Freitag, 24. Januar 2020

📖 Buch: Ungelöste Rätsel der Entdeckergeschichte - Kam Kolumbus 15.000 Jahre zu spät?

Indizien für vorgeschichtliche Hochseefahrt und Kartographie?

Der Biogeograph Dominique Görlitz ist ohne jeden Zweifel einer der abenteuerlustigsten und ambitioniertesten Experimentalarchäologen weltweit. Das belegen seine Hochseefahrten in den Nachbauten vorgeschichtlicher Schilfboote, mit denen er immer wieder für einiges Aufsehen sorgt. Siehe etwa sein jüngstes Unternehmen mit dem Schiff Abora 4 (Video), zu dem er mir im Vorfeld ein ausführliches Interview gegeben hat.

Görlitz, der mit seinen Seefahrtsexperimenten in der Tradition des legendären  Thor Heyerdahl steht, forscht schwerpunktmäßig zu vorgeschichtlichen Kulturkontakten über die Ozeane hinweg. Die dahinter stehende Theorie wird in der arrivierten Wissenschaft überwiegend mit Skepsis betrachtet. Dass diese jedoch keinesfalls aus der Luft gegriffen ist, dokumentiert Dominique Görlitz nicht nur auf dem Feld der Experimentalarchäologie, sondern auch durch das Vorlegen entsprechender Indizien in Form von historischen Quellen. Fünf Beispiele stehen im Zentrum des Buchs "Ungelöste Rätsel der Entdeckergeschichte" (2. Auflage):
  • Ein 1903 in El Castillo (Spanien) entdecktes, rund 14.000 Jahre altes Felsbild, auf dem der Kanaren-Golfstrom und weitere für die Hochseefahrt bedeutende Details wie vorherrschende Windrichtungen wiedergegeben worden sein könnten. Ich persönlich halte diese Deutung zwar für etwas gewagt, allerdings erscheint sie mir immer noch glaubwürdiger als die offiziöse Interpretation der Darstellung, die mit ihren "männlichen und weiblichen Zeichen" erst recht wie an den Haaren herbeigezogen wirkt. Mich erinnert der immer wieder anzutreffende Zwang in der Felsbildforschung, an allen Ecken und Enden Geschlechtliches herauszulesen, an das Freud zugeschriebene Zitat: "Manchmal ist ein Zigarre eben nur eine Zigarre". 😉
  • Die Waldseemüller-Karte aus dem Jahr 1507, in der mit dem ptolemäischen Weltbild gebrochen wird. Dementsprechend hat der Kartograph hier den Umfang der Erde wesentlich größer bzw. realistischer angenommen (ganz im Sinne des antiken Gelehrten Eratosthenes, der im Gegensatz zum wesentlich später geborenen Claudios Ptolemäus den Erdumfang bereits annähernd richtig berechnet hatte, dem aber die entsprechende Nachwirkung versagt blieb); zwischen dem amerikanischen Doppel-Kontinent und Asien/Indien wurde nun ein großer Ozean einfügt (Kolumbus und viele seiner Zeitgenossen meinte ja, das neu entdeckte Land - also Amerika - wäre bloß ein Teil von Asien/Indien). Dieser Ozean - konkret handelt es sich um den Pazifik - wurde nach offizieller Lesart allerdings erst 1513 von Balboa entdeckt. Görlitz stellt deshalb die Möglichkeit in den Raum, dass dem Kartographen Waldseemüller ältere Quellen bekannt waren, in denen der bis ganz in den Norden hinaufreichende Pazifik bereits erwähnt wird. Wobei ich einwenden möchte, dass den Spaniern von Eingeborenen durchaus schon sehr früh Gerüchte über einen großen Ozean im Westen zugetragen worden sein konnten, diese aber von den Kartographen in Europa nicht geglaubt wurden - ausgenommen eben von Matthias Waldseemüller. 
  • Die 1929 in türkischen Archiven wiederentdeckte, aber nicht vollständig erhaltene Piri-Reis-Karte aus dem Jahr 1513. Auf ihr wurde der Teil einer gerne als Antarktis interpretierten Landmasse dargestellt; ein Kontinent also, der offiziell eigentlich erst Jahrhunderte später von Europäern entdeckt und daraufhin nach und nach kartographiert worden ist. Ob nun die Deutung als Antarktis wirklich zutrifft (Kartographie-Experten der US Air Force waren schon vor rund 60 Jahren davon überzeugt) ist vielleicht weniger bedeutend als das auf der Karte enthaltene Verzeichnis, in dem jene Quellen genannt werden, die dem Kartenzeichner als Grundlage dienten. Darunter befinden sich mehrere mittlerweile verschollene Schriften - besonders interessant ist aber die Erwähnung eines antiken Buchs, das Kolumbus angeblich verwendete. In besagtem Buch soll er z.B. den Hinweis gefunden haben, dass die Völker im Westen Glasperlen sehr zu schätzen wüssten, woraufhin er diese als Tauschobjekte mitnahm. Inder können hier allerdings kaum gemeint gewesen sein, sondern eher die auf dem dazwischenliegenden amerikanische Doppel-Kontinent lebenden Menschen, welche auf einer niedrigeren Kulturstufe standen und deshalb für solchen Nippes noch eine gewisse Begeisterung aufbringen konnten. Die erwähnten Glasperlen - so Görlitz - deuten deshalb darauf hin, dass man in der Antike bereits von Amerika gewusst haben könnte.
  • Die Finaeus-Karte aus dem Jahr 1531. Auch auf dieser Karte ist die Antarktis abgebildet. Allerdings in einer bereits relativ detaillierten Form, die es meiner Ansicht nach fragwürdig erscheinen lässt, dass es sich hier um ein rein aus der Fantasie entstandenes Konstrukt handelt, welches lediglich auf Grundlage philosophischer Überlegungen eingefügt worden ist (will heißen: das Herstellen eines Gleichgewichts der Erde durch ausreichende Landmassen auch auf der Südhalbkugel).
  • Der Gothaer Marmor-Globus von 1533 ist das wohl bedeutendste Indiz für eine ausgedehnte Hochseefahrt lange vor der modernen Entdecker-Ära eines Kolumbus. Denn erstens ist die Antarktis darauf in einer Form dargestellt, die es definitiv ausschließt, dass der Hersteller des Globus keine konkreten Informationen zum südlichsten Kontinent vorliegen hatte (siehe Bild). Und zweitens befindet sich auf dem Globus möglicherweise die Darstellung eines frühdynastischen ägyptischen Schiffes - welches als Hinweis gedeutet wird, dass der Globenbauer seine Kenntnisse über die Antarktis einem sehr alten ägyptischen Text mit entsprechender Schiffsabbildung entnommen hatte, der - auf welchem Weg auch immer - nach Europa gelangt war. 
In schwarzer Farbe die tatsächliche Form der Antarktis und in oranger Farbe darübergelegt der Umriss ihrer Darstellung auf dem Marmorglobus von Gotha (1533). Auch wenn die große 'Landzunge' links fehlt, so ist offensichtlich, dass der Hersteller des Globus über konkrete Informationen zum südlichsten Kontinent verfügt haben muss. Die auftretenden Unstimmigkeiten bewegen sich im Rahmen dessen, was in der Kartographie dazumal üblich war - zum Vergleich betrachte man etwa frühe Darstellungen des amerikanischen Doppel-Kontinents. | Quelle: "Ungelöste Rätsel der Entdeckergeschichte - Kam Kolumbus 15.000 Jahre zu spät?" | mit freundlicher Genehmigung von Dominique Görlitz

Fazit: Anders als in meiner obigen verkürzten Aufzählung werden von Dominique Görlitz natürlich wesentlich mehr Details berücksichtigt, die seiner Meinung nach auf Hochseefahrt, Kartographie und transatlantische Kulturkontakte in der Vorgeschichte hindeuten. Seine Ausführungen sind allgemein verständlich und berücksichtigen dabei viele nützliche Grafiken und Karten. Insgesamt handelt es sich beim vorliegenden Buch daher um eine gelungene Einführung in ein zwar nicht unumstrittenes, aber überaus spannendes Themengebiet, auf das einzulassen sich definitiv lohnt. Mich hat nicht jedes Indiz überzeugt, aber einiges spricht doch sehr dafür, dass jenes Paradigma, welches die großen Ozeane zu unüberwindbaren Hindernissen für unsere vorgeschichtlichen Vorfahren erklärt, dringend einer umfangreichen Revision unterzogen werden sollte - siehe dazu auch die unten verlinkten Videos.


9 Kommentare:

  1. Die Karte von Piri Reis war mir bekannt, nicht aber dieser Globus, der wirklich außerordenltich vielversprechend aussieht! Tolle Info, danke!

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    1. Bei der Piri-Reis-Karte ist mMn große Skepsis angebracht, wenn es um die behauptete Darstellung der Antarktis geht. Der Marmorglobus von Gotha andererseits bringt einen zum Grübeln, muss ich einräumen. Vorausgesetzt natürlich, er ist keine Fälschung aus einer Zeit, als die Form der Antarktis schon bekannt war. Allerdings sollte es sich leicht feststellen lassen, wie lange der Globus sich im Besitz der Sammlung befindet. Ich nehme an, das wurde auch gemacht.
      Grüße aus Dover
      Marcus

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    2. Ja, die tatsächlich wichtige Provenienzforschung wurde betrieben bzw. ist hinsichtlich des Materials wohl noch am Laufen.

      https://www.researchgate.net/publication/315676317_Die_Ratsel_des_Gothaer_Marmorglobus

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  2. War da nicht noch was mit Leif Erikson um 1000 nach Chr.

    Der irgendwo in Kanada landete?



    Marcus

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    1. Absolut, die Wikinger sollte man keinesfalls vergessen.

      Es gibt auch noch weniger bekannte Beispiele wie Joao Vaz Corte-Real, der möglicherweise 20 Jahre vor Columbus - nämlich 1472 - den Atlantik überquerte.

      Außerdem wären da noch Kabeljaufischer von der bretagnischen Île de Bréhat, die, so wird vermutet, ebenfalls einige Jahre vor Kolumbus' erster Fahrt vor Neufundland und den benachbarten Küsten unterwegs waren.

      Nachzulesen u.a. in "Die Vermessung der Ozeane", von Olivier Le Carrer
      https://hiltibold.blogspot.com/2017/03/buch-die-vermessung-der-ozeane-welt-und.html

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  3. Zu diesem Thema/ Themenkomplex fällt mir immer wieder (-mal..) eine ältere Terra-X(?)-Sendung ein, in der die Tierkreiszeichen als eine Art Seekarten vorgestellt wurden. Neben der Abbildung einiger Küstenlinien sollte auch die ICZ/ Rossbreiten einigermaßen genau mit dem Sternbild Krebs(?) abgebildet sein. Leider weiß ich mittlerweile um die Qualität der ZDF-Geschichtssendungen (Stichwort "Chiemseekomet" oder die Individualbackpackingtour des "Mädchen von Egtved" - Emotion sells und Zeitgeist schafft emotionale Verbindung...)

    Kennst du/ einer deiner Leser die "Sternkarten"-Theorie? Könnte da etwas dran sein?

    Grüße
    irgendwer

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    1. Du meinst sicher die Theorie von Helge Wirth:

      https://www.youtube.com/watch?v=jzTLYyzCxdE
      https://www.youtube.com/channel/UCZC8N4scWqUuvU9bzqgsM5A/videos

      Ob etwas dran ist, kann ich schwer beurteilen, weil ich mich damit nicht näher auseinandergesetzt habe. Interessant klingt es aber auf jeden Fall.

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    2. Super! Vielen Dank!

      Wenn man bedenkt, dass die Straße von Makassar vor 50.000 bis 40.000 Jahren bei der Besiedelung Sahuls überwunden werden musste (damals war der Meeresspiegel nur ca. 60 m tiefer als heute, die geringste Tiefe war vor ca. 30.000 bis 20.000 Jahren und die resultierende Meeresenge noch immer - aus dem Gedächtnis zitiert... - 12 km breit), eine indische Einwanderung in Australien vor mehr als 4.000 Jahren anzunehmen ist und es (nun sehr frei aus dem Gedächtnis zitiert) im Mittelmeer(?) Inseln mit Spuren des Homo Erectus, aber noch nicht einmal mit einer Sichtverbindung zum Festland gibt (geben soll), erstaunt es schon, für welche nautischen Deppen selbst unsere modernen Vorfahren gehalten werden.

      Grüße
      irgendwer

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    3. Gerne!

      "im Mittelmeer(?) Inseln mit Spuren des Homo Erectus, aber noch nicht einmal mit einer Sichtverbindung zum Festland gibt"

      Die Insel Kreta ist, soweit ich weiß, der bekannteste diesbezügliche Fall. Die menschgemachten Objekte, die dort gefunden wurden, dürften weit über 100.000 Jahre alt sein.

      https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/fruehe-seefahrt-neandertaler-sollen-auf-kreta-gewesen-sein-a-867713.html

      https://www.zeit.de/2018/20/archaeologie-seefahrt-bronzezeitalter-kreta

      Hochseefahrt wurde ohne Zweifel wesentlich früher betrieben, als man lange Zeit angenommen hat. Heute lachen jene Forscher, die das schon vor Jahrzehnten postuliert haben und dafür von ihren Kollegen verspottet und verächtlich gemacht worden sind.

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