Die Archäologie war und ist als Teil der vergleichsweise unpräzisen Geistes-wissenschaften äußerst anfällig für Fehlinterpretationen. Zwar konnte dieser Mangel in den letzten Jahrzehnten durch den zunehmenden Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden verringert werden, doch gleichzeitig erfreuen sich alternative, mitunter reichlich fantasievolle Deutungsversuche archäologischer Funde/Befunde einer ungebrochenen Beliebtheit. Und keineswegs sind hier immer Wissenschaftslaien die Urheber.
In dem großzügig bebilderten Buch "Fakten und Fiktionen" beleuchten unterschiedliche Autoren den aspektreichen Einfluss, den Weltanschauung, Religion, Politik, Halbwissen, Ignoranz und menschliches Einbildungsvermögen auf die Archäologie bzw. die Geschichtswissenschaft ausüben. Drei Beiträge daraus möchte ich hier stellvertretend für das gesamte Buch herausgreifen
➤ Stefan Baumann: Pseudoarchäologie in Medien, Wissenschaft und Politik
In diesem Beitrag betrachtet man u.a. die sogenannte 'Prä-Astronautik' näher. Dabei handelt es sich um eine These, der zufolge die Entwicklung des Menschen - besonders im Bereich der Religion und der Technik - von außerirdischen Besuchern in der weit zurückliegenden Vergangenheit gezielt oder zufällig beeinflusst wurde.
Gleich vorweg: Ich halte von der Prä-Astronautik nicht allzu viel. Allerdings muss man fairerweise einräumen, dass die Vorstellung von Außerirdischen, die der vorgeschichtliche Mensch irrtümlich für Götter hielt, um nichts unrealistischer ist, als der Glaube an echte Götter.
Bekanntester Vertreter der Prä-Astronautik ist zweifellos der Schweizer Erich von Däniken. Deshalb lag es wohl nahe, speziell ihn aufs Korn zu nehmen. Däniken würde archäologische Befunde/Funde falsch beurteilen und beharrlich wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, die ihm nicht ins Konzept passen, heißt es. Und in der Tat, das ist zumindest in einigen Fällen ohne jeden Zweifel zutreffend. Z.B. geht Däniken schon seit Jahrzehnten mit der Behauptung hausieren, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn die Menschen einer älteren Kultur bauhandwerklich wesentlich mehr auf dem Kasten hatten, als ihre direkten Nachfolger. Dass dies selbstverständlich zu kurz gedacht ist, zeigt u.a. der Umstand, dass im antiken Rom grosso modo besser gebaut wurde als im anschließenden Frühmittelalter. Ja, sogar im antiken Rom selbst ist in mancherlei Hinsicht ein Qualitätsverfall bei Bauwerken im Laufe der Zeit festzustellen (wie die Forschung etwa anhand des alten Petersdoms belegt hat). Warum sollte Ähnliches nicht auch für Ägypter und diverse präkolumbische Kulturen gelten, die Däniken so gerne als Beispiele bemüht?
So weit, so gut. Leider schießt der Autor Stefan Baumann an einigen Stellen mit seiner - im Prinzip gerechtfertigten - Kritik übers Ziel hinaus und erlag der Versuchung, mehr als nur Fakten zu präsentieren. Etwa wenn er an den Haaren herbeigezogene 'Beweise' bemüht, um Däniken das Etikett eines Illiteraten und Pseudointellektuellen umhängen zu können. Der posiere nämlich - wie auch manch Akademiker - gerne vor vollen Bücherregalen, um so Belesenheit zu signalisieren; allerdings ließen sich in Dänikens Bücherregalen bloß pseudowissenschaftliche Titel erkennen.
Baumanns Behauptung ist freilich astreiner Nonsens. Zuvörderst, weil er hier den absurden Eindruck erweckt, Dänikens Buchbestand aus der Ferne überblicken zu können. Und zweitens, weil aus mehreren Videos - die z.B. auf Youtube zu finden sind - klar hervorgeht, dass Dänikens Bücherregale auch Fachlexika, Sachbildbände und wissenschaftliche Monographien bevölkern. Darüber hinaus ist allgemein bekannt, dass der Schweizer Prä-Astronautiker sich seit Jahrzehnten mit Fachleuten aus der arrivierten Wissenschaft austauscht und durchaus renommierte Institute mit Untersuchungen beauftragt hat.
Stefan Baumann scheint dergleichen nicht ins Konzept gepasst zu haben. Deshalb macht er hier im Prinzip genau das, was er an anderer Stelle Däniken vorgeworfen hat: Er ignoriert Fakten, um das von ihm gebastelte Narrativ zu schützen; nämlich dass Erich von Däniken nicht einfach nur hochspekulative Ansichten vertritt (was stimmt), sondern überdies in einer selbst geschaffenen Blase lebt, die ihn quasi hermetisch von der 'Mainstream'-Forschung abschirmt (was nicht stimmt). Diese wahrheitsoriginelle Ausschmückung - die gut zu einem 'Spiegel'-Redakteur passen würde, aber weniger zu einem Wissenschaftler - steht in deutlichem Kontrast zu Baumanns Anspruch, die Seriosität für sich gepachtet zu haben. Dementsprechend scheint es mir nur fair zu sein, ihn für die Claas-Relotius-Medaille mit Eichenlaub und Schwertern zu nominieren 😉
Zu den mehr als nur einmal im Fantasiemodus verfassten Einlassungen von Stefan Baumann könnte man - auch abseits des Themas Däniken - noch so manch kritisches Wort schreiben. Da es jedoch den Rahmen dieser Rezension sprengen würde, möchte ich mich auf ein einziges weiteres Beispiel beschränken: "Verbotene Archäologie", also das gezielte Verheimlichen von z.B. Funden, gibt es laut Baumann nicht.
In Wirklichkeit ist die Geschichte jedoch voll mit entsprechenden Fällen. Zwar haben diese nicht zwingend etwas mit Prä-Astronautik zu tun, allerdings liefern sie Prä-Astronautikern und sogenannten "Pseudoarchäologen" die Grundlage für ihr Misstrauen gegenüber der arrivierten Wissenschaft. Besonders beredt ist etwa, wie Sir Arthur Evans, der Ausgräber von Knossos, die Publikation etlicher von ihm auf Kreta entdeckter Dokumente in Linear-B-Schrift verhinderte, weil er befürchtete, jemand anders könnte sie vor ihm entziffern. Schlussendlich war es ein archäologischer Laie, der nach Evans' Tod maßgeblich zu ihrer Entzifferung beitrug.
Die Archäologie - mit ihrer bis heute inhärenten Unart, Forschungsergebnisse allzu oft nicht halbwegs zeitnah allgemein zugänglich zu machen - hat es sich zu guten Teilen selbst zuzuschreiben, wenn - wie Baumann es bezeichnet - "Verschwörungstheorien" in ihrem Umfeld blühen.
➤ Markus Bittermann: Zwischen politischer Ideologie und religiösem Fundamentalismus - Pseudoarchäologie, Macht und Gewalt
Dieser Beitrag hat mich überwiegend positiv überrascht. In Kenntnis der Vorlieben deutscher Geisteswissenschaftler bin ich nämlich davon ausgegangen, dass man hier wieder einmal fast ausschließlich die NS-Zeit bis zum Überdruss durchkaut. Sicher, der gescheiterte Landschaftsmaler aus Braunau am Inn darf nicht völlig fehlen. So heißt es etwa - und das wird sicher einige Leser überraschen - dass dieser von der klassischen Antike und den alten Griechen wesentlich mehr hielt, als von den vergleichsweise 'primitiven' Germanen, die sein Kollege Himmler mit der Unterstützung willfähriger Legitimationswissenschaftler zu einer veritablen Hochkultur aufgeblasen hatte.
Neben der NS-Thematik wirft der Autor seinen kritischen Blick aber noch auf wesentlich mehr. Z.B. den mitunter mörderischen Einfluss, den der Sozialismus auf die archäologische Forschung im ehemaligen Ostblock ausübte. Auch der Gegensatz zwischen israelischer und palästinensischer Archäologie wird angesprochen, wo auf wissenschaftlicher Ebene die politischen Differenzen fortgeführt werden.
Was ich bei den durchaus interessanten - wenn auch nicht sehr tief gehenden - Ausführungen Markus Bittermanns vermisst habe, ist eine Erwähnung ganz aktueller Ideologien, deren Ziel es ebenfalls ist, für politische Anliegen mittels Archäologie 'Beweise' in der Vergangenheit zu finden. Genannt sei hier z.B. der Third-Wave-Feminismus, dessen relativ weite Verbreitung in geisteswissenschaftlichen Kreisen dazu führt, dass u.a. immer öfter krampfhaft versucht wird, aus wenig beweiskräftigen archäologischen Funden/Befunden ein weibliches Kriegertum für das europäische Frühmittelalter zu konstruieren (siehe hierzu auch die sogenannte "Feministische Archäologie"). Wenn dann überdies mit Staatsknete alimentierte Ausgräber meinen, unbedingt ein fotografisch und filmisch gut dokumentiertes Barackenlager von Kernkraftgegnern aus den 1980ern beackern zu müssen - während gleichzeitig unzählige Bodendenkmäler aus wesentlich schlechter erforschten Epochen unbearbeitet vor sich hin gammeln - dann darf auch das als Indiz dafür gelten, wie sehr die Archäologie nach wie vor am Gängelband des jeweiligen Zeitgeistes hängt.
Natürlich ist es nicht sehr verwunderlich, dass der Autor über dergleichen weniger gerne etwas schreibt - Stichwort 'Schere im Kopf'. Denn selbst wenn er dazu eine kritische Meinung haben sollte, so ist es aus Karrieregründen grundsätzlich wenig ratsam, Kollegen öffentlich zu kritisieren. Mehr als ein Archäologe hat mir das im Laufe der letzten Jahre in persönlichen Gesprächen und in Interviews bestätigt.
➤ Gerlinde Bigga: Riesen, Einhörner und krummbeinige Kosaken - Der lange Weg zur vergleichenden Anatomie
In diesem interessanten Beitrag geht es darum, wie Menschen - ohne unser modernes wissenschaftliches Hintergrundwissen - in der Vergangenheit Fossilien deuteten. Mythen von Drachen, Einhörnern und ähnlichen Fantasiewesen dürften ihren Ursprung in entsprechenden Missinterpretationen von 'urzeitlichen' Knochen haben.
Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass auch der Mensch Teil des Fossilienbefundes ist und die Wissenschaft verknüpfte diese Erkenntnis mit der gerade aufkommenden Evolutionstheorie. Damit hatte nicht nur die Kirche wenig Freude, sondern, wie die Autorin schildert, auch Sozialisten nicht, die in der Evolutionstheorie die Bevorzugung einer bestimmten Rasse sahen. Und der Bonner Anatom Mayer behauptete gar, die stark ausgeprägten Überaugenwülste eines von ihm untersuchten Neandertaler-Schädels wären kein Hinweis für eine andere Menschenart, sondern seien entstanden, weil das betreffende Individuum einst unter Schmerzen litt und deshalb ständig die Stirn runzelte!
➤ Fazit
Das vorliegende Buch ist in thematischer Hinsicht abwechslungsreich, allgemein verständlich geschrieben und insgesamt recht interessant. Einzelne Einlassungen und Auslassungen haben meine Gesamtbewertung allerdings etwas negativ beeinflusst. Außerdem scheint mir ein Preis von 40 Euro hier nicht ganz angemessen zu sein.
In dem großzügig bebilderten Buch "Fakten und Fiktionen" beleuchten unterschiedliche Autoren den aspektreichen Einfluss, den Weltanschauung, Religion, Politik, Halbwissen, Ignoranz und menschliches Einbildungsvermögen auf die Archäologie bzw. die Geschichtswissenschaft ausüben. Drei Beiträge daraus möchte ich hier stellvertretend für das gesamte Buch herausgreifen
➤ Stefan Baumann: Pseudoarchäologie in Medien, Wissenschaft und Politik
In diesem Beitrag betrachtet man u.a. die sogenannte 'Prä-Astronautik' näher. Dabei handelt es sich um eine These, der zufolge die Entwicklung des Menschen - besonders im Bereich der Religion und der Technik - von außerirdischen Besuchern in der weit zurückliegenden Vergangenheit gezielt oder zufällig beeinflusst wurde.
Gleich vorweg: Ich halte von der Prä-Astronautik nicht allzu viel. Allerdings muss man fairerweise einräumen, dass die Vorstellung von Außerirdischen, die der vorgeschichtliche Mensch irrtümlich für Götter hielt, um nichts unrealistischer ist, als der Glaube an echte Götter.
Bekanntester Vertreter der Prä-Astronautik ist zweifellos der Schweizer Erich von Däniken. Deshalb lag es wohl nahe, speziell ihn aufs Korn zu nehmen. Däniken würde archäologische Befunde/Funde falsch beurteilen und beharrlich wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, die ihm nicht ins Konzept passen, heißt es. Und in der Tat, das ist zumindest in einigen Fällen ohne jeden Zweifel zutreffend. Z.B. geht Däniken schon seit Jahrzehnten mit der Behauptung hausieren, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn die Menschen einer älteren Kultur bauhandwerklich wesentlich mehr auf dem Kasten hatten, als ihre direkten Nachfolger. Dass dies selbstverständlich zu kurz gedacht ist, zeigt u.a. der Umstand, dass im antiken Rom grosso modo besser gebaut wurde als im anschließenden Frühmittelalter. Ja, sogar im antiken Rom selbst ist in mancherlei Hinsicht ein Qualitätsverfall bei Bauwerken im Laufe der Zeit festzustellen (wie die Forschung etwa anhand des alten Petersdoms belegt hat). Warum sollte Ähnliches nicht auch für Ägypter und diverse präkolumbische Kulturen gelten, die Däniken so gerne als Beispiele bemüht?
Baumanns Behauptung ist freilich astreiner Nonsens. Zuvörderst, weil er hier den absurden Eindruck erweckt, Dänikens Buchbestand aus der Ferne überblicken zu können. Und zweitens, weil aus mehreren Videos - die z.B. auf Youtube zu finden sind - klar hervorgeht, dass Dänikens Bücherregale auch Fachlexika, Sachbildbände und wissenschaftliche Monographien bevölkern. Darüber hinaus ist allgemein bekannt, dass der Schweizer Prä-Astronautiker sich seit Jahrzehnten mit Fachleuten aus der arrivierten Wissenschaft austauscht und durchaus renommierte Institute mit Untersuchungen beauftragt hat.
Stefan Baumann scheint dergleichen nicht ins Konzept gepasst zu haben. Deshalb macht er hier im Prinzip genau das, was er an anderer Stelle Däniken vorgeworfen hat: Er ignoriert Fakten, um das von ihm gebastelte Narrativ zu schützen; nämlich dass Erich von Däniken nicht einfach nur hochspekulative Ansichten vertritt (was stimmt), sondern überdies in einer selbst geschaffenen Blase lebt, die ihn quasi hermetisch von der 'Mainstream'-Forschung abschirmt (was nicht stimmt). Diese wahrheitsoriginelle Ausschmückung - die gut zu einem 'Spiegel'-Redakteur passen würde, aber weniger zu einem Wissenschaftler - steht in deutlichem Kontrast zu Baumanns Anspruch, die Seriosität für sich gepachtet zu haben. Dementsprechend scheint es mir nur fair zu sein, ihn für die Claas-Relotius-Medaille mit Eichenlaub und Schwertern zu nominieren 😉
Zu den mehr als nur einmal im Fantasiemodus verfassten Einlassungen von Stefan Baumann könnte man - auch abseits des Themas Däniken - noch so manch kritisches Wort schreiben. Da es jedoch den Rahmen dieser Rezension sprengen würde, möchte ich mich auf ein einziges weiteres Beispiel beschränken: "Verbotene Archäologie", also das gezielte Verheimlichen von z.B. Funden, gibt es laut Baumann nicht.
In Wirklichkeit ist die Geschichte jedoch voll mit entsprechenden Fällen. Zwar haben diese nicht zwingend etwas mit Prä-Astronautik zu tun, allerdings liefern sie Prä-Astronautikern und sogenannten "Pseudoarchäologen" die Grundlage für ihr Misstrauen gegenüber der arrivierten Wissenschaft. Besonders beredt ist etwa, wie Sir Arthur Evans, der Ausgräber von Knossos, die Publikation etlicher von ihm auf Kreta entdeckter Dokumente in Linear-B-Schrift verhinderte, weil er befürchtete, jemand anders könnte sie vor ihm entziffern. Schlussendlich war es ein archäologischer Laie, der nach Evans' Tod maßgeblich zu ihrer Entzifferung beitrug.
Die Archäologie - mit ihrer bis heute inhärenten Unart, Forschungsergebnisse allzu oft nicht halbwegs zeitnah allgemein zugänglich zu machen - hat es sich zu guten Teilen selbst zuzuschreiben, wenn - wie Baumann es bezeichnet - "Verschwörungstheorien" in ihrem Umfeld blühen.
➤ Markus Bittermann: Zwischen politischer Ideologie und religiösem Fundamentalismus - Pseudoarchäologie, Macht und Gewalt
Dieser Beitrag hat mich überwiegend positiv überrascht. In Kenntnis der Vorlieben deutscher Geisteswissenschaftler bin ich nämlich davon ausgegangen, dass man hier wieder einmal fast ausschließlich die NS-Zeit bis zum Überdruss durchkaut. Sicher, der gescheiterte Landschaftsmaler aus Braunau am Inn darf nicht völlig fehlen. So heißt es etwa - und das wird sicher einige Leser überraschen - dass dieser von der klassischen Antike und den alten Griechen wesentlich mehr hielt, als von den vergleichsweise 'primitiven' Germanen, die sein Kollege Himmler mit der Unterstützung willfähriger Legitimationswissenschaftler zu einer veritablen Hochkultur aufgeblasen hatte.
Neben der NS-Thematik wirft der Autor seinen kritischen Blick aber noch auf wesentlich mehr. Z.B. den mitunter mörderischen Einfluss, den der Sozialismus auf die archäologische Forschung im ehemaligen Ostblock ausübte. Auch der Gegensatz zwischen israelischer und palästinensischer Archäologie wird angesprochen, wo auf wissenschaftlicher Ebene die politischen Differenzen fortgeführt werden.
Was ich bei den durchaus interessanten - wenn auch nicht sehr tief gehenden - Ausführungen Markus Bittermanns vermisst habe, ist eine Erwähnung ganz aktueller Ideologien, deren Ziel es ebenfalls ist, für politische Anliegen mittels Archäologie 'Beweise' in der Vergangenheit zu finden. Genannt sei hier z.B. der Third-Wave-Feminismus, dessen relativ weite Verbreitung in geisteswissenschaftlichen Kreisen dazu führt, dass u.a. immer öfter krampfhaft versucht wird, aus wenig beweiskräftigen archäologischen Funden/Befunden ein weibliches Kriegertum für das europäische Frühmittelalter zu konstruieren (siehe hierzu auch die sogenannte "Feministische Archäologie"). Wenn dann überdies mit Staatsknete alimentierte Ausgräber meinen, unbedingt ein fotografisch und filmisch gut dokumentiertes Barackenlager von Kernkraftgegnern aus den 1980ern beackern zu müssen - während gleichzeitig unzählige Bodendenkmäler aus wesentlich schlechter erforschten Epochen unbearbeitet vor sich hin gammeln - dann darf auch das als Indiz dafür gelten, wie sehr die Archäologie nach wie vor am Gängelband des jeweiligen Zeitgeistes hängt.
Natürlich ist es nicht sehr verwunderlich, dass der Autor über dergleichen weniger gerne etwas schreibt - Stichwort 'Schere im Kopf'. Denn selbst wenn er dazu eine kritische Meinung haben sollte, so ist es aus Karrieregründen grundsätzlich wenig ratsam, Kollegen öffentlich zu kritisieren. Mehr als ein Archäologe hat mir das im Laufe der letzten Jahre in persönlichen Gesprächen und in Interviews bestätigt.
➤ Gerlinde Bigga: Riesen, Einhörner und krummbeinige Kosaken - Der lange Weg zur vergleichenden Anatomie
In diesem interessanten Beitrag geht es darum, wie Menschen - ohne unser modernes wissenschaftliches Hintergrundwissen - in der Vergangenheit Fossilien deuteten. Mythen von Drachen, Einhörnern und ähnlichen Fantasiewesen dürften ihren Ursprung in entsprechenden Missinterpretationen von 'urzeitlichen' Knochen haben.
Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass auch der Mensch Teil des Fossilienbefundes ist und die Wissenschaft verknüpfte diese Erkenntnis mit der gerade aufkommenden Evolutionstheorie. Damit hatte nicht nur die Kirche wenig Freude, sondern, wie die Autorin schildert, auch Sozialisten nicht, die in der Evolutionstheorie die Bevorzugung einer bestimmten Rasse sahen. Und der Bonner Anatom Mayer behauptete gar, die stark ausgeprägten Überaugenwülste eines von ihm untersuchten Neandertaler-Schädels wären kein Hinweis für eine andere Menschenart, sondern seien entstanden, weil das betreffende Individuum einst unter Schmerzen litt und deshalb ständig die Stirn runzelte!
➤ Fazit
Das vorliegende Buch ist in thematischer Hinsicht abwechslungsreich, allgemein verständlich geschrieben und insgesamt recht interessant. Einzelne Einlassungen und Auslassungen haben meine Gesamtbewertung allerdings etwas negativ beeinflusst. Außerdem scheint mir ein Preis von 40 Euro hier nicht ganz angemessen zu sein.
—————–
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Pseudoarchäologie in Medien, Wissenschaft und Politik
- Pseudoarchäologie als Phänomen in Gesellschaft, Medien und Wissenschaft - Charakteristika und Argumentationsmuster
- Zwischen politischer Ideologie und religiösem Fundamentalismus - Pseudoarchäologie, Macht und Gewalt
- Mordfall im Moor - Medialisierung in der Archäologie am Beispiel einer Moorleiche
Der Ursprung der Menschheit - Evolution und Urgeschichte
- Riesen, Einhörner und krummbeinige Kosaken - Der lange Weg zur vergleichenden Anatomie
- Kein Eis in der Eiszeit? - Altsteinzeitliche Höhlenmalereien als "Belege" für pseudowissenschaftliche Theorien
- Von Rassen und Populationen - Mythen und Realitäten der genetischen HerkunftÄgypten und der Alte Orient
- Ägypten, das Land der Mysterien und pseudowissenschaftlicher Mystifizierung
- Die Wahrheit über Außerirdische im Alten Orient
- Auf Fels oder Sand gebaut? Das Petrusgrab als Fundament der Peterskirche im Vatikan
Das klassische Altertum
- Atlantis - Vom vielen suchen und nichts finden
- Aus dem Ei gepellt - Die Entstehung Roms zwischen Sage und Forschung
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Adresse der Autoren
—————–
Weitere interessante Themen:
Gut geschrieben!
AntwortenLöschenVor allem der Vergleich mit Claas Relotius war ein volltreffer!
Weil viel mehr noch als Dänikens Theorien nervt die unqualifizierte Kritik daran. Aber das hatten wir ja schon mal hier mit Lesch, wenn ich mich richtig erinnere.
Harald Lesch ist ein Universaldilettant, aber kein Universalgenie, als das er sich im Fernsehen präsentiert. Alleine seine kolossal falschen Behauptungen zum Thorium-Flüssigsalzreaktor waren zum Fremdschämen. Er hätte lieber bei seiner Astrophysik bleiben sollen, anstatt in Fächer zu wildern, für die ihm die Qualifikation fehlt.
LöschenGero
Trotz waghalsiger Hypothesen hat EvD auch seine Verdienste. Z.B. in meiner Generation (geboren 1975) haben etliche junge Leute den Archäologenberuf wegen seinen Büchern ergriffen. Darunter auch ich :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Robert
Stefan Baumann ist an der Uni Tübingen beschäftigt. Dort hat auch Hannes Napierala, der Geschäftsführer des Campus Galli, studiert. Fabulieren scheint in Tübingen einen gewissen Stellenwert zu haben ;-)
AntwortenLöschenGrüßle,
Maria
Manfred Osman Korfmann sollte man bei dieser Aufzählung der Tübinger Fabuliererkünstler nicht vergessen!
LöschenMr. Frog
Michael Butter, ebenfalls Universität Tübingen, hat ein eher fragwürdiges Buch über Verschwörungstheorien geschrieben, in dem er gleich selbst welche verbreitet. Dieser Baumann wollte es dem Kollegen Butter wohl gleichtun.
LöschenGero
Der Archäologe Baumann ist meines Wissens mittlerweile in Trier beschäftigt. Es scheint allerdings trotzdem so zu sein, als hätten da einige Tübinger einen gelehrten Kreiswichsverein etabliert.
LöschenWer eine jungfräuliche Geburt und die Verwandlung von Wasser zu Wein nicht kritisch hinterfragt, der wird auch Aliens in der Antike tolerieren müssen, fürchte ich.
;-)
Danke für deine ausführliche Rezension, Hilti. Ich hatte eigentlich mit dem Gedanken gespielt, das Buch zu kaufen, aber wissenschaftlichen Manichäismus möchte ich nicht mit meinem Geld unterstützen. Es gibt bestimmt seriösere Präastronautik-Kritiker. Dieser Stefan Baumann riecht mir mit seiner halbseidenen Argumentation zu sehr nach GWUP.
AntwortenLöschenHört sich nur zu vertraut an!
AntwortenLöschenQX