Samstag, 13. März 2021

📖 Buch: Die Krieger der Karolinger

Die Krieger der Karolinger

Wie haben die Karolinger - also die Könige und Kaiser  jener legendären Familie, die vom 8. bis ins 10. Jahrhundert große Teile Europas beherrschte - ihr Heer organisiert, mit dem sie phasenweise jährlich in den Krieg zogen? Lag dem eine Frühform des Lehnswesens zugrunde, wie es die Geschichtsforschung im 19. Jahrhundert postuliert hat? Oder waren es andere, bisher weniger beachtete Mechanismen, die die Voraussetzung schufen, dass den 'primitiven' Bedingungen des Frühmittelalters zum Trotz immer wieder rasch ein gut ausgerüstetes Heer ausgehoben werden konnte?
Dieser zentralen Fragestellung geht Christoph Haack im vorliegenden Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde nach; wobei sein Entwurf einer karolingischen Militärorganisation sich zeitlich auf die Jahrzehnte um das Jahr 800 konzentriert (ohne dabei das wichtige Davor und Danach aus den Augen zu verlieren).

Nach der Einleitung erläutert der Autor im zweiten Teil die verschiedenen Modelle des karolingischen Heereswesens - so wie sie die Forschung ab dem 19. Jahrhundert entworfen hat. Beispielsweise lag ihnen z.T. eine marxistische, also stark ideologisch gefärbte Interpretation des Feudalismusbegriffs zugrunde; und das nicht nur im Ostblock, sondern z.B. auch sehr stark in Frankreich. 
Apropos Marxismus: Wer hätte weiters gedacht, dass bereits 1994 ein Mittelalterhistoriker eindringlich davor gewarnt hat, dass das Fach mit einem Mantra von "sexism, racism and homphobia" infiziert sei und die historische Erkenntnis in einem Diktat der "political correctness" auf Irrwege leite? Was würde der gute Mann wohl dazu sagen, wenn er sehen könnte, in was für konforme Ideologie-Klapsmühlen sich die Universitäten insgesamt auf Grundlage eben genau dieser argumentativen 'Totschlag-Trias' verwandelt haben? 
Aber auch aktuelle politische Ereignisse beeinflussten die Geschichtsentwürfe für die Karolingerzeit, wie etwa die Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871. Damals führte man eine allgemeine Wehrpflicht ein, die politische Professoren übereifrig mit historischen Rückgriffen zu rechtfertigten versuchten. So verwies man hierbei auf die 'Wehrpflicht' bei den freien germanischen Männern.
Auf solche mitunter sehr interessanten Aspekte der Forschungsgeschichte hinzuweisen ist sicher eine sinnvolle Vorgehensweise, damit der Leser die eigenen Überlegungen des Autors später maximal gut nachvollziehen kann. 

Im dritten Teil geht es um die Dekonstruktion - also um das Zerlegen und Widerlegen - der verschiedenen Modelle, die hinsichtlich der karolingischen Heeresorganisation im Laufe der Zeit entstanden: Zu nennen sind hier vor allem: Lehnswesen (bzw. eine Frühform davon), Wehrpflicht und Beutekrieg (Warband). 
Im vierten Teil macht sich der Christoph Haack daran, sein eigenes Modell darzulegen, demzufolge der Kriegsdienst über ein vielstufiges System aus personalen Verbindungen organisiert worden ist, das in gewisser Weise ein Netz aus Patron-Klienten-Verbindungen darstellte; was, wie er ausführt, nicht dasselbe ist wie das klassische Lehnsherren-Vasallen-Modell. Hier nimmt er sozusagen eine Aktualisierung von eben diesem Modell vor, das die Forschung im 19. Jahrhundert entwickelt hatte und dessen Einfluss immer noch spürbar ist (trotz plausiblerer Überlegungen, die in der Zwischenzeit geäußert wurden). Damals ging es um die zentrale Frage, ab wann die Volksaufgebote bäuerlicher Krieger von vasallitischen Reiterheeren abgelöst wurden. Im 8. Jahrhundert, als Karl Martell sich daran machte der islamisch-arabischen Expansion Einhalt zu gebieten, lautete die Antwort. Doch so einfach ist die Sachlage eben nicht, wie man heute weiß. Das Modell des Lehnswesens greift für das Frühmittelalter noch nicht.
Im fünften Teil werden weitere Thesen bzw. Aspekte zur karolingerzeitlichen Heeresorganisation erörtert.

Das Buch enthält zahlreiche Fußnoten, in denen sich z.B. die lateinischen Originaltextstellen aus karolingischen Kapitularien befinden, die der Autor in übersetzter Form zuvor zitiert hat. Außerdem gibt es ein Literaturverzeichnis, ein Sachregister sowie ein Orts- und Personenregister


Fazit: Wer eine umfassende Darstellung des karolingerzeitlichen Kriegers erwartet, wird von "Die Krieger der Karolinger" enttäuscht sein. Es geht hier ausschließlich - das aber m.M.n. in gelungener sowie erschöpfender Weise - um den erstaunlich komplexen Aspekt der Organisation des Kriegsdienstes im Rahmen des karolingischen 'Staates'. Punktuell wäre eine etwas weiter ausgreifendere Darstellung (hinsichtlich der Kriegspraxis) trotzdem nicht schlecht gewesen. Und dann ist da auch noch der nur mäßig günstige Kaufpreis für dieses nicht gerade dicke Buch.. Da dürfte es einigen Interessierten vor Schreck die Schuhe ausziehen ... (siehe Link unten)

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2 Kommentare:

  1. Der Übergang vom Heer der karolingischen freien Bauernkrieger (nach einer Urkunde -wohl- Karls des Großen selbst den Fürsten ebenbürtig) zu den ottonischen unfreien Bauern- und freien Ritterständen ist ein überaus spannendes Thema - und möglicherweise von mehr aktueller Relevanz, als uns lieb sein dürfte. Daher ganz herzlichen Dank für diesen Buchtipp!

    PS: Dr. Haack ist nun der erste Gleichstellungsbeauftragte, von dem ich weiß.

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