Freitag, 9. März 2018

Wikingerschiffe: Ein zeichnerischer und chronologischer Überblick

Bedeutende Wrack-Funde von Wikingerschiffen im ungefähr gleichen Maßstab. Die Vorlagen für die von mir angefertigten Grafiken fand ich im Buch: Spurensuche Haithabu (nähere Infos am Ende des Beitrags)

Man unterscheidet bei Wikingerschiffen vor allem zwischen dem für den Kriegseinsatz bevorzugten Lang- bzw. Drachenschiff (altnord: langskip, dreki) und der für Transport- bzw. Handelsfahrten verwendeten Knorr (Altnord. Knörr oder Knarr; Althd. Gnarro; Altengl. Cnaer). Auch wenn das schlanke Langschiffe heute als das typische Wikingerschiff schlechthin gilt, so war die voluminösere Knorr doch weitaus stärker verbreitet.
In der überlieferten altnordischen Literatur war hinsichtlich der Schiffstypen freilich genauer differenziert worden, als es die grobe, heute allgemein gebräuchliche Einteilung vermuten lässt. Beispielsweise wurde die Bezeichnung Drachenschiff vor allem für die größten Langschiffe verwendet. Das bedeutet, selbst wenn ein kleineres Kriegsschiff einen Drachenkopf als Bugzier trug, so machte ihn dieser nicht automatisch zum Drachenschiff. Mittelgroße Langschiffe wie das Gokstad-Schiff dürften daher eher in jene Kategorie gehören, die in der Skaldendichtung als Skeið bezeichnet wird. 
Abhängig von ihrer Größe, bediente man sich auch bei den Frachtschiffen verschiedener Begriffe, selbst wenn diese von der Bauart her mehr oder weniger der Knorr entsprachen. Z.B. wurden kleinere Varianten als Ferja (Fähre) bezeichnet; darunter könnte etwa ein rund 11 Meter langes Wrack fallen, das nahe des dänischen Skuldelev entdeckt wurde (Skuldelev 6). Ebenfalls auf dem wikingerzeitlichen Schiffsfriedhof von Skuldelev fand man ein 14 Meter langes Knorr-artiges Schiff (Skuldelev 3), das vermutlich in jene Kategorie gehört, die in den altnordischen Quellen Byrðinger (Byrð = Bürde, Last) genannt wird.
Neben all dem, gab es freilich auch noch gänzlich andere Wasserfahrzeuge, wie z.B. kleine Boote (altnord. bát) bzw. Nachen (altnord. nökkvi) von bis zu sechs Meter Länge, um die es hier aber nicht gehen soll.

Die nachfolgenden Rekonstruktionsskizzen wikingerzeitlicher Kriegs- und Transportschiffen sind hinsichtlich ihres Entstehungszeitpunkts chronologisch geordnet. Die Bezeichnungen leiten sich von den Fundorten der Wracks ab.
 !  Selbstverständlich dürfen sämtliche Grafiken kopiert und geteilt werden. Sie finden sich in höherer Auflösung bei Flickr. Außerdem sind sie bei Pinterest verfügbar (allerdings habe ich keine Ahnung, ob das bei Pinterest mit der höheren Auflösung funktioniert). 


OSEBERG
Typ: Langschiff | Datierung: ca. 820 | Länge: 21,5 m | Breite: 5,1 m | Material: Eiche | Riemen: 30



Besonderheiten: Nicht nur der Rumpf des unter einem Grabhügel liegenden Oseberg-Schiffs war bei seiner Entdeckung 1904 noch sehr gut erhalten, sondern auch ein großer Teil der Schiffsausrüstung. Sogar Reste rot gefärbten Segeltuchs fanden sich, wobei die ursprüngliche Größe des Segels zwischen 95 und 107 Quadratmeter betrug.
Interessanterweise waren keine Ruderbänke vorhanden - die Ruderer saßen deshalb wohl auf Seekisten oder ähnlichem. Das Fehlen der Ruderbänke könnte darauf hindeuten, dass das Rudern beim Osebergschiff nicht die übliche Form der Fortbewegung war.
Das niedrige Freibord des Schiffs ließ vermehrt Zweifel an dessen Hochseetüchtigkeit aufkommen. Eine Kopie - die 1987 gebaute Dronningen - sank dann auch schon bei ihrer Versuchsfahrt. Sie wurde geborgen, instand gesetzt und in Oseberg umgetauft, ging dann aber endgültig 1992 in einem Sturm im Mittelmeer unter. 2013 stellte man eine weitere Kopie fertig: Die Sage Oseberg


GOKSTAD
Typ: Langschiff | Datierung: ca. 890 | Länge: 23,3 m | Breite: 5,3 m | Material: Eiche | Riemen: 32


Besonderheiten: Das 1880 von Archäologen ausgegrabene Gokstad-Schiff war bis auf den Mast und die oberen Steven-Enden komplett erhalten. Das als Grabschiff verwendete Wasserfahrzeug war zwar längst geplündert worden, enthielt aber trotzdem noch viele Ausrüstungsgegenstände. Darunter ein Schiffszelt und drei Beiboote. Aufgrund der gefundenen Riggteile errechnete man, dass das Segel gut 100 Quadratmeter groß gewesen sein dürfte.
Vom Gokstadt-Schiff gibt es mehrere Nachbauten: Z.B. die norwegische Gaia, die schwedische Ormen Friske, die isländische Íslendingur, die englische Hugin und die us-amerikanische Hjemkomst.


LADBY
Typ: Langschiff | Datierung: spätes 9. bis frühes 10. Jahrhundert | Länge: 21,5 m | Breite: 2,9 m | Material: --- | Riemen: 32

Besonderheiten: Das Holz des zuletzt als Grabschiff verwendeten Kriegsschiffs war bei seiner Entdeckung 1935 bereits vollständig vergangen; nur Nieten und Planken-Abdrücke in der Erde verrieten die einstige Form. Der Rumpf war äußerst schlank, mit sehr niedrigem Freibord. Deshalb wird angenommen, dass dieses mitunter als "Kriegsyacht" angesprochene Wikingerschiff eher für küstennahe Fahrten gedacht war, weniger für Eroberungszüge über das offene Meer. 
Vom Ladby-Schiff wurden zwei Kopien gebaut: 1963 die Imme Gram (ging 2009 verloren) und 2013 die Imme Sejr.


HAITHABU 1
Typ: Langschiff | Datierung: ca. 985 | Länge: ca 31 m | Breite: ca. 2,7 m | Material: Eiche | Riemen: 68



Besonderheiten: Das als Haithabu 1 bezeichnete Kriegsschiffe sank aufgrund von Feuer an den Kaianlagen des Handelshafens Haithabu. Vermutlich war das mit brennbarem Material vollgestopfte Schiff als Brander bei einem Angriff verwendet worden. Zum Zeitpunkt des Untergangs (1050) hatte es fast acht (!) Jahrzehnte auf dem Buckel, was sehr für die Robustheit wikingerzeitlicher Schiffe spricht. 1979 wurde das bis auf die Wasserlinie heruntergebrannte Wrack im Zuge einer aufwendigen Spundwandgrabung geborgen. 


HAITHABU 3
Typ: Knorr | Datierung:  ca. 1030 | Länge: 22 m | Breite: 5,5 m | Material: Eiche | Riemen: ---


Besonderheiten: Haithabu 3 ist mit 40 Tonnen Tragfähigkeit eines der größten bisher entdeckten Handelsschiffe der Wikingerzeit. Die Bäume, aus denen die Knorr besteht, wurden laut dendrochronologischer Analyse ca. im Jahr 1030 geschlagen - wann aber das Schiff sank, ist bisher nicht bekannt. Das am Grund des Haddebyer Noors schlummernde Wrack wurde bisher noch nicht gehoben. Genauere Untersuchungen sind deshalb ausständig.


SKULDELEV 1
Typ: Knorr | Datierung: ca. 1030 | Länge: ca. 16 m | Breite: ca. 4,8 | Material: Fichte, Eiche | Riemen: 2-4 (zum Manövrieren auf beengtem Raum wie etwa einem Hafen)


Besonderheiten: Das ursprünglich wohl mit ca. 6-8 Besatzungsmitgliedern bemannte Handelsschiff dürfte eine Segelfläche von mindestens 90 Quadratmetern gehabt haben. Zwei Nachbauten sind die Saga Siglar, mit der in den 1980ern eine Weltumseglung gelang (gesunken 1992) und die Ottar. Geschwindigkeiten von bis zu 13 Knoten konnten mit diesen Nachbauten erreicht werden. 


LYNAES 1
Typ: Knorr | Datierung: Mitte des 12. Jahrhundert | Länge: ca. 24 Meter | Breite: --- | Material: --- | Riemen: ---

Besonderheiten: Leider konnte ich zu diesem wohl 1975 entdeckten Schiff kaum verlässliche Detailinformationen finden. Eventuell weiß jemand unter den Lesern mehr?

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Weiterführende Literatur / Quellen:

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2 Kommentare:

  1. Ich finde es hochinteressant, wie groß einige dieser Frachtschiffe im Vergleich zum Osebergschiff sind! Mit dem habe ich nicht gerechnet, weil ich das Osebergschiff bisher immer für ein von der Größe her typisches Wikingerschiff gehalten habe. Aber man lernt nie aus! :-)
    Liebe Grüße,
    Gernot

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    1. Das ist richtig, wobei man einräumen muss, dass es noch wesentlich größere Langschiffe gab. In der altnordischen Literatur ist von 100 Ruderplätzen die Rede - zum Vergleich: das Oseberg-Schiff hat nur 30.

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