den Rat seines Vaters,
und er brach auf, der Jäger,
machte sich auf den Weg, begibt sich nach Uruk.
Dem König Gilgamesch berichtet er:
"Da ist ein Mann, der zur Tränke kam, 
der ist der Stärkste im Land, Kraft hat er, 
wie ein Meteor ist er gewaltig.
Den ganzen Tag streift er im Gebirge umher,
frisst ständig Gras mit dem Wild,
oft ist seine Fährte an der Tränke zu finden.
Ich bin in Furcht und nahe mich ihm nicht.
Die Grube, die ich grub, hat er wieder zugefüllt,
die Fallen, die ich stellte, riss er heraus,
das Wild, das Getier der Steppe, ließ er vor mir entkommen,
lässt mich mein Waidwerk nicht tun."

Gilgamesch spricht zu ihm, dem Jäger:
"Geh nur, Jäger, führe die Dirne Schamchat mit dir heraus
und wenn dann das Wild herankommt zur Tränke,
dann soll sie sich ihrer Kleidung entledigen,
ihre Reize offenbaren.
Er wird sie erblicken, sich ihr zuwenden,
das Wild aber, bei dem er aufwuchs, wird sich von ihm abwenden."

Handelt es sich bei diesen Wiederholungen einzig und alleine um ein sprachliches Stilmittel oder spielen hier auch die eingeschränkten Möglichkeiten jener frühen Variante der Keilschrift eine Rolle, in der dieser Text schon im 3. Jahrtausend vor Christus zum ersten Mal niedergeschrieben wurde?

Aufgefallen ist mir auch, wie oft bereits zu Beginn der Erzählung mehrmals von Dirnen (Prostituierten) die Rede ist. Wobei im Alten Orient Tempelprostitution weit verbreitet war - und genau das dürfte in diesem Fall auch gemeint sein.
Hier stellt sich freilich gleich die nächste Frage: Spielte diese Sitte eventuell auch für das Entstehen des (nicht nur) christlich geprägten Begriffes von der "Hure Babylon" eine gewisse Rolle?

Interessant finde ich auch den immer wieder auftauchenden Vergleich, demzufolge jemand gewaltig oder kräftig "wie ein Meteor" sei. Leitete man das vielleicht von (uralten?) Beobachtungen eines massiven Meteoriteneinschlages auf der Erde ab? Oder stellten sich die Menschen damals einfach vor, dass Meteore von irgendwelchen besonders kräftigen Zugtieren über den Himmel gezogen wurden? Letzteres wäre natürlich eine vergleichsweise lahme Erklärung. Zumindest für mich, da ich das Gilgamesch Epos nicht zuletzt in der Hoffnung lese, darin Hinweise auf vorgeschichtliche Naturkatastrophen und daraus resultierende kulturelle Einflüsse zu entdecken.

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Erich von Däniken und perverse Menschenweibchen

Ja was ist denn da auf Youtube los? Seit einiger Zeit beobachte ich, wie das beliebte Videoportal geradezu mit Videos - aber auch Hörbüchern - des Prä-Astronautikers und Thesenspinners Erich von Däniken geflutet wird: Klick mich

Zugegeben, ich habe selbst in ein Hörbuch reingehört. Es ging darin um prähistorische "Mischwesen" und Herr Däniken meinte, das Kombinieren menschlichen und tierischen Erbgutes funktioniere nur künstlich. Würde hingegen "ein perverses Menschenweibchen Sex mit einem männlichen Affen haben", dann würde daraus kein Nachwuchs entstehen.
Danke Herr Däniken, dass Sie mich darüber so überaus bildhaft aufgeklärt haben :)


7 Kommentare:

  1. Ich habe zwei Übersetzungen: Stefan M. Maul (C.H. Beck) und Raoul Schrott (S. Fischer). Schrott kann außer Betracht bleiben, das ist eine freie Nachdichtung. Bei Maul stehen die Wiederholungen auch. Sie sind also im Urtext so vorhanden. Ein Problem durch die Keilschrift sehe ich nicht. Ich halte es eher für ein rhetorisches Stilmittel der Verstärkung. Wie ich auch glaube, dass das Epos zuerst mündlich vorgetragen wurden, bevor man es schriftlich fixiert hat. In diesem Zusammenhang ist ein "psalmodierender" Vortrag durchaus wahrscheinlich. Im AT gibt es auch diese ständigen Wiederholungen.

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    1. Die Reclam-Übersetzung ist von Wolfgang Röllig, wobei der wohl auf eine Neuedition aller verfügbaren Gilgamesch-Texte zurückgriff, die Andrew R. George 2003 veröffentlichte.

      Ich vermute auch, dass die Wiederholungen eher ein rhetorisches Stilmittel sind, wobei manche Formulierungen schon außerordentlich häufig vorkommen. Wie im nächsten Kommentar schon geschrieben wurde, könnte das auch mit einer ursprünglich rein mündlichen Überlieferung zu tun haben... wer weiß!

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  2. Mein erster Gedanke zum Gilgamesch-Epos war, daß diese Wiederholungen ein Stilmittel sind. In Märchen, die sich ja auch weit zurückverfolgen lassen, werden ebenso Passagen wiederholt. Ob es an der mündlichen Überlieferung liegt, weil sich Wiederholungen besser einprägen? Oder hat es eine magische Bedeutung, Bekräftigung des Gesagten durch Wiederholung? Vielleicht von allem etwas.
    Den Begriff der Dirne finde ich problematisch, ich vermute mal, es gibt kein passendes deutsches Wort für Frauen, die im Dienst der Göttin sexuell aktiv sind. Die babylonischen Vorstellungen von Sexualmoral dürften doch erheblich von denen abweichen, die ggf. ihre Nachbarn (z.B. Israeliten) hatten, oder die im sog. christlichen Abendland herrsch(t)en. Auf keinen Fall hatte diese Tätigkeit etwas Anrüchiges, eher im Gegenteil.
    - Fränkin -

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    1. "Den Begriff der Dirne finde ich problematisch"

      Bei solchen Übersetzungen sind wahrscheinlich Begriffe, die mit Sexualität zu tun haben, grundsätzlich problematisch. "Siehe z.B. Formulierungen wie "ihr beiwohnen". Hieß es im Original nicht vielleicht doch einfach nur "vögeln"?

      Bei Keilschrifttexten kann ich das nicht persönlich nachprüfen bzw. beurteilen, aber zumindest im Falle lateinischer Texte kenne ich einige Beispiele, bei denen der Übersetzer massiv geschönt hat. Etwa bei Schmuddel-Graffiti in Pompeji. Erst in jüngerer Zeit hat sich das gebessert - aber auch nicht überall.

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    2. Ja, einerseits geschönt/dem Zeitgeist angepaßt, andererseits ist vielleicht wirklich keine passende Übersetzung möglich, da der Begriff in der Zielsprache gar nicht vorhanden ist, weil die Kultur so völlig anders ist.
      - Fränkin -

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  3. Könnten sich diese Wiederholungen nicht dadurch erklären lassen, dass es sich um fixe Formeln handelt? Man hat ja für die homerischen Epen nachgewiesen, dass in Szenen immer wieder das gleiche Vokabular und die gleichen festen Wendungen bemüht werden und das darauf zurückgeführt, dass der Sänger beim mündlichen Vortrag die Szenen wohl je nach Publikum ausgebaut oder gekürzt hat. Dabei sind ihm formelhafte Wendungen dann eine große Hilfe gewesen, weil sie ins Metrum passten und sich Beschreibungen so beliebig aus- und umbauen ließen.
    Vielleicht ist das beim Gilgamesch-Epos ähnlich?

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    1. Der Übersetzer weist auf den Stil des formelhaften Wiederholens sogar im Vorwort hin. Wobei dieses Stilmittel über den üblichen 'parallelismus membrorum', wie er z.B. im Alten Testament vorkommt, weit hinauszugehen scheint.
      https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/lit-zobel-345poesie.htm

      Homers Ilias habe ich zufälligerweise erst kürzlich in Teilen überflogen. Mein Eindruck, auch dort sind die Wiederholungen bei weitem nicht so massiv, wie im Gilgamesch-Epos. Aber die Motive der Autoren könnten natürlich trotzdem ähnlich gewesen sein. Ich halte das sogar für wahrscheinlich.

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