Freitag, 2. Juli 2021

📖 Buch: Attentate - Wendepunkte der österreichischen Geschichte

Besoffene Pferde und kugelsichere Mäntel

In einzelnen Kapiteln von ca. je 5 bis 10 Seiten wird von Harald Seyrl im vorliegenden Buch ein näherer Blick auf insgesamt 35 chronologisch geordnete Attentate geworfen, die entweder auf österreichischem Boden stattfanden, deren Opfer bedeutende Österreicher waren oder die gravierende Auswirkungen auf die österreichische Geschichte hatten. Angefangen bei bei der Ermordung des kaiserlichen Feldherrn Wallenstein in Eger 1634 bis hin zum beinahe tödlichen Briefbombenanschlag auf den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk im Jahr 1993.
Neben besonders bekannten Attentaten wie etwa jenes auf Kaiserin Sisi 1898 in Genf und vor allem das äußerst folgenschwere auf Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau 1914 in Sarajevo, finden sich auch viele, die zwar längst in Vergessenheit geraten, aber gerade deshalb besonders lesenswert sind. Wer weiß z.B heute noch, dass 1809 Napoleon in Schönbrunn um die Ecke gebracht werden sollte und man damals die berühmt-berüchtigten Illuminaten verdächtigte? Nicht minder spannend ist die Schilderung einer Terrorserie, die im Rahmen eines Besuchs von Kaiser Franz Joseph I. in Triest 1882 von italienischen Anarchisten ausging; mehrere Menschen wurden dabei getötet oder schwer verletzt. Überhaupt war Franz Joseph zigfach das Ziel von Mordanschlägen, kam dabei aber immer mit dem Leben davon - und das obwohl der Monarch aus Gründen der Volksnähe es ablehnte, bei öffentlichen Auftritten von einem sichtbaren Kordon aus Polizei und Militärs umringt zu werden. Allerdings ließ er sich dazu überreden, dass man zumindest einige Polizisten als Diener schulte, damit ihn diese verkleidet und unauffällig begleiteten konnten.

Manch Detail der im Buch behandelten Anschläge mutet kurios, ja bisweilen sogar unfreiwillig komisch an. Z.B. als man im Jahr 1893 den streitlustigen christlich-sozialen Politiker Karl Lueger zu ermorden versuchte, indem man das Pferd seines Einspänners zuerst mittels in Wein getunkten Brotstücken besoffen gemacht und dem armen Tier dann auch noch einen glimmenden Feuerschwamm an den Schwanz gebunden hatte. Natürlich ging es daraufhin panisch durch und raste quer durch die Stadt, bis schließlich die Kutsche an einem Laternenpfahl zerschellte. Der Passagier überlebte den Anschlag jedoch und konnte nach drei Wochen Bettruhe seine politische Tätigkeit wieder aufnehmen. Obschon es nicht der einzige Mordversuch gegen Karl Lueger war, überlebte dieser alle und wurde später sogar Bürgermeister von Wien (nachdem ihm der Kaiser mehrfach die Angelobung verweigert hatte - aber das ist eine anderer Geschichte).
Noch absurder mutet das Attentat auf den späteren österreichischen Kaiser Ferdinand I. an. 1832 - also wenige Jahre vor seiner Kaiserkrönung (er war aber bereits König von Ungarn) - weilte er wie so oft zwecks Erholung in Baden bei Wien, wo auch viele Bürger die Sommerfrische verbrachten. Ohne großen Hofstaat bewegte er sich mitten unter ihnen und unternahm Spaziergänge sowie Wanderungen. Das wusste auch ein pensionierter, trunksüchtiger Hauptmann, der auf den Habsburger einen tiefen Groll hegte; angeblich weil Ferdinand ihm - trotz Bittgesuch - nicht zum wiederholten Mal die Spielschulden bezahlen wollte. Also lauerte er diesem und seinen nur drei Begleitern von hinten auf, zog eine kleine Vorderlader-Pistole (ein Terzerol) und schoss. Da allerdings die Zielperson an diesem Tag einen dick mit "Schneiderfett" wattierten Mantel trug, konnte die Kugel keinen ernsthaften Schaden anrichten, sondern verursachte lediglich eine leichte Prellung am Schulterblatt. Es kam aber noch besser: Als der Schütze daraufhin mit einer weiteren mitgeführten Pistole sich selbst das Leben nehmen wollte (vermutlich dachte er, Ferdinand sei bereits tödlich getroffen), versagte diese. Nun stürzten ein in der Nähe arbeitender Gärtner herbei, um ihn niederzuringen. Daraufhin holte er eine dritte (!) Pistole hervor, um den Mann zu erschießen. Doch auch diese verweigerte den Dienst! 😄


Fazit: Das Buch ist kurzweilig, interessant und übersichtlich strukturiert. Bilder von Tätern, Opfern, Mordwaffen und Tatorten lockern den Text auf. Neben den Tathergängen erfährt der Leser auch mancherlei über die Hintergründe. Ich war dabei ein wenig überrascht wie gewalttätig selbst die "gute alte Zeit" unter dem Kaiser gewesen ist. Terror und Mordversuche an politisch unliebsamen Personen scheinen dazumal beinahe ein Volkssport gewesen zu sein.
Mein einziger Kritikpunkt ist die zeitliche Gewichtung, die stark auf dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert liegt. Hier wäre eine etwas größere Bandbreite wünschenswert gewesen - auch beispielsweise das Mittelalter hätte ja einschlägigen Stoff geliefert. Nichtsdestotrotz handelt es sich unterm Strich um schöne Lektüre, die mich gut unterhalten hat. 



10 Kommentare:

  1. Feuchtes Pulver in den Ballermännern?
    Das könnte erklären, warum zwei Ladungen gar nicht gezündet haben und eine kaum Kraft hatte (weil das Pulver sich nur teilweise entzündet hat).

    W.T.C.

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    1. Das ist eine recht interessante Überlegung. Es ist nämlich eigenartig, dass ausgerechnet ein Ex-Militär so ungeschickt mit Schusswaffen hantiert haben soll. Wobei meiner Ansicht nach der ganze Fall höchst dubios ist, besonders das offiziell genannte Motiv.

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    2. Ein Terzerol ist an sich schon nicht besonders stark. Ich hätte deshalb eine schwere Kavalleriepistole gewählt, am besten eine doppelläufige. Aber die muss man sich auch leisten können und da der Attentäter sowieso schon Geldsorgen gehabt hat, war das vielleicht keine Option.
      Dass er Ferdinand gleich erschießen hat wollen, weil der ihm nicht die Spielschulden beglichen hat, kommt mir auch spanisch vor! Vielleicht war das nur die Erklärung für die Öffentlichkeit und es steckt wesentlich mehr dahinter. Spannende Sache, könnte man mit etwas Fantasie verfilmen :-)

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    3. Der Attentäter wurde zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt - die eigentlich fällige Todesstrafe wurde ihm auf Ferdinands Intervention hin erlassen. Ferdinand hat außerdem die Kosten für die Erziehung des Attentäter-Sohnes übernommen. Aus reiner Güte, wie behauptet wird, oder aus schlechtem Gewissen, weil eben doch - wie du sagst - mehr hinter der Sache gesteckt ist?

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  2. Kennt hier jemand den Interviewfilm "Die Kronzeugin"? Darin schildert Kaiserin Zita u.a. dass Erzherzog Franz Ferdinand schon Monate im Voraus vom Attentatsversuch wusste.
    https://youtu.be/Pcnd2osi5go?t=528

    Grüße
    Ulrich

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    1. Äußerst interessant, das war mir neu - sowohl dieses ausführliche Interview mit Zita wie auch die Prophezeiung des Attentats!
      Das ist ja noch eine Stufe härter als bei Caesar und der Warnung, er solle sich vor den Iden des März hüten.

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    2. Es geht da sogar noch eine Spur krasser. Es gibt da einen Vortrag, den der Benediktinerpater Odo von Württemberg (ehemals Carl Alexander, Herzog von Württemberg) 1957 in Donaueschingen gehalten hat.

      Darin skizziert er die Geschichte der Freimaurerei und behauptet u.a., der Tod Franz Ferdinands sei auf dem Weltfreimaurerkongress 1912 in Lausanne beschlossen worden.

      https://politik.brunner-architekt.ch/wp-content/uploads/2013/12/vortrag_von_odo_von_wuerttemberg.pdf

      Der Vortrag ist auch sonst recht spannend, z.B. wenn es um den Tod des Kronprinzen Rudolf von Habsburg geht.



      Liebe Grüße
      Ulrich

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    3. Danke, werde ich mir durchlesen.

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    4. Sehr spannender Text, aber keine Quellenangaben. Papier ist leider geduldig.

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    5. Das stimmt schon, aber es ist halt das Transkript eines Vortrages, soweit ich das richtig sehe.

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