Sonntag, 24. Juli 2016

"Mustius, der Walker, trug die Tünche auf." - Wahlplakate im antiken Pompeji



Wahlkampf mittels Plakaten 

In den relativ autonomen Städten des Römischen Reichs war es üblich, die höchsten politischen Ämter jedes Jahr mittels Wahlen neu zu besetzen. Ein fast permanenter Wahlkampf dürfte die Folge dieser Praxis gewesen sein. Besonders in den Wochen vor dem Urnengang häuften sich die entsprechenden Anzeichen; dann begegnete man Männern in schneeweißen Togen, anhand derer man sie als Kandidaten identifizieren konnte (diese spezielle Toga hieß toga candida, von der sich die Bezeichnung Kandidat ableitet). Und es schwärmten Plakatmaler aus, die in roter oder schwarzer Farbe Wahlslogans auf Hausfassaden malten (der Begriff "Plakat" wird hier von mir eher großzügig verwendet, denn eigentlich handelt es sich um Graffiti). Vor allem in der vom Vesuv verschütteten Stadt Pompeji haben sich viele Beispiele dafür erhalten. Die Mitteilungen folgten einem fast standardisierten Schema: Angegeben wurde der Name des Kandidaten sowie die von ihm angestrebte politische Position - in der Regel die des Ädilen oder Duumvir.
Dass die Plakatmaler wohl nicht immer von den Wahlwerbern selbst beauftragt wurden, lässt sich dem Umstand entnehmen, dass zum Teil auch die Namen von Unterstützern genannt werden. Beispielsweise heißt es: "Africanus und Victor setzen sich dafür ein, Marcus Carrenius zum Ädilen zu wählen." 


Dirty campaigning?

Was mag davon zu halten sein, dass auf der Außenmauer einer 'Bar' zu lesen stand, mehrere Frauen - die dort möglicherweise als Bardamen/Prostituierte arbeiteten - würden sich für einen bestimmten Kandidaten aussprechen? Handelte es sich um einen Witz? Oder haben wir es hier gar mit 'dirty campaigning' zu tun? Sollte dem politischen Gegner eine übermäßige Nähe zum Horizontalen Gewerbe angedichtet werden? Letztere Annahme ist naheliegend, denn just auf einem dieser Wahlplakate wurde der Name einer Frau von eventuell fragwürdiger Moral nachträglich übermalt; den unverfänglichen Rest des Slogans ließ man unangetastet.
Es finden sich freilich noch weitaus eindeutigere Beispiele für derlei humorvolle Negativpropaganda - wenn nämlich "Taschendiebe", "entlaufene Sklaven" oder "die Müßiggänger" zur Wahl eines Kandidaten aufforderten.


Frauen mit politischem Interesse?

Frauen durften nicht wählen, geschweige denn sich selbst in ein Amt wählen lassen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich auf immerhin 50 von 2500 erhaltenen pompejanischen Wahlplakaten Frauen oder Gruppen von Frauen für einen Kandidaten stark machten.
Freilich, teilweise handelte es sich dabei wohl um üble Scherze - siehe das bereits oben angeführte Beispiel - oder um Verwandte, wie im Fall des Lucius Pompidius Secundus, der bei seiner Kandidatur für das Ädilen-Amt von seiner Großmutter unterstützt wurde. In vielen anderen Fällen können solche verwandtschaftlichen Beziehungen allerdings nicht nachgewiesen werden. Zeigten hier demnach einige Frauen in der Öffentlichkeit ein aktives politisches Interesse? Vielleicht, doch wissen wir nicht, ob die Sympathiebekundungen auf Wahlplakaten - egal ob sie nun von einem Mann oder einer Frau stammten - echter Freiwilligkeit entsprangen. Genauso gut könnten dabei Abhängigkeitsverhältnisse eine wichtige Rolle gespielt haben.


Hohle Phrasen

Mitunter wurden die von bestimmten Personen in Auftrag gegebenen Wahlaufrufe auch begründet, allerdings handelte es sich dabei zumeist um hohle Phrasen, wie "er wird ein guter Ädil sein", "er wird das Geld der Stadt nicht verschwenden" oder "er liefert gutes Brot". Unklar bleibt, ob beim letzten Beispiel gemeint ist, dass der Kandidat (in seiner Bäckerei) gute Backwaren herstellt oder er dem Volk eine Brotspende als Wahlgeschenk zukommen ließ.


Verfluchte Schmierfinken

Für die Wahl-Graffiti bevorzugte man Gebäude an den Hauptausfallstraßen, die von besonders vielen Menschen frequentiert wurden; das Einverständnis der Hauseigentümer darf hier zumeist angenommen werden, da anderenfalls nicht genehmigte Slogans schnell hätten übermalt werden können.
An den Ausfallstraßen, jenseits der Stadtgrenze, befanden sich auch die Grabmäler der verstorbenen Einwohner. Manch Plakatmaler scheute nicht davor zurück, selbst darauf politischen Botschaften zu pinseln. Immer wieder stoßen wir daher auf Warnungen und Verwünschungen der vorausschauenden Verstorbenen. So lautet etwa eine Inschrift: "Es ergehe dir wohl, Schmierfink, wenn du an diesem Grab vorübergehst!"
Doch auch die Plakatmaler selbst scheinen befürchtet zu haben, dass ihre Arbeit von der Konkurrenz übermalt wird, wie folgende Drohung belegt: "Wenn ihr das böswillig zukleistert, soll euch etwas Schlimmes passieren!"


Wer waren die Plakatmaler?

Da etliche Plakate eine Signatur aufweisen, kennt man heute rund dreißig der Maler namentlich. Beispielsweise heißt es in einem Fall: "Mustius, der Walker, trug die Tünche auf." 
Demzufolge war die Plakatmalerei in der Regel wohl kein Fulltime-Job, sondern wurde nebenbei ausgeübt. Die Unterschrift diente eventuell als Leistungsnachweis, um dafür später ein an die Anzahl der Plakate gebundenes Honorar zu kassieren.
Auch scheinen einige Maler - oder sollte man sie PR-Beauftragte nennen? - feste Reviere gehabt zu haben: Die von einem gewissen Aemilius Celer signierten Kundmachungen - die nicht nur politische Wahlen betrafen - finden sich nämlich vor allem im nördlichen Pompeji. Dort wurde sogar sein Wohnhaus entdeckt, auf dem geschrieben steht: "Hier wohnt Aemilius Celer".


Die letzte Wahl vor dem Untergang Pompejis

Rund 2500 Wahlplakate wurden in Pompeji bisher entdeckt. Ein Dutzend davon ist sogar in oskischer Sprache, was auf ein relativ hohes Alter hindeutet. Der Großteil ist jedoch lateinisch und stammt aus der Zeit kurz vor dem Untergang der Stadt.
Forscher versuchten anhand der Wahlplakate eine Liste jener Männer zu erstellen, die kurz vor dem Untergang Pompejis politisch tätig waren. Möglich ist dies deshalb, weil viele Plakate/Graffiti Jahr für Jahr mit weißer Farbe übertüncht wurden, auf die man dann die Slogans der jeweils aktuellen Wahlkampagne schrieb. So ergibt sich eine Schichtung, die eine bedingte chronologische Zuordnung bzw. Reihung der Kandidaten zulässt.
Für das Schicksalsjahr 79 n. Chr. ergibt sich daraus, dass Marcus Sabellius Modestus und Gnaeus Helvius Sabinus gemeinsam für die zwei Posten als Ädilen kandidierten. Ihre Gegner waren Lucius Popidius Secundus und Gaius Cuspius Pansa. Als Duumviri bewarben sich Gaius Gavius Rufus und Marcus Holconius Priscus; da sie scheinbar keine Gegenkandidaten hatten, darf ihre Wahl zwar als relativ gesichert gelten, doch den Amtsantritt verhinderte der katastrophale Vesuvausbruch.

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Weiterführende Literatur:

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