Donnerstag, 20. Mai 2021

🦴 Tierknochen-Befunde: Mehr als archäologische Kaffeesatzleserei?




Beim Ausgraben von Siedlungsplätzen finden Archäologen häufig die Knochen jener Tiere, die auf dem Speiseplan der einstigen Bewohner standen. Nun könnte man meinen, daraus ließe sich zwar ableiten welche Tiere dazumal verputzt worden sind, aber viel mehr würden solche Befunde leider nicht hergeben. 
Doch diese Annahmen ist gleich in doppelter Hinsicht unzutreffend. Denn einerseits finden sich in der Regel nicht alle Tierknochen im Fundgut wieder bzw. sind darin nicht im richtigen Verhältnis repräsentiert; der Grund hierfür ist, dass feine Knochen wie jene von Geflügel, aber auch Fischgräten, wesentlich schneller im Boden vergehen als z.B. die massiven Knochen von Schafen und Rindern. Andererseits lässt aber das erhaltene Knochenmaterial bis zu einem gewissen Grad Schlüsse zu, die dann doch deutlich über den menschlichen Speiseplan hinausgehen können. Vorsicht ist dabei allerdings geboten. Hierzu ein hypothetisches Beispiel, das sich grob an einem real existierenden Grabungsergebnis orientiert und zu dem ich einige Überlegungen anstellen möchte.

Keine Rechte vorbehalten, doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: HILTIBOLD.Blogspot.com

Rechts zu sehen ist die Darstellung einer spät-hallstattzeitlichen bzw. keltischen Abfallgrube, in die man einst Schlachtabfälle entsorgt hat; das Spektrum des Knochenmaterials wurde links aufgeschlüsselt. Was können nun Archäologen hieraus ablesen - oder besser gesagt, was meinen sie ablesen zu können?
  1. Die Bewohner waren offensichtlich keine Vegetarier. 😉 Außerdem sei angemerkt, dass die große Beliebtheit von Schwein, Schaf/Ziege und Rind typisch für die meisten keltischen Siedlungsgebiete ist; das weiß man von vielen ähnlichen Fundorten.
  2. Pferd sowie Jagdwild deuten auf das Vorhandensein einer sozial herausgehobenen Personenschicht hin. Wobei solche Aussagen nur im Kontext weiterer Informationen halbwegs sicher getroffen werden können. Dazu zählt etwa, dass das Pferd in der Hallstattzeit noch kein typisches Haustier für jedermann war, sondern eher ein Prestigeobjekt; was die Kelten nicht davon abhielt es zu essen. Das ergaben die Befunde von Keltenbestattungen, in denen Pferdefleisch höherstehenden Verstorbenen als Speisebeigabe mitgegeben wurde. Allgemeines Wissen um das Vorhandensein von gesellschaftlichen Hierarchien und die Ernährungsgewohnheiten an anderen Siedlungsplätzen sind dementsprechend für die kompetente Auswertung einer Abfallgrube wie der obigen Voraussetzung. 
  3. Entgegen einem weit verbreitetem Klischee war Wild in der Vorzeit nicht per se ein Hauptbestandteil der täglichen Ernährung. Es war in unseren Breiten nach der Sesshaftwerdung des Menschen, also ungefähr seit der Jungsteinzeit, zunehmend unwichtig geworden - verglichen mit domestizierten Tieren. Das gilt beispielsweise nicht nur für den keltischen, sondern auch für den germanischen Kulturkreis.
  4. Die außerordentlich starke Dominanz des Feldhasen unter den verspeisten Wildtieren deutet hier auf eine offene, tendenziell entwaldete Landschaft hin, die zur Beweidung genutzt wurde. Knochen können uns also auch etwas über das einstige Aussehen des Lebensraums seiner Bewohner erzählen.
  5. Die Schlussfolgerung von Punkt vier wird auch von einem relativ hohen Schafsknochen-Anteil gestützt. Außerdem deutet dieser auf das Vorhandensein einer nicht ganz unbedeutenden Wollproduktion hin. Eventuell hat man es - gemessen an der vermuteten Einwohnerzahl des Siedlungsplatzes - sogar mit einer für den Verkauf bestimmten Überproduktion zu tun. So etwas könnte etwa durch außergewöhnlich viele Spinnwirteln im Fundgut untermauert werden. Woran zu erkennen ist, dass man es bei archäologischen Fragen mit vielen einzelnen Puzzleteilen zu tun hat.
  6. Ein hoher Anteil an tierischem Eiweiß in der Nahrung wirkt sich positiv auf den Wuchs aus. Der Umstand nämlich, dass Adelige seit Jahrhunderten häufig als "hochgewachsen" beschrieben werden ist kein bloßes Klischee. Vielmehr waren gesellschaftlich bessergestellte Personen aufgrund relativ häufigen Fleischverzehrs tatsächlich im Schnitt größer als etwa ein typischer Bauer, dessen Speiseplan häufig mehr pflanzliche Nahrung beinhaltet hat. Falls die Möglichkeit besteht, lohnt es sich daher, die Nahrungsreste in Abfallgruben mit menschlichen Bestattungen in Bezug zu setzen, die dem Siedlungsplatz zuordenbar sind. Daraus können weitere, für die Forschung hochinteressante Erkenntnisse gewonnen werden. Beispielsweise kann nicht nur eine überdurchschnittliche Körpergröße bei den Bewohnern auf einen hohen Fleischkonsum hindeuten, sondern auch das gesteigerte Vorhandensein von Kupfer und Zink in den menschlichen Knochen. Strontium und Barium andererseits gelten als Indikatoren für pflanzliche Nahrung. Doch aufgepasst, die ermittelten Werte können täuschen; so ist es etwa möglich, dass bestimmte Ernährungsindikatoren für tierische Proteine in Wirklichkeit auf Hülsenfrüchte zurückgehen, die mit Tier-Exkrementen gedüngt worden sind. Letztendlich ist es also eine mitunter knifflige Angelegenheit, die Frage zu beantworten wie es um die Ernährungsgewohnheiten bestimmter Individuen oder Gruppen bestellt war. Ein oberflächlicher Blick in eine Abfallgrube alleine reicht dafür jedenfalls nicht aus!
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9 Kommentare:

  1. Ich frage mich, was Archäologen in 2000 Jahren sich wohl denken werden, wenn sie unsere Müllkippen durchsuchen und dabei die Speisereste und Lebensmittelverpackungen analysieren. Vielleicht werden sie sich darüber wundern, welchen Mist die Menschen wider besseren Wissens in sich hineingeschlungen haben.
    Guinevere

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    1. Das ist nicht unwahrscheinlich. So wie wir uns darüber wundern, dass sich die Alten Römer Bleiacetat in den Wein geschüttet und Bleiweiß ins Gesicht geschmiert haben. Und das obwohl man sich ebenfalls klar darüber war, dass das nicht gesund ist.

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    2. Ich würde für unsere Kreislaufwirtschafts- und Müllexportzeit bei einer maximalen Friedhofsliegedauer von 25 Jahren in ferner Zukunft eher für "fundlos" halten...

      Da müsste ein künftiger Archäologe schon sehr um die Ecke denken, dass da, wo der Wohlstandsmüll lagert, nicht verbraucht wurde...

      Dann wäre da noch ein Problem mit der künftigen Geschichtsschreibung - die von Fernost dominierte Zeitgeistwahrheit wird Europa stets als unzivilisierte Kloake sehen, welche nur durch Stehlen und Kopieren der fernöstlichen Technik und Kultur eine kurze ungerechtfertigte Blüte hatte...
      (Sorry..)

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    3. Glauben die das wirklich? Das war mir nämlich bisher nicht bekannt.

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    4. Das ist das Neueste und wohl von einem renommierten chinesischen Historiker:

      https://www.focus.de/wissen/mensch/kultur-existiert-nicht-allesamt-faelschungen-des-westens-chinesischer-professor-leugnet-echtheit-der-pyramiden_id_12985763.html

      Vor Jahren wurde noch belustigt berichtet, dass eine kleinere Gruppe chinesischer Sprachwissenschaftler behauptete, die europäischen Sprachen seien aus chinesischen Dialekten entstanden. (Einen Link hierzu finde ich leider nicht mehr.) Da hat die aktuelle These und ihr Protagonist schon eine andere Dimension. (Zumindest für einen "gelernten Ossi")

      Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Chinesen - als Träger einer Hochkultur - es als maximale Demütigung empfanden, besser: empfinden, dass ein paar unzivilisierte Rüpel aus dem europäischen Appendix Asiens für 500 Jahre die ganze Welt und vor allem China beherrschten, ist hier eine Motivtionslage erkennbar.

      Zusätzlich hatte ich vor vielen Jahren einmal das Vergnügen, einen Bischof erfreut darüber referieren zu hören, dass auf einer China-Reise ein Geschichtsprofessor auf ihn zukam und ihm erzählte, dass er das Christentum erforschte - eben vor dem Hintergrund, herauszufinden, warum ausgerechnet Europa für 500 Jahre die Welt (und China) beherrschen konnte. (Ich hatte mir damals das Transkript erbeten, aber zwischenzeitlich entsorgt.) Zunächst ging ich davon aus, dass die Chinesen daraus (nur) das Social-Credit-System entwickelten. Bedenke ich aber, wie China den amerikanisch/ europäischen Neokolonialismus (Verschuldungspolitik, "Klima"-Politik - spätestens seit Kopenhagen) übernommen sowie perfektioniert hat und nun sogar gegen den Westen richtet, habe ich wenig Anlass, die Dekonstruktion auch unserer Geschichte einfach als Unfug und Mindermeinung abzutun... ...wie ich noch die ersten Clownstudien des PIK aus den 90'ern und die Forderung nach einer CO2-Steuer vor ca. 15 Jahren abgetan hatte.

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    5. Über etliche Modelle und Prognosen des PIK lache ich auch heute noch, allerdings das was Medien und Politik daraus ableiten ist leider nicht zum Lachen.

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  2. Interessant finde ich auch den Umstand, dass Kühe z.B. erst im 19.Jh. wieder so groß gewesen sein sollen, wie in der späten Antike - im Mittelalter dagegen so groß wie ein modernes Kalb. Aber warum? Zu wenig Weidefläche?

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    1. Ich vermute dahinter eher die Unfähigkeit der siegreichen Germanen (und ihrer direkten Nachfolger), eine so effiziente Zucht wie die Römer zu betreiben. Beim Ackerbau waren sie bekanntlich auch nicht in der Lage, nennenswerte Überschüsse wie die Römer zu produzieren.

      https://hiltibold.blogspot.com/2014/01/das-zu-klein-geratene-vieh-der-germanen.html

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    2. Endlich kann ich mal mehr Substanz und Interpretation, als die lapidare Feststellung der Fundlage lesen!

      Und ich muss an den Ursprung des Konflikts zwischen Schyzern und Habsburgern denken: der Kampf um Weideland, weil um die Alpan plötzlich Rindfleisch en vogue wurde, statt Ziegenfleisch.. (angeblich..)

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