Samstag, 16. November 2019

Krimskrams: Der nächste Wikipedia-Skandal -- Kompetenz-Attrappen verwurschteln "Sensationsfund" -- usw.

Der nächste Wikipedia-Skandal

Wie der Schweizer Tagesanzeiger berichtet, wurde auf Wikipedia der Eintrag des im Vorjahr mit Getöse aufgeflogenen Münchhausen-Journalisten Claas Relotius über einen längeren Zeitraum hinweg systematisch geschönt:

«Nein, ich bin nicht Claas Relotius», ­beteuert der Wikipedia-Autor, der sich «Snapperl» nennt. Er ist soeben überführt worden als Manipulator des Eintrags über den journalistischen Meisterfälscher. «Ich wollte etwas beitragen», versucht sich der Ertappte zu rechtfertigen, «nicht mehr, nicht weniger.» Es sind seine letzten Worte im Onlinelexikon. «Snapperl» taucht ab.
Mit ihm fliegt eine der grössten Manipulationsoperationen in der deutschsprachigen Ausgabe von Wikipedia auf. Gestoppt wird eine Aktion zur Rettung der Ehre des Claas Relotius.

Zum vollständigen Artikel

Das was hier am Beispiel des Relotius geschildert wird ist kein Einzelfall, sondern eine immer wieder anzutreffende Vorgehensweise, die besonders von der bei Wikipedia üblichen Anonymisierung der Autoren begünstigt wird (ein völliges Unding für jedes Nachschlagewerk, das auch nur im Entferntesten Anspruch auf Seriosität erheben möchte). So wurde z.B. auch der Eintrag eines langjährigen Stasi-Spitzels von Gesinnungsfreunden mittels Salamitaktik auf harmlos umgeschrieben - freilich bisher ohne Konsequenzen für die Verantwortlichen. Daher gilt: Wikipedia ist nicht zitierfähig. Wie im Artikel des Tagesanzeigers wieder einmal verdeutlicht wurde, kupfern Journalisten nichtsdestotrotz völlig unkritisch aus dieser Quelle ab. Da es nun nachweislich auch oft Journalisten sind, die als Autoren bei Wikipedia mitwirken, kommt der dringende Verdacht auf, dass man es hier mit einer Art 'Kreiswichsverein' zu tun hat ...

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Kompetenz-Attrappen verwurschteln archäologischen "Sensationsfund"

Der BR berichtet aktuell von einem Fall besonderer Schlamperei - die sogenannte "Venus von Aufhausen" hat sich in Luft aufgelöst.

1997 wurde ein 6.000 Jahre altes Gefäß in menschenähnlicher Gestalt in Aufhausen im Landkreis Dingolfing-Landau gefunden. Dieser bedeutende Fund ist verschollen - im Tresor wurde jetzt nur eine Kopie gefunden.


Überspitzt könnte man sagen, es braucht keine 'Raubgräber', wenn der Staat inkompetente Schwachmaten mit der Bewahrung unserer Vergangenheit betraut. Man sollte übrigens nicht dem Irrtum erliegen, dass es sich hier um einen absolute Ausnahme handelt. Dergleichen passiert vielmehr immer wieder. Viele Museen sammeln nicht zuletzt aufgrund von scharfen Schatzregalen dermaßen viel Krempel an, dass zunehmend der Überblick verloren geht - sofern er überhaupt je vorhanden war. Und damit sind wir wieder einmal beim Punkt des Entsammelns, den der Archäologe Raimund Karl seinen Kollegen empfiehlt. Hier mit ihm ein Audio-Interview zu diesem Thema

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Zur Rezension "ausgeschrieben"

Die DGUF hat extra einen Haufen Bücher zur Rezension ausgeschrieben: Klick mich

Eine interessante Maßnahme, man sollte schließlich meinen, die Leute reißen sich aus eigenem Antrieb um Werke wie "Archaeology of Identity and Dissonance: Contexts for a Brave New World" oder " Ten Thousand Years of Inequality. The Archaeology of Wealth Differences." 😄

Neben dieser Sorte sperrigen Geschwurbels - das eh fast kein Mensch liest und vor allem dem Zweck dient, um als Wissenschaftler Publikationstätigkeit vorweisen zu können - befindet sich auch allgemein Brauchbares auf der Liste der DGUF - z.B.: Heilsam, kleidsam, wundersam. Pflanzen im Alltag der Steinzeitmenschen. Die Screenshots machen Lust auf mehr!

Bleibt abschließend die Frage, wozu diese Ausschreibung? Ist das ein Dienst für DGUF-Mitglieder, die gleichzeitig Buchautoren sind? Oder handelt es sich auch um eine Zusammenarbeit mit Verlagen?

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Nachtrag zu meinem Beitrag über die "Berner Erklärung"

Der von mir kritisiere Archäologe Thomas Meier hat zwischenzeitlich im Kommentarbereich des entsprechenden Beitrags auf meine Kritik eine Erwiderung veröffentlicht. Wobei ich ihm inhaltlich nach wie vor nur in kleinsten Spuren zustimme.

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5 Kommentare:

  1. Das was Relotius beim "Spiegel" gemacht hat, sollte ein Straftatbestand sein. Es kann nicht angehen, dass Journalisten wie er die Öffentlichkeit nach Strich und Faden belügen, dabei auch gleich politische Entscheidungsprozesse wie Wahlen potentiell beeinflussen, aber dann ungeschoren davonkommen.

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    1. Die Idee finde ich gut. Konkret könnte man es so anlegen, das nur Medien mit großer Reichweite davon betroffen wären, da diese auch den größten Schaden verursachen können. Anderenfalls würden Gerichte wahrscheinlich total überlastet werden mit Beschwerden über relotiusartige Märchenstorries in den Medien ;-)
      QX

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  2. Ich finde es irritierend, wie bei der vom BR gefilmten Pressekonferenz dieser Politiker mit einem Lächeln über die verschlampte Venus spricht. So als ob das alles nur halb so schlimm wäre. Gibt es dafür keinen Verantwortlichen? Das Teil war auf 700.000 € versichert!

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  3. https://www.pnp.de/lokales/landkreis_dingolfing_landau/3513976_Venus-von-Aufhausen-Schwaechen-bei-Archivierung-kultureller-Funde.html

    "Neu sei das Phänomen der verschwundenen Schätze nicht. "Das ist ein großes Problem, das uns bereits seit den 80-er Jahren sehr beschäftigt"

    Kilian

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    1. Sich darauf rauszureden, dass vielleicht die Putzfrau das Gefäß verräumt hat, ist schon lächerlich. Warum hat eine Putzfrau überhaupt unbeaufsichtigten Zugang zu wertvollen Stücken? Das wäre doch schon der nächste Skandal.

      Gero

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