Donnerstag, 7. Oktober 2021

⚔️ Der Mittelalter-Helm von der Stange: Authentische Patina statt Strahlemann oder Rosteimer!

Wer kennt sie nicht: Mittelalterhelme von der Stange, die vom Hersteller dermaßen aufpoliert wurden, dass sie mit der Sonne um die Wette strahlen. Übermäßig authentisch kommt das nicht daher - egal ob man mit so einem Helm an einem Reenactment teilnehmen möchte oder ihn sich wie in meinem Fall bloß als Deko ins Regal stellt.

Das Grundproblem: Hersteller verwenden moderne Stähle, die - selbst wenn sie niedriglegiert/unlegiert sind - immer noch eine wesentlich bessere Qualität aufweisen als der mittelalterliche Durchschnittsstahl. Das sieht man dem Helm mit seiner allzu sauberen bzw. homogenen Oberfläche einfach sofort an.

Manch Reenactor behilft sich nun damit, dass er die Helmoberfläche mit Wasser oder - besser noch - mit Salzwasser benetzt, um rasch Rost zu erzeugen. Dieser erste Schritt ist zwar nicht falsch, doch folgen keine weiteren, dann sieht das Endergebnis sogar wesentlich unauthentischer als die ursprüngliche Glanzpolitur aus. Man darf nämlich nicht glauben, dass im Mittelalter ein Kämpe seine teure Ausrüstung dermaßen hätte verkommen lassen. Genau den Eindruck erweckt man jedoch mit einem dicken Rostüberzug. Was also tun, um ein authentisches Erscheinungsbild zu erzeugen? Nun, bei meinen Helmen hat sich im Laufe der Jahre folgende Vorgehensweise als besonders zielführend herausgestellt:
  • In die Oberfläche des Helms stellenweise mit der flachen Seite eines Hammers wenige kleine Dellen schlagen. 
  • Mit Hammer und Nagel (oder einem Körner) in der Oberfläche ca. zwei Dutzend winzige Vertiefungen erzeugen (dabei entstehende Grate glatt feilen). Darin wird sich im Laufe der Zeit Rost sammeln. Zweck: Es werden Schlackeneinschlüsse nachgeahmt, was zu der fürs Mittelalter vergleichsweise dürftigen Stahlqualität passt (Prunkrüstungen, besonders spätmittelalterliche, einmal ausgenommen). 
  • Die Oberfläche mit einer Drahtbürste oder grobem Schmirgelpapier bearbeiten - er soll schließlich danach aussehen, als ob der Helm schon mehrfach im Kampfeinsatz war und danach immer wieder mit Sand oder ähnlichen Hilfsmitteln gereinigt wurde (man kann freilich auch direkt Sand verwenden, sofern man darüber verfügt).
  • In Salzwasser getränkte Tücher um den Helm wickeln, dann einen Tag warten.
  • Den entstandenen Rost mit Essig abwaschen - aber nicht allzu pingelig, ein Teil davon darf ruhig dran bleiben
  • Den Vorgang mit Salzwasser und Essig mehrfach wiederholen. Sobald man mit dem Ergebnis zufrieden ist, den Rost etwas besser entfernen - wenn nötig an unzugänglicheren Stellen (z.B. Nieten) mit einer kleinen weichen Drahtbürste (Borsten aus Bronze).
Das Ergebnis dieser eigentlich nicht sehr arbeitsaufwändigen, eventuell 10 Tage in Anspruch nehmenden Prozedur sieht man auf dem letzten Foto meiner Reproduktion eines Nasalhelms (ca. 11./12. Jahrhundert). Die Gegenüberstellung mit dem Ursprungszustand spricht sozusagen für sich selbst.

Links: Der Helm wurde mit in Salzwasser getränkten Taschentüchern bedeckt. | Rechts: Das Ergebnis dieser Prozedur nach 24 Stunden. Das Umlaufende Band ist hier deshalb nicht so rostig wie die Kalotte, weil ich dieses bereits mit Essig gesäubert hatte.

Links: Das ursprüngliche Aussehen des Helms nach dem Kauf | Rechts: Der Helm nach der oben beschriebenen Behandlung

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4 Kommentare:


  1. Wow, der Rostüberzug hat beinahe etwas Ästhetisches an sich! Braucht man zum Abtragen aber nicht schon einen Winkelschleifer oder einen Dremel?
    LG Bernd K.

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    1. Das sieht wesentlich wilder aus, als es tatsächlich ist. 95 Prozent davon könnte man mit einem feuchten Finger wegrubbeln. Ich empfehle aber wie gesagt Essig, da der auch für die dunklen Flecken sorgt, indem er den bräunlichen Rost chemisch verändert.

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  2. Servus, ich war vor ein paar Jahren mal bei einem Römerreenactment in Carnuntum, dort sind Legionäre herumgelaufen, deren Helme und Schienenpanzer ausgeschaut haben, als ob sie sie stundenlang mit einer Lammfellscheibe poliert hätten :-)

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    1. Es gibt in den Schriftquellen Hinweise, dass die Römer ihre Rüstungen tatsächlich poliert haben, um den Feind zu beeindrucken. Z.B. Vegetius schreibt das. Die Frage ist allerdings, ob das damalige Endergebnis so perfekt ausgesehen hat wie bei den Rüstungen heutiger Darsteller. Ich bezweifle das in vielen Fällen.

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