Sonntag, 3. September 2017

Buch: Marcus Junkelmanns Standardwerk "Die Legionen des Augustus"

Der bayerische Militärhistoriker Marcus Junkelmann ist international einer der bedeutendsten Pioniere im Bereich der Experimentellen Archäologie. Darüberhinaus gilt er besonders für den deutschsprachigen Raum als wichtiger Wegbereiter dessen, was heute gemeinhin als Living History bzw. Lebendige Geschichte bezeichnet wird; also das praktische Nachempfinden vergangener Lebenswelten auf möglichst strenger Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Ins Scheinwerferlicht der breiten Öffentlichkeit trat Junkelmann zum ersten Mal im Jahr 1985. Damals nahm er die (irrtümlich abgehaltene) 2000-Jahrfeier Augsburgs zum Anlass, um gemeinsam mit acht Gefährten in voller augusteischer Legionärsausrüstung von Italien über die Alpen nach Deutschland zu marschieren; 24 Tage wurden für dieses Vorhaben benötigt, bei dem man sich - trotz relativ guter Planung - mit immer wieder neuen Schwierigkeiten konfrontiert sah. Darüberhinaus fand der Alpenmarsch großes internationales Medienecho, da es etwas vergleichbares bis dahin noch nicht gegeben hatte. Wobei nicht jeder Beobachter das Vorhaben auf Anhieb richtig einordnen konnte, wie bei einer von Junkelmann und Kollegen durchgeführte Zeremonie auf dem Kapitol in Rom offensichtlich wurde:

Der Anblick von Neorömern inklusive Lictoren mit Rutenbündeln (fasces) erweckte bei älteren Einheimischen unwillkürlich Reminiszenzen an die Tage Mussolinis, wie ich der Bemerkung entnehmen konnte, die während unserer Zeremonie ein Zuschauer hinter mir seinem Begleiter in ruhigem, sachlichem Ton zuraunte: "Ah, sono fascisti" - "Ah, das sind Faschisten."
😄

In Die Legionen des Augustus (Herbert Utz Verlag) schildert Marcus Junkelmann u.a. diesen experimentalarchäologischen Alpenmarsch aus dem Jahr 1985. Zu Wort kommen dabei auch seine einstigen Mitstreiter, die ihre Eindrücke Revue passieren lassen. Vor allem jene großen Mühen, in schwerer römischer Rüstung einen Bergpass nach dem anderen zu bezwingen, werden dabei immer wieder angesprochen. Nicht jeder Teilnehmer des Experiments war den physischen Belastungen ohne Weiteres gewachsen. Erkrankungen und vorübergehende Ausfälle waren die Folge. Hinzu kam, dass die begeisterte Bevölkerung den neuzeitlichen Legionären auf ihrem Weg nicht nur immer wieder reichhaltige Mahlzeiten, sondern auch Unmengen an Wein und Schnaps spendierte, sodass Junkelmann und Co. ständig mit einem gewissen Alkoholpegel unterwegs waren 😊. Möglicherweise verlieh dieser unvorhergesehene Umstand dem Experiment zusätzlich eine realistische Note, denn auch die Legionäre des Augustus dürften - so wie die meisten Soldaten - dem Alkohol nicht abgeneigt gewesen sein; milderte er doch vorübergehend die Strapazen. Diese Annäherung ans echte Legionärsleben brachte freilich auch Nachteile mit sich, wie der Autor rückblickend feststellt:

Die letzten Kilometer zum Lagerplatz marschierten wir durch Dörfer und blühende Obstgärten zum See hinab. Man erwartete uns mit Transparenten und Weinfässern, das lokale (italienische) Fernsehteam filmte eifrig. Als wir am Lagerplatz ankamen, war zum einzigen Mal auf unserem Marsch festzustellen, dass der Weingenuss die Dienstfähigkeit beeinträchtigte. Schon beim Ablegen des Gepäcks kippte ein 'miles' aus dem Glied, das Einschlagen der Zeltheringe verlief ganz konfus, bis Karl energisch eingriff und sich im Eifer mit dem Beil ins Bein hackte.
😂

Es ist schön, dass Marcus Junkelmann diese kleinen Unzulänglichkeiten und Probleme nicht aus akademischer Eitelkeit verschämt unter den Teppich kehrt. Die Frühen 1980er-Jahre waren überdies - verglichen mit heute - noch eine völlig andere Zeit; abzulesen auch daran, dass der Alpenmarsch unfassbare 300.000 (!) Mark verschlang. Alleine die militärische Ausrüstung eines einzigen der acht 'Legionäre' schlug mit rund 20.000 Mark zu Buche (Kleidung nicht mitgerechnet), ein Lederzelt mit immerhin 10.000 Mark - und das obwohl vieles selbst angefertigt worden war. Diese hohen Kosten sind nicht zuletzt auf den damaligen Mangel an spezialisierten Handwerkern zurückzuführen (wenig Konkurrenz = hohe Preise).
Marcus Junkelmann kritisiert allerdings, dass es mittlerweile eine Entwicklung ins gegenteilige Extrem gibt, seitdem Billigware aus Indien (Stichwort 'Deepeeka') den europäischen Markt flutet. Das führe zu einem Qualitätsverlust beim Römer-Reenactment und mache selbst vor Unis nicht halt. In diesem Zusammenhang bemängelt er auch Experimente, die seinen Alpen-Marsch im kleineren Maßstab mehr oder weniger 'imitieren' - wie z.B. ein 2010 durchgeführtes Projekt von 20 Studenten der Universität Augsburg, die Junkelmann wohl ein bisschen für schlecht vorbereitete Weicheier hält (wobei freilich - siehe oben - auch bei seinem Alpenmarsch nicht alles glatt lief). 
Des Weiteren bemängelt der Autor, dass sich die Verantwortlichen von Freilichtmuseen allzu oft nicht ausreichend um Authentizität bemühen und dem Publikum pauschal die Qualifikation zur Unterscheidungsfähigkeit absprechen - obwohl dieses nachweislich z.B. auf Brillen und moderne Frisuren negativ reagiert (die Mittelalterbaustelle Campus Galli lässt grüßen).

Dergestalt hingelangt wird vor allem in der umfangreichen Einleitung und dem ersten Kapitel. In den restlichen vier Kapiteln widmet sich Marcus Junkelmann dann ausführlich der Geschichte, Entwicklung, Organisation und Ausrüstung des römischen Heeres zur Zeit des Augustus; wobei immer wieder auch die späte Republik und die restliche frühe Kaiserzeit miteinbezogen werden. An sich ist das sinnvoll, allerdings erschienen mir einige Abschnitte dann doch eine Spur zu weitschweifig.
Der Schreibstil ist allgemein verständlich; Fremdwortvöllerei ist nicht Junkelmanns Fall. Als erfahrenem Didaktiker ist ihm eben klar, was er der Mehrheit seiner Lesern zumuten kann.
Obschon eher textlastig, verfügt das Buch trotzdem über zahlreiche aussagekräftige Abbildungen. Die vom Verlag gewählte Schriftgröße ist hingegen aus meiner persönlichen Sicht grenzwertig, sodass ich zu meiner Brille (1,5 Dioptrien) greifen musste.

Die vorliegende 15. Auflage wurde stark erweitert und in vielen Punkten auf den neuesten Stand der Forschung gebracht. Fuß- bzw. Endnoten finden sich allerdings nur im immerhin rund 30 Seiten starken Vorwort.

Fazit: Bei Die Legionen des Augustus handelt es sich zweifellos um DAS deutschsprachige Standardwerk für jeden Legionärsdarsteller der entsprechenden Zeit. Darüber hinaus ist dieses dicht mit Informationen vollgepackte Buch selbstverständlich auch für jeden anderen Leser hochinteressant, der Gefallen am Militär der frühen Kaiserzeit gefunden hat. 
Die Taschenbuchvariante kostet 38 Euro, die gebundene 58 Euro. 20 Euro Aufpreis sind hier meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt. Ich empfehle daher das Taschenbuch, welches ohnehin nicht bloß geklebt, sondern zusätzlich fadengebunden wurde und einen ausreichend robusten Eindruck macht.

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Weiterführende Informationen:



4 Kommentare:

  1. LOL, ich wusste gar nicht, dass das damals so feuchtfröhlich zuging, als die Junkelmänner die Alpen bezwungen haben. Da wäre ich gerne dabei gewesen, hört sich nämlich nach jeder Menge Spaß an !

    Der Wanderschmied

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  2. Marcus Junkelmann hat sehr viel dazu beigetragen, Lebendige Geschichte im deutschen Sprachraum zu etablieren. Hoffentlich bleibt er uns noch lange erhalten!

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  3. Ich erinnere mich an Junkelmanns Vortrag 1988 in meinem Heimatort, als mein Jugendtraum wahr wurde und ich ein echtes Kettenhemd nicht nur anfassen, sondern auch anziehen durfte, und das lange Reiterschwert dazu umhängen. Es gab tatsächlich Menschen, die Geschichte nachvollzogen, (er)lebbar machten! Das war dann auch der Start für meine Living-History-Karriere, auch wenn der Anfang holprig über diverse Mittelaltermärkte führte ;-)
    Ich habe Markus Junkelmann später noch öfter getroffen und ihm irgendwann auch von diesem Erlebnis beim Vortrag erzählt; natürlich konnte er sich nicht mehr an mich erinnern, aber ich bin ihm immer noch dankbar für diesen magischen Moment. Und natürlich die Pionierarbeit im Bereich L-H.
    - Fränkin -

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  4. Was mir an Junkelmanns Schreibstil sehr gefällt, ist, dass er sich nicht scheut auch einmal sarkastische oder gar polemische Töne anzuschlagen. In der Regel hat er gute Gründe dafür, etwa wenn er sich über die Kampfszene zu Beginn der Serie "Rome" (HBO)lustig macht, in der die Gallier immer brav warten, bis die erste Reihe der Legionäre ins letzte Glied durchgewechselt ist (Stichwort:"Rotate" - Trillerpfeife)

    Sehr schön ist auch, wie gnadenlos er manch praxisferne Vorstellung von Fachkollegen abkanzelt, wenn es z.B. um die Einschätzung der Marschleistung einer römischen Legion, oder dem persönlichen Marschgepäck eines Legionärs geht.

    Ähnlich wie sein großes Vorbild Hans Delbrück (der immerhin schon um 1900 auf die Idee kam, in seinem Turnverein mit 5m langen Stäben als Sarissenersatz zu experimentieren), weiß Junkelmann seine profunde Kenntnis historischer Quellen mit Praxiserfahrung und Sachkenntnis zu verbinden. Dass er seine Erkenntnisse in allgemein verständlicher Sprache formuliert, hebt ihn wohltuend von vielen deutschsprachigen Fachkollegen ab.

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