Leben oder Tod!
Egal um welches geschichtswissenschaftliche Thema es sich dreht: Ein Blick in die Originalquellen ist für ernsthaft Interessierte immer gewinnbringender, als sich mit den in moderner Sekundärliteratur stark eingedampfte Zusammenfassungen zufrieden zu geben. Für das Themengebiet des Erstellens und Übermittelns geheimer Botschaften in der Antike gilt das besonders, denn die zeitgenössischen Berichte und Erläuterungen darüber sind überraschend zahlreich und mitunter sehr detailliert. Im folgenden Text möchte ich diesbezüglich anhand der beiden antiken Militärfachbücher "Poliorketika" und "Strategika" einen relativ umfassenden und abwechslungsreichen Überblick geben. Der menschliche Einfallsreichtum, der in den Beispielen dokumentiert wird, ist durchaus bemerkenswert. Doch wen wundert es, schließlich konnte bereits damals der Inhalt einer Botschaft über Leben oder Tod entscheiden!
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Eine haarige Angelegenheit
Als Histiaios von Miletos (6./5. Jh. v. Chr.) in Persien bei König Dareios lebte und Ionien zur Rebellion bringen wollte, wagte er wegen der Wachen auf der Straße nicht, ein Schreiben zu senden; daher schor er einem treuen Sklaven die Haare ab und schrieb ihm mit punktförmigen Wunden auf den Kopf: "Histiaios an Aristagoras: Bringe Ionien zur Rebellion." Über den Wunden ließ er die Haare wieder wachsen. Auf diese Weise blieb der Überbringer der Nachricht mit seinen Punkten vor den Wachen unentdeckt und gelangte zum Meer; nachdem er sich geschoren hatte, zeigte er dem Aristagoras die punktierten Schriftzüge. Als dieser sie gelesen hatte, brachte er Ionien zur Rebellion. Polyainos | Strategika 1.24.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Von der selben Begebenheit mit der 'tätowierten' Kopfhaut berichtet auch Aeneas Tacticus (Poliorketika 31.28). Anzumerken ist freilich noch, dass man es bei dieser Form der Nachrichtenübermittlung nicht gerade eilig haben darf. 😉
Dem Verrat vorbeugen
Was war zu tun, wenn der Bote nicht komplett verlässlich gewesen ist? Auch dagegen entwickelte man eine wirkungsvolle Vorgehensweise, die sowohl als einfach wie auch als genial bezeichnet werden kann.
Oder man schicke einen Mann mit einer Botschaft oder auch mit einem Brief über etwas Offenkundiges; wenn er aber eben aufbrechen will, steckt man heimlich in das Leder seiner Sandalen in die Mitte eine kleine Schriftrolle und näht es wieder zu; gegen den Schmutz und das Wasser aber schreibe man auf ein dünn ausgeschlagenes Zinnplättchen, damit die Buchstaben nicht vom Wasser ausgelöscht werden. Ist der Bote nun bei dem angekommen, bei dem er ankommen muss, und schläft er in der Nacht, trenne man die Nähte der Sandalen auf, nehme den Brief heraus, lese ihn, schreibe einen anderen, nähe ihn heimlich ein, während er noch schläft, und schicke den Mann fort, indem man ihn offen wieder etwas aufträgt oder zu tragen gibt. So wird weder ein anderer noch der Bote etwas merken. Man muss aber die Nähte der Sandalen so unsichtbar wie möglich machen. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.4 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Schreiben konnten natürlich auch noch in anderer Weise verborgen werden. Das bezeugen die folgenden Beispiele.
Eine Prise Mitleid?
Nach Ephesos wurden Briefe auf folgende Weise gebracht: Man entsandte einen Menschen mit einem auf Pflanzenblättern geschriebenen Brief; diese Pflanzenblätter waren auf eine Wunde am Schienbein aufgebunden. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.6 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Hier darf man annehmen, dass gerade ein scheinbar oder tatsächlich kranker Nachrichtenüberbringer manch Wachmann alleine schon aus Mitleid davon abgehalten haben wird, ihn besonders genau zu filzen. Außerdem: Wer hat schon Lust, an den blutigen Verbänden fremder Leute herumzufummeln?
Bleischwer?
Es wurde auch eine Schrift an den Ohren der Frauen hereingebracht, indem diese statt der Ohrgehänge zusammengerollte dünne Bleitafeln trugen. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.7 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Ich kann mir die praktische Umsetzung nicht so recht vorstellen. Gehen wir einmal davon aus, dass die Bleiplättchen wirklich sehr dünn waren und daher die weiblichen Überbringer der Nachricht nicht mit total ausgeleierten Ohrlöchern am Ziel ankamen. Doch wie hätte es Dritten nicht auffallen sollen, dass es sich hierbei um Bleiplättchen handelt? Der Unterschied zu richtigen Ohrringen sollte doch recht augenfällig sein. Oder? Es scheint, als ob bei diesem Beispiel essentielle Informationen fehlen. Daher kann der heutige Leser das Geschriebene nicht recht nachvollziehen. Kurze Nachrichten hätte man im Übrigen ohnehin auch in normale Ohrringe oder anderen Schmuck einritzen können. Natürlich in Geheimschrift, damit die Überbringerin den Inhalt nicht lesen kann. Anderenfalls hätte man sie ja gleich mit einer mündlichen Nachricht losschicken können. Das gilt im Übrigen für einige der hier behandelten Beispiele.
Die "volle Blase" mal ganz anders!
Außerordentlich elaboriert ist die folgende Methode für das Verbergen einer Nachricht.
Man befördert (eine Nachricht) auch auf folgende Weise: Man bläst eine Blase auf, die mit einer Lekythos von beliebiger Größe gleich groß ist, je nach dem Umfang dessen, was man schreiben will, bindet sie fest zu und lässt sie trocknen. Dann schreibt man, was man will, mit geleimter Schwärze darauf. Sind die Buchstaben trocken, lässt man die Luft aus der Blase, drückt sie zusammen und steckt sie in die Lekythos; der Rand der Blase muss aber über den Rand der Lekythos herausragen. Dann bläst man die Blase in der Lekythos auf, so dass sie so groß wie möglich wird, füllt sie mit Öl, schneidet von der Blase das von ihr über die Lekythos Herausragende ab und passt sie so unsichtbar wie möglich an den Rand an; dann verstöpselt man die Lekythos und trägt sie ganz offen. Es wird nun das Öl in der Lekythos klar sein und nichts anderes darin zu sein scheinen. Wenn er (der Bote) nun zu demjenigen kommt, zu dem er entsandt ist, gießt dieser das Öl aus (und entnimmt die Blase) und bläst die Blase auf; dann wischt er sie mit einem Schwamm ab und liest (das Geschriebene), schreibt dann auf dieselbe Weise auf sie und schickt sie zurück. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.10-13 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Brustpanzer und Zaumzeug
Es wurde auch eine Brief über einen Verrat in das gegenüber liegende feindliche Lager von dem Verräter auf folgende Weise geschafft: Es wurde einem von den Reitern, die aus der Stadt gegen die Vorstöße des Feindes auszogen, unter die Platten des Brustpanzers eine kleine Schriftrolle eingenäht; ihm wurde aufgetragen, sobald die Feinde sich irgendwie zeigten, wie unfreiwillig vom Pferd zu fallen, sich gefangen nehmen zu lassen und nach der Ankunft im Lager das Schreiben demjenigen zu übergeben, der es bekommen sollte. Es diente der Reiter wie ein Bruder dem anderen. Ein anderer, der auch einen Reiter ausschickte, nähte die Kleine Schriftrolle in den Zügel ein. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.8-9 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Das Tier konnte bei der Nachrichtenübermittlung natürlich noch wesentlich stärker im Mittelpunkt stehen - siehe unten.
Tierisch
Um eine Nachricht an ihr Ziel zu befördern, musste nicht zwangsläufig auf einen Menschen als Bote zurückgegriffen werden. Natürlich gab es bereits in der Antike Brieftauben, aber deren Einsatz war nicht in jedem Fall möglich; deshalb zweckentfremdete man bei Bedarf schon mal den besten Freund des Menschen.
[...] Viele haben sich in Epirus der Hunde auf folgende Weise bedient: Sie führen sie weg und legen ihnen ein ledernes Halsband um, in das der Brief eingenäht wird. Dann lassen sie den Hund bei Nacht oder bei Tag los, der notwendigerweise dahin zurückkehren wird, von wo er weggeführt ist. Es ist dies auch in Thessalien Brauch. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.31-32 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Auch Hasen wurden zur Nachrichtenübermittlung verwendet, allerdings dienten sie weniger als Boten, sondern eher als Transportbehältnis ...
Als Hapargos dem Kyros heimlich einen Brief schicken wollte, weidete er einen Hasen aus, steckte das Schreiben hinein, nähte ihn wieder zu und hängte dem Überbringer ein Jagdnetz um, damit er von den an den Straßen aufgestellten Wachtposten nicht entdeckt würde. Polyainos | Strategika 7.7 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Apropos Tiere ausnehmen: Ein besonders skurriles Beispiel für eine damit im Zusammenhang stehende Form einer 'Geheimbotschaft' (?) verdanken wir dem hellenistischen Herrscher Attalos I. Es wäre lohnenswert, das hier Beschriebene im Experiment zu überprüfen.
Attalos wollte gerade gegen die Galater antreten, die eine große Truppenzahl hatten. Da er seine Soldaten niedergeschlagen sah, veranstaltete er, um sie vor dem Entscheidungskampf zu ermutigen, ein Opfer, dessen Ablauf Sudines leitete, ein chaldäischer Seher. Dieser betete, verrichtete das Trankopfer und schnitt das Opfertier auf. Der König aber zerrieb Galläpfel und schrieb damit auf seine rechte Hand: "Sieg des Königs!" Er machte aber die Aufschrift nicht von links nach rechts, sondern umgekehrt von rechts nach links. Als nun die Eingeweide ausgenommen wurden, hielt er die Hand darunter und drückte die Aufschrift von Gallapfelsaft auf einen warmen und trockenen Leberlappen. Der Seher untersuchte die Lappen der Leber, die Galle, die Öffnungen, den flachen Teil der Leber und forschte nach allen anderen Kennzeichen, sodann kehrte er den Lappen mit der Aufschrift um, durch den der Sieg des Königs verkündet wurde. Da wurde er selbst sehr froh und wies der Menge der Soldaten das Anzeichen. Diese kamen, lasen, wurden voll Muts, verlangten alle mit lauter Stimme gegen die Barbaren geführt zu werden, kämpften freudig und besiegten die Galater. Polyainos | Strategika 4.20.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Antike Flugpost
Beim Überbringen von Nachrichten griff man man bereits in der Antike auf Flugpost zurück - und nein, wieder nicht sind die Brieftauben gemeint, denn für kurze Strecken griff man auf Pfeil und Speer zurück.
Als Caesar erfuhr, dass (Quintus Tullius) Cicero von den Galliern belagert werde, und sich nicht mehr halten könne, schickte er einen Soldaten mit dem Befehl los, einen Brief an einen Wurfspieß zu binden und bei Nacht über die Mauer zu werfen. Der Soldat tat dies; die Wache an der Mauer fand den Brief und brachte ihn dem Cicero. Er las darin: "Caesar an Cicero: Sei zuversichtlich und erwarte Hilfe." [...] Polyainos | Strategika 8.23.6 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Dass diese Methode auch ins Auge gehen konnte, veranschaulicht das nächste Beispiel, welches zeitlich einige Jahrhunderte vor Caesar angesiedelt ist.
Bei den Älteren ist auch einmal folgender Trick vorgekommen: Timoxenos wollte dem Artabazos Potidaia verraten. Sie machten miteinander jeder einen Platz aus, der eine in der Stadt, der andere im Lager; dorthin schossen sie alles, was sie einander mitteilen wollten. Bewerkstelligt wurde das wie folgt: Sie wickelten die kleine Schriftrolle um die gekerbte (also hintere) Seite des Pfeils, befiederten ihn und schossen ihn auf die zuvor vereinbarten Plätze. Allerdings wurde Timoxenos bei diesem Versuch, Potidaia zu verraten, entdeckt: Als nämlich Artabazos zu dem zuvor vereinbarten Platz schoss, verfehlte er ihn wegen eines Windstoßes und einer schlechten Befiederung und traf einen Mann von Potidaia in die Schulter. Als der getroffen war lief die Menge um ihn zusammen, wie es im Krieg zu geschehen pflegte; sogleich nahm man den Pfeil und brachte ihn zu den Strategoi (=Generälen); so wurde die Handlung offenbar. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.25-27 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Diese Begebenheit wird auch in Polyainos' "Strategika" erwähnt - allerdings weniger ausführlich (Strategika 7.33.1). Darüber hinaus scheint man dazumal die Pfeil-Methode auch für das Verbreiten von Propaganda verwendet zu haben.
Als Kleonymos, König der Spartaner, Troizen belagerte, stellte er auf vielen Seiten rings um die Stadt Wurfmaschinen auf und ließ Pfeile mit der Aufschrift abschießen: "Ich komme als Befreier der Stadt." [...] Polyainos | Strategika 2.29.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Frisch gewachst
Tabula cerata | Keine Rechte Vorbehalten, doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: https://HILTIBOLD.Blogspot.com |
Die wiederverwendbare Wachstafel - von den Römern als 'tabula cerata' bezeichnet - war ein in der Antike gern verwendeter Beschreibstoff (siehe das obige Bild). Sie ließ sich freilich auch für das Übermitteln bzw. Verstecken geheimer Botschaften zweckentfremden:
Um den Spartiaten von dem Heereszug des Xerxes Nachricht zu geben, schrieb Demaratos seinen Brief auf eine nicht mit Wachs überzogene Tafel und strich dann Wachs darauf, damit sie wie eine unbeschriebene durch die Wache getragen würde. Polyainos | Strategika 2.20.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Ohne auf diesen speziellen Fall einzugehen, schreibt Aeneas Tacticus ganz allgemein von der gleichen Methode (Poliorketika, 31.14). Darüber hinaus wird von ihm dieses Vorgehen auch im Zusammenhang mit einem ähnlichen Beschreibstoff erwähnt:
Es soll auch einer auf eine Buchsbaumholztafel mit möglichst guter Schwärze geschrieben haben, dann habe er sie trocknen lassen, geweißelt und so die Buchstaben unsichtbar gemacht. Wenn sie nun zu dem Empfänger kommt, nimmt dieser die Buchsbaumholztafel und legt sie ins Wasser; dann wird im Wasser alles deutlich und sichtbar. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.14 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
In der Antike schrieb man mit Tinte auf kleine geweißte Holztafeln (die im Fall öffentlicher Anschläge auch sehr groß ausfallen konnten). Die Überzug bestand dabei aus einer kostengünstigen Kalktünche. Wollte man die vollgeschriebene Tafeln wiederverwenden, wusch man den Kalk mit der daran haftenden Tinte einfach ab und weißelte sie erneut. Beim obigen Beispiel wurde dieser Prozess offenbar adaptiert. Wobei es sogar noch einen Tick aufwendiger bzw. gefinkelter ging und man sich dabei schon fast an einen modernen Geheimdienstkrimi erinnert fühlt:
Man mag auch auf ein Bildchen von Heroen schreiben, was man will, dann lässt man es weißeln, trocknen und einen fackeltragenden Reiter oder sonst etwas mit einem weißen Mantel oder einem weißen Pferd darauf malen; anderenfalls auch mit einer anderen Farbe außer Schwarz. Dann gebe man es jemandem zur Aufstellung in der Nähe der Stadt in einem Heiligtum, was da gerade sein mag, als wolle man beten. Derjenige aber, der das Geschriebene zu lesen hat, muss in das Heiligtum gehen, dort das Täfelchen, das er an einem vorher ausgemachten Zeichen erkennt, mit nachhause nehmen und in Öl legen; alles geschriebene wird dann sichtbar. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.15-16 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Nimm mich!
Es mag vor allem aus feministischer Sicht skurril anmuten, aber in der psychologischen Wissenschaft ist es allgemein bekannt, dass sehr viele Frauen die sexuelle Fantasie haben, von einem Mann mit Gewalt 'genommen' zu werden (in alten Filmen hat man darauf in abgemilderter Weise noch Rücksicht genommen, etwa wenn der Mann der zuerst noch widerspenstigen Frau gegen ihren Willen einen Schmatzer auf die Lippen drückt). Die folgende antike Erzählung verarbeitet anscheinend diesen feuchten Traum - oder es handelt sich dabei um einen besonders ausgeprägten Fall des Stockholm-Syndroms. Darüber hinaus erfährt der Leser hier selbstverständlich auch wieder etwas über das Versenden geheimer Botschaften.
Die Milesier führten Krieg mit den Naxiern und hatten die Erythraier (in Ionien) als Bundesgenossen. Diognetos, der Feldherr der Erythraier, hatte aus Naxos große Beute weggeführt, insbesondere auch Frauen und Jungfrauen; eine davon war Polykrite. In diese verliebte er sich und behielt sie bei sich - nicht als Gefangene, sondern wie eine mit ihm verehelichte Gattin. Nun wurde im Heer der Milesier ein von den Vätern ererbtes Fest gefeiert; alles gab sich dem Trinken und dem Frohsinn hin. Da bat Polykrite den Diognetos, ihr zu erlauben, dass sie ihren Brüdern einiges von dem Gebäck schicke. Als Diognetos dies erlaubte, steckte sie einen auf ein (zusammengefaltetes) Bleitäfelchen geschriebenen Brief in den Kuchen und trug dem Überbringer auf, ihren Brüdern zu sagen, sie solle den Kuchen aus der Hand ihrer Schwester allein essen. Die fanden das Blei, falteten es auf und lasen darin die Aufforderung, in der Nacht einen Angriff auf die Feinde zu machen, während sie vom Fest betrunken seien und sorglos im Schlaf lägen. Die Feldherren, denen sie das anzeigten, griffen in der Nacht an und überwältigten sie. Polykrite aber erbat sich von ihren Mitbürgern den Diognetos als Ehrenlohn. Polyainos | Strategika 8.36.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Die Geschichte erinnert in Teilen an die römische Sage vom Raub der Sabinerinnen. Diese hatten auch für ihre Entführer zu schwärmen begonnen. Wobei das nicht nur eine weibliche, sondern auch eine männliche Wunschvorstellung sein könnte ...
Die Skytale: Kodiert und dekodiert mit einem primitiven Stock
Pharnabazos hatte den Lysandros bei den Lakedaimoniern (=Spartanern) verklagt. Diese sandten eine Skytale (=Geheimbotschaft auf einem langen schmalen Riemen, dessen Aufschrift nur lesbar war, wenn er um einen Stock bestimmter Dicke gewickelt wurde) und riefen ihn aus Asien zurück. Lysandros bat den Pharnabazos dringend, einen zweiten milderen Brief über ihn abzufassen. Pharnabazos sagte dies zu und schrieb offen sichtbar einen Brief, wie Lysandros ihn wünschte; heimlich hatte er aber bereits einen anderen geschrieben. Beim Versiegeln vertauschte er die beiden Briefe, die sich sich äußerlich nicht voneinander unterschieden, und gab ihm den heimlich geschriebenen. Als Lysandros nach Lakedaimonien kam, übergab er der Sitte gemäß den Ephoren das Schreiben. Nachdem diese es gelesen hatten, zeigten sie es ihm unter der Versicherung, es bedürfte keiner Rechtfertigung, da er einen gegen ihn zeugenden Brief selbst überbracht habe. Polyainos | Strategika 7.19.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Skytale | Zum Vergrößern auf die Grafik klicken | Keine Rechte Vorbehalten, doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: https://HILTIBOLD.Blogspot.com |
In der Grafik ist mir übrigens ein Schreibfehler unterlaufen. Aber so etwas ist ja auch schon in der Antike vorgekommen - siehe etwa die oft in nicht gerade gutem Latein verfassten Graffiti in Pompeji. 😉
Man darf beim vorliegenden Beispiel jedenfalls einwenden, dass jemand, dem die Methode mit der Skytale bekannt war, beim Entschlüsseln relativ leichtes Spiel hatte. Indem er nämlich einfach den Lederstreifen so lange auf Stöcke verschiedener Stärken aufwickelte, bis sinnvolle Wörter zu erkennen waren. Das konnte der Absender allerdings erheblich erschweren, indem er den Text zusätzlich verschlüsselte, etwa mittels des Vertauschens von Buchstaben (z.B. ein geschriebenes A ist dann eigentlich ein F, ein geschriebenes B ist ein G usw. usf.). Natürlich musste auch dieses Vorgehen dem Empfänger vorab im Detail bekannt sein.
Eine entfernt ähnliche Methode wie jene im obigen Beispiel wird in der folgenden Überlieferung genannt, allerdings fehlt hier der Aspekt des Verschlüsselns komplett. Vielmehr geht es nur darum, das Schreiben leicht verbergen zu können.
Es haben auch einige auf eine möglichst dünne Schriftrolle lange Zeilen mit dünnen Buchstaben geschrieben, damit der Brief möglichst leicht zu tragen sei, dann legten sie ihn auf die Schulter des Chitons und schlugen ein Stück von dem Chiton an der Schulter zurück; so scheint der Transport des Briefs unverdächtig zu sein, wenn einer den Chiton anzieht und auf diese Weise trägt. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.23 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Die antike Enigma
Die folgende Vorgehensweise ist besonders gefinkelt. Mit dem beschriebenen Astragalos ist übrigens ein Sprungbein gemeint, welches ein zahlreich anfallendes Abfall- bzw. Nebenprodukt der Tierverwertung ist. Kleine Varianten davon verwendete man in der Antike für Würfel- und Geschicklichkeitsspiele.
[...] Als von allen verborgenster, aber effektivster Versand soll nun von mir der schriftlose dargelegt werden; er ist von folgender Art: Man bohrt in einen ziemlich großen Astragalos 24 Bohrungen, 6 in jede Seite des Astragalos. Es sollen aber die Bohrungen des Astragalos die Buchstaben sein. Merke dir aber, von welcher Seite das Alpha anfängt und die daran Anschließenden, die auf jeder Seite geschrieben sind. Wenn man danach irgend eine Mitteilung damit machen will, ziehe man einen Faden durch. Wenn man zum Beispiel durch das Durchziehen des Fadens [den Namen] "Aineias" mitteilen will, fängt man von der Seite des Astragalos an, an der sich das Alpha befindet, fädelt hindurch, übergeht dann die daran anschließenden Buchstaben, bis man zu der Seite kommt, wo das Iota ist, fädelt wieder hindurch, dann übergeht man den anschließenden Buchstaben und fädelt, wo das Ny ist, lässt dann wieder die anschließenden Buchstaben weg und zieht, wo das Ei (Epsilon) ist, den Faden durch und so auch den Rest der Mitteilung schreibend zieht man den Faden durch die Bohrungen, wie wir eben den Namen gegeben haben. Es wird also um den abgeschickten Astragalos ein Fadenknäul sein. Es muss nun der Leser auf einem Blatt die durch die Bohrungen mitgeteilten Buchstaben aufschreiben; das Herausziehen geschieht in umgekehrter Reihenfolge wie das Hereinfädeln. Es macht aber nichts, wenn die Buchstaben in umgekehrter Reihenfolge auf das Blatt geschrieben werden, denn man wird es nicht weniger lesen können. Es macht freilich mehr Mühe, das Geschriebene zu lesen als das Werk selbst zu machen. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.16-19 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Es folgt im Text ein ähnliches Beispiel, doch diesmal wird kein Astragalos, sondern ein längliches Stück Holz verwendet.
Es dürfte aber dies noch zweckmäßiger eingerichtet werden, wenn man ein etwa 1 Spanne langes Holz sovielmal durchbohrt, wie es Buchstaben gibt; dann muss man den Faden ebenso in die Bohrungen einziehen. Wo es sich aber trifft, dass er zweimal durch dieselbe Bohrung geht, wenn nämlich derselbe Buchstabe zweimal hintereinander zu schreiben ist, muss man den Faden vorher einmal um das Holz herum nehmen und dann einziehen. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.20 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Auch mit einer Scheibe ist diese Form der verdeckten Nachrichtenerstellung möglich, wie am Ende der Ausführungen dargelegt wird.
Es mag aber auch auf folgende Weise geschehen: Statt des Astragalos oder Holzes macht man eine hölzerne runde Scheibe, glättet sie und bohrt der Reihe nach im Kreis die 24 Buchstaben ein; wegen des (sonst möglichen) Verdachts bohrt man auch andere in die Mitte der Scheibe, dann zieht man auf die gleiche Weise den Faden in die aufeinander folgenden Buchstaben. Wenn aber derselbe Buchstabe zweimal (nacheinander) zu schreiben ist, schreibt man ihn so, dass man (den Faden) zuerst in die Bohrungen in der Mitte hineinführt und dann in denselben Buchstaben einzieht; Buchstaben aber nenne ich die Bohrung. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.20-22 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Auf den Punkt gebracht
Man kann auch folgendermaßen schreiben: Man hat vorher vereinbart, statt der Vokale Punkte zu machen, so dass in der Schrift für die wievielte Stelle, die jeder Vokal hat, in dem Geschriebenen so viele Punkte gemacht werden. Etwa folgendermaßen: Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.30-31 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
"Dionysios kolos" | Keine Rechte Vorbehalten, doch um die Nennung der Quelle wird gebeten: https://HILTIBOLD.Blogspot.com |
Als Alternative zu den eingefügten Punkten wird folgendes Verfahren genannt:
Und anders auch so: Statt der Vokalbuchstaben setzt man irgendetwas anderes ein. [...] Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.31 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Wenn hier etwa nach einem bestimmten Schema, das dem Empfänger natürlich ebenfalls bekannt sein muss, Buchstaben eingesetzt werden, dann dürfte das Dekodieren wesentlich schwieriger sein als im Fall der Punkte, deren Bedeutung ein wacher Verstand wohl relativ rasch herausfinden kann.
Die eigene Post und die anderer Leute
Abschließend ein kleiner thematischer Schlenker. Zuerst ein Beispiel, welches verdeutlicht, was für drastische Auswirkungen das Nichtlesen der Post haben konnte.
Dem Astyanax, dem Tyrannos von Lampsakos, wurde ein Brief geschickt, in dem eine Verschwörung angezeigt wurde, durch die er vernichtet werden sollte; weil er ihn aber nicht sogleich öffnete und las, was in ihm stand, sondern ihn vernachlässigte und sich vorher mit anderen Dingen beschäftigte, wurde er mit dem Brief in der Hand getötet. Aus demselben Grund wurde auch in Theben (die Burg) Kadmeia überrumpelt, und auf Lesbos fiel in Mytilene etwas ähnliches vor. Aeneas Tacticus | Poliorketika 31.33-34 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Nicht nur ungelesene Briefe, die an einen selbst adressiert waren, konnten möglicherweise über Leben und Tod entscheiden. Das verdeutlicht eine Episode rund um Alexander den Großen. Der notorisch misstrauische Herrscher und Feldherr war aus nachvollziehbaren Gründen immer darauf bedacht, möglichen Verschwörungen gegen ihn frühzeitig auf die Schliche zu kommen.
In Hyrkanien erfuhr Alexandros, dass die Makedonen und Griechen Übles über ihn redeten. Er versammelte daher seine Vertrauten und sagte ihnen, er wolle Briefe nach Hause senden mit der Nachricht, dass er nach Ablauf von drei Jahren zurückkehren würde. Ebenso forderte er auch seine Freunde auf, an ihre Leute zu schreiben. Diese schrieben daher alle. Als aber die Briefboten drei Tagesstrecken entfernt waren, ließ er sie zurückrufen, öffnete die Briefe und erfuhr so, was die einzelnen weiterhin über ihn dachten. Polyainos | Strategika 4.3.19 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Warum hat Alexander die Briefe nicht gleich gelesen, nachdem die Boten sie von seinen Freunden eingesammelt hatten? Weshalb stattdessen ein so kompliziertes Vorgehen? Wie so oft bei antiken Überlieferungen wirft auch diese manch Frage auf. Darüber hinaus wird hier ersichtlich wie sinnvoll das Verschlüsseln von Nachrichten sein kann. Obschon gerade ein Alexander wohl noch viel misstrauischer geworden wäre, wenn seine Untergebenen und Freunde dergestalt vorgegangen wären.
Nicht nur Alexander der Große las heimlich die Briefe seiner Untergebenen, sondern vor ihm bereits ein persischer Admiral. Ob sich Alexander gar von ihm hat inspirieren lassen?
Glos, Anführer der persischen Flotte war auf Zypern. Als die Griechen, die bei ihm dienten, an die Griechen in Ionien Nachteiliges über ihn berichteten, ließ er, um die Schuldigen ausfindig zu machen, eine Triere vom Stapel laufen, gab den Ruderern Wegzehrung und Befahl, nach Ionien zu fahren. Während der Steuermann absichtlich die Abfahrt verzögerte, gaben viele den Ruderern Briefe mit. Diese stachen nun in See, legten sich aber bald wieder in einiger Entfernung von der Stadt vor Anker. Glos ging zu der Triere und befahl den Ruderern, alle Briefe herbeizubringen. Nachdem er durch sie diejenigen entdeckt hatte, die Klage gegen ihn führten, lies er alle eines langsamen Foltertodes sterben. Polyainos | Strategika 7.20.1 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Abschließend ein letztes Beispiel für die oben beschriebene Form der Hinterfotzigkeit: Geliefert wird es vom berühmt-berüchtigten Tyrannen Dionysios I. von Syrakus (5./4. Jh. v. Chr.).
Dionysios wollte eine Stadt zur See angreifen und sich der Treue seiner Trierarchoi (=Schiffskapitäne) versichern; keiner sollte zuvor erfahren, wohin man gerade fahren wollte. Er gab jedem von ihnen ein unbeschriebenes versiegeltes Heft und befahl, es erst nach der Abfahrt auf ein gegebenes Zeichen hin zu öffnen, und wenn sie es gelesen hätten, dahin zu steuern, wohin der Inhalt sie weise. Schon hatten sie die Anker gelichtet und noch war das Signal nicht gegeben, als Dionysios ein leichtes Ruderschiff bestieg, an den Schiffen herumfuhr und von jedem Trierarchoi das Heft zurückverlangte. Diejenigen, bei denen er das Siegel abgelöst vorfand, ließ er als Verräter hinrichten. Den übrigen aber gab er andere Hefte, in denen nun wirklich geschrieben Stand, auf welche Stadt er zusteuern wollte. Durch die Bewahrung des Geheimnisses gelang es ihm, die unbewachte Stadt einzunehmen. Polyainos | Strategika 5.2.12 | Übersetzung von Kai Brodersen, De Gruyter, 2017 |
Schlusswort
Die Vielzahl und der Abwechslungsreichtum der von mir zusammengeklaubten Beispiele verdeutlicht recht gut, welche Bedeutung Geheimbotschaften und ihre Übermittlung bereits in der Antike besaßen - besonders im militärischen sowie politischen Umfeld, aber gewiss nicht nur dort. Durchaus können selbst wir heute noch daraus etwas lernen und zur Anwendung bringen.
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Weitere interessante Themen:
Spannendes Thema! Das Beispiel mit dem punktierten Kopf kenne ich, das wird gerne gebracht. Aber der Rest? Nie gehört! Besonders die Skytale und die Durchfädelmethode sind ziemlich schlau. Beste Grüße aus Hessen, Loki
AntwortenLöschenToller Artikel, so etwas finde ich immer sehr interessant. Ich war ja in meiner Zeit bei der Bundeswehr bei der Fernmeldetruppe als Funker tätig. Damals haben wir auch ein bisschen über das Kodieren und Dekodieren von Nachrichten gelernt. Heutzutage geht das natürlich alles vollautomatisch über die eingebaute Elektronik, aber wenn die mal streikt, dann muss man im Notfall auf einfachere Methoden zurückgreifen. Vieles baut dabei auf solchen alten Methoden auf.
AntwortenLöschenDer Wanderschmied
Das Papyrus von der falschen Seite/Richtung beschrieben ;-)
AntwortenLöschenLG,
Erwin
Sehr gut beobachtet. Dass dir als "Scriptor" das auffällt, hätte ich mir denken können :)
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