Samstag, 6. Januar 2018

Im Bett mit dem französischen König: War Richard Löwenherz schwul?




Der Löwe im Winter

Im 1968 produzierten Film Der Löwe im Winter (mit Peter O’Toole und Katharine Hepburn) sowie in der gleichnamigen Neuverfilmung des Stoffs 2004 (mit Patrick Stewart und Glenn Close) wird der englische König Richard I. Löwenherz als Homo- bzw. Bisexueller dargestellt. Zurecht? Oder fühlte sich hier vielmehr die Unterhaltungsindustrie zum wiederholten Male bemüßigt, zugunsten der Dramaturgie / einer gesellschaftspolitischen Agenda meilenweit vom Pfad der historischen Überlieferung abzuweichen? 


Die Quellen und ihre Interpretation

Die Annahme, Richard Löwenherz sei homosexuell gewesen, steht unter anderem in Verbindung zu der um 1260 vom sogenannten Ménestrel (=Spielmann) von Reims niedergeschriebenen Legende über den Troubadour Blondel. Dieser soll sich, nachdem sein Freund und Herr Richard Löwenherz spurlos verschwunden war, auf die Suche nach ihm gemacht haben. Von Burg zu Burg sei er gezogen, und habe jedesmal ein gemeinsames Lieblingslied angestimmt, das außer den beiden niemand kannte. Eines Tages soll dann Löwenherz, um auf sich aufmerksam zu machen, aus einem österreichischen Burgverlies die Folgestrophe gesungen haben.



Mit der historischen Realität hat die Legende rund um Blondel nur am Rande zu tun. Zwar ist es richtig, dass Löwenherz auf der Heimreise vom 3. Kreuzzug im Herzogtum Österreich gefangen genommen wurde. Doch der Landesherr - Leopold V. - konnte es kaum erwarten, zusammen mit seinem 'partner in crime' - Kaiser Heinrich VI. - den hochrangigen Gefangenen für ein exorbitantes Lösegeld von über 23 Tonnen Silber wieder loszuwerden. Im Angesicht dessen ist die Vorstellung abwegig, man hätte die Gefangennahme von Löwenherz längere Zeit verheimlicht. Das wäre nicht im Interesse von Leopold und Heinrich gewesen.

Der Dreh- und Angelpunkt der Legende - nämlich die tiefe Männerfreundschaft zwischen Blondel und Löwenherz - wurde im Laufe der Zeit zu einer erotischen Beziehung uminterpretiert. Zuerst noch relativ unverdächtig von Eleanor Ann Porden in ihrem 1822 erschienen Epos Cœur de Lion. Darin schlüpft des Königs Ehefrau Berengaria in die Verkleidung eines Sängers, um ihn zu suchen.
Mitte des 20. Jahrhunderts scheint dann die Zeit reif gewesen zu sein, aus Löwenherz einen Homosexuellen zu machen. Hauptverantwortlich dafür war der Architekturhistoriker John Harvey, der in seinem mehrfach neu aufgelegten Werk The Plantagenets eher nebenbei meinte: "[...] Richard the Lionheart like many other warriors and also some most unwarlike men was the victim of homosexuality." 

Blondel alleine war es allerdings nicht, der Harvey auf diese Idee kommen ließ. 'Verdächtiges' findet sich nämlich auch bei Roger von Howden, dem zeitgenössischen Biographen von Löwenherz: Als letzerer noch nicht englischer König, sondern lediglich Thronfolger und Graf des Poitou war, soll er im Jahr 1187 bei einem Besuch in Paris vom französischen König Philipp II. mit Zuneigungsbeweisen geradezu überschüttet worden sein. Die beiden aßen nicht nur aus der gleichen Schüssel, sondern "des Nachts trennte sie auch das Bett nicht". "Die heftige Liebe" zwischen Philipp und Löwenherz soll dessen Vater, Heinrich II., "in großes Erstaunen" versetzt haben.

Ist das nun der schlagende Beweis dafür, dass Löwenherz homosexuell war? Kaum, denn der Liebesbegriff muss hier, wie in ähnlichen Überlieferungen üblich, christlich-religiös interpretiert werden. Darüber hinaus beinhaltet er auch einen wichtigen rechtlichen Aspekt. Richard war nämlich als Graf des Poitou ein Vasall des französischen Königs. Die beiden schuldeten sich deshalb (zumindest in der Theorie) gegenseitig 'Liebe' - was wiederum mit Freundschaft und Beistandspflicht gleichzusetzen ist. Verdeutlicht sollte das unter anderem mit dem gemeinsamen Schlafen im selben Bett werden.

Die mittelalterlichen Leser wussten, dass solche Formulierungen nicht wortwörtlich genommen werden mussten. Trotzdem ging dergleichen durchaus mit den damaligen Schlafgewohnheiten konform. Menschen, die einander vertrauten, schliefen nämlich relativ häufig im selben Bett. Beispielsweise Reisegefährten, die sich in einer Herberge einquartiert hatten. Oder - um wieder zu Löwenherz zurückzukommen - im Falle einer gemeinsamen Gefangenschaft: Ralph von Coggeshall schreibt im Chronicon Anglicanum, der König sei nach seiner Einkerkerung in Österreich streng bewacht worden und keinem seiner Männer habe man erlaubt, "bei ihm im Bett zu schlafen".
Der Löwenherz freundlich gesinnte Chronist wollte mit dieser Bemerkung sicher nicht auf homosexuelle Neigungen hinweisen, sondern die strengen Haftbedingungen verdeutlichen. Denn das gemeinsame Schlafen in einem Bett bedeutete auch, dass man von der Körperwärme des 'Bettgenossen' profitieren konnte. Ein nicht zu vernachlässigender Bonus, wenn man - wie der englische König - im Winter in einer zugigen Burg eingesperrt war.


Fazit

Richard Löwenherz war - nach allem was wir wissen - nicht schwul. Gegenteilige Ansichten fußen auf einer falschen geschichtswissenschaftlichen Quelleninterpretation. Dass sich Hollywood darum 1968 nicht scherte, mag man den Verantwortlichen aufgrund der damals noch nicht übermäßig weit gediehenen wissenschaftlichen Diskussion nachsehen. Für die Verfilmung von 2004 gilt dergleichen allerdings nicht mehr. Freilich, historische Genauigkeit genießt bekanntermaßen bei Unterhaltungsfuzzis keine besonders hohe Priorität. Viel lieber drückt man dem Publikum eine selbstgemachte Variante der historischen 'Realität' aufs Auge.

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 https://hiltibold.blogspot.com/2018/01/richard-loewenherz-homosexuell.html

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Weiterführende Literatur / Quellen:
  • Alexander Schubert (Hrsg.) | Richard Löwenherz: König - Ritter - Gefangener | Schnell + Steiner | 2017 | Infos bei Amazon
  • Thomas Asbridge | Der größte aller Ritter - Und die Welt des Mittelalters | Clett-Kotta | 2015 | Meine Rezension | Infos bei Amazon


8 Kommentare:

  1. In der Generation meiner Großeltern ist es auch noch vorgekommen, dass z.B. bis zu drei Geschwister im selben Bett geschlafen haben, oft bis ins Teenageralter. Zumindest am Bauernhof war das so. LG, Martina

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  2. Man muss historische Quellen kritisch lesen und versuchen sie im Kontext ihrer Zeit zu verstehen. Schade, dass dazu auch viele Historiker offenbar nicht fähig sind.

    Der Wanderschmied

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  3. Die Verfilmung mit Patrick Stewart als Heinrich II. kenne ich. Und ich kann mich auch noch gut erinnern, wie ich mich damals darüber gewundert habe, was die da mit Richard Löwenherz gemacht haben. Sehr theatralisch und überzeichnet halt.
    B.B.

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    1. "Sehr theatralisch"

      Der Film beruht ursprünglich auf einem Theaterstück. Das merkt man ihm tatsächlich an (entschuldigt aber mMn nicht die historisch sehr fragwürdige Darstellung).

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  4. Mir waren die langwierigen Diskussionen zu dem Thema - abseits der Filme, die ich einfach mal als künstlerische Freiheit interpretiert habe - gar nicht bekannt! Und dass man noch Mitte des 20. Jahrhunderts über Sachen wie "the victim of homosexuality" schrieb, ist auch bezeichnend.

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    1. Gar nicht einmal so wenige dieser ahistorischen Merkwürdigkeiten in Filmen beruhen tatsächlich nicht auf purer Phantasie, sondern auf selektiver Quellenauswahl. Zu weiteren Beispielen - wie etwa Alexander den Großen - möchte ich hier noch in weiteren Beiträgen etwas schreiben.

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  5. Die Unterteilung in schwul und hetero ist eine sehr neuzeitliche. Die Griechen und Römer sahen das zumindest nicht als Problem, sowohl mit Frauen als auch mit Männern zu verkehren. Probleme gab es nur bei Ehebruch, dafür richtige.
    Selbst wenn der König nach allen Regeln der Kunst mit seinem Lehnsherren zugange gewesen war - welchen Einfluss hatte das auf die Geschichte? Wohl wenig.
    Ob z.B. Friedrich d.Gr. schwul oder wasauchimmer war, scheint mir in Anbetracht der exorbitant hohen Verlusten an Menschen durch seine Kriege ähnlich relevant, wie der Vegetarismus Hitlers. Immerhin waren sie Hundeliebhaber. Na (H)und? Vermutlich sind auch heute noch viele Leute tierlieb, einige schwul und noch weniger können vernünftig Klavier spielen. Sehen wir hier etwa Zusammenhänge...? Ich glaube kaum.
    Aber es (bzw. Kontraste) macht Geschichte auch (noch zusätzlich) interessant.
    So ist eine Pharaonin mit Bart, ein Feldherr mit epileptischen Anfällen, ein wolllüstiger oder verrückter Kaiser damit immerhin einprägsamer als ohne solche Attribute.

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