Donnerstag, 16. April 2020

Krimskrams: Die zwei Wikipedias -- Moralisch verkommene Wissenschaft -- Nutzungsrecht für Foto entzogen -- usw.


Die zwei Wikipedias und die Zenon-Brüder: Ein Vergleich

Im 14. Jahrhundert sollen die Venezianer Nicolo und Antonio Zenon nach Grönland gesegelt sein. Doch die beiden Brüder gelangten darüberhinaus eventuell sogar bis nach Nova Scotia in Kanada. Damit hätten sie vor Kolumbus Amerika (wieder)entdeckt. Die auf dieser Reise gesammelten Informationen flossen in die sogenannte Zenon-Karte ein, heißt es. Alles in allem ein zweifellos spannendes Thema. Doch die deutschsprachige Wikipedia schreibt darüber in einem minimalistischen Artikel das Folgende: 

Forschungen haben gezeigt, dass die Zeno-Brüder während der Zeit, in der sie ihre Reisen unternommen haben sollen, anderswo beschäftigt waren. Das Dictionary of Canadian Biography Online bezeichnet den Fall als „eine der absurdesten, aber gleichzeitig auch eine der erfolgreichsten Fälschungen in der Entdeckungsgeschichte“.

Hier wurde - auf Grundlage nur einer einzigen Quelle - sowohl die Reise der Brüder wie auch die dazugehörende Karte zu reinem Blödsinn erklärt. Doch wie so oft bei Wikipedia zahlt es sich aus, den deutschsprachigen Bereich zu verlassen und in die englischsprachige Variante des Eintrages zu schauen. Und siehe da, dort ist das Urteil wesentlich differenzierter. Über die Brüder sowie ihre schriftlichen Hinterlassenschaften heißt es u.a.:

[...] who were famous during the Renaissance for a possible but controversial exploration of the north Atlantic and Arctic waters.

In 1989 Italian scholar Giorgio Padoan published a study suggesting that there is some authenticity in their travels and that Nicolò is not to be found in any document between the years 1396-1400 (so he could have been at least in Iceland),while Andrea Di Robilant has written a book on this possibility.

The account of the voyages given by the younger Nicolò continues to attract debate.[...] There is disagreement about the brothers' whereabouts at the time of the supposed voyages, with some readings of archival records placing the brothers in Venice at that time. Andrea di Robilant suggests this interpretation is in error.

According to The Dictionary of Canadian Biography Online, "the Zeno affair remains one of the most preposterous and at the same time one of the most successful fabrications in the history of exploration."Di Robilant disagrees, stating that the younger Nicolò was "a first-class muddler, not a fablemonger", whose inaccuracy was the result of second-hand retelling that still contains much of the truth of his forebears' voyages

So gehört sich das. Man stellt bei umstrittenen Themen die unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen einander gegenüber und lässt den Leser entscheiden. Eine Vorgehensweise, die jedoch in der deutschsprachigen Wikipedia sehr oft nicht gepflegt wird.

Kurios daran ist, dass sogar der Ersteller des deutschen Artikels im Jahr 2013 in der Versionsgeschichte eintrug: "Kleiner Anfang (es gibt noch viel zu tun)". Doch  so gut wie nichts ist in den letzten sieben Jahren geschehen. Was auch damit zusammenhängen mag, dass der Wikipedia schon seit geraumer Zeit massenhaft Autoren davonlaufen, nachdem sich dort ein Kreiswichsverein mit hohem Kotzbrockenanteil etabliert hat. Viele potentielle Editoren wissen längst, dass ihre Mitarbeit an Artikeln oft unerwünscht ist und mit einiger Wahrscheinlichkeit von den Platzhirschen und ihren Seilschaften rückgängig gemacht werden würde. Wer, der sich nicht tagtäglich mit Edit-Wars und Mobbing herumärgern möchte, tut sich das schon an? Daher dominieren die gut Vernetzten, die Aktivisten, die Sektierer, die Lobbyisten, die quasi autistisch Besessenen und der charakterliche Müll. Neben der Anonymisierung der Autoren ist das der zentrale Grund, warum Wikipedia keine reputables und zitierfähiges Nachschlagewerk ist und wohl auch nie wird sein können. 

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Moralisch verkommene Wissenschaft

Hier findet sich ein hochinteressanter Artikel darüber, wie in sogenannten "Paper Mills" komplett gefälschte Arbeiten von 'Forschern' bestellt und in Wissenschaftsmagazinen publiziert werden können.

Wen wundert das? Studenten betrügen doch schon seit vielen Jahren nachweislich in erheblichem Ausmaß mittels Ghostwritern. Wieso sollten jene von ihnen, die nach dem abgeschlossenen Studium in die Forschung gehen, lieb gewonnene Gepflogenheiten, die sich für sie als praktikabel erwiesen haben, wieder ablegen?

Wie ich hier schon mehrmals geschrieben habe: Wissenschaft ist eine feine Sache, aber es ist völlig unangebracht, die für viele Menschen überholte Religiosität durch Wissenschaftsgläubigkeit zu ersetzen. Je stärker Medien und selbsternannte 'Faktenchecker' der Bevölkerung eintrichtert, sie müssten Autoritäten bzw. den vor die Mikrofone bugsierten 'Experten' blind vertrauen, umso leichter macht man es den gar nicht so wenigen faulen Äpfeln im Wissenschaftsbetrieb, die Öffentlichkeit nach Strich und Faden zu behumpsen. Sei es, um z.B. das eigene Ansehen zu heben, sich finanziell zu bereichern oder aus ideologischen Gründen.

Klar ist freilich auch: Akteuren wie Parteipolitikern ist sehr daran gelegen, das unbedingte Vertrauen des Bürgers in die Wissenschaft zu erhalten. Oder besser gesagt: Das unbedingte Vertrauen in Legitimationswissenschaftler aus einer von Politik und Medien definierten wissenschaftlichen Relevanzzone. In diesen Kreisen werden "Wahrheiten" gerne per Akklamation entschieden und dann von willfährigen Journalisten an die Bevölkerung unkritisch durchgereicht.
Ein (noch vergleichsweise harmloses) Beispiel dafür, das in diesem Blog seit Jahren thematisiert wird, ist die baden-württembergische Mittelalterbaustelle Campus Galli. Diese würde ein wertvoller Beitrag zur Forschung sein, lassen halboffzielle Verlautbarungsorgane wie der Südkurier oder die Schwäbische Zeitung die Bevölkerung wissen. Auch seien die Unsummen an Steuergeld, die Jahr für Jahr in das Projekt geballert werden müssen, gute Investitionen. Da muss der Kenner echter Experimentalarchäologie zwar laut lachen, aber Gehör schenkt man ihm kaum, mag seine Kritik auch noch so wasserdicht sein.

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Ein Jahr nach Notre-Dame-Feuer: Krude Umbaufantasien rufen Kritik hervor

Dass der Notre-Dame-Brand in einschlägigen Kreisen unschöne architektonische Begehrlichkeiten aufkommen lässt, verwundert mich nicht. Bereits als in den 1990er-Jahren die Redoutensäle  der Wiener Hofburg ab- bzw. ausgebrannt waren, haben sich die Verfechter eines primitivisierten Kunst- und Ästhetikverständnisses damit durchgesetzt, die zerstörten historischen Wand- und Deckengemälde durch nichtssagende, abstrakte Schmierereien auf Kindergartenniveau zu ersetzen. 

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Nutzungsrecht für Foto entzogen

Vor einigen Wochen habe ich von einem Hobby-Fotografen eine E-Mail erhalten, in der ich ersucht wurde, ein von ihm unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlichtes Foto von meiner Website zu entfernen. Grund: Das Foto wurde von mir im Rahmen einer Kritik an einer Mittelalterbaustelle verwendet, die er überhaupt nicht teilte. Im Gegenteil, er war bzw. ist ein großer Freund des von mir kritisierten Projekts und spendet sogar regelmäßig dafür.
Nun kann man so ein Nutzungsrecht eines unter Creative Commons veröffentlichten Bildes nicht einfach widerrufen - schon gar nicht selektiv. Weil aber die E-Mail nicht pampig, sondern höflich formuliert war - und das Bild für den entsprechenden (Uralt-)Blogbeitrag sowieso nicht von Bedeutung gewesen ist - bin ich dem Wunsch nachgekommen.

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Kostenlose eBooks

Tipp: Bei Propylaeum-eBOOKS stehen viele Bücher aus der Archäologie bzw. Geschichtswissenschaft zum kostenlosen Download bereit. Darunter befinden sich hervorragend illustrierte Publikationen wie "LOPODVNVM VIDie 3D-Rekonstruktion des römischen Forums von Ladenburg. Beschreibung und Begründung der Nachbildung" oder "Befund – Rekonstruktion – Touristische NutzungKeltische Denkmale als Standortfaktoren"Gutes Recherchematerial nicht zuletzt für Living-History-Hobbyisten!

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9 Kommentare:

  1. Bezugnehmend auf Notre Dame: Es war kürzlich im ORF die Rede davon, dass man den Wiederaufbau "originalgetreu" durchführen möchte. Mir will allerdings scheinen, dass der Begriff "originalgetreu" dehnbar ist. Auch im Zusammenhang mit dem Berliner Stadtschloss habe ich ihn nämlich schon vernommen, obwohl das eine Beton-Kopie mit etlichen architektonischen Zugaben ist. Eigentlich ist es bloß eine historisierende Fassade. Das könnte in Teilen auch Notre Dame blühen.

    LG,
    Erwin

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  2. Der Wissenschaftsbetrieb ist in der Tat verkommen bis ins Mark. Schauen wir uns doch nur eine Giffey an, deren offenkundige akademische Bescheißerei ein korrumpierter Uni-Klüngel, meiner Ansicht nach, nachträglich aus politischen Gründen legalisiert hat. Trotz Protesten aus der Fachwelt. Was für charakterlich üble Subjekte sich da in den Unis eingenistet haben, pfui Teufel!

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  3. Wenn die Lage schon in den eigentlich auf Empirie aufbauenden Naturwissenschaften dermaßen übel ist, dann stelle man sich nur einmal vor, wie das erst in den Sozialwissenschaften aussehen muss, dieser "Astrologie" im Wissenschaftsmäntelchen. Mir gruselt es dabei!
    RR

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  4. Interessant, von dieser Zenonkarte habe ich bisher noch nie gehört! Ich glaube du hat mal geschrieben, dass auch französische Fischer vor Kolumbus nach Amerika gesegelt sein könnten.

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    1. Ja, Kabeljau-Fischer aus der Bretagne könnten bereits Mitte des 15. Jahrhunderts bei Neufundland an Land gegangen sein. Darauf deuten französische Karten hin, die Teile der nordamerikanischen Küste vor den offiziellen Entdeckungsfahrten in dieser Gegend zeigten. Kolumbus könnte davon gewusst haben. (Quelle: Olivier Le Carrer ; "Die Vermessung der Ozeane - Welt- und Seekarten von der Antike bis zur Neuzeit")

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    2. Nicht zu vergessen wäre hier noch der irische Mönch Brendan, bzw. Breandán, der im 6. Jahrhundert lebte und, so sagt die Legende, soweit nach Westen segelte, bis er auf eine große fruchtbare Insel stieß.

      Und natürlich wäre noch Rainer Giffhorn zu nennen mit seinem Buch "Wurde Amerika in der Antike entdeckt?"

      Grüße
      Ulrich

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  5. Hallo, Wikipedia meide ich bei fachbezogener Recherche prinzipiell schon sehr lange. Es gibt fast immer Alternativen. Allerhöchstens ist Wikipedia als erste Anlaufstelle benutzbar, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber wie du so schön geschrieben hast: zitierfähig ist sie nicht. Auch die Seriosität vermittelnden Quellenangaben führen oft genug ins Nirgendwo.

    Der Umgangston unter den Autoren ist dann noch mal eine andere Baustelle, aber auch keine schöne, da muss ich dir also ebenso zustimmen. Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass sich bei solchen anarchischen Projekten im Laufe der Zeit die Schreier und Pöbler durchsetzen.

    Beste Grüße
    Ingenieur

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  6. Wikipedia ist etwas für Uni Klavierlehrer und Rechtspfleger, also staatlich besoldete Schnarchnasen mit viel Freizeit.
    Leute in der Privatwirtschaft haben so ein großes Maß an Freizeit hingegen nicht, um bei einem Onlinelexikon tiefer gehend mitzuarbeiten und sich dabei auf endlose Diskussionen einzulassen.

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    1. " Uni Klavierlehrer und Rechtspfleger "
      Ich weiß, wen du meinst :D
      RR

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