Freitag, 25. Januar 2013

Literatur: Schwester Fidelma und ein oft ahnungsloser Autor


Die im frühmittelalterlichen Irland angesiedelten Schwester-Fidelma-Romane erfreuen sich, wenn man den einschlägigen Amazon-Rezensionen Glauben schenkt, recht großer Beliebtheit. Besonders hervorgehoben wird dabei häufig die angebliche Pingeligkeit,  mit der der Autor Peter Tremayne die geschichtliche Rahmenhandlung dieser Buchreihe gestaltet. Nachdem ich mir nun drei der Romane in Hörbuchform zu Gemüte geführt habe, komme ich zu dem Schluss, dass diese wohlmeinenden Rezensenten wohl nicht so recht wissen, wovon sie da schreiben. Das 7. Jahrhundert, in dem die Nonne Fidelma als "Ermittlerin" tätig ist, ist bei Tremayne durchsetzt mit teils absurden Anachronismen. Außerdem bedient er sich gerne einer überzogenen Schwarz-Weiß-Malerei, wenn es darum geht seine Lieblinge, die keltischen Iren, in den Himmel zu heben. Aber der Reihe nach. Zuerst ein paar Beispiele dafür, wie sehr es diesem Keltologen und Historiker(!) an jener Sachkenntnis mangelt, für die man ihn ungerechtfertigterweise über den grünen Klee lobt:

1. Irische Handelsschiffe des 7. Jhs. hatten Passagierkajüten. Das ist Unsinn, denn in Wirklichkeit waren diese Schiffe vergleichsweise klein und flach. Soll heißen, sie besaßen so etwas wie ein Zwischendeck, in das man Passagierkajüten hätte einbauen können, gar nicht.
2. Ein Kirchenmann fordert Fidelmas königlichen Bruder auf, einen "Kreuzzug" gegen in Glaubensfragen abtrünnige Landsleute zu führen. Der Begriff "Kreuzzug" wurde erst gut 500 Jahre später erfunden. Genaugenommen existierte er noch nicht einmal, als der sogenannte 1. Kreuzzug bereits stattfand ...
3. Angelsachsen trugen Helme mit Hörnern. Bei diesem hanebüchenen, klischeehaften Blödsinn, erübrigt sich eigentlich jeder weitere Kommentar. Wo hat dieser "Historiker" bitteschön studiert? Oder besser gesagt, wann? Im 19. Jahrhundert?
4. Angelsächsische Schilde wurden von Metallrändern eingefasst. Auch das ist Unfug. Leder oder Rohhaut wurde dafür standardmäßig verwendet.
5. Typische Schilde der Angelsachsen waren so groß, dass man die Männer dahinter kaum noch sah: Falsch. Die Rundschilde maßen durchschnittlich nur 80-90 cm. 
6. Es gab im alten Irland Herbergen  mit Gästezimmern in einem oberen Stockwerk. Der Autor hat sich hier offensichtlich in Ort und Zeit geirrt und verwechselt das frühmittelalterliche Irland mit dem antiken Rom und dem cursus publicus. Die Iren lebten, abgesehen von Klöstern und größeren Burgen, in einfachsten, ebenerdigen Häusern, die keinerlei Stockwerke für zusätzliche Räume besaßen.
7. "Angelsachsen wuschen sich, im Gegensatz zu den Kelten (Iren, Waliser), nur einmal in der Woche; und selbst dann nur in Flüssen." Da der Autor Keltenfan ist, kennt er natürlich Cäsars "Der Gallische Krieg" in- und auswendig. Leider glaubt er alles was dort steht und verwechselt außerdem die Germanen des 1. vorchristlichen Jahrhunderts mit jenen des 7. Jahrhunderts. Er hätte wohl besser die "Germania" des Publius Cornelius Tacitus lesen sollen, denn dort steht über die Germanen: "...und sie waschen sich gewöhnlich warm..." Da Peter Tremayne aber auch Seife zu einem rein keltischen Accessoire erklärt und die Verwendung von selbiger den Germanen indirekt abspricht, wundert mich bei ihm ohnehin gar nichts mehr (dabei färbten sich bereits die frühen Germanen  mit einer Art Seife die Haare: Klick mich).

Tremayne selbst ist Engländer. Allerdings hat er auch irische bzw. keltische Vorfahren - glaubt man seinem Lebenslauf. Dies ist ein interessanter Aspekt, wenn man seine oft kleinliche Kritik an den Angelsachsen betrachtet. Sind die Fidelma-Romane vielleicht eine Art persönliche "Vergangenheitsbewältigung", mit der sich der Autor dafür entschuldigt, dass die eine Hälfte seiner Vorfahren (Angelsachsen), die andere Hälfte (Waliser, Schotten, Iren = Kelten) Jahrhunderte lang unterdrückte?
Übrigens, die Abneigung die der Autor den Angelsachsen gegenüber häufig zum Ausdruck bringt, wird nur noch von der ständigen Stänkerei über die "Römische Kirche" übertroffen, die er zu einem Hort der Finsternis aufbläst. In der Hinsicht ist Peter Tremayne wahrlich ein typischer Brite. Tony Blair konvertierte nicht zufällig erst nach Ablauf seiner Amtszeit zum Katholizismus. Aber das nur am Rande.
In seinem Übereifer die Kelten besonders gut dastehen zu lassen, verklärt der Autor Irland quasi zur Hochkultur und bemerkt nicht, wie sehr er dabei übers Ziel hinausschießt. Beispielsweise werfen geistliche und weltliche Herren ständig mit exotischen Zitaten um sich; Titus Petronius wird genauso bemüht, wie Publilius Syrus. Gerade so, als ob "Das Gastmahl des Trimalchio", zum Allgemeinwissen der irischen Oberschicht des 7. Jh. zählte. Wohl nicht einmal im Alten Rom selbst wären Gelehrte dermaßen über ihre eigenen Autoren informiert gewesen, wie die irische Intelligenzia in den Fidelma-Romanen. Es ist natürlich auch gut möglich, dass der Autor den handelnden Personen seiner Bücher nur deshalb ständig solche geschraubten Reden in den Mund legt, weil er selbst dadurch intellektuell glänzen möchte. Fremdwortvöllerei ist schließlich ein häufig verwendetes Mittel der Angeberei und sozialen Abgrenzung.

Ungut fällt außerdem auf, dass der Hauptfigur ständig aufgrund ihrer vermeintlichen Großartigkeit gehuldigt wird. Sie ist ja nicht nur eine bekannte Rechtsgelehrte, sondern auch die Schwester eines irischen Königs.
Letzeres ist höchstwahrscheinlich ein Kunstgriff. Da der Autor wohl nicht mit Sicherheit sagen konnte, welche Autorität im irischen Rechtsystem des 7. Jahrhunderts eine Rechtsgelehrte wie Fidlema tatsächlich genoss, machte er sie einfach zur nahen Verwandten eines Herrschers. Dadurch fällt ihr das Herumkommandieren von Zeugen und Verdächtigen - beinahe wie im Stil einer modernen Kriminalpolizistin oder Staatsanwältin - schon deutlich leichter. Und in dieser Modernität liegt für mich ein weiterer Hund begraben. Fidelma ist die fleischgewordene Wunschvorstellung jener Frauen, die sich zwar ein wenig nach dem ach so romantischen Mittelalter sehnen, fernab von der Hektik unserer Gegenwart, aber dabei doch nicht soweit gehen wollen, ihre Gleichstellung gegenüber dem Mann aufzugeben. Das Motto lautet hierbei sozusagen, "wasch mir die Cotte, aber mach mich nicht nass". Dementsprechend muss auch die weibliche Heldin des modernen Mittelalterromans atypisch zur x-ten Potenz sein; dem Spagat im Oberstübchen der Leserinnen zuliebe.
Fidelma zur Seite steht ein Mönch. Und dieser Mönch, er trägt den Namen Eadulf, ist doch tatsächlich ein waschechter (ungewaschener?) Angelsachse. Doch halt! Eigentlich ist er nicht viel mehr als ein Waschlappen, der ständig quängelt wie ein kleines Kind: Fidelma, ich habe Hunger; Fidelma, ich habe Durst; Fidelma, wir sollten von hier verschwinden, es könnte gefährlich werden...
Wäre diese Memme keine fiktive Figur, man würde sich als Mann für ihn fremdschämen ;)
Freilich, ab und zu gibt es Momente, in denen Bruder Eadulf kurz auftrumpfen darf; aber nur um wenig später von der gönnerhaften Fidelma wieder auf Zwergenmaß zurechtgestutzt zu werden. Eigentlich erfüllt Eadulf nur den Zweck, mit seinen oft einfältigen Fragen und vorschnellen Urteilen, die geniale Fidelma in noch hellerem Licht erstrahlen zu lassen. Dass die beiden im späteren Verlauf der Roman-Reihe sogar heiraten - ja, das durften Mönche und Nonnen damals noch - ist eine andere Geschichte.
Apropos "Nonne": Fidelma ist eigentlich gar keine. Mehrmals erklärt sie in den Romanen, dass ihr die Verkündigung des Glaubens eher am Verlängerten Rücken vorbeigeht; viel lieber löst sie Kriminalfälle. In ihre Ordensgemeinschaft sei sie nur eingetreten, weil sie sich dadurch Vorteile für ihre Arbeit als Rechtsgelehrte und Ermittlerin erhoffte. Womit wir wieder bei jenen Leserinnen wären, die ein Mittelalter light bevorzugen. Jemand der seine Religion ernst nimmt und die persönliche Selbstverwirklichung hintanstellt, passt da einfach nicht.

Die historische Rahmenhandlung empfand ich meist als nur mäßig prickelnd. Nahezu unbekannte Kleinkönige - mit oft unaussprechlichen Namen - zanken sich ständig um die Vorherrschaft in einem Land, das am Rande der damals bekannten Welt lag.
Da sind die SPQR-Romane von John Maddox Roberts schon ein ganz anderes Kaliber; einfach weil das Alte Rom ein ganz anderes Kaliber war! Vor allem zeichnet sich die Hörbuchvariante durch einen großartigen Sprecher aus, der die Ironie und den Humor der Bücher perfekt wiedergibt.
Und mit diesem Tipp, möchte ich meinen Verriss der Fidelma-Romane eigentlich beenden ;)
Trotzdem sei eingeräumt, dass die Kriminalfälle manchmal gar nicht so schlecht gestrickt sind. Völlig unzumutbar sind ist die Nonne und ihr Freund Eadulf, trotz meiner geharnischten Kritik, deshalb nicht.

PS: Ein Blog-Leser war übrigens so freundlich und machte mich auf ein PDF-Dokument der Universität Freiburg aufmerksam, in dem man sich mit der großen Beliebtheit historischer Kriminalromane näher auseinandersetzt: Klick mich

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6 Kommentare:

  1. Einen Fidelma-Roman habe ich sogar gelesen vor ein paar Jahren: "Tod im Skriptorium"
    Allerdings hatte ich an das Buch von Anfang an keine hohen Erwartungen, da ich es für 2,39 € im Lidl gekauft hatte.
    Dass mir die Mittelalterleute da einen Hauch zu kultiviert und belesen vorkamen, schob ich damals allerdings ohne großartiges Hinterfragen auf meine geringe Ahnung vom mittelalterlichen Irland. Dass es sich um einen Fehler des Autors handeln konnte, kam mir nicht in den Sinn, weil ich zu dem Zeitpunkt noch am Beginn meiner schreiberischen Selstbfindung war und dachte, dass Autoren doch keine Fehler machen.
    Danke für den Artikel und die PDF-Verlinkung, die mich noch mal an damals zurückdenken lässt und alles in einem neuen Licht zeigt.

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    1. Zu viel über eine bestimmte Epoche zu wissen, kann beim Lesen eines historischen Romans hinderlich sein. Es ist wirklich nicht so, dass ich bewusst nach Fehlern suche, aber manche springen einem nur so ins Gesicht.
      Gerade bei einer populären Romanserie wie der hier behandelten, sollte man ja meinen, dass sich der Autor ein vernünftiges Fach- bzw. Wissenschaftslektorat problemlos leisten könnte.

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  2. Habe zwar nichts Konstruktives beizutragen (wie leider nie bei deinen Postings, könnte da immer nur "Aha! Interessant!" dazuschreiben *g*) aber: war sehr unterhaltsam zu lesen!
    Vll sollte ich anfangen, diese Reihe zu lesen, um mitreden zu können ;D

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  3. Also wenn ich jemanden damit unterhalten habe, dann bin ich schon schwer zufrieden ;)

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  4. Das bei aller Kritik, muß man bedenken es ist und bleibt ein Roman, mit aller künstlerischen Gestaltung des Autors. Wäre es ein Sachbuch, verstände ich die Mühe deiner Analyse. Fakt bleibt fiktive Gestalten, Anlehnung an einer Epoche und viel drumherum. Ich finde , das ich gut in den ,Büchern eintauchen konnte, ohne viel Interlekt zu bemühen. Das hat auch einmal was. Und wo bekommt man schon eine Wasseruhr Klepshydra erklärt. Und schon wieder nebenbei was gelernt. LG 😉

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    1. Mein damaliger Furor war - sofern ich mich richtig erinnere - vor allem auf all die Rezensionen zurückzuführen, in denen es hieß, der Autor hätte quasi ein historisch perfektes Hintergrundbild für die Story gemalt. Aber ja, heute, neun Jahre später, und mit mehr Gelassenheit, würde mein Urteil vermutlich etwas milder ausfallen ;)
      Ich muss, glaube ich, mir die Hörbücher nach dieser langen Zeit mal wieder anhören.

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