Donnerstag, 2. August 2018

📖 Buch: Versunkene Welten und wie man sie findet

Gelungene EinfĂŒhrung in die ArchĂ€ologie, aber mit Spuren von Borniertheit

Die Wissenschaft der ArchĂ€ologie hat ihre UrsprĂŒnge im 18./19. Jahrhundert. Und genau dort beginnt der langjĂ€hrige us-amerikanische AusgrĂ€ber Eric H. Cline im vorliegenden Buch seine Reise, auf der sich eine berĂŒhmte archĂ€ologische Entdeckung an die nĂ€chste reiht: Das legendĂ€re Troja, das Grab des Tutanchamun, die steinzeitliche Kultanlage von Göbekli Tepe, das minoische Knossos, das Schiffswrack von Uluburun, Olympia, Delphi, die Höhlenmalereien von Lascaux, die von Vulkanasche verschĂŒttete bronzezeitliche Stadt Akrotiri usw. usf. Langeweile kommt im Angesicht dieses abwechslungsreichen Programms so schnell keine auf.

Der Autor schöpft bei seinen ErlĂ€uterungen ausschließlich aus der Mainstream-ArchĂ€ologie. Das ist nicht per se uninteressant, da auch die arrivierte Wissenschaft fĂŒr Laien manch spannenden Aspekt parat hĂ€lt. Trotzdem hĂ€tte es nicht geschadet, wenn Cline gelegentlich einen etwas intensiveren Blick ĂŒber den Tellerrand riskiert hĂ€tte, anstatt immer und immer wieder andersmeinende Forscher (zumeist ohne deren Namen zu nennen) pauschal als "Pseudowissenschaftler" abzustempeln. Denn schließlich gibt es zwischen der Forschungsarbeit eines Arthur Evans und den abenteuerlichen Thesen Erich von DĂ€nikens etliche Schattierungen! So vermutet beispielsweise der Kulturwissenschaftler Hans Giffhorn in einem seiner BĂŒcher, aufgrund vieler mĂŒhselig zusammengetragener Indizien der Einwanderung einer kleinen keltiberischen Menschengruppe nach SĂŒdamerika auf der Spur zu sein. Dergleichen ist spannend und auf jeden Fall diskutabel. Nicht jedoch fĂŒr Cline, wie es den Anschein hat.

Neben den verschiedenen Entdeckungen und den dazugehörenden Entdeckungsgeschichten wird der Leser auch in allgemein verstĂ€ndlicher Weise ĂŒber die Methoden und GerĂ€tschaften der ArchĂ€ologen aufgeklĂ€rt: Was sind etwa die Unterschiede zwischen Bodenradar und Magnetometer? Wozu ist eine Feldbegehung gut? Was macht man bei einer Planagrabung? Welchen Zweck erfĂŒllt ein KlickzĂ€hler? Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Prozessuale ArchĂ€ologie"? Wie funktioniert die C14-Datierung? Welche Bedeutung hat das Erstellen von Chronologien fĂŒr die archĂ€ologische Forschung? Usw. usf.

Letzteres Themenfeld nimmt Cline zum Anlass, um einen von sogenannten "Pseudo-ArchĂ€ologen" angedachten Zusammenhang zwischen einem gewaltigen Vulkanausbruch auf der ÄgĂ€is-Insel Santorin und dem in der Bibel beschriebenen Exodus der Juden aus Ägypten in Abrede zu stellen. Das wĂŒrde ja aufgrund der vorliegenden Datierungen des Vulkanausbruchs zeitlich nicht zusammenpassen.
Ich habe hier zum ersten Mal davon gelesen, dass die mit der Exodus-ErzĂ€hlung zusammenhĂ€ngenden biblischen Plagen und die von Moses vorgenommene Teilung des Roten Meeres etwas mit den Ereignissen auf Santorin zu tun haben könnten. Wie wenig konsistent allerdings die ablehnende Haltung des Autors hierzu ist, zeigt der Umstand, dass er nur wenige Zeilen davor recht ausfĂŒhrlich ĂŒber die UnzuverlĂ€ssigkeit der Datierung des Vulkanausbruchs auf Santorin schrieb. Diese schwankt nĂ€mlich um mindestens 200 Jahre. Bedenkt man nun, dass auch die in der Bibel genannten Zeitangaben aufgrund von Verdichtungen verschiedener Ereignisse alles andere als verlĂ€sslich sind, so ist es möglich, dass sehr wohl eine Verbindung zwischen der Katastrophe auf Santorin und dem berĂŒhmten jĂŒdischen Auszug besteht. Will heißen, dass beispielsweise die wohl legendenhafte ErzĂ€hlung von der Teilung des Roten Meeres (und der Vernichtung der pharaonischen Truppen darin) das dichterische Echo auf einen gewaltigen Tsunami sein könnte, den der Vulkanausbruch auf Santorin auslöste und der eventuell große Zerstörungen an der Ă€gyptischen MittelmeerkĂŒste sowie im Nildelta angerichtet hat. Dergleichen lĂ€sst sich jedenfalls beim derzeitigen Forschungsstand nicht kategorisch ausschließen (so wie von der Altertumswissenschaft ja auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Homers Ilias der Wiederhall auf einen tatsĂ€chlichen militĂ€rischen Konflikt in der spĂ€ten Bronzezeit war).
Bedauerlicherweise vermutet Cline gerne voreilig hinter jeder vom Mainstream abweichenden These totalen Dilettantismus von Fachfremden; gerade so, als ob nur hauptberufliche ArchÀologen und Historiker in der Lage wÀren, eine tragfÀhige Theorie zu einem geschichtlichen Ereignis zu konstruieren.

Apropos Dilettantismus: Auch Herrn Cline selbst sind ein paar kleine IrrtĂŒmer unterlaufen; z.B. wenn er das Alter des jĂŒngeren Plinius zum Zeitpunkt der Zerstörung Pompejis mit 17 Jahren angibt. Richtig wĂ€re hingegen 18 Jahre gewesen (Plinius selbst schreibt das in einem Brief an seinen Freund Tacitus). Des Weiteren ist die Behauptung falsch, Vespasian habe nur an einem einzigen Krieg, nĂ€mlich dem "JĂŒdischen Krieg", teilgenommen; in Wirklichkeit war er nĂ€mlich u.a. auch beim von Claudius initiierten Britannien-Feldzug als Legionskommandant mit von der Partie. Usw. usf.

Unfreiwillig komisch war der wiedergegebener Dialog des Autors mit einem Journalisten. Es ging dabei um die Datierung bestimmter archĂ€ologischer Objekte: "[...] wie können Sie sich sicher sein, dass ihre Daten stimmen?", fragte der Journalist. Worauf hin Cline antwortete: "Radiokarbondatierung, Ă€gyptische Texte und andere Aufzeichnungen, Synchronismen, Dendrochronologie, Keramik-Typologie, ein gewisser Plus-Minus-Faktor und die Bereitschaft anzuerkennen, dass nichts davon in Stein gemeißelt ist."
Die Datierung ist also verlĂ€sslich, weil keine einzige der aufgezĂ€hlten Methoden "in Stein gemeißelt" (verlĂ€sslich) ist? WidersprĂŒchlicher geht es nicht. 

Das Buch verfĂŒgt ĂŒber ein umfangreiches Register und etliche, nach Kapiteln sortierte Endnoten/Anmerkungen, in denen vor allem auf weiterfĂŒhrende Literatur hingewiesen wird.

Fazit: An sich handelt es sich hier um ein Ă€ußerst kurzweiliges und abwechslungsreiches Buch, in dem anhand vieler verschiedener Beispiele ein guter Einblick in die Wissenschaft der ArchĂ€ologie geboten wird. Die gelegentlich hervorblitzende Besserwisser-AttitĂŒde des Autors hat mich allerdings ein wenig genervt. Lesern mit kaum oder keinem Vorwissen dĂŒrfte das zwar weniger negativ auffallen, trotzdem sollten sie im Hinterkopf behalten, dass nicht alle im Buch getĂ€tigten Aussagen der Weisheit letzter Schluss sein mĂŒssen. Die ArchĂ€ologie zĂ€hlt nĂ€mlich zu den Geisteswissenschaften und ist deshalb mitunter so prĂ€zise wie ein mittelalterliches Katapult.

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4 Kommentare:

  1. giffhorns buch ist wirklich sehr gut und zu empfehlen! schade, dass hier seine thesen diesem archĂ€ologen keine erwĂ€hnung wert sind . grĂŒĂŸe lukas

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    1. Im konkreten Fall hege ich aufgrund bestimmter Bemerkungen des Autors den Verdacht, dass er Deutungen wie denen von Giffhorn aus ideologischen GrĂŒnden ablehnend oder zumindest skeptisch gegenĂŒbersteht. Es gilt nĂ€mlich mitunter als politisch nicht korrekt, einen europĂ€ischen Einfluss auf amerikanische Hochkulturen vor Kolumbus anzudenken - selbst wenn dieser noch so winzig gewesen wĂ€re. Auch Giffhorn geht in seinem Buch auf diese zu Denkschranken fĂŒhrende Problematik ein.

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  2. "Alles andere als verlÀsslich" sind - im Gegensatz zur Heiligen Schrift - vielmehr die etablierten Zeitangaben in der Altertumswissenschaft. Vgl. hierzu die einschlÀgigen Publikationen von Peter van der Veen und Uwe Zerbst:
    https://www.amazon.de/Biblische-Arch%C3%A4ologie-Scheideweg-Neudatierung-arch%C3%A4ologischer/dp/377513851X
    Leser

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  3. Meiner Beobachtung nach ist es schon fast typisch fĂŒr die meisten Archis, bei Datierungen der Öffentlichkeit eine Sicherheit vorzugaukeln, die in der RealitĂ€t nicht existent ist. Schlussendlich ist und bleibt die ArchĂ€ologie Teil des universitĂ€ren Laberfach-Betriebs. Daran Ă€ndern auch neuere Methoden wie C14 und Dendrochronologie nichts, will mir scheinen. Sie streiten sich ja selbst oft genug untereinander ĂŒber die damit erzielten Ergebnisse.
    Merlin_WZ.

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