Mittwoch, 9. Oktober 2024

📖 Zeitschrift Bayerische ArchĂ€ologie - Heft 3.24: Burgen-ArchĂ€ologie - Hoch- und SpĂ€tmittelalter (Außerdem: Affige Namen, archĂ€ologische TrĂ€gheit, besoffene Bajuwaren usw.)

BurgenarchÀologie in Bayern: Keine gmaade Wiesn!

In Bayern gibt es seit einiger Zeit nicht nur eine völlig belÀmmerte Denkmalschutzgesetzgebung mit einem raubritterartigen Schatzregal, sondern - quasi passend dazu - auch viele Burgen. Sehr viele Burgen sogar. Mindestens 2400 sollen es sein, inklusive den oberirdisch nicht mehr klar identifizierbaren Bauten ("Burgstall").
Im vorliegenden Heft der Reihe "Bayerische ArchĂ€ologie" widmet man sich schwerpunktmĂ€ĂŸig den hoch- und spĂ€tmittelalterlichen Objekten, die gegenĂŒber frĂŒhmittelalterlichen Anlagen in der klaren Mehrheit sind.

Die Burgenforschung ist - wie es heißt - eine junge Forschungsdisziplin in Deutschland. Der erste spezialisierte Lehrstuhl fĂŒr MittelalterarchĂ€ologie - in der dann im Laufe der Zeit die BurgenarchĂ€ologie als Teildisziplin entstand - wurde erst 1981 gegrĂŒndet. Vorher lief das Thema in der ArchĂ€ologie quasi nur nebenbei mit und wurde eher stiefmĂŒtterlich behandelt. Was mich schon ĂŒberrascht, wenn man bedenkt, dass doch bereits im 19. Jahrhundert im Zuge eines nach-napoleonischen IdentitĂ€tsfindungsprozesses das Mittelalter fĂŒr einige Zeit sehr en vogue im deutschen Sprach- und Kulturraum war. Ersichtlich etwa daran, dass der Kölner Dom - welcher Jahrhunderte lang eine Bauruine und Schandfleck gewesen ist - plötzlich mit Feuereifer fertiggestellt wurde. Überdies entstanden mit der Neogotik und der Neoromanik sogar Baustile, die sich sehr eng an der Gotik und der Romanik des Mittelalters orientierten; Beispiele dafĂŒr sind Schloss Neuschwanstein und das Rathaus von Wien. Auf eine systematische Erforschung mittelalterlicher Wehranlagen/Burgen hat man dazumal aber vergessen; die Zunft der ArchĂ€ologen beschĂ€ftigt sich lange Zeit lieber mit der nobler erscheinenden Antike. Auch sollen gerade in Bayern restriktive Grabungsvorgaben bis in allerjĂŒngste Zeit verhindert haben, dass - abseits von Ausnahmen - eine umfangreiche Dokumentation einzelner Objekte möglich war. Was, wie ich finde, zum eingangs erwĂ€hnten Zustand der Bodendenkmalpflege und ArchĂ€ologie in diesem Bundesland passt. Die Hirnlosigkeit der dortigen Regierer darf als gesichert extrem eingestuft werden. Da ist es vielleicht kein Zufall, dass der Begriff "Deppokratie" von einem Bayern geprĂ€gt wurde. 

Apropos "deppert". Der MittelalterarchĂ€ologe Joachim Zeune schreibt, dass zwischen 1978 und 1981 die Burg Oberwittelsbach ausgegraben wurde; das Projekt sei aufgrund der unzĂ€hligen Funde herausragend gewesen. Zur Zeit als die Grabung ihr Ende fand, war ich ĂŒbrigens ein Baby. Warum weise ich darauf hin? Ganz einfach, weil nĂ€mlich die Gesamtergebnisse publiziert wurden, als ich bereits mehr oder weniger ein alter Sack war, nĂ€mlich 2017 đŸ˜”‍đŸ’«! Diese TrĂ€gheit ist haarstrĂ€ubend! Es heißt zwar, dass der hauptverantwortliche AusgrĂ€ber gesundheitliche Probleme hatte, aber das kann niemals eine Rechtfertigung fĂŒr eine dermaßen absurde Zeitspanne sein. Hier hĂ€tte schlicht jemand von den Kollegen helfend einspringen mĂŒssen. Eine seriöse Wissenschaft organisiert sich entsprechend. Mir sind freilich im Laufe der Jahre etliche FĂ€lle in der ArchĂ€ologie untergekommen, bei denen die Publikationsdauer jenseits von Gut und Böse lag. Vor ca 10 Jahren wollte das hier im Kommentarbereich des Blogs noch ein ArchĂ€ologe in Abrede stellen. Der meinte, das gehöre doch lĂ€ngst der Vergangenheit an. Von wegen!

Der oben schon genannte ArchĂ€ologe Joachim Zeune beschreibt in einem weiteren Beitrag die Wiederentdeckung einer Motte (ErdhĂŒgelburg) aus dem 13. Jahrhundert. Die in Haslach gelegene, ursprĂŒnglich völlig ĂŒberwucherte Anlage entpuppte sich als eines der am besten erhaltenen Beispiele dieser Art in ganz Bayern; sogar die einstige Vorburg ist noch erkennbar. In einer von verschiedensten Akteuren betriebenen Gemeinschaftsaktion wurde die Freilegung und Erschließung fĂŒr die Öffentlichkeit bewerkstelligt; dabei sind vom Autor wieder kritische Untertöne zu vernehmen.

Die Motte von Haslach steht aber auch fĂŒr offensiven, aktiven, vor allem aber erfolgreichen Denkmalschutz, denn der traditionelle Denkmalschutz mit seinem Dogma des "Nichtszulassens" und "Allesverhinderns" entzieht die DenkmĂ€ler dem wertvollen öffentlichen Bewusstsein und beschleunigt somit vielerorts in Wirklichkeit den Untergang der BodendenkmĂ€ler. Ohne das konstruktive, offene Zusammenwirken von Marktgemeinde, EigentĂŒmer, Burgenfachmann und den Denkmalschutzbehörden wĂ€re auch dieses Bodendenkmal dem Untergang geweiht gewesen.

Auch hier spielt also die sich in der ArchÀologie ausbreitende Ideologie des Nichtstuns, die ich bereits in meinem Kommentar zu Göbekli Tepe kritisiert habe, eine fiese Rolle. Nur ja nichts angreifen und verÀndern. Alles soll bleiben wie es ist!
Es stellt sich nun die Frage, ob dieser wissenschaftsfeindliche Trend, der auch in konservatorischer Hinsicht zu absurden AuswĂŒchsen fĂŒhren kann (siehe etwa die Bepflanzung von unerforschten BodendenkmĂ€lern mit zerstörerischen Tiefwurzlern), nicht eventuell eine Begleiterscheinung des in Hochdenker-Kreisen aktuell so dominierenden Ökologismus ist, der ja eine immense Strahlkraft in alle nur erdenklichen Bereiche entfaltet. Die Argumentationsmuster dieser auf eine primitive KomplexitĂ€tsreduktion ausgelegten Ideologie sind jedenfalls sehr Ă€hnlich. Siehe etwa das Narrativ von anthropozentrischen Klimakatastrophismus, in dessen Rahmen die Handlungen des Menschen mehr oder weniger pauschal als großes Übel charakterisiert werden. Der Mensch, und nur dieser, habe nĂ€mlich fĂŒr Mutter Erde alles schlechter gemacht; hĂ€tte er doch lieber die HĂ€nde in den Schoß gelegt und wĂ€re auf den BĂ€umen geblieben. 
Aufgrund des Hangs zum inzestuösen Kooptieren Gleichgesinnter setzten sich besonders die Geisteswissenschaften, zu denen auch die ArchĂ€ologie zĂ€hlt, mittlerweile weitestgehend aus Personen zusammen, die eine deutliche Tendenz zu genau dieser weltanschaulichen Denke erkennen lassen (und sei es nur, dass man aus Opportunismus mit dem Strom schwimmt). Man könnte dazu zig Beispiele aufzĂ€hlen. Auch weitere Indikatoren wie die verwendete Sprache ("Gendern") machen unmissverstĂ€ndlich deutlich, wo die Akteure der ArchĂ€ologie mehrheitlich weltanschaulich zu verorten sind. Es will mir daher sehr plausibel erscheinen, dass diese ideologische Schlagseite - mitunter auf verschlungenen Pfaden - auch die Denkmalschutzpraxis sowie die Forschung beeinflusst und zu Ansichten fĂŒhrt, die schlussendlich kontraproduktiv bzw. irrational sind. 

Wie bereits erwĂ€hnt, bewegen sich die Heft-Autoren in Sachen Burgen im Hoch- und SpĂ€tmittelalter, allerdings macht man immer wieder auch Schlenker in die angrenzenden Epochen. Außerordentlich interessant fand ich dabei das Modell der Stadt Burghausen. Es ist nicht nur sehr detailreich, sondern stammt aus den 1570er Jahren und stellt somit ein wohl sehr authentisches und einzigartiges Zeitzeugnis dar --> Bild


Affige Namen

In einem Artikel ĂŒber lĂ€ngst ausgestorbene Menschenaffenarten heißt es eingangs: 

Ein internationales Forschungsteam hat in der Tongrube Hammerschmiede bei Pforzen im OstallgÀu eine weitere bisher unbekannte Menschenaffenart entdeckt. Buronius manfredschmidi wurde in unmittelbarer NÀhe zu dem Menschenaffen Danuvius guggenmosi, genannt "Udo", geborgen.

Naja, die sind (wie etwa auch die Botaniker) mit ihrer Systematik der Namensgebungen offensichtlich im 19. Jahrhundert stecken geblieben. Das ist ja absurd. Und dabei habe ich erst kĂŒrzlich zu einem Kollegen gesagt, dass der Name des höchst seltsamen Meteoriten (?) "Oumuamua" ein kaum merkbarer Zungenbrecher ist, den wir dem politisch korrekten Trend verdanken, wissenschaftliche Entdeckungen neuerdings in irgendwelchen exotischen indigenen Sprachen zu benennen. Wenn ich mir freilich den obigen Unfug anschaue, dann komme ich zu dem Schluss, dass ja auch die bisherigen Gepflogenheiten schon viel Raum fĂŒr Unsinn gelassen haben. Ich meine, auf die Idee muss man erst einmal kommen, einen deutschen Vor- und Nachnamen in einer Wurst zu schreiben und dann mit einem lateinischen Suffix zu versehen. Kaum ein Mensch, der nicht deutscher Muttersprache ist und ein gewisses Grundlagenwissen mitbringt, kann aus so einem Kauderwelsch etwas Sinnvolles herauslesen.
Was mich auch allgemein immer wieder wundert ist die Geilheit vieler Leute, ihren eigenen Namen oder den irgendeines Großkopferten auf diese Weise zu verewigen. Das fĂŒhrt dann zu solchen KuriositĂ€ten wie dem Hitler-KĂ€fer und dem Mussolini-Falter.

Derweil sind ein paar Schlauberger mit der Bezeichnung "Ötzi" unzufrieden... (da angeblich zu verniedlichend 🙄) 


Ballermann-ZustĂ€nde im FrĂŒhmittelalter? Der saufende bajuwarische ReiterfĂŒrst von Bayerbach.

In der Rubrik "ArchĂ€ologie in den Bezirken wird von der archĂ€ologischen Erforschung eines großen frĂŒhmittelalterlichen GrĂ€berfeldes berichtet. Besonders sticht dabei das Grab eines reichen "FĂŒrsten" aus dem spĂ€ten 7. Jahrhundert heraus, das mit verschiedenen Beigaben ausgestattet war - darunter ein mit zwei Bronzeblechen beschlagener Trinkbecher aus Holz. Und weiter heißt es.

"Ein derartiger Holzbecher ist im mitteleuropĂ€ischen Raum bisher ohne Vergleich", erklĂ€rt der KreisarchĂ€ologe Dr. Thomas Richter. Wie und wofĂŒr der Becher genutzt worden sein dĂŒrfte, darauf geben Ă€hnliche GefĂ€ĂŸe aus Glas Antwort, die im Merowingerreich weit verbreitet waren: Bei dem Bayerbacher Becher handelt es sich um einen Sturzbecher, einen sogenannten Tummler. Aufgrund seines runden Bodens konnte er nicht mit Inhalt auf einen Tisch gestellt werden. War er gefĂŒllt, musste der Bayerbacher Reiter den vermutlich alkoholischen Inhalt in einem Zug trinken. Tummler werden gemeinhin als Hinweis auf mĂ€nnerbĂŒndische Rituale interpretiert. Als deren Teilnehmer gibt sich der FĂŒrst durch seinen Becher zu erkennen.

Was man nicht erklĂ€ren kann, sieht man gern als kultisch an. Dieser selbstironische ArchĂ€ologenspruch trifft hier wieder einmal den Nagel auf den Kopf. Davon abgesehen ist es natĂŒrlich Unsinn, wenn von diesem AusgrĂ€ber behauptet wird, dass der Becher, weil man ihn nicht hatte abstellen können, in nur einem Zug hĂ€tte ausgesoffen werden mĂŒssen. So als ob der Zecher ihn nicht auch eine Weile in der Hand hĂ€tte halten können, bis ihm das zu blöd wurde! Auch in diesem Szenario wird der Alkoholkonsum beschleunigt, ohne dass aber schon nach kĂŒrzester Zeit die ganze lustige Runde im Koma unter dem Tisch liegt.
Bemerkenswert, was fĂŒr ein spekulativer Schmarrn in der ArchĂ€ologie immer wieder als Tatsache verkauft wird. Leider habe ich gerade diese spezielle Interpretation im Laufe der Jahre schon mehrfach gelesen. Ich frage mich, was die wackelige Basis dafĂŒr ist. Ethnologische Vergleiche? Eine Textstelle in der Edda, bei Gregor von Tours oder etwas in der Art? Nie wird die Quelle dafĂŒr genannt! Haben wir es demnach wieder einmal ausschließlich mit einer allzu ausgeprĂ€gten ArchĂ€ologenfantasie zu tun? Auf jeden Fall handelt es sich um eine unbewiesene Verallgemeinerung, der man semantisch den Charakter einer harten Tatsache verleiht. Nix gut.


4 Kommentare:

  1. Da kenne ich jede Menge Grabungen, die nie sachgemĂ€ĂŸ publiziert worden sind. Außer vielleicht in einem 3-Zeiler eines Lokalblatts erfĂ€hrst du ĂŒberhaupt nichts. Es gehört deshalb eine Art Publikationsverpflichtung gesetzlich geschaffen, mit einem zeitlichen Maximalrahmen und einer zentralen, frei zugĂ€nglichen Plattform wo das Zeug fĂŒr jeden als Open Access abrufbar ist.

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    1. Optimal ist die Situation wirklich nicht. Die privaten Grabungsfirmen haben beim Publizieren einen großen Spielraum, vielleicht in der Tat einen zu großen. Sie selber wĂŒrden das natĂŒrlich völlig anders sehen.

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  2. Ich glaube manchmal bei diversen ArchÀologentheorien, dass eher die ArchÀologen, die sich das ausgedacht haben, zu viel gesoffen haben. Beim Denkmalschutzgesetz in Bayern muss es sogar ganz bestimmt so gewesen sein!

    Marcus

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    1. Ja, das kann wirklich nur im Vollrausch entstanden sein :)

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