Dienstag, 2. Juni 2015

Mörtel und mechanische Mörtelmischer im Mittelalter

Für die Errichtung der imponierenden Kirchenbauten des Mittelalters mussten große Mengen an Mörtel hergestellt werden. Das hierfür benötigte Fachwissen stammte zum Teil aus antiken Quellen, wie etwa den Zehn Büchern über Architektur, die der römische Ingenieur Vitruv im 1. Jh. v. Chr. verfasste. 
Getrost kann jedoch davon ausgegangen werden, dass solche theoretischen Abhandlungen - die oft ziemlich oberflächlich gehalten sind - nicht als Anleitung ausreichten, um Mörtel in berechnbarer Qualität herzustellen; zu viele Faktoren beeinflussten das Endergebnis. So muss etwa ein geeigneter Kalkstein gefunden, bei 800-1200°C gebrannt und schließlich gelöscht werden. Die Eigenschaften des auf diese Weise erzeugten "Teiges" hängen stark von den natürlichen Verunreinigungen/Beimengungen im Kalkstein, dem Brennprozess, dem Vorgang des Löschens und der Lagerzeit in speziellen Gruben ab (man spricht hier von sogenanntem Sumpfkalk, dessen Herstellung in diesem Video sehr schön beschrieben wird). Hinzu kommt, dass auch Korn-Größen und -Formen des zum Mörtel beigegebenen Sandes starken Einfluss auf das fertige Endprodukt haben.  
Interessanterweise finden sich in den Überlieferungen weitere "Ingredienzien", deren Sinnhaftigkeit sich uns heute nicht immer erschließt. Beispielsweise werden Eier, Milch, Topfen (Quark) und Honig genannt - lauter Dinge, die man eher in einem Kuchen vermuten würde. Weiters ist von Bier, Wein, Essig, Salz, Molkewasser, Ochsenblut und Urin die Rede. Da derlei Stoffe in den meisten Fällen jedoch kaum in der nötigen Menge beschaffbar waren, um damit den Mörtel spürbar zu versetzen, vermutet die Forschung dahinter oft rein symbolische Handlungen; Kalkbrenner bzw. Speismacher umgaben sich möglicherweise bewusst mit einem alchemistischen Brimborium, um so ihr Ansehen zu steigern. Allerdings zeigen Versuche, dass man hier die mittelalterlichen Mörtelspezialisten unterschätzt. So kann etwa mit Wein das Abbinden gezielt verzögert werden, während Eiweiß verflüssigend wirkt. Leider können diese Zusätze in der erhaltenen Bausubstanz kaum noch naturwissenschaftlich nachgewiesen werden. Anders verhält es sich bei Pflanzenfasern und Tierhaare, die unter den Mörtel gemischt wurden, um das Auftreten von Schwindrissen einzudämmen. Auch hierzu gibt es bei Youtube ein anschauliches Video
Neben Mörtel auf Kalk-Basis erfreute sich vor allem in Gegenden mit Anhydrit-Vorkommen Gips großer Beliebtheit, da er mit vergleichsweise geringerem Energieaufwand hergestellt werden konnte (Brenntemperatur von rund 200°C). Der große Nachteil ist freilich, dass sich Gipsmörtel bei langanhaltender Einwirkung von Feuchtigkeit zersetzt. Vor allem im Fundamentbereich ist das "tödlich", sodass heute manch mittelalterliches Bauwerk auf wackeligen Beinen steht.

Nachfolgende Zeichnung stellt einen mechanischen Mörtelmischer dar, dessen Rekonstruktion auf eher spärlichen archäologischen Funden beruht. Es wird in Betracht gezogen, dass solche Vorrichtungen bereits im 9./10. Jahrhundert zum Einsatz kamen. Sollte das zutreffen, dann hätte dies eine große Erleichterung für die Arbeiter dargestellt, da sie den Mörtel für gewöhnlich in kleinen Behältern mischen mussten, was deutlich weniger effizient war.


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Nach einer Zeichnung in Kirchenbau im Mittelalter (von Dietrich Conrad)
Zur hochauflösenden Grafik - Hi-Res |

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Quellen bzw. weiterführende Literatur: 
  • Kirchenbau im Mittelalter | Dietrich Conrad | Edition Leipzig | 1990 | Infos bei Amazon
  • Technische Mechanik 1: Statik | Dietmar Gross | Springer Vieweg | 2013 | Infos bei Amazon


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