Freitag, 19. Oktober 2012

Gute Mauer, schlechte Mauer

Da in der Antike und im Mittelalter das Grundlagenwisssen zum Thema Statik noch überaus bescheiden war (höflich formuliert), mussten sich Baumeister und Handwerker vor allem auf viele Jahrhunderte alte Erfahrungswerte stützen. Wir haben es da heute deutlich einfacher und können mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft herausfinden welche Methode am besten geeignet ist, um eine stabile Mauer hochzuziehen; oder warum beispielsweise in einer Kathedrale des Mittelalters, bereits kurz nach der Errichtung Risse auftraten.

Flächenpressung
(Zeichnung: Hiltibold)
In einer Mauer drücken die oben liegende Steine mit ihrem Gewicht auf die darunter liegenden. Durch diese Flächenpressung - siehe die nebenstehende, bewusst übertriebene Darstellung - kommt es zu Verformungen. Während die Höhe/Dicke abnimmt, nehmen Länge und Breite des Steins zu. Da die verformten Steine gegeneinander bzw. gegen den Fugenmörtel drücken, kann dies im schlimmsten Fall zu Rissen bzw. einer Zerstörung des Mauerwerks führen. Ist die Art dieser Verformung bei einem regelmäßig geformten Körper, wie etwa einem quaderförmigen Ziegelstein, noch relativ einfach zu berechnen und zu kontrollieren, so wird die Sache, beispielsweise bei einem x-beliebigen Feld- oder Bruchstein, überaus kompliziert.

Kirchenbau, Statik
(Zeichnung: Hiltibold)

Das linke Bild zeigt, in vereinfachter Form, den in einer Ziegelmauer auftretenden Kraftfluss (auch sorgfältig behauener Naturstein wären hier denkbar.) Aufgrund der vielfachen Flächenpressung und der dadurch hervorgerufenen Verformung der einzelnen Steine kommt es im Mauerwerk zu einer Querdehnung. Diese Querdehnung tritt - vor allem bei längeren Mauern - fast ausschließlich in Richtung der Mauerdicke auf, da sie in Längsrichtung durch die Große Masse an Steinen blockiert wird. Die Kraftübertragung erfolg hier großflächig über die Steine und den sich darauf bzw. dazwischen befindenden Mörtel.
Im Falle eines Feldsteinmauerwerks (rechtes Bild) sieht diese Verteilung des Kraftflusses deutlich komplexer aus. Neben der horizontal wirkenden Kraft gibt es hier eine Vielzahl weiterer Kraftkomponenten, die sich aus den unregelmäßig geformten Steinen ergeben. Die auftretende Kraft wird hier nicht regelmäßig und flächig verteilt, sondern sie wirkt trotz Mörtelverbund eher punktförmig - wie in einer Steinschüttung oder Trockenmauer. Stabiler ist daher die linke Mauer. Freilich, billiger ist wiederum die rechte Variante.  
römische Mauer
(Zeichnung: Hiltibold)

Bereits in der Antike kam deshalb eine Kombination aus regelmäßigem und unregelmäßigem Mauerwerk zur Anwendung (opus implectum). Die beiden äußeren Schalen umschlossen einen Kern aus wenig oder gar nicht behauenen Steinen (Feldsteinen, Bruchsteinen), die in viel Mörtel eingebettet wurden (Füllmauerwerk, Gussmauerwek).
Dieses Mauerwerk ist allerdings ein Kompromiss mit Schwächen, da das Füllmauerwerk im Kern eine geringere Festigkeit und eine höhere Querdehnung als die Schalen aufweist. Das bedeutet, dass der Kern sich bei hoher Belastung früher als die Schalen zu zerlegen beginnt und die Bruchstücke nach außen drücken. Die Kraft wird so an bestimmten Punkten verstärkt über die Schalen abgeleitet, wodurch dort Beulen oder Knicke entstehen können. Um den Zusammenhalt der Mauer zu verbessern, verband man die beiden äußeren Schalen quer durch das Füllmauerwerk mit verbleiten Eisenklammern oder Bindesteinen (hier nicht extra eingezeichnet).

Abschließend sei noch erwähnt, dass es noch einige andere Arten bzw. Unterarten von Mauerwerken gibt, die von der Antike bis ins Mittelalter eine gewisse Bedeutung besaßen. Allerdings möchte ich die Sache hier möglichst einfach halten und nur ein paar Grundprinzipien verdeutlichen. Ich hoffe das ist mir halbwegs gelungen.

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Weiterführende Literatur:
  • Dietrich Conrad | Kirchenbau im Mittelalter: Bauplanung und Bauausführung | Verlag: E. A. Seemann | Infos bei Amazon

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